Geht das zu weit? Aktionen von Letzte Generation u.ä

Ich würde mich sehr freuen, wenn ihr die Aktionen von Gruppen wie Letzte Generation, Scientist Rebellion etc. einordnen und vielleicht auch bewerten könntet. Ich bin da gerade etwas hilflos. Mein erster Impuls war, diese Aktionen als übertrieben und reinen Vandalismus zu bewerten, und ich war der festen Überzeugung, dass sich niemand das Recht nehmen sollte, selbst zu definieren, welche Rechtsverstöße angemessen und berechtigt sind. Mittlerweile habe ich mit meiner Tochter gesprochen, die Nachhaltigkeitsmanagement studiert und dadurch einen anderen Zugang zu diesem Thema hat und sich in einer anderen Blase als ich bewegt. Ich habe durch sie einen ganz anderen Blick auf die Aktionen gewonnen, sehe nun auch die „Logik“, wenn man es so nennen möchte. Was nicht heißt, dass ich die Aktionen für gelungen oder rechtmäßig halte, da bin ich immer noch sehr skeptisch.
Sabine

3 „Gefällt mir“

Du stellst im Prinzip die uralte Frage, wo „ziviler Ungehorsam“ endet und „Kriminalität“ beginnt.

Und auf diese Frage wirst du immer unterschiedliche Antworten bekommen, wobei generell gilt: Desto konservativer jemand ist, desto eher wird auf strikte Einhaltung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts beharrt und jeder zivile Ungehorsam als Kriminalität bezeichnet.

Meine persönliche Sichtweise ist, dass jede Form des zivilen Ungehorsams, die keine direkten körperlichen Schäden an Dritten verursacht und keine relevanten Kosten für einzelne Dritte und keine unverhältnismäßigen Kosten für die Allgemeinheit erzeugt legitim ist - und stehe damit recht weit im linken Sektor.

Dazu ein paar Disclaimer:
Die Ablehnung „direkter“ körperlicher Schäden bedeutet, dass indirekte körperliche Schäden - z.B. von Polizeibeamten, die im Hambi auf die Bäume klettern und dort verunglücken - nicht ausgeschlossen werden können. Oder Polizisten, die bei der Verfolgung von Aktivisten im Wald umknicken und sich den Fuß verstauchen :wink:

Die Ablehnung relevanter Kosten für „einzelne“ Dritte bedeutet: Kleinere Kosten für einzelne Dritte (z.B. weil sie wegen einer Sitzblockade im Stau stehen) müssen hingenommen werden, aber z.B. das Anzünden von Autos oder Abstechen von SUV-Reifen würde zu weit gehen (Luft rauslassen, wie geschehen, ist ein Grenzfall).

Die Ablehnung unverhältnismäßiger Kosten für die Allgemeinheit ist natürlich sehr subjektiv - je nachdem, welcher Zweck nach der eigenen Meinung welche Mittel rechtfertigt. Millionenkosten zu verursachen, um Castor-Transporte unwirtschaftlich zu machen, ist okay. Den Fuhrpark der örtlichen Polizeiwache abzufackeln nicht.

Das ist die Ebene der moralischen Bewertung. Daneben gibt es natürlich noch die Ebene der Zweckmäßigkeitsbewertung. Und hier habe ich mit deutlich mehr Aktionen radikalerer Gruppen ein Problem, schlicht, weil sie das Gegenteil dessen erzeugen, was sie eigentlich bezwecken wollen. Das sind vor allem Aktionen, die gezielt die Bevölkerung gegen die Aktivisten aufbringen und damit einen konservativen Reflex auslösen, der dazu führt, dass die Anliegen der jeweiligen Bewegungen auf Grund der Wahl der Mittel plötzlich von Leuten abgelehnt werden, die eigentlich für das Anliegen zu gewinnen wären. Die „SUV-Luft-Rauslassen“-Aktion war ein Beispiel für eine Aktion, mit der man sich einfach unnötig viele Feinde für verhältnismäßig wenig Nutzen macht, gleiches gilt für manche Autobahn-Blockier-Aktionen. Etwas mehr strategische Langzeit-Planung („Wo wollen wir hin, wie erreichen wir dieses Ziel, wie gewinnen wir möglichst viele Menschen für dieses Ziel?“) wäre da oft sinnvoller als eine reine Trotz-Aktion alá „diesen doofen Autofahrern zeigen wir es jetzt mal!“.

