Gibt es nachhaltiges Wirtschaftswachstum?

Hallo Philip, Ulf und die gesamte LDN-Community,

ich schaue vermehrt Dokumentationen, insbesondere von Arte (https://www.google.com/url?sa=t&source=web&rct=j&opi=89978449&url=https://www.youtube.com/watch%3Fv%3D2Kl69bWbXnY&ved=2ahUKEwjKpbnd9p2FAxV9gv0HHecEDVUQwqsBegQIDhAG&usg=AOvVaw3w-5bWZOTiH8ibrm3SPNvg), die die Frage aufwerfen, ob nachhaltiges Wirtschaftswachstum angesichts der Klimakrise überhaupt möglich ist. Dabei wird oft diskutiert, ob anstelle des Bruttoinlandsprodukts das Glück der Menschen einer Volkswirtschaft als Maßstab dienen sollte. Einige Forscher vertreten zudem die These, dass selbst nachhaltiges Wirtschaftswachstum nicht mit dem Ziel einer Begrenzung der globalen Erwärmung auf 1,5 Grad vereinbar ist.

Ich würde mich wirklich sehr darüber freuen, eure dedizierte Meinung und natürlich die von Experten in eurem Podcast zu hören.

Ansonsten bedanke ich mich, dass ihr wöchentlich politische Bildung und Aufklärungsarbeit betreibt und die Welt ein wenig demokratischer macht!

Interessantes Thema. Hier übrigens mal die sehr seltene Gegendarstellung (auf Englisch), dass unendliches Wachstum auf einem endlichen Planeten tatsächlich rein theoretisch möglich ist. Kurz: Auch eine Welt mit stetig wertvoller werdendem „geistigem Eigentum“ (z.b. digitale Kunst) ist per Definition des BIP eine wachsende Wirtschaft.

Aber die Frage lautet nicht - was zählt eigentlich zu Wachstum sondern ist stetiges Wachstum gemessen am BIP dauerhaft möglich.

Man kann ja auch mal anfangen, das Messen unseres Wohlstandes und Wachstums am BIP in Frage stellen.
Wir wissen ja, das sich eine Katastrophe wie im Ahrtal förderlich auf das BIP auswirkt - gesellschaftlich aber nicht wirklich etwas bringt.

Viele, den BIP antreibende Tätigkeiten bringen den Wohlstand der Gesellschaft nichts, werden aber positiv gemessen (z.B. Rüstungsausgaben oder Tätigkeiten mit externen (Umwelt) Kosten).

Gemessen am BIP würde ich sagen, geht es nicht mit immerwährenden Wachstum. Bei 2% Wachstum wäre es alle 37 Jahre reine Verdopplung der Wirtschaftsleistung - also ich wüsste nicht, was ich mir doppeltem materiellen Wohlstand anfangen sollte.

GPI - vielleicht eine alternative Messmethode.

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Der heutige Wohlstand ergibt sich ja nicht aus aktuellen Bedürfnissen die wir haben, sondern aus Bedürfnissen die aufgrund des gewollten Wachstums bei uns „geweckt“ werden.

Ich bin in der 1970ern und 80er aufgewachsen.
Das soll kein „früher war alles besser“ werden.
Aber ich bin ohne Internet, ohne Handy oder ohne Netflix aufgewachsen, habe deswegen aber nicht das Gefühl, eine schlechtere Kindheit gehabt zu haben als heutige Jugendliche. Da ich diese Dinge nicht kannte haben sie auch nicht gefehlt.

Wohlstandswachstum heißt ja dann offenbar nicht, das wir heute in einem stetigem Mangel leben und deshalb mehr wachsen müssen.

Natürlich gibt es viele Errungenschaften, die das Leben leichter machen. Aber auch zwangsläufig besser?

Zumindest theoretisch ist nachhaltige Wirtschaftswachstum möglich. Dazu muss dieses Wachstum einfach nur aus der Vergrößerung des Potenzials des globalen Ökosystems (wie immer man das definiert) hervorgehen.

