IGH sieht Westjordanlandbesetzung als illegal

Hier sind die wichtigsten Gründe nach einem Bericht der TAZ[1] zusammengefasst:

  • Die Besetzung ist nicht temporär angelegt wie von der Genfer Konvention gefordert, denn:
    • Israel hat seine Präsenz durch die Legalisierung und Unterstützung von Siedlungen dauerhaft gemacht.
    • Die Zahl und der Umfang der Siedlungen nehmen weiter zu.
    • Die Siedlungen sind über Infrastruktur gut ins israelische Staatsgebiet integriert.
  • Die Ressourcen besetzter Gebiete dürfen nicht stärker als militärisch nötig vom Besetzer ausgebeutet werden.
  • Auf besetztem Gebiet muss grundsätzlich das bisherige Recht weitergelten. In israelischen Siedlungen im besetzten Gebiet gilt jedoch israelisches Recht.
  • Israel verdrängt Palästinenser von ihrem Land.
  • Israel versagt bei der Verhinderung oder Ahndung der Siedlergewalt.

Der IGH schließt aus diesen Merkmalen und Rechtsverstößen, dass es sich bei der Besatzung um eine Annexion handelt.

Mit einer überwältigenden Mehrheit von 14 zu 1 Stimmen fordert der IGH daher den Stopp des Siedlungsbaus und die Aufgabe der Siedlungen. Mit 11 zu 4 Stimmen fordert er Israel zudem zum (militärischen) Abzug aus den besetzten Gebieten auf.

In einem weiteren Votum fordern 14 zu 1 Richter, den Palästinensern Schadensersatz für die Rechtsbrüche zu zahlen.

Er fordert außerdem alle Staaten auf, Israel nicht bei der Aufrechterhaltung der Besatzung zu helfen oder zu unterstützen.

Mich interessiert daher, wie sich Deutschland und Europa nun positionieren können und müssen. Welche Hebel haben wir, um dieser Aufforderung nachzukommen? Und wie wollen wir Despoten wie Putin und Xi ans Völkerrecht binden, wenn wir einer rechtsextremen Regierung Israels die völkerrechtliche Annexion des Westjordanlandes durchgehen lassen?

Es wäre im Übrigen schön wenn wir bei einer solchen Diskussion auf Polemik weitestgehend verzichten könnten und uns um Ideenfindung bemühen.

[1] Gutachten zum Westjordanland: IGH sieht Besatzung als illegal - taz.de

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Ich denke, dieses Gutachten gibt nur den weitestgehenden Konsens im Völkerrecht wieder.

Außer Israel behauptet kein Staat ernsthaft, dass die Siedlungen im Westjordanland „legal“ sind. Die USA wollen Israel zwar nicht mit Sanktionen belegen und schützen Israels Siedlungspolitik dadurch, aber auch die USA machen auf diplomatischem Weg immer wieder deutlich, dass sie die Siedlungspolitik Israels nicht für mit dem Völkerrecht vereinbar halten.

Insofern kann das Urteil eigentlich niemanden überraschen - 14:1 scheint mir auch das grobe Verhältnis in der generellen juristischen Diskussion zu sein (dh. es sind wirklich nur Einzelstimmen, die Israels Vorgehen für legitim halten).

Wie das Gutachten richtig herausstellt, ist die zeitweise Besatzung von Gebieten (sei es im Westjordanland oder auf den Golan-Höhen, um die es hier nicht spezifisch ging) zur Verhinderung von Aggressionshandlungen durchaus legitim, aber in dem Moment, in dem Israel es zulässt, dass israelische Staatsbürger diese Besatzung nutzen, um dort permanente Siedlungen zu errichten, bricht Israel massiv das Völkerrecht. Israel hat die Pflicht, die eigene Bevölkerung im Zweifel unter Androhung von Waffengewalt daran zu hindern, derartige illegale Siedlungen zu eröffnen und wenn das nicht gelingt hat es die Pflicht, derartige Siedlungen zu räumen.