7 „Gefällt mir“

Diese Bewertung der Aktionen hinsichtlich ihrer Effektivität ist genau das, was ich noch einzuordnen versuche. Und wo ich merke, dass ich in einer anderen Blase unterwegs bin als die Aktivisten oder eben auch meine Tochter. Ich finde Kartoffelbrei oder Tomatensoße auf Kulturgütern eben nicht zielführend und erlebe ja auch die Empörung in weiten Kreisen der Gesellschaft. Ein Wachrütteln und Sensibilisieren für das so wichtige Thema Klimawandel kann ich mir absolut nicht vorstellen, sondern, wie du ja auch sagst, eher das Gegenteil. Das ändert aber nichts daran, dass die Aktivisten und alle in ihrer Blase ihre Aktionen als absolut notwendig, mittlerweile fast alternativlos, zielführend und sehr gelungen einschätzen. Und ich frag mich jetzt, was stattdessen wirklich effektiv und wirksam wäre.

2 „Gefällt mir“

Nicht nur gegen die Aktivisten. Es werden schnell auch alle, die ähnlich denken, über einen Kamm geschert. Auf Twitter hatte ich unter einem der aktuellen Kunstangriffe überwiegend Kommentare gelesen, die in Richtung „die Grünen wollen unsere Welt zerstören“ gingen.

Solche Aktionen erhöhen m.e. am Ende nur die Ablehnung gegenüber Menschen, die die Klimawende voranbringen wollen, und schadet somit eher dem eigentlichen Ziel der Aktivisten. Auf der anderen Seite kann ich die Hilflosigkeit, die sich in selchen Aktionen zeigt, vieler verstehen.

2 „Gefällt mir“

Naja, die sich jetzt darüber maßlos empören, sind genau diejenigen, die ansonsten auch eher die „Fuck Greta“-Aufkleber auf ihren SUVs haben oder „Freiheits“-Kolumnen in der WELT schreiben. Die lehnen sowieso alles ab, was vernünftig wäre. Ich denke allerdings auch nicht, dass irgendjemand anders sich jetzt auf einmal aufgrund solcher Aktionen dazu angeregt fühlt sein Leben zu ändern. Im Grunde geht es darum, dass diese Aktivistinnen bzw. Aktivisten einfach für sich selbst spüren wollen, dass sie zumindest in irgendeiner Form wahrgenommen werden, was eben nicht passiert, wenn man sich an die Regeln hält.

5 „Gefällt mir“

Nur weil eine Aktion Klimakrisen-Leugner und Klimaschutz-Verweigerern einen Ausgangspunkt für Fake News, Lügen und abseitige Narrative gibt, die dann Entrüstung in einer größeren Öffentlichkeit macht das die Aktion nicht unwirksam.

Auch ich hatte den Impuls „Das geht zu weit“, bis ich von den Aktivisten das schlagende Argument hörte:

„Wie könnt Ihr Euch über die angebliche (!) Zerstörung einzelner unwiederbringbarer Kunstwerke aufregen (und dann noch mit dem Hinweis auf deren €-Wert!), aber Ihr regt Euch nicht über die massenhafte Zerstörung unwiederbringbarer, unbezahlbarer Teile des Planets und der Menschheit nicht auf?“

F***, wie treffend dieses Argument ist! Wer bereit ist, den Aktivisten zuzuhören, wird das vielleicht doch zum Nachdenken bringen.

Und nachdem keiner der Kunstwerke ja beschädigt wurde, ist die ganze Aufregung ja auch mehr ein Kennzeichen unseres Zeit, in der man ungeprüft Headlines nutzt, um sich in seiner Ignoranz selbst zu vergewissern als zu versuchen, alternative Fakten als solche zu entlarven.

6 „Gefällt mir“

Ich hatte schon den Eindruck, dass da in den Kommentaren auch zahlreiche Leute bei waren, die der Klimawende eher neutral gegenüberstehen und mit sehr großem Unverständnis reagiert haben. Nicht jeder, der nicht für erneuerbare Energien ist, hasst zwangsläufig Greta und fährt SUV.

