Einerseits erfreulich, das die diplomatischen Wege grundsätzlich noch funktionieren. Auch das die politischen Gefangenen aus Russland heraus sind.
Aber: wird das jetzt ein Geschäftsmodell für Diktatoren?
Einfach westliche Staatsbürger festnehmen, unter einem Vorwand anklagen und verurteilen und somit Druck aufbauen?
Zur Not sammelt man westliche „Geiseln“ weltweit ein.
Kriminelle zum Beispiel aus Russland müssen somit kaum Strafverfolgung fürchten.
Zudem drohen russische Politiker auch damit, das die nun freigelassenen Regimegegner weiterhin um ihr Leben fürchten sollten…
Das der Tiergartenmörder nun wohl eine Auszeichnung bekommt, ist schon bizarr.
Aber die Botschaft dahinter ist ja auch, das man im Grunde nur Verhandlungsmasse braucht in der internationalen Diplomatie….nicht neu, aber immer noch verwirrend.
Bei ansonsten weitestgehender Zustimmung zu deinen Ausführungen sehe ich kein Funktionieren diplomatischer Wege. Da wurde schlichtweg abgefeimt gedealt.
Für Putin speziell sehe ich zwei Vorteile. Zum einen signalisiert er, dass er den Westen über allerlei Stöckchen springen lassen kann. Das verschafft ihm wahrscheinlich zuhause eine Anmutung von Mächtigkeit. Zum anderen sichert er sich so einen Nachschub an Mordwilligen, die für ihn im Ausland die Drecksarbeit, sprich Auftragsmorde, verüben. Denn sie werden ja im Zweifel freigepresst. Oppositionellen im Ausland wird dadurch gleichzeitig das Signal gegeben: Ihr seid nirgendwo sicher! Oder wie du schon schriebst: „Zudem drohen russische Politiker auch damit, das die nun freigelassenen Regimegegner weiterhin um ihr Leben fürchten sollten…“
Bei aller berechtigter Freude über die freigekommenen Unschuldigen sind das die unvermeidbaren Nebenwirkungen.
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Hier noch eine Weiterung:
Den innenpolitischen Erfolg für Biden und somit auch Harris sollte man natürlich nicht vergessen.
Was heißt unvermeidbare Nebenwirkungen. Wer aktuell als Europäer nach Russland reist muss wissen daß er eventuell ohne Grund als Verhandlungsmaße inhaftiert wird. Die Leute die dort im Gefängnis saßen Taten mir zwar Leid aber waren im Endeffekt selbst Schuld. Das im Gegenzug verurteilte Mörder Straffrei davonkommen finde ich persönlich einen zu hohen Preis.
Mir waren noch Worte des Auswärtigen Amtes im Hinterkopf, man würde sich nicht Bedingungen von Despoten und undemokratischen Regimen unterwerfen (leider nur sinngemäß). Die Aussage kam knapp vor der Bekanntgabe des Deals. Zeigt das die nächste Bruchstelle in der Ampel?
Solche „Geschäfte“ gab es sicherlich schon immer, aber zeichnet sich hier grad ein mittelfristiges Modell ab, sich ggf im Land selbst Ausländer als Austauschobjekte zusammenzusuchen, oder ggf auch im benachbarten Ausland? Was hält Russland davon ab, sich in den Nachbarstaaten ein paar Geiseln „zusammen zu entführen“? Wo diese @Austauschpbjekte „ herkommen, ist für dieses Geschäftsprinzip doch nachrangig.