Ich frage mich, wie Israel auf dieses Gutachten reagieren wird. Klugerweise vermutlich gar nicht (Nach dem Motto „Wir erkennen die Zuständigkeit des IGH nicht an“. Auch wird relevant werden, wie die USA reagieren werden - leider akzeptieren auch die USA (ebenso wie China und Russland) den IGH nicht, sodass vermutlich auch dort kein Umdenken einsetzen wird. Es wird wegen dieses Gutachtens sicherlich neue Versuche vor der UN geben, Israel zu sanktionieren (was dann wieder - fälschlicherweise! - als Beleg für eine etwaige Israelfeindlichkeit der UN gewertet wird), aber die werden wohl wieder am Veto der USA scheitern.

Kurzum:
Das Gutachten ist sehr zu begrüßen, weil es die dominante völkerrechtliche Wertung in einem offiziellen Akt packt, aber es wird wohl leider nichts ändern. Deutschland wird weiter - erfolglos - die Einstellung der Siedlungspolitik fordern, israelische Fundamentalisten (zu denen auch die Likud um Netanyahu gehört!) werden sich bestätigt sehen, dass „die UN und ihre Institutionen“ gegen sie seien…

Die Fragestellung ist eine andere. Wenn der IGH alle Staaten, also auch Deutschland oder die EU auffordert Israel bei seinem Bruch des Völkerrechts nicht zu unterstützen, dann ergeben sich daraus Handlungsnotwendigkeiten.

Lass uns mal ganz frei und unbefangen überlegen. Darf ein israelischer Politiker noch zu Konsultationen ins Ausland reisen, wo möglicherweise Handelsverträge oder Abkommen geschlossen werden, die dem Siedlungsbau oder dem militärischen Schutz desselben nutzen. Ich denke da an Handel von Baumaterialien, Anlagen für Energie- oder Wasserinfrastruktur, Waffen für Polizei und Militär in den Gebieten usw… Müsste man ihm nicht sogar den Überflug verweigern und ihn notfalls festnehmen?

Müsste man den Handel mit oben genannten Waren nicht kategorisch ausschließen oder gleichermaßen den Import von Waren und Dienstleistungen aus Israel? Denn die Steuern fließen teilweise dem Siedlungsbau zu.

Müsste man nicht auch jede Zusicherung der Solidarität und des militärischen Schutzes Israels die Voraussetzungen der Aufgabe der Siedlungen voranstellen.

Es mag sein, dass die USA, China oder Russland den IGH nicht anerkennen. Aber ich bin mir ziemlich sicher, dass auch eine deutliche Reaktion der restlichen (westlichen) Welt einen Kurswechsel bewirken kann. Bisher wirft man im Westen ja eher Wattebällchen und hält vorsichtshalber Bluttransfusionen bereit.

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Naja, du siehst ja im Ukraine-Konflikt, dass die europäischen Staaten (vor allem Deutschland) ohne die USA nichts tun. Alles muss praktisch von den USA abgesegnet werden. Europa ist immer noch in wesentlichen Fragen von den USA abhängig, vor allem in der Verteidigung. Wenn nun Trump die Wahl gewinnt und einen extrem pro-israelischen Kurs fährt, kann Europa es sich einfach nicht leisten, diesen nun umso wackligeren Verbündeten zu verlieren.

Wir haben hier das klassische Problem von Idealpolitik vs. Realpolitik. Ideal-politisch hast du sicherlich Recht, Deutschland und die anderen Mitgliedsstaaten des IGH (also im Prinzip der Großteil der westlichen Welt) müssten Israel mit wesentlich härteren Bandagen angehen, gerade Handelspolitisch. Aber der real-politische Preis dafür ist wohl schlicht zu hoch, mögliche Verwerfungen mit den USA sind einfach zu gefährlich. Und so lange die USA weiter an der Seite Israels stehen, glaube ich auch leider nicht, dass die anderen westlichen Staaten genug Druck aufbauen können. Israels Überleben ist vor allem von den US-Militärhilfen abhängig, daher sind es die USA, die irgendwie überzeugt werden müssen, ein derartiges Ultimatum („Weitere Militärhilfen nur, wenn ihr die Siedlungspolitik beendet“) zu stellen. Aber das wird unter Trump definitiv nicht passieren und unter den Demokraten bräuchte es schon AOC, um zu diesem Kurs zu kommen (was nicht passieren wird, die Demokraten werden weiterhin eher „mittige“ Kandidaten in die Machtpositionen heben…)

