Inklusion an deutschen Schulen – die ungeliebten "Förderkinder"

Die Antwort ist einfach. Wir wissen es nicht besser, da nun mal nur wenige Leute in engeren Kontakt zu Menschen mit Behinderungen kommen - auch, weil sie abgeschottet werden.
Inklusion ist die einzige Lösung mit der man diese Wand durchbrechen kann. Nur wenn man Kontakt hat, sich mit dieser Welt auseinander setzen muss, kann man sie auch verstehen.

Edit: wollte niemandem etwas unterstellen

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Du legst hier den Finger auf einen wirklich wichtigen Aspekt: Verständnis und Wertschätzung kommt nur durch Umgang mit Behinderten im Alltag vom Kindesalter an.

Jeder von uns ist früher oder später von Behinderung persönlich und direkt betroffen. Manche (wie wir) weil das eigene Kind mit einer Behinderung geboren wird, worauf praktisch alle Menschen völlig unvorbereitet sind. Ohne vorherige Erfahrung im Umgang mit Behinderten wird das schnell zu einem traumatischen Erlebnis.

Andere erleben irgendwann wie die Eltern oder Partner an altersbedingten Behinderungen leiden, viele von uns werden das auch am eigenen Leib erfahren.

Schon auf Eigeninteresse sollen wir darum unsere Gesellschaft so gestalten, dass sie Behinderten und ihren Bedürfnissen gegenüber positiv und konstruktiv eingestellt ist. Aktuell ist das nicht der Fall und meine feste Überzeugung ist, dass konsequente Inklusion in der Bildung eine zwingende Voraussetzung dafür ist.

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Dieses Fazit möchte ich so nicht stehen lassen. Da ich für meinen Teil sicherlich überdurchschnittlich viel Kontakt zu solchen Fällen und ja sogar zu mehreren Fällen habe/hatte, habe ich meine Meinung ja durchaus auf Basis der sehr guten Erfahrungen die die in diesem Förderzentrum gemacht haben gebildet.

Es so hinzustellen, dass meine Meinung anders ausfiele wenn ich mehr Kontakt zu Behinderten hätte entspricht absolut nicht der Realität.

Sicherlich wäre meine Meinung eine andere wenn diese Beispiele die ich persönlich kenne (2 kenne ich persönlich sehr gut, bei den anderen dreien kenne ich einen Geschwister- oder Elternteil sehr gut) schlechte Erfahrungen in diesem Förderzentrum gemacht hätten oder wenn eines dieser eng bekannten Beispiele mit gutem Erfolg an einer Regelschule gefördert worden wäre.

Sicher sind die Beispiele auch nicht repräsentativ weil wir in dem einen Fall ja wirklich über eine sehr ausgeprägte Behinderung reden, und 2 andere z.B. gemeinsam mit Downsyndrom in diesem Zentrum waren, was die beiden die sich von klein auf kannten toll fanden. Inwiefern die auch auf einer Regelschule gemeinsam eine Klasse hätten besuchen können weiß ich nicht.

Es ist wahr, dass mir Detailwissen gefehlt hat und noch fehlt zur weiteren Beurteilung, hier hat @ped sehe gut aus eigener Erfahrung informiert.
Es aber so hinzustellen es bräuchte nur Kontakt und dann wäre man automatisch pro Beschulung an Regelschulen ist aber einfach falsch. Denn aktuell gibt es was die Umsetzung angeht ja durchaus auch Beispiele wo alle Seiten unzufrieden sind.

Es hilft also nicht einfach zu sagen man bräuchte ja nur mehr Kontakt zu Behinderten.

Wichtiger wäre zu zeigen was möglich ist und wie genau das umgesetzt wird. Warum die Förderung auch für diese einzelnen dann nicht schlechter ist als in spezialisierten Förderzentren. Und das eben nicht hier sondern dort wo die Bedenkenträger sind.

Und das nicht indem z.B. Lehrern Vorwürfe gemacht werden, sondern indem Lösungen präsentiert werden. Denn aktuell sind viele Lehrer mit der Heterogenität der Klassen, mit Schülern die diverse Defizite vorweisen oftmals so schon überfordert.

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Ich denke die „allgemeine“ Lösung für die Probleme des Schulsystems ist ziemlich einfach: mehr Geld.