Konkretes Beispiel: Die Menschheit produziert jedes Jahr mehr Lebensmittel mit einem höheren Wert, also ein Wirtschaftswachstum in der landwirtschaftlichen Produktion. Aktuell ist dies natürlich nicht nachhaltig, weil dieses Wachstum auf der Ausbeutung natürlicher Ressourcen basiert.

Allerdings wäre es schon mit heutiger Technologie möglich, die gesamte landwirtschaftliche Produktion auf regenerative Landwirtschaft umzustellen: Landmaschinen nutzen erneuerbare Energien, auf Dünger und Pflanzenschutzmittel wird verzichtet, Methoden wie Agroforstwirtschaft und holistisches Weidemanagement sorgen dafür, dass Biodiversität und CO2-Speicherung auf landwirtschaftlichen Flächen wieder zunehmen.

Da diese Methoden durchaus in der Lage sind, ähnliche oder höhere Erträge als konventionelle Landwirtschaft zu erzeugen, ist damit zumindest theoretisch eine Landwirtschaft denkbar, deren Produktion weiter wächst, die unterm Strich aber gleichzeitig das ökologische Potenzial des Planeten (oder einer Region) erhöht. Also nachhaltiges Wirtschaftswachstum.

Ähnliche Gedankenmodelle lassen sich für viele Wirtschaftszweige aufbauen. Am einfachsten haben es reine Dienstleistungen: Ein Versicherungskaufmann, der in einem Holzhaus mit einer Wärmepumpe und Ökostrom sitzt, kann (solange diese Inputs alle eine nachhaltige Wertschöpfungskette haben) ziemlich leicht behaupten, „nachhaltig“ zu sein – solange er dabei nicht Kohlekraftwerke versichert.

Ich sehe jedenfalls im Prinzip kein Problem mit dem Konzept eines nachhaltigen Wirtschaftswachstums, eher mit den für viele Interessengruppen unbequemen aber notwendigen politischen Entscheidungen auf dem Weg dahin.

Du kannst heute die neue LdN-Folge, die du über LTE heruntergeladen hast, über Bluetooth-Kopfhörer auf Deinem Smartphone hören. Allein darin liegen so viele Ebenen an technologischem Fortschritt, die Diversität, Geschwindigkeit, Zugänglichkeit unserer Informations- und Medienlandschaft auf ein Niveau gestellt haben, das früher schlicht undenkbar war.

In den 80ern hätte es diese Form von Berichterstattung schlicht nicht gegeben. Da hätten Ulf und Philip sich um ein Format im Rundfunk oder auf auf einem Dritten Programm bewerben können, wo sie dann einen Randsendeplatz bekommen hätten.

Ich, für meinen Teil, möchte das nicht mehr wegdenken.

Edit:

Unser technologischer Fortschritt hat übrigens auch dazu geführt, dass unsere CO2-Emissionen um 40% zurückgegangen sind. Wäre die Welt heute auf dem technologischen Niveau von Deutschland 1990, müssten wir uns vermutlich nicht über ein 1,5 Grad Ziel unterhalten. Damals hatte ein durchschnittlicher Deutscher ein BIP von 20.000 EUR (entspricht heute ca. 10.000 EUR) erwirtschaftet und hat 12 Tonnen CO2 ausgestoßen. Jemand aus China hat heute ein kaufkraftbereinigtes BIP von ca. 20.000 EUR pro Kopf und stößt dafür knapp 8 Tonnen CO2 aus. Selbst chinesische Produktion ist heute DOPPELT so CO2-effizient wie Deutschland 1990.

Man muss sich das vor Augen führen, um zu verstehen, wie unglaublich ineffizient Produktion vor 40 Jahren im Vergleich zu heute war. Der technologische Fortschritt ist nicht nur Netflix und Smartphone.

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Nicht falsch interpretieren, ich bin kein Fortschrittsgegner.