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Soweit Ich das verstehe hat sich Netanjahu bereits geäußert und das in wirklich bedenklicher Form:

Ah, danke für diese Quelle. Daraus:

Da sehen wir genau das „From the River to the Sea“ aus dem Likud-Parteiprogramm. Aber bei Israel schauen wir leider über „From the River to the Sea“, also über den Anspruch, das gesamte Westjordanland beherrschen zu dürfen und alle Menschen, die keine Israelis sind, vertreiben zu dürfen, hinweg, während man dies bei den Palästinensern - mit Recht - sehr stark kritisiert.

Wie gesagt, das sind keine kleinen Fische, die sich hier äußern, sondern hochrangige Kabinettsmitglieder. Das ist der Kern der israelischen Regierung, nicht der klar rechtsextreme Teil, dessen Einfluss immer kleingeredet wird…

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Nun, wenn Deutschland dem streng folgen würde, sehe ich realistisch 3 Möglichkeiten im Moment.

  • Deutschland sollte die diplomatischen Beziehungen zu Israel kritisch überprüfen und keine neuen Abkommen oder Verträge schließen, die den Siedlungsbau oder den militärischen Schutz der Siedlungen direkt oder indirekt unterstützen. Dies könnte auch bedeuten, dass israelische Politiker, die aktiv an der Unterstützung des Siedlungsbaus beteiligt sind, nicht mehr zu offiziellen Konsultationen eingeladen werden.

  • Jegliche militärische Unterstützung Deutschlands und der EU für Israel sollte an die Bedingung geknüpft werden, dass Israel den Siedlungsbau stoppt und mit dem Abzug aus den besetzten Gebieten beginnt.

  • Deutschland sollte sich innerhalb der EU für eine einheitliche und entschlossene Haltung gegenüber Israel einsetzen. Dies könnte durch gemeinsame Resolutionen, Sanktionen und diplomatische Maßnahmen erreicht werden.

Das wäre ein starker Schwenk, würde allerdings der bisherigen von @Daniel_K beschiebenen Realpolitik widersprechen. Andererseits schwächt die derzeitige Situation schon jetzt die Durchsetzungskraft des Völkerrechts und wir riskieren langfristig, dass andere Despoten wie Putin oder Xi Jinping ähnliche Verstöße begehen, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen.

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Ich will hier nur noch mal für all diejenigen, die sonst gern Israels rechtsextreme Regierung in Schutz nehmen diese zwei Zitate herausstellen.

Wenn Netanjahu schreibt, der Siedlungsbau sei in allen Gebieten des Heimatlandes rechtmäßig, heißt das, dass er ebenso vom Westjordanland denkt wie Putin von der Ukraine. Er betrachtet es als eigenes Staatsgebiet.

Oder wenn der Finanzminister eine Formel nutzt, die als Synonym von Hardlinern für die Annexion des Westjordanlands verstanden wird, unterscheidet sich das wenig von From the river to the sea.

Ich bezweifle sehr, dass Trump interessiert, ob wir Israel Waffen liefern oder den Handel mit Produkten aussetzen. Auch dürfte es ihm relativ egal sein, ob wir Netanjahu auf eine schwarze Liste setzen.

Trumps Politik ist von Handel geprägt. Solange er durch europäisches Handeln keine Nachteile bzw. eher Vorteile hat, wird er Europa gewähren lassen, wie er auch Putin gewähren ließe.

Welchen Nachteil würde er haben wenn wir Netanjahu sanktionieren? Vielleicht würde man ihm sogar etwas dafür geben, zum Beispiel die Aussicht darauf als Löser des Nahost-Konflikts in die Geschichte einzugehen. Im Gegenteil, Israel wird Trump etwas geben müssen um weiter seine Gunst zu behalten. Das wird schwieriger wenn Europa, Kanada und Co. die Unterstützung versagen.