Ich habe da im Fam. Kreis auch welche, die sich schlicht kaum für das Thema interessieren. Und m.e. können solche radikalen Aktionen bei solchen „uninteressierten“ das Gefühl hervorrufen, dass das doch eh alles Spinner sind, was das Desinteresse erhöht.

1 „Gefällt mir“

Dass den Kunstwerken eigentlich nichts passiert ist, stimmt natürlich (die evtl. antiken Rahmen lassen wir mal außen vor). Aber was passiert eigentlich, wenn da mal ein Rettungswagen festgesetzt wird, weil sich Aktivisten festklebt haben, und wirklich ein Mensch zu schaden kommt? Oder ist das nur eine Theorie ohne praktische Relevanz, die mir jedes Mal durch den Kopf geht, wenn ich von solchen Aktionen lese?

Hier mal eine Einordnung, ob die Annahme stimmt, ob diese Proteste tatsächlich Ablehnung hervorrufen (leider nur in Englisch):

Meine Meinung ist, dass man zwar (Achtung neudeutsch) Awareness schafft, also man dadurch das Klima noch mehr in den Mittelpunkt bringt. Wobei den meisten die Probleme bewusst sind, aber es sie dennoch nicht zu interessieren scheint. Das wird sich durch solche Aktionen mMn auch nicht ändern. Genauso denke ich, dass dadurch in keiner Weise die Geschwindigkeit in der Umsetzung von Klimaschutz-Maßnahmen erhöht wird.

Aktionskunst zielt nicht auf die Mobilisierung von gesellschaftlichen Mehrheiten, sondern auf die Erzeugung von Unbehagen und die Durchbrechung von Deutungsroutinen sowie auf die Selbstverständigung eines linken Milieus. Vor allem zielt sie auf die Mobilisierung von medialer und polizeilicher Aufmerksamkeit. (Eine größere Bereitschaft in der Bevölkerung für mehr Klimaschutz führt ja - wenn überhaupt - nur sehr mittelbar zu einer politischen Umsetzung dieser Bereitschaft). Die Aktionen erhöhen den Problemdruck auf die ‚langsam‘ arbeitenden politischen und staatlichen Akteure, die freilich nicht mit verstärkter Klimaschutzpolitik, sondern mit polizeilicher Eskalation und Strafverfolgung reagieren.

Die BILD macht sich derweil schon öffentlich Gedanken über Gewalt gegen die Protestierenden und Aktionskünstler:innen. Wenn Polizeimaßnahmen und Selbstjustiz gegen die Aktivist:innen mit zunehmenden Aktionen radikaler werden könnte ich mir zumindest vorstellen, dass es zu sekundären Solidarisierungeffekten mit den Protesten kommt. In jedem Fall aber ist die Politik gezwungen, sich auf die eine oder andere Weise mit der Sache zu beschäftigen.

Die Gesellschaft ist - aus welchen Gründen auch immer - offensichtlich mehrheitlich der Ansicht, dass gemalte, auratische Kunst (Van Gogh, Monet) in teuren Infrastrukturen vorgehalten, hinter Glas versiegelt und lediglich dem Blick dargeboten werden soll. Dass nun Kartoffelbrei oder Tomatensuppe darauf geworfen wird ist nicht in erster Linie ein wie auch immer gearteter zivilier Ungehorsam oder eine Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit, auch wenn man diese Deutungen in Kauf nimmt und provoziert, sondern vor allem ein alternativer Umgang mit Kunst. Selbstverständlich kalkuliert dieser Umgang Ablehnung und Empörung mit ein - er versteht sich immerhin selbst als avantgardistisch.

Man muss die Aktionen dann noch immer nicht gelungen oder zielführend finden, aber m.E. sollte man die Tradition von Aktionskunst bei der Bewertung mitreflektieren und den Referenzrahmen deshalb weniger in der aktuellen Klimapolitik, sondern in den Hausbesetzungen der Spontis, in Schlingensiefs ‚Big Brother‘-Containern oder in den Aktionen des Zentrums für Politische Schönheit suchen.

4 „Gefällt mir“

Den Fall hatten wir gerade vor Gericht in Stockholm.

Was mich bei dem Fall wesentlich mehr „geschockt“ hat, dass die Medien erst in großen Lettern geschrieben haben, dass der Patient gestorben sei und dann lange später ziemlich kleinlaut zugeben mussten, dass dem Patienten gar nichts passiert ist.