Pro Kopf geben wir in Deutschland weniger öffentliches Geld für Bildung aus als praktisch alle anderen „reichen“ Industriestaaten in Europa. Um die Kaufkraft bereinigt, geben zum Beispiel Norwegen und Luxemburg pro Kopf fast das doppelte wie Deutschland für Bildung aus. Schweden, Island und die Schweiz sind beim Faktor 1,5.

Wir lassen uns Bildung nichts kosten und wundern uns dann, warum die Ergebnisse nicht stimmen.

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Genau das ist mein Punkt. Die Probleme sind ganz anderer Natur. Nun kann man aber nicht alle Rabauken, Vorlauten ist Schüchternen aus der Schule ausschließen. Stattdessen konzentriert man sich auf eine Gruppe, bei der das geht.
Aber auch da ist ja jeder Fall anders.
Das Problem der Schule ist, wenn sie jemanden zulässt, wird sie den nur schwer wieder los, außerdem hat sie dann einen Präzedenzfall geschaffen. Also lehnt sie einfach pauschal alles ab.
Dazu kommt, dass Bildung unterfinanziert und psychologische Aspekte in der Ausbildung zu kurz kommen (dazu Quereinsteiger ohne erzieherische Vorbildung). Es ist im Interesse der Schule, möglichst konforme Schüler zu haben, die möglichst wenig Arbeit machen. Das kann aber weder im Interesse der Schüler noch im Interesse der Gesellschaft sein.

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Ich denke das, aber das siehst du ja insgesamt genauso, ist nur der erste Schritt.

Zudem braucht es auch strukturelle Reformen, spätere Trennung, andere Bewertungskriterien des Könnens (ich wäre z.B. für Meilensteine die erreicht werden müssen statt Noten als Hauptkriterium, vor allem in Fächern wo Lücken später kaum geschlossen werden können.)

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Ich habe lange nichts mehr hier im Forum geschrieben, möchte aber gern meine Erfahrungen mit euch zum Thema Inklusion teilen. Um alle Erfahrungen hier mitzuteilen, ist nicht genügend Raum. Daher werde ich versuchen, nur die wichtigsten Dinge zu erläutern.

Mein Sohn (er ist mittlerweile 32 Jahre alt) ist taubblind geboren worden. Ohne Hörgeräte konnte er nur sehr laute Geräusche wahrnehmen, ohne spezielle Brille maximal Schatten sehen.
Damit einhergehend war seine Sprachentwicklung verspätet. Ansonsten war er ein fröhlicher Junge, der von uns in Allem gefördert wurde, was uns möglich war.
Daher war für uns völlig klar, dass er nach dem Kindergarten auf die Grundschule im Dorf geht und nicht zur Förderschule, die uns empfohlen wurde. Dies durchzusetzen war damals nicht leicht.
Die Schule verfügte über keine Ausstattung für Hör- und/oder Sehbehinderte.
Trotz Allem und nach einem langen Kampf wurde unser Kind mit seinen Freunden an der Grundschule eingeschult. Die Grundschulzeit verlief mit vielen Hoch- und Tiefpunkten noch in Ordnung.
Möglich war dies nur durch starke Unterstützung des Lehrers und uns als Eltern (angepasstes Lernmaterial, Arbeitsblätter etc.). Viele Themen haben wir zu Hause nochmals beschult, da er sie im Unterricht nicht mitbekommen hatte (das Klassenzimmer mit der Ausstattung für Hörbehinderte war belegt) oder sich nicht getraut hatte zu fragen, wenn er etwas nicht verstand.
Der Wechsel an die weiterführende Schule war ähnlich schwer, aber klappte dann irgendwie doch.
Da seine schulischen Leistungen gut waren, ging unser Sohn in die 5. Klasse eines Gymnasiums.
Auch hier war das Bild zu Anfang ähnlich. Mit viel Absprache etc. kam er mit und war in einigen Fächern sogar ganz vorn mit dabei.
Problematischer wurde das soziale Umfeld. Im Kindergarten und in der Grundschule gab es das ein oder andere Kind, mit dem unser Sohn befreundet war. Wenn man heute ehrlich ist, liefen die Absprachen für die Verabredungen oft über uns Eltern. Zu Geburtstagen kamen die eingeladenen Kinder, unser Sohn wurde allerdings oft nicht eingeladen. „Wir wollen ein Fußballturnier machen, das kann er ja eh nicht“, oder „wir gehen schwimmen/ins Kino, da wüsste ich nicht wie ich mit ihm umgehen soll“ waren nur so ein paar Ausreden.
Schlimm wurde es dann ab ca. der 7. Klasse. Die ehemaligen Freunde aus der Grundschule hatten sich umorientiert, neue Freunde waren nicht da. Dafür waren die Interessen auch viel zu verschieden.
Während die anderen Jungs anfingen, für Mädchen zu schwärmen oder sich über das letzte Fußballspiel zu unterhalten, hatte unser Sohn Schwierigkeiten, überhaupt jemanden zu verstehen.
Es war zu laut und mit dem Hörgerät war es für ihn sehr schwer, viele Stimmen, die durcheinanderreden, auseinanderzuhalten.
---- Ende Teil 1 ----