Du solltest auch nicht vergessen @Daniel_K, dass Putin und Xi ihre Verletzungen des Völkerrechts unter anderem damit begründen, dass der Westen (a.k.a. wir) ebenfalls einen Sch*** darauf gibt. Und beispielsweise der Iran forscht nicht in erster Linie an der Atombombe um auszulöschen, sondern um gegenüber Völkerrechtsverletzungen seiner Gegner (USA) sicherer zu sein.

Wir sollten daher kritisch mit unseren eigenen Verletzungen des Völkerrechts umgehen, denn das gab den argumentativen Unterbau dafür, dass wir heute mehr Spannungen den je (seit 1945) haben.

Streng genommen tut es das nicht, denn ein IGH-Urteil ist wie alles im Völkerrecht: wenn ein Staat es nicht beachtet, dann beachtet er es nicht. Konsequenzen ergeben sich höchsten aus der Reaktion anderer Staaten auf die Nichtbeachtung.

Auch dürfte es Netanyahu extrem egal sein, wie sich Deutschland oder sogar der gesamte Rest der EU positioniert. Selbst ein extremer Politikwechsel, wie von dir beschrieben, mit einem totalen Boykott der israelischen Regierung und aller militärischen Unterstützung wäre für die rechtslastigen Politiker in Israel wohl nicht ausschlaggebend. Die Besetzung Palästinas ist ein zutiefst ideologisch-religiöses Projekt und die Beziehungen zur EU nicht wichtig genug, um da eine Rolle zu spielen.

Anders sieht es bei den USA aus. Die könnten tatsächlich durch einen radikalen Politikwechsel Israel zur Kursänderung zwingen, dafür gibt es in den USA aber glaube ich weder in der Bevölkerung, noch in der Politik eine Mehrheit. Schon gar nicht, wenn Trump wieder an die Macht kommen sollte.

Ich denke Deutschland und die EU sollten sich als konstruktive Maßnahme darum auf ein paar Schritte konzentrieren, die die Situation der Palästinenser tatsächlich verbessert:

  • Anerkennung Palästinas als unabhängiger Staat und Agitation für eine Aufnahme als Vollmitglied in der UN
  • Finanzierung und organisatorischer Aufbau der palästinensischen Regierung (solange deren Akteure das Existenzrechts Israels anerkennen und sich klar von Terrororganisationen wie der Hamas abgrenzen).
  • Stärkung der Handelsbeziehungen mit Palästina und Entwicklung von Mechanismen, um die von IGH geforderte Kompensation der durch die Besetzung verursachten Schäden durch israelisches Staatsvermögen umzusetzen (analog zur Einfrierung russischer Gelder und deren Auszahlung an die Ukraine).
  • Gezielte Investitionen in die Bildung junger Palästinenser in Palästina und bei uns. Also Schaffung von Ausbildungszentren, Stipendien für Studierende, etc.
  • Großzügige Visavergabe für Palästinenser, die hierzulande nach Arbeit suchen (denn Rücküberweisungen sind eine der effektivsten Formen der Wirtschaftsförderung im Ausland).

Der Fall ist hier dahingehend anders gelagert, dass sich Deutschland und der Rest der westlichen Welt (mit Ausnahme der USA und Frankreichs) dem IGH vertraglich verpflichtet haben - hier geht es also nicht nur um „Völkerrecht“, sondern auch um klares Vertragsrecht. Natürlich kann man sagen „Watt interessiert mich mein Jeschwätz von jestern…“ aber das ist natürlich dann noch deutlich problematischer als die Nicht-Anerkennung eines völkerrechtlichen Gerichts.

Denn wenn der IGH zu einem Urteil (das war ja erstmal nur ein Gutachten) die Siedlungspolitik betreffend kommt, könnte sonst auch Deutschland wegen Beihilfe zu eben dieser Siedlungspolitik möglicherweise vor den IGH gezerrt werden, wenn es weiterhin mit Israel kooperiert.

Dem muss ich leider zustimmen, auch wenn ich wünschte, dass es anders wäre.