Die Aktivisten wurden mit Strafrahmen von Geldstrafe bis paar Monate Haft verurteilt.

Wobei ich mir da immer auch folgende Fragen stellen würde:

  1. Konnten die Aktivisten wissen, dass da irgendwo ein Rettungswagen im Stau steckt?
  2. Was ist eigentlich der Unterschied zwischen einem Stau wegen solcher Aktion und dem Stau wegen eines Unfalls oder einfach nur wegen hohem Verkehrsaufkommen?

In Berlin werden immer mal Kreuzungen spontan gesperrt wegen irgendwelcher Protokollfahrten. Solche an sich kurzzeitigen Sperrungen können aber auch durchaus ordentliche Staus erzeugen.

Werden dann die „Verursacher“ (also die Diplomaten oder Staatsgäste) eigentlich auch angeklagt, wenn dadurch mal ein Rettungswagen irgendwo fest steckt?

5 „Gefällt mir“

Die Lage der Welt verlangt Disruption. Jedem sozialen Fortschritt sind geradezu zwingend „Ordnungswidrigkeiten“ oder „kriminelle“ Handlungen nach den jeweils gerade geltenden Gesetzen vorausgegangen. (Sklavenbefreiung, Frauenrechte, 8-Stunden-Tag, Sturz von Despoten, aktuell der Aufstand im Iran, der hier so bestürzend wenig behandelt wird …).

Ich halte die Aktionen für gut gewählt, angemessen und wirkungsvoll - die Träger von kultivierten Bedenken verschlafen ja auch noch den Weltuntergang selbst…

Ehrlich gesagt stört mich schon seit Langem der Fetisch der „absoluten“ Kunst. Der getriebene Aufwand (Restauration, Lagerung, Schutz vor Diebstahl) ist doch langsam unverhältnismässig. Die sog. Elite sonnt sich in dem Bewusstsein, „Zugang“ zur Kunst an sich zu haben. Und tatsächlich ist die Kunstszene eine ziemlich elitäre Angelegenheit. Der Wert von Kunstwerken ist nicht absolut, sondern eher ein Produkt einer kontingenten massenpsychologischen Dynamik von höchster Irrationalität.

Da trifft es doch ins Schwarze, dass die heiligen Kühe mal etwas angefasst werden. Die Aufregung kann gar nicht gross genug sein. Ich gratuliere den mutigen Aktivisten! Ich werde mich an der Bezahlung der Geldstrafen beteiligen.

5 „Gefällt mir“

Zumal: Wenn es denjenigen, die sich jetzt empören, tatsächlich um einen angemessenen Umgang mit Kunst, um die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung oder um den Schutz von Eigentum ginge, dann würden sie sich dafür einsetzen, dass ein beträchtlicher Teil der Kunstwerke in deutschen Museen an die Länder und an die Nachkommen derjenigen zurückgegeben wird, denen ihre Vorfahren sie gestohlen haben und die von diesen ermordet wurden.

1 „Gefällt mir“

Immer wenn Menschen sagen, dass sie an sich ja schon für Klimaschutz sind aber man soll doch bitte nicht die Straßen blockieren oder in irgendeiner Form Unanehmlichkeiten für die „einfachen Leute“ produzieren denke ich an dieses Zitat von Martin Luther King

“I must confess that over the past few years I have been gravely disappointed with the white moderate. I have almost reached the regrettable conclusion that the Negro’s great stumbling block in his stride toward freedom is not the White Citizen’s Counciler or the Ku Klux Klanner, but the white moderate, who is more devoted to „order“ than to justice; who prefers a negative peace which is the absence of tension to a positive peace which is the presence of justice; who constantly says: „I agree with you in the goal you seek, but I cannot agree with your methods of direct action“; who paternalistically believes he can set the timetable for another man’s freedom; who lives by a mythical concept of time and who constantly advises the Negro to wait for a „more convenient season.“ Shallow understanding from people of good will is more frustrating than absolute misunderstanding from people of ill will. Lukewarm acceptance is much more bewildering than outright rejection.”

Wer sich gegen den Klimaschutz stellt, weil irgendjemand den Rahmen(!) eines Gemäldes beschmutzt hat, ist sowieso Teil des Problems.