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So saß er oft allein in den Pausen im Klassenraum und las Bücher. Oder er schrieb selbst Geschichten.
Zu Geburtstagen eingeladen wurde er schon lange nicht mehr.
Mobbing war an der Tagesordnung, denn wirkliche wehren konnte er sich nicht.
Wenn ich heute an diese Zeit zurück denke, so erinnere ich mich fast nur noch an die viele Wut, die Tränen und die Ohnmacht, die wir verspürten.
Irgendwann in dieser Zeit lernten wir auf einem Nachbarschaftsfest den Schulleiter einer Förderschule kennen und unterhielten uns lange mit ihm.
Er lud uns und unseren Sohn ein, einmal seine Schule zu besuchen.
Wir nahmen einige Zeit später das Angebot an und unser Sohn ging eine Woche probehalber an dieser Schule in den Unterricht. Wir waren immer noch sehr skeptisch.
Und ich weiß noch wie heute, als ich ihn am dritten Tag abholte, wie er mich fragte:" Papa, muss ich wieder an die andere Schule zurück?".
Ich kürze hier etwas ab. Unser Sohn ging ab diesem Zeitpunkt auf eine Schule, die wir immer ablehnten, im guten Glauben, unserem Sohn sonst die Zukunft zu verbauen: auf die Förderschule.
Jahre später machte unser Sohn das Fachabitur und ist heute Bibliothekar (oder „Fachkraft für Medien- und Informationsdienste“ wie es neudeutsch heißt).
Er hat seinen Weg gefunden und lebt eigenständig mit seinem besten Freund (den er an der Förderschule kennengelernt hat) in einer WG. Die Förderschule war sowohl technisch als auch schulisch auf die Belange meines Sohnes eingestellt. Die Kinder wurden gefördert, die Schule unterhielt ein Netz an Verbindungen zu Firmen, Instituten und Universitäten und konnte so den Kindern einen Einstieg in den späteren Beruf erleichtern.
Mein Fazit nach dieser Zeit ist: Ich kann Eltern gut verstehen, die im Sinne „nur das Beste für mein Kind“ darum kämpfen, dass ihr Kind an einer Regelschule unterrichtet wird. Ob das immer der richtige Weg ist? Für unseren Sohn war es das nicht. Hängt das von der Schule/Förderschule ab? Ja, natürlich.
Aber wenn ich hier lese, dass die Kinder an Förderschulen ja sowieso nur verwahrt werden, kann ich nur sagen: Aus unserer Erfahrung stimmt das überhaupt nicht. Eher im Gegenteil.
Ich kenne all die Argumente wie „Nicht behinderte Kinder müssen Umgang mit behinderten Kinder haben, damit der Umgang für sie normal wird.“ Mein Sohn hat selten normalen Umgang erlebt an der Regelschule. Er hat eher erlebt, dass er anders war als alle anderen. Und das hat ihn sehr traurig gemacht.
Nicht für jedes behinderte Kind ist der Weg an eine Regelschule der Beste.
Ich könnte hierzu noch viel schreiben, denke aber dass der Text jetzt schon grenzwertig lang ist.

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Danke für diese Eindrücke. Meine Erfahrung in meinem Umfeld war bisher, dass, wer auf der Förderschule landet, schließlich auch in der Behindertenwerkstätte landet (was allerdings auch daran liegen kann, dass bei uns im Landkreis Inklusion relativ gut funktioniert).

Dein eindrucksvoller Bericht zeigt, dass man - wie bei jedem Kind - den besten Weg für dieses Kind suchen muss.

Für einige Kinder könnte die Regelschule aber dadurch geeigneter werden, dass behinderte Kinder dort nicht die Ausnahme sind.

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