Für die israelische Rechte ist diese „Uns gehört das gesamte Land“-Linie die politische Kernüberzeugung, auf der so viel andere Ideologie aufbaut. Das wird man aus diesen Leuten nicht raus bekommen. Letztlich muss man das israelische Volk dazu bringen, diese Menschen nicht mehr in Regierungsverantwortung zu bringen, aber wie in so vielen anderen Threads schon gesagt ist das Problem, dass der Anteil des Volkes, der radikal wählen wird, bei einem langen Konflikt und dessen Eskalation eher steigt als sinkt. Und leider ist auch ein beträchtlicher Teil des israelischen Volkes pro-Siedlungspolitik, also pro „Das ganze Land gehört uns!“.

Diese Überzeugung wird sich nur verdrängen lassen, wenn dies wahrhaft alternativlos ist - wenn selbst die Hardliner zu der Überzeugung kommen, dass es nur zwei Optionen gibt: „Israel überlebt, aber ohne Siedlungen“ oder „Israel geht unter“. Und diesen Druck können nur die USA aufbauen, indem sie mit Entzug der Militärhilfen drohen.

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Das muss ich mal rausgreifen, auch wenn etwas Off-Topic, weil ich es für eine eher fragwürdige Lesart halte.

Man kann sicher unterschiedliche Interpretationen für die Funktion der vielen iranischen Verlautbarungen der Vernichtungsabsicht ggü. Israel erwägen (ideologische Festigung nach innen, nach außen Bekräftigung des Anspruchs, Schutzmacht aller Muslime zu sein ebenso wie Beschäftigung der Gegner), aber es gibt sie schon. Und der Iran ist sicher nicht fähig, eine Zweitschlagskapazität aufzubauen, aber für eine „Madman“-Strategie, um den USA und anderen auf anderen Gebieten Zugeständnisse abzupressen, reicht es.

Dass der Iran hauptsächlich einem US-Angriff zuvorkommen wolle, ist natürlich seine Propaganda, der D oder die EU durch Nachsicht bei Völkerrechtsverstößen ihrer Verbündeten nicht auch noch Glaubwürdigkeit verleihen sollten. Aber tatsächlich scheint es mir doch komplexer.

Wieso eigentlich nicht? Klar, an der ideologischen Grundierung der israelischen Politik würde das nichts ändern. Aber die Bedeutung der militärischen Unterstützung aus der EU darf man nicht unterschätzen. Historisch denke ich hier an die finanzielle dt. Unterstützung beim Atomprogramm und die U-Boote, die eine nukleare Zweitschlagskapazität schaffen. Heute mag sich die Form geändert haben, aber Lieferungen der EU-Waffenindustrie machten bislang immer noch ca. 31% der israelischen Waffenimporte aus: https://www.reuters.com/world/who-are-israels-main-weapons-suppliers-who-has-halted-exports-2024-05-09/

Wenn man in Israel merkt, dass dies längerfristig auszubleiben droht, trifft das einen empfindlichen Punkt, der jedenfalls bei machtbewussten Politiker:innen wie Netanjahu das Handeln beeinflussen könnte. Ideologie ist flexibel und auch eine klare Ideologie lässt mehrere Handlungswege offen.

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Zweifellos ist der Drang zur Bombe komplex. Aber wenn wir uns diverse US Kriege der letzten Jahre anschauen (und auch wo es keinen Krieg gab), dann kann man nur schwer bestreiten, dass eine eigene Atomwaffenfähigkeit mitsamt Zweitschlagsfähigkeit das eigene Land gegen den Weltpolizisten und nervige Nachbarn beschützen kann.

Das als Propaganda abzutun erscheint mir sehr wohlfeil.

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Ist wahrscheinlich zu viel für diesen Thread. Die aggressive und vökerrechtswidrige US-Politik in der Region (und auch, dass einige Hawks in Washington, deren Gewicht ich aber nicht beurteilen kann, gelegentlich Gedankenspiele zu Angriffen auf den Iran betreiben), will ich gar nicht bestreiten. Aus meiner Sicht geht die Aggression eher vom Iran aus und dass Du für die illegalen Bestrebungen des Irans zur Atombombe ganz überwiegend defensive Motive gegen die USA siehst, passt mir entschieden zu gut ins iranische Narrativ, weshalb ich da vorsichtig werde. Mit den „nervigen Nachbarn“ erweiterst Du den Kreis potenzieller Bedrohungen ja auch bereits.
Allerdings nehmen sich beide da nicht so viel, weshalb man vermutlich ewig blame game spielen könnte.