2 „Gefällt mir“

Ich kann die Rechtslage natürlich nur für Deutschland wiedergeben. Grundsätzlich ist anzumerken, dass wir nur über Fahrlässigkeitstaten sprechen, weil man den Aktivisten wohl kaum einen - auch nur bedingten - Vorsatz unterstellen würde. Die Aktivisten werden wohl mindestens „hoffen, dass es nicht zu einem solchen Fall kommen wir und davon ausgehen, dass alles gut gehen wird“, daher dürfte in jedem Fall maximal bewusste Fahrlässigkeit vorliegen und keinesfalls irgendein Vorsatz im Sinne von „billigend in Kauf nehmen, dass jemand stirbt, weil ein Rettungswagen im Stau steckt“.

  1. Dieser Punkt ist wichtig bei der Frage, ob eine Fahrlässigkeitsstraftat (fahrlässige (gefährliche/schwere) Körperverletzung, fahrlässige Tötung) vorliegt. Dazu müssen die Aktivisten nicht wissen, ob konkret ein Rettungswagen in dem von ihnen erzeugten Stau steht, sondern die Frage ist: Ist es realistisch denkbar und annehmbar (sprich: objektiv vorhersehbar), dass ein durch eine solche Aktion erzeugter Stau zu diesem Ergebnis führen kann. Es geht im Prinzip um die klassische Frage von Kausalität und objektiver Zurechenbarkeit im Strafrecht: Kausal war die Aktion der Aktivisten in jedem Fall (ohne die Aktion wäre der Rettungswagen nicht in diesem konkreten Stau gewesen), die Frage ist nur, ob sie auch objektiv zurechenbar ist, daher: Mussten die Aktivisten damit rechnen, dass dieser Fall eintreten könnte - oder ist dieser Fall eine so unglückliche Verkettung von Umständen, dass er außerhalb aller Erwartungen stand. Und da lautet die Antwort wohl eher: Da Konservative diesen Fall seit einiger Zeit wie den Teufel an die Wand malen ist er wohl irgendwie schon zu erwarten, es ist nur eine Frage der Zeit, bis er eintritt. Das spricht dann also schon für eine Strafbarkeit.
  2. a) Der Unterschied zu einem Stau wegen hohem Verkehrsaufkommen ist, dass für eine Strafbarkeit in jedem Fall ein irgendwie geartetes pflichtwidriges Verhalten notwendig ist, daher i.d.R. ein Verstoß gegen ein Straf- oder Ordnungsrecht oder zumindest die objektive Schaffung einer zusätzlichen Gefahr. Das liegt bei einem Stau wegen hohem Verkehrsaufkommen nicht vor, allenfalls bei denjenigen, die für die Verkehrsplanung zuständig sind, aber so weit gehen wir dann im Strafrecht doch nicht.
    b) Bei einem Unfall gilt wenn es ein unverschuldeter Unfall war das unter 2a) gesagte, wenn es ein fahrlässiger Unfall war, war bereits der Unfall selbst zwar ein pflichtwidriges Verhalten, welches wiederum eine weitere Fahrlässigkeitstat nicht ausschließen würde, aber es würde in nahezu allen Fällen unbillig erscheinen, die Folgen eines Unfall-Staus auch noch strafrechtlich dem Unfallverursacher anzulasten, weil dieser eben selbst auch Opfer seines eigenen Unfalles ist. Der Staat hat hier i.d.R. kein weiteres Strafinteresse. Aber der Fall wäre rechtsdogmatisch in beide Richtungen begründbar.

Hier gilt das in 2a) gesagte, es fehlt an einem Pflichtwidrigkeitszusammenhang. Die sehr weit gefasste zivil- und verwaltungsrechtliche „Störerhaftung“ gibt es im Strafrecht in dieser Form nicht, daher: Bloß derjenige zu sein, der eine Gefahr setzt, reicht für eine Strafbarkeit (zum Glück!) nicht, es sind noch weitere Bedingungen nötig (eben das pflichtwidrige Verhalten).

