Gewerkschaften, Mobilitätswende, Streik

Leider kann ich nur 1 Herz vergeben. Du sprichst mir sehr aus der Seele. Die Probleme gerade wurden vor allem von konservativen Regierungen gemacht. Die Arbeitnehmerrechte zu schwächen ist definitiv nicht die Lösung und ehrlich gesagt finde ich diesen Reflex auch sehr beängstigend.

Hätte Dir auch so gerne ein Herz gegeben, aber wen genau meinst Du mit „konservativen Regierungen“? Der größte Beitrag zur Schwächung von Arbeitnehmer:innenrechten in den letzten 30 Jahren dürften die Hartz-Gesetze unter Rot-Grün gewesen sein. Und in Berlin war es der Rot-Rot-Grüne Senat, der in den 2000ern alles verscherbelt hat, was ging (Wohnungen, Wasser, Krankenhäuser etc.)

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Was hier diskutiert wird ist viel differenzierter als „man will Bahnstreiks verbieten“. Die Frage ist, ob es eine bessere Alternative geben könnte, und ob vielleicht der Staat hier doch irgendwas unternehmen könnte, um die Arbeitnehmenden am Verhandlungstisch zu unterstützen, ohne, dass es die breite Gesellschaft betrifft. Einfach zu sagen, „ja aber Streiks haben bisher ganz gut funktioniert“ hat gar nichts mit der Sache zu tun.

Was die Empirie angeht: bei früheren Streiks hatten laut Umfragen die Mehrheit der Deutschen kein Verständnis dafür. Bei den aktuellen sieht es so aus: 38% sind dagegen, nur 55% dafür, und knapp 20% haben überhaupt kein Verständnis dafür. Voll 20% der Deutschen werden davon betroffen sein. Laut dem Spiegel:

Etwa 28 Prozent nutzen als Alternative zum eigentlich geplanten Reisemittel nun das eigene Auto. Jeder vierte Betroffene möchte ganz auf geplante Fahrten verzichten. Ebenso viele wissen noch nicht, ob und welche Alternativen sie nutzen werden.

Also, mehr Auto, weniger Mobilität. Zigmillionen davon betroffen. Das sind ja extrem große Kollateralschäden. Willst du wirklich ernsthaft sagen, dass Streiks nicht mal dazu beitragen, dass die Öffis für viele als unattraktive Mobilitätsform gesehen werden? Und dass es unmöglich ist, dass es vielleicht etwas besseres für den Arbeitskampf geben könnte, was nicht so potentiell Klimaschädlich wäre?

Es gibt gute Gründe warum der Staat da nicht ran darf. Wenn diese Büchse der Pandora geöffnet wird ist das Tarifrecht dem Tode geweiht. Das Tarifrecht stützt nur Arbeitnehmer. Das würde Merz sofort quasi abschaffen.

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Mit Empire meinte ich, wie viele Zugausfälle und .-verspätungen es tatsächlich in Deutschland im Jahresmittel aufgrund von Streiks gibt und keine Daten zu Meinungen über bestimmte Fragen.
Ich habe nicht behauptet, dass hier nur über geplante Verbote diskutiert wird. Auch die Diskussion, dass der aktuelle Bahnstreik angeblich die Bahn unzuverlässiger macht und daher ein Schuss ins Knie der Verkehrswende ist, basiert ja auf der von mir kritisierten Denkfigur.
Ich habe auch nicht behauptet, dass ein Bahnstreik keine negativen Auswirkungen auf Reisende hat, wie Du es m. E. nahelegst. Ich habe nur gesagt, dass diese Streiks angesichts der vielen anderen Faktoren, die die Bahn als Verkehrsmittel unzuverlässig erscheinen lassen, Streiks abgesehen von der akuten Situation ein eher geringer Faktor sein dürften. Es ist auch m. E. kein Zufall, dass dies gerade sehr viel mehr hochgekocht wird (nicht nur medial, auch hier im Forum), als wenn Züge wegen Personalmangenl, Materialverschleiß, schlechten Arbeitsbedingungen, Waldbränden oder Sturmschäden unpünktlich oder gar nicht fahren.