Aber nehmen wir mal Deinen obigen Punkt. Der kann auch negative Aspekte aufweisen. Die dauernde Verfügbarkeit von digitalen Informationen verführt auch dazu, das man bei jedem Summen in die Tasche greift und aufs Handy schaut. Könnte ja wichtig sein . Und dienstliche Mails liest man dann auch mal Samstags abends (aus eigener Erfahrung) wenn man eigentlich frei hat. Zuhause auf der Couch, im Restaurant, auf Familienfeiern wird weniger miteinander geredet, eher aufs Handy geschaut. Schulbusse sind morgens da sehr interessant zu sehen.
Die Fülle an Informationen kann auch überfordern. Während man bei Spiegel, Welt und Zeit oder Focus noch ungefähr einordnen konnte, wo die politisch stehen, ist das auf X, Facebook oder telegram schon schwieriger, nicht alles ist da sauber recherchierte und verlässliche Information. Das birgt Gefahren, wie man ja auch im politischen Kontext aktuell feststellt.

Will sagen: Alles hat zwei Seiten. Auch der Fortschritt.
Über Atomkraftwerke und Verbrennerautos haben wir in den 70er nicht diskutiert. Sieht man heute auch anders…

Hier geht es aber um Wirtschaftswachstum und es gibt all diesen Fortschritt, der unser Leben unbestreitbar besser macht, nicht ohne seine Schattenseiten.

Zur Ausgangsfrage: Ist nachhaltiges Wachstum möglich? Ohne den Fortschritt der letzten Dekaden wäre der Planet am Ende. Das Wachstum war nachhaltig und wer behauptet man hätte z.B. den CO2-Ausstoß reduzieren können, ohne gewisse Fehlentwicklungen in Kauf zu nehmen, eröffnet ein falsches Dilemma. Die Wahl gibt und gab es nie.

Würde ich gar nicht bestreiten wollen. Sollte man sich nur bewusst machen.

Auch das somit der Fortschritt der vergangenen Jahre viel der heutigen Probleme mit verursacht hat.
Klimawandel, Umweltverschmutzung, …

Nein. Der Fortschritt hat dafür gesorgt, dass weniger CO2 ausgestoßen wird. Die globale Zunahme der Emissionen ist durch Wachstum in Entwicklungsländern begründet, wo Milliarden Menschen aus der Armut gehoben wurden.

Dieses Phänomen wird niemand jemals abstellen können. Menschen werden daraufhin arbeiten, dass es ihnen besser geht. Diese Zunahme an Lebensqualität wird immer mit einem Mehr an Emissionen verbunden sein, das wiederum durch technologischen Fortschritt minimiert werden kann

So kann man das natürlich auch sehen….

Das ist zunächst richtig. Man stelle sich das heutige Konsumverhalten und den heutigen Lebensstandard mal auf Basis der technischen und ökologisch Standards aus den Anfängen der Industrialisierung vor. In der Theorie wäre nachhaltiges Wachstum also ohne Probleme möglich gewesen, wenn Konsum- und Fortschritt in einem anderen Verhältnis gestiegen wären. Es gibt für mich kein Naturgesetz, das die unbestreitbar aufgetreten Rebound-Effekte vorschreibt, die häufig dazu geführt haben, dass Effizienzsteigerungen durch Mehrkonsum überkompensiert wurden. Das liegt m.E. schlicht an der nicht vorhandenen Bepreisung von globalen Umweltschäden. Gäbe es eine effektive Maßnahme sowas global verbindlich durchzusetzen, hielte ich nachhaltiges Wachstum für sehr realistisch.
Die andere Frage ist, ob sowas dauerhaft möglich ist und da lautet meine klare Einschätzung: nein. Am einfachsten kann man sich das klar machen, indem man jede technische Verbesserung als eine Erhöhung eines Wirkungsgrades formuliert und dieser kann nun mal per Definition nicht größer eins sein. Irgendwann werden wir also am Limit sein, aus einer Einheit Ressourcen die maximale Menge „Lebenszufriedenheit“ extrahiert zu haben. Einzig bleibt die Frage, wie lange das dauert.

Ist das inflationsbereinigt?

Ich finde es sehr schwer zu behaupten, dass das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte nachhaltig war und gleichzeitig das globale Ökosystem in mehreren Dimensionen (Klimawandel, Artenkrise) vor dem Kollaps steht.