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Ich denke auch, dass der Iran natürlich auch die Bombe will, ob Israel realistisch bedrohen zu können, aber ebenso denke ich, dass es unbestreitbar ist, das die Atombombe die einzig wirklich effektive Abschreckung vor einem konventionellen Krieg ist. Siehe die Ukraine - hätte diese noch Atomwaffen (die sie auch kontrollieren kann) hätte Russland dort wohl eher keinen Krieg dort angefangen, weil das Risiko zu groß wäre…

Der Iran will die Bombe natürlich auch, damit er selbst konventionell aggressiver gegen Israel vorgehen kann - denn aktuell ist der Iran da sehr begrenzt, eine zu große konventionelle Eskalation könnte Israel im schlimmsten Fall tatsächlich nuklear beantworten (wenn die Existenz Israels wirklich auf dem Spiel steht, steht es glaube ich außer Frage, dass man Nuklearwaffen einsetzen würde…). Wenn der Iran hingegen auch Atomwaffen hätte, könnte er konventionell eskalieren, wie er will, weil Israel stets wüsste, dass jeder Einsatz von Atomwaffen mit einem Gegenschlag beantwortet würde.

Kurzum:
Beides ist mMn aus Sicht des Iran wichtig - die defensive Funktion von Atomwaffen, aber auch die offensive Drohwirkung, die eine Eskalation der angegriffenen Seite unterbindet (wie wir es ja aktuell auch im Ukraine-Krieg sehen…). Dass der Iran in der Position, in der er (selbstverschuldet!) ist, unbedingt zur Atommacht werden will, ist jedenfalls verständlich. Ebenso wie es verständlich ist, dass Israel und die USA alles tun werden, das zu verhindern (einschließlich unzähliger Attentate auf iranische Atomwissenschaftler und potenziell hoch-gefährliche Cyberangriffe auf Anreicherungsanlagen (falls sich noch wer an Stuxnet erinnert…).

Das wäre der Anfang vom Ende. Du kannst einen Zweitschlag nur ausführen, solange die Raketen noch unterwegs sind. Das ist vom Iran nach Israel (und umgekehrt) nicht sehr lange. Wäre das also die Strategie wird der erste Fehlalarm beide Länder zerstören, da keine Zeit zum abwägen bleibt. Die Schäden für die ganze Region wären immens. Sowohl Israel als auch Iran sehen in der Atombombe Drohpotential, nicht Verteidigungspotential.

Das setzt voraus das die Importe aus Europa nicht substituiert werden können – entweder durch erhöhte Importe aus den USA oder durch den Aufbau von Beziehungen zu anderen Staaten, etwa Russland, China oder Indien.

Auch ist die Frage, welche Rüstungsgüter genau aus Europa bezogen werden. Ich bin kein Experte in den exakten Versorgungsketten Israels, aber mein Eindruck aus dieser Analyse des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags ist das die deutsche Rüstungsindustrie vor allem einzelne Komponenten und Ersatzteile zuliefert, nicht komplette Systeme (wie die USA das mit dem F35 Kampfjet zum Beispiel tun.

Meine Vermutung: Ein Ausfall Deutschlands als Lieferant wäre für Israel ärgerlich, würde die Verteidigungsfähigkeit des Landes aber nur marginal beeinflussen und könnte durch andere Akteure (auch von außerhalb Europas) kompensiert werden.

Nein. Israels Zweit- (und Erstschlag-)Kapazität ist seegestützt auf U-Booten, die der Iran unmöglich zeitgleich zu einem Erstschlag zerstören könnte. Selbst eine landgebundene Zweitschlagkapazität ließe sich innerhalb des israelischen Territoriums problemlos so verstecken (oder mobil konstruieren), dass ein erfolgreicher iranischer Erstschlag die israelischen Reaktionsmöglichkeiten nicht einschränkten würde. Auch wenn der Iran ein paar Atomwaffen bauen und erfolgreich durch die israelische Luftabwehr kriegen würde, würde deren Zerstörungswirkung nur einen Bruchteil des israelischen Territoriums schädigen (aber natürlich beim Einsatz gegen Bevölkerungszentren enorme Todeszahlen hervorrufen).