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Ich meine damit, dass die desolate Politik von Kohl die unsägliche Privatisierung angefangen hat und leider die Agenda 2010 nötig gemacht hat. Merkel hat dann durch ihre Politik des nichts tun die Agenda 2010 nicht weiter entwickelt. Schröder hätte in seiner ersten Amtszeit eine große Reform beschließen sollen ohne die Union.

Berlin wurde durch das Versagen einer Unionsregierung leider gezwungen, alles zu verkaufen was die hatten.

Klingt für mich sehr nach „Schuld hat immer die Union“. Vieles von dem was Rot-Grün umgesetzt hat, haben die vorherigen Regierungen unter Führung der CDU schlicht nicht hingekriegt, weil es zu viel Widerstand gab - unter anderem von Gewerkschaften. SPD und Grüne haben es dann wunderbar geschafft, den Sozialabbau als „Reform“ vielen Leuten schmackhaft zu machen, die vorher aus gute Gründen etwas dagegen hatten. Und in Berlin hat die SPD quasi die ganzen 1990er Jahre mitregiert.

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Du hast schon recht. Im Prinzip ist unser gesamtes Parteienspektrum das große Problem. Und da sehe ich das Problem in der Parteienfinanzierung. Denn nicht der gemeine Arbeitnehmer spendet die großen Summen.

Welche Mobilitätsform man nutzt ist aber doch ne Frage der Meingung. Bei der Verkehrswende sind Meinungen der entscheidende Faktor. Leute gucken sich die Statistiken zu Zugausfällen nicht an, bevor sie entscheiden, ob sie Bahn fahren wollen oder nicht.

Was hat das aber mit der Frage „was für Alternativen zu Streiks könnte der Staat den Arbeitnehmenden anbieten“ zu tun? Das ist der Punkt dieses Threads.

Vielleicht verstehe ich das falsch aber, willst du damit sagen, dass mehrere Verhandlungsoptionen zuzüglich des Streiks den Arbeitnehmenden zu Schaden bringen würde?

Derzeit ist es so, dass Tarifautonomie herrscht. Wenn nun eine Regierung diese Autonomie aufbohrt, um das Streikrecht kundenfreundlicher und womöglich Arbeitnehmerfreundlicher zu gestalten, ist ein Präzedenzfall geschaffen. Was würde dann eine Regierung Merz/Lindner daran hindern, unter dem Deckmantel der kundenfreundlich, das Streikrecht massiv einzuschränken. Man muss bei solchen Überlegungen eben nicht nur vom moralisch korrekten Politiker ausgehen, sondern eben leider auch von Menschen wie Merz, Lindner, Söder und Kubicki.

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Das ist ein Punkt, der in diesem Thread diskutiert wird. Ich habe denke ich schon deutlich gemacht, dass ich das Streikrecht gerade deshalb so wichtig finde, damit abhängig Beschäftigte eben nicht darauf angewiesen sind, was der Staat oder irgendwelche Unternehmer ihnen „anbieten“.

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Du willst das Schicksal der Arbeitnehmer dem Staat überantworten? Na dann gute Nacht. Die Missbrauchsgefahr schreit doch wirklich zum Himmel. Derselbe Staat, der sich gemäß der Standortlogik permanent für die Unternehmer stark macht und sich einen gewaltigen Niedriglohnsektor unterhält? Derselbe Staat, der im Rahmen einer Konzertierten Aktion die Notwendigkeit inflationärer Verarmung als politische Linie festlegt? Derselbe Staat der gelegentlich sogar impliziert zum Rechtsbruch aufruft, um den Streik zu unterwandern?

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Das wäre Arbeitsverweigerung und somit ein Grund für eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitgeber. So ein Vorschlag kann doch nicht deren Ernst sein. Man muss immer im Kopf haben, dass man hier mit dem Eigentum seines Arbeitgebers arbeitet. Einfach kein Geld für Transportleistungen zu nehmen oder Fahrgäste in das Transportmittel einsteigen zu lassen und dann bewusst nicht zu kontrollieren, ist meiner Ansicht nach eine grobe Verletzung der Pflichten als Arbeitnehmer.