5 „Gefällt mir“

Mein Eindruck ist, dass denjenigen, die in einer Blase leben, in der diese Aktionen der Logik folgen „ihr schert euch um unwiederbringliche Kunst, schert euch lieber um unsere unwiederbringlichen Lebensgrundlagen. Die Umwelt ist mehr wert als ein Kunstwerk“ nicht klar ist, dass das so nicht ankommt. Ich würde überspitzt formuliert mal behaupten, dass die Mehrheit der Bevölkerung eher denkt, dass hier wohl offensichtlich wohlstandsgelangweilte Jugendliche destruktiven Mist machen, der für viele wahrscheinlich dem Steinewerfen von Brücken gleichkommt. Die ja sehr erstrebenswerten Ziele, die in Wirklichkeit dahinter stehen, kommen doch in der Breite der Bevölkerung nicht an, es ist dann doch eher ein Bedienen der eigenen Blase.
Und wenn breite Bevölkerungsschichten Klimaaktivisten als militante und destruktive Gesetzesbrecher wahrnehmen, dann ist für mich die Aktion verfehlt. Man würde ja auch nicht behaupten, dass Attila Hildmann den Veganismus vorangebracht hat…

3 „Gefällt mir“

Alles richtig, aber wo ist der Zusammenhang mit Klimaschutz? Außer wir machen jetzt die ganz großen Linien Rassismus-Klimaschutz-Kapitalismus auf. Die sind sicher auch richtig, aber welchen Großteil der Gesellschaft interessiert das und welchen Konzern bringt man von mehr Profit zu mehr Klimaschutz wegen eines soziologischen Arguments? Ist es die beste Nutzung der verfügbaren Mittel für Klimaschutz solche ambivalenten Aktionen zu machen anstatt eindeutigerer Zeichen (z.B. Transparente an Kohlekraftwerken) oder harter Lobbyismus bei den Abgeordneten?
Mir macht eher Sorgen, was in den Menschen vorgeht, die sich jetzt verhaften lassen oder anderen aus der Szene. Kommt da eine Radikalisierung, weil sich nichts ändert, die dann in echtem Terrorismus endet? Das fände ich fatal und es wäre schlecht für alle, vor allem für den Klimaschutz.

Richtig. Aber was tun? Gewalt gegen Menschen kann es für mich nicht sein. Da denke ich an Popper:

Lasst Ideen sterben, nicht Menschen.

Wäre es nicht etwas egoistisch, dass man potentiell entweder dem Ziel oder der Gesellschaft schadet, nur damit man sich gesehen fühlt oder Selbstwirksamkeit erfährt?

Wenn’s nach mir ginge, könnte man alle großen Gemälde opfern, wenn es dafür effektiven Klimaschutz gäbe. Aber ich sehe den Nutzen hier nicht. Ich verstehe die Frustration total, aber ich glaube nicht, dass Radikalisierung der Weg ist. Aber vielleicht male ich das Ganze auch viel zu schwarz oder bin zu konservativ.

Vielen Dank für die sehr ausführliche und verständliche Antwort.

1 „Gefällt mir“

Also ich finde das Thema nicht ganz einfach. Zunächst einmal weiß natürlich der Großteil der Menschen über den Klimawandel Bescheid, macht aber trotzdem so weiter wie bisher. Leute, die nicht drauf angewiesen sind, kaufen sich trotzdem weiter fette SUVs. In den Medien wird es als etwas schlimmes dargestellt, wenn im Sommer die Flugzeuge nicht fliegen, obwohl wir uns eig alle darüber freuen müssten…
Je weniger Zeit wir haben um die Krise noch irgendwie einzugrenzen, desto drastischer werden die Menschen in den Maßnahmen, die sie ergreifen.

Zu den Punkten die gegen diese Aktion gemacht werden:

  • Das schadet der dem Klimaschutz mehr, da es die Leute gegen die Sache aufbringt:
    Welcher Mensch sagt denn bitte: „Weil 2 Teenager in Großbritannien Tomatensoße auf eine Scheibe geworfen haben, bin ich jetzt gegen die Rettung des Planeten“? Sagen wir dann in 30 Jahren zu unseren Enkelkindern: „Wir waren kurz davor das Ruder noch rumzureißen, aber dann haben irgendwelche Verrückten angefangen Essen auf Bilder zu werfen, und da waren uns diese Bilder dann doch wichtiger als der Planet“?
  • Was hat das bewerfen von einem Gemälde mit Klimaschutz zu tun?
    Nicht wirklich viel. Aber es ging vor allem darum Aufmerksamkeit zu generieren, und das ist denke ich sehr gut gelungen. Die Van Gogh Aktion hat internationale Reichweite erzielt (vermutlich noch deutlich größer, als die Straßenkleber, mit ihrer Zweckgebundenen Aktion). Und jeder weiß auch, dass es um Umweltschutz und Klimawandel ging. Neben Tomatensuppe und Gemälde ist auch Klimaschutz auf Twitter getrendet. Und jeder der gegen diese Aktion gewettert hat, wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die Zerstörung des Planeten deutlich schlimmer ist, als die Verschandelung so eines poppeligen Bildes. Auch hier im Thread findet sich das wieder. Des Weiteren glaube ich, dass Fridays for Future eine Menge Aufmerksamkeit und Erfolg dadurch generiert hat, dass die Schüler Freitags die Schule geschwänzt haben.
  • Aber so eine Aktion bringt doch niemanden dazu sich für mehr Umweltschutz einzusetzen:
    Stimmt vermutlich, aber es wird vermutlich kaum eine Einzige Aktion geben, die viele Leute direkt davon überzeugt sich für den Klimaschutz einzusetzen. Wenn man Leute fragt, die heute sich schon stark dafür einsetzen, wird man häufig nicht den einen Moment herausfinden können, an dem sie zum Klimaaktivisten geworden sind. Und ich glaube wenn man Menschen überzeugen will ihr Verhalten zu ändern braucht es immer beides, die Leute, die aggressiv für ein Thema argumentieren und die Leute, die die Menschen an die Hand nehmen und sie langsam an das Thema heranführen. Konfrontation führt in der Regel dazu das Menschen abblocken, ist also eigentlich eine schlechte Verhandlungstaktik. Aber ich glaube, man muss die Argumente zumindest einmal gehört haben, damit man später in einer etwas ruhigeren Situation darüber nochmal reflektieren kann. Das wird natürlich dementsprechend länger dauern bis man überzeugt ist.
  • Die hätten doch lieber friedlich protestieren sollen:
    Wenige Tage nach der Van Gogh Aktion hab ich ein Video gesehen, auf dem Wissenschaftler vor der Zentrale eines Ölkonzerns getanzt und gesungen haben, also genau die Aktion, die sich alle Kritiker gewünscht haben. Diese Aktion hat aber bei weitem nicht dieselbe Aufmerksamkeit, wie die Van Gogh Aktion bekommen

Mein Probleme mit der Aktion wären folgende:

  • Wenn die AFD sowas machen würde, fände ich es auch illegitim, also wie kann man es in dem Fall verteidigen?
  • Wenn ich sagen würde die Aktion war richtig, käme das ja irgendwie einer Aufforderung gleich, dass andere es nachmachen sollen. Wenn das aber zu viele machen, würde das auch nur zu Chaos führen

Fazit: Die erste Klimakonferenz fand 1995 statt, das heißt, alle, die für einen friedlichen Wandel sind, hatten fast 30 Jahre Zeit gehabt etwas zu erreichen. Kinder, die in einer Welt aufgewachsen sind, in der es jedes Jahr Klimakonferenzen gab haben teilweise schon wieder eigene Kinder. Und trotzdem haben wir (und ich zähle mich dazu) versagt, dass eine Welt mit effektivem Klimaschutz entstanden ist. Und die Leute, die jetzt im Internet schreiben, der Klimawandel sei zwar schlimm, aber das was die Teenager da machen kommt quasi einer zweiten RAF gleich, könnten ja jetzt auch auf die Straße gehen und friedlich protestieren, wenn sie den Klimawandel wirklich ernst nehmen würden, um zu zeigen, wie es richtig geht. Machen sie aber nicht, stattdessen verschwenden sie aber lieber ihre Zeit weiter mit langen Hasstiraden im Internet. Und wenn wir verhindern wollen, dass die Leute so verzweifelt werden, dass eine RAF 2.0 wirklich entsteht, sollten wir eigentlich alles was nur möglich ist tun, um mit friedlichen und demokratischen Mitteln den Klimawandel zu verhindern. Also ich denke wir brauchen leider diese „dummen“ Aktionen, um uns wachzurütteln.

6 „Gefällt mir“

Das Thema wurde auch hier ausführlich diskutiert: E103: "Wie extremistisch ist Gerechtigkeit?" - Piratensender Powerplay - Podcast

1 „Gefällt mir“