Auch die israelische Befehlskette wäre wohl robust genug, um einen Zweitschlag auch nach einem erfolgreichen Angriff auf z.B. den Premierminister weiter möglich zu machen.

Das gleiche gilt umgekehrt natürlich auch, auch wenn die Israelis sicherlich die deutlich bessere Luftabwehr besitzen und somit unter Umständen das Gefühl haben, einen ballistischen Angriff mit hoher Wahrscheinlichkeit (aber keiner absoluten Sicherheit) abfangen zu können. Insofern würde jeder Erstschlag, egal in welche Richtung, immer mit dem Wissen um einen nuklearen Gegenschlag ausgeführt werden.

Das ist übrigens das selbe Prinzip der nuklearen Abschreckung auf das alle Atommächte außer den USA, Russland und vielleicht China setzen. Außer diesen dreien hat kein Land die atomare Kapazität einen Erstschlag durchzuführen, der tatsächlich die Zweitschlagskapazität des Gegners wirksam beeinträchtigen könnte. Bei Russland gibt es zudem ein Fragezeichen bei der Einsatzfähigkeit der Atomwaffen. Und weder Russland noch China könnten Zweitschläge durch U-Botte unterbinden, die USA hätten dazu theoretisch mit entsprechender Vorbereitung die Möglichkeit zu (durch Auskundschaftung und Zerstörung der strategischen U-Boote des Gegners, was allerdings mit enormer Unsicherheit belastet wäre). Nur in diesen Fällen kommt es spieltheoretisch tatsächlich auf die Flugzeit an, allerdings ist auch das akademisch: Ein nuklearer Erstschlag in dieser Größe würde die Welt mit ziemlicher Sicherheit für alle unbewohnbar machen.

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Durchaus. Man hat ja nach allem, was ich gelesen habe, in den letzten Jahren schon beobachten können, wie der israelische Umgang mit Russland von der Notwendigkeit zur Koexistenz und teilweise (stillschweigenden) Kooperation in der Region bestimmt war.

Moralisch bleibt die Argumentation „Wenn wir nicht liefern, tun es andere“ natürlich nicht überzeugend. Und deshalb würden das Völkerrecht und die westliche Glaubwürdigkeit weiterhin fortlaufend beschädigt.

Ich denke daher, dass diese Hinweise auf die möglichen Folgen einer (Drohung mit) Einstellung militärischer Hilfen wertvoll sind, aber nicht als Grund, es gar nicht zu versuchen, sondern als Information für die Strategie, mit der man das versuchen könnte. D.h. diese potentiell „einspringenden“ Lieferanten müsste man ins Boot holen oder sich auf andere Weise versichern, dass sie diese Strategie nicht unterlaufen (die USA bspw. haben bereits Lieferungen vorläufig gestoppt, woran man anknüpfen könnte). Bei Russland bspw. könnte ich mir vorstellen, dass es aktuell gar nicht in der Lage ist, Waffen zu liefern, die für Israel sehr nützlich sind. Aber dafür braucht man, genau, mehr Wissen um die Lieferketten und jeweilige Ausstattung als uns hier zur Verfügung steht.

Es geht doch aber nicht nur um Deutschland. Es geht um die EU, Australien, Kanada, die Schweiz, eventuell sogar GB oder Indien.

Der US Handel steht nur für ca. ein Viertel des israelischen Handelsvolumens. Es ist schwer vorstellbar, dass eine Pariastellung Israels nur durch die USA, China und Russland ausgeglichen werden könnte. Zumal fraglich ist ob letztere daran überhaupt ein Interesse hätten. Russland ist schließlich eher ein Freund von Iran und Syrien, während Israel mit diesen im Konflikt liegt.

Es geht auch nicht darum, dass gar kein Handel mit Israel mehr möglich ist. Schon eine deutliche Verknappung von Konsumgütern und militärischen Lieferungen dürfte schmerzhaft wirken und Netanjahu schwächen.