„Nachhaltigkeit“ wird normalerweise so definiert, dass eine bestimmte Tätigkeit die Regenerationskapazität der beteiligten Systeme nicht überschreitet. Das Wirtschaftswachstum der letzten Jahrzehnte hat die Regenerationskapazität praktisch aller beteiligten Systeme überschritten (nicht nur der natürlichen). Das dieser enorme Ressourcenverbrauch auch zu teils positiven Ergebnissen geführt hat (z.B. Armutsbekämpfung) steht damit nicht im Widerspruch.

Du hast recht und ich habe das später auch noch präzisiert: das Makrowachstum war es nicht, weil in den Entwicklungsländern Milliarden von Menschen aus der Armut gehoben wurden und dieser Wohlstandszuwachs mit mehr Emissionen einherging. Nachhaltig war der technologische Fortschritt, dem zu verdanken ist, dass a) Industrieländer ihre spezifischen Emissionen senken konnten und b) dass die Entwicklungsländer in großen Teilen einen
nachhaltige(re)n Wachstumspfad beschreiten, als wenn sie z.B. die Mittel von „Deutschland 1990“ eingesetzt hätten.

Aber was wäre die Alternative? Den Entwicklungsländern ihr Wachstum verwehren? Dieses Wachstum ist und war immer mit mehr Ressourcenverbrauch verbunden.

Das klingt für mich nach einem viel zu positiven Framing und Verschieben von Verantwortung auf Entwicklungsländer. Halte ich für falsch.

Nur so als Beispiel: Sind nicht die USA der zweitgrößte Emittent von CO2?
https://de.statista.com/statistik/daten/studie/179260/umfrage/die-zehn-groessten-c02-emittenten-weltweit/
Und verursachen die G20 nicht 80 % des CO2-Ausstoßes?
https://www.destatis.de/DE/Themen/Laender-Regionen/Internationales/Thema/umwelt-energie/umwelt/G20_CO2.html

Hier geht es um Wirtschaftswachstum.

Der CO2 Ausstoß pro Kopf ist in den USA seit den 90er quasi unverändert (wobei er zurück geht, er hat dort nur später seinen Höhepunkt erreicht als in Europa), trotz Wachstum. Damit ist - inflationsbereinigt - auch deren CO2 Ausstoß pro Wirtschaftsleistung deutlich zurückgegangen.

Natürlich stoßen die USA viel zu viel CO2 aus und selbstredend sind nicht China und Indien am Klimawandel schuld. Aber die Frage war ja, ist nachhaltiges Wachstum möglich. Mein Punkt war: der technologische Fortschritt hat dafür gesorgt, dass das Wachstum zumindest in Teilen nachhaltig war.

CO2 neutral kann Wachstum, was deutlich über Produktivitätsgewinne hinausgeht, wie z.B. in Entwicklungsländern, einfach nicht sein.

Die Statistik zeigt ganz gut, wie technischer Fortschritt ein Wachstum des Wohlstands tatsächlich nachhaltiger werden lassen kann. Denn in der Statistik ist China im Pro Kopf CO2 Ausstoß sogar knapp vor Deutschland. Vergleicht man dagegen das Kaufkraftvereinigte pro Kopf BIP der Länder, was immerhin ein grober Indikator für den Wohlstand sein dürfte, dann ist dies in Deutschland um ca. Faktor 3 größer.

Aber auf dem Weg dahin haben doch alle Industrienationen historisch großen Anteil an den Emissionen erlangt.
Sich auf den Endzustand zu berufen, der ja noch immer viel zu viel Emissionen produziert, ist doch eine Beschönigung der Realität und Verdrängung der Notwendigkeit von Transformation und höchstwahrscheinlich auch weniger Wachstum.

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Weniger oder kein Wachstum.
Auch Deine Zahlen belegen, sofern sie das wirklich tun, dass die CO2-Emission nur zurückgegangen ist. Wir müssen langfristig aber Negativ- oder zumindest Null-Emissionen erreichen, wenn wir keinen für Menschen unbewohnbaren Planeten wollen.