Ich verstehe sowieso, warum man nicht nur Kunden mit einem gültigen Ticket in die Züge lässt. In vielen Städten in England geht das wunderbar. Nur nach dem Entwerten darf man den Bahnsteig betreten. Man würde sich die Kontrolleure sparen (ein paar Streikende weniger) und würde das Fahren ohne Fahrschein unterbinden. Das verlangt Investitionen, aber ich könnte mir vorstellen, das rechnet sich.

Streiks gehören zu den wenigen Mitteln, mit denen abhängig beschäftigte Arbeitnehmer*innen ihren Forderungen Nachdruck verleihen und wenigstens teilweise durchsetzen können. Dafür muss ein Streik aber auch „weh tun“. Wenn niemand merkt, dass gestreikt wird, macht das keinen Sinn. Abgesehen davon ist das Streikrecht in Deutschland stark und teilweise auch restriktiv reguliert bzw. eingeschränkt. Ich glaube, dass am Ende alle etwas von wirksamen Streiks haben (z.B. Anhebung von Löhnen, Mindestlohn, soziale Sicherung, Arbeitsrecht etc.), sofern sie nicht superreich oder Konzernvorstände sind. Abgesehen davon funktionierte der ÖPNV auch schon vor dem Streik nicht gut. Das hat aber sicher andere Gründe ;).

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Der Staat schlägt sich mit Sicherheit nicht auf Arbeitnehmerseite. Wenn er die unterstützen möchte, hat er ganz andere Möglichkeiten. Und tollerweise würden sogar die Arbeitnehmer profitieren, deren Arbeitgeber sich weigern, Tarifbindungen zu unterwerfen.
Natürlich muss der Kunde leiden, nur so baut sich beim Arbeitgeber echter Leidensdruck auf.

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Dem würde ich widersprechen. Für sehr viel wichtiger halte ich, wie Menschen unterschiedliche Verkehrssysteme im Alltag erleben, sprich ob Öffis für sie tatsächlich eine attraktive Alternative sind - und das hat sehr viel mehr mit politischen Entscheidungen zu tun als mit individuellen Meinungen.

Nein, aber sie machen Erfahrungen und sprechen mit anderen darüber. Und die Erfahrung ist, dass es immer wieder zu Zugverspätungen und Ausfällen kommt. Da es aber nicht ständig Bahnstreiks gibt, muss das wohl an den zig anderen Ursachen liegen.

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Ich habe gestern dummerweise das Experiment gewagt und bin statt mit dem Auto (wie üblich) mit dem Zug aus Osthessen nach Basel und weiter nach Bern gefahren. Meine persönliche Abneigung gegen Gewerkschaften und deren Methoden ignoriere ich mal. Aber die Stimmung im ICE Kiel - Interlaken (der dank Verspätungen und der drohenden Ausfälle am Montag vollkommen überfüllt war) war beängstigend aggressiv. Als Vertreter der Bahngewerkschaft wäre ich da nicht durchgegangen. Der von Ihnen erhofften Verkehrswende hat die Aktion der EVG mit ihrer Streikdrohung einen Bärendienst erwiesen.
Wenn man die Bahn attraktiv machen will, um vielleicht doch den ein oder anderen auf die Schiene zu locken, muss Service geboten werden, Pünktlichkeit, Effizienz und Komfort. Um das zu erreichen, muss die Bahn sich aus dem ständigen Drohgebärde der Gewerkschaften lösen…und zügig automatisieren, digitalisieren und modernisieren.

… und nur unsolidarische Ellbogenkollegen haben die nicht Willens sind mal auszuhelfen.

Bei mir auf Arbeit reicht fragen. Schon hat man mehrere Optionen irgendwo mitzufahren, wenn das eigene Standard Fortbewegungsmittel wegen was auch immer weg fällt.

Sei es nun Streik beim ÖPNV oder Wagen in Werkstatt.

Da fährt man dann auch mal ausnahmsweise einen Umweg umm den Kollegen zu holen.

Solche Stimmung ist dank der derzeitigen Medienerstattung wenig überraschend, erleben wir genauso bei der letzten Generation.
Wenn die Streiks rum sind, ist das Thema auch wieder gegessen und wir können die vollen Züge und Verspätungen nicht mehr auf die Streiks schieben.

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