Ich störe mich in dem Zusammenhang zunächst mal am überall verwerndeten Begriff Gefangenenaustausch. Der Duden gibt das zwar her, „Gefangener“ für jede Person im Gefängnis zu gebrauchen, aber das entspricht eher nicht unserem Sprachgebrauch. Menschen sind „im Gefängnis“ oder „inhaftiert“, aber eigentlich würde niemand behaupten sie seien „Gefangene“. Zudem erweckt es mMn den Eindruck, dass die „Gefangenen“ auf allen Seiten irgendwie gleichwertig / vergleichbar seien. Aber hinsichtlich ihres Inhaftierungsschicksals sind die nun ausgetauschen Menschen ja absolut nicht gleichwertig: Auf der einen Seite ein in einem fairen rechtstaatlichen Prozess verurteilter Mörder (den wir glaube ich alle im regulären Sprachgebrauch nicht als „Gefangenen“ bezeichnen wüden) und auf der anderen Seite Menschen, die ich fast schon als politische Geiseln bezeichnen würde, weil sie ganz bewusst von Autokraten als Tauschobjekte positioniert wurden.
Ich denke noch über eine bessere Alternative nach, merke aber, dass ich derzeit in jedem Artikel über das Wort Gefangenenaustausch stolpere.
Wer hat in Deutschland eigentlich die Kompetenz zu entscheiden, dass ein rechtskräftig verurteilter Mörder in sein Heimatland ausgeliefert wird, wenn dies die Verbüßung seiner restlichen Haftstrafe nicht sicherstellt?
Für eine Entlassung aus dem Gefängnis gibt es zwei Möglichkeiten:
Die eine Möglichkeit wäre gewesen, dass der Bundespräsident ihn begnadigt. […]
So hat sich die Bundesregierung offenbar für den zweiten, rechtlich allerdings komplizierteren Weg entschieden. Dieser sieht so aus: Der Generalbundesanwalt erklärt offiziell seine Bereitschaft, von der weiteren Vollstreckung der Strafe Krasikows „abzusehen“. […] Allerdings: Das ist laut Gesetz eigentlich kein Straferlass, sondern nur ein Ortswechsel. Diese Regel wird in Deutschland normalerweise dann angewandt, wenn ausländische Straftäter hierzulande verurteilt und eingesperrt werden – und dann den Rest ihrer Strafe in ihrem Heimatland absitzen wollen. […] Und die Erwartung, dass Krasikow in Russland weiter hinter Gittern sitzen würde, hat man in der Karlsruher Behörde wohl auch jetzt nicht. Zu einer Krasikow-freundlichen Entscheidung nach 456a der Strafprozessordnung war die Bundesanwaltschaft so auch nicht bereit. Erst ein Machtwort des Bundesjustizministers hat dies geändert, wie zu hören ist. Der Bundesjustizminister ist befugt, dem Generalbundesanwalt Weisungen zu erteilen. Davon macht der Minister äußerst selten Gebrauch. In diesem Fall aber bestand offenbar der Karlsruher Anklagechef auf einer solchen klaren Instruktion von oben – auch um die Verantwortlichkeiten klarzumachen.
§ 456a […]
(2) 1 Kehrt der Verurteilte zurück, so kann die Vollstreckung nachgeholt werden. 2Für die Nachholung einer Maßregel der Besserung und Sicherung gilt § 67c Abs. 2 des Strafgesetzbuches entsprechend. 3Die Vollstreckungsbehörde kann zugleich mit dem Absehen von der Vollstreckung die Nachholung für den Fall anordnen, dass der Verurteilte zurückkehrt, und hierzu einen Haftbefehl oder einen Unterbringungsbefehl erlassen sowie die erforderlichen Fahndungsmaßnahmen, insbesondere die Ausschreibung zur Festnahme, veranlassen; § 131 Abs. 4 sowie § 131a Abs. 3 gelten entsprechend. 4Der Verurteilte ist zu belehren.
Ich sehe hier zumindest die Möglichkeit, die Fahnung wieder aufzunehmen, sollte er sich außerhalb Russlands aufhalten.
Also ich erinnere mich an ziemlich regelmäßige Gegangenaustausche zwischen dem Ostblock und den Weststaaten während des kalten Krieges. Das war damals institutionalisiert und „normal“. Ich erkenne in diesem aktuellen Fall keinen Unterschied zu dem damaligen Verhalten.
Nur eben, dass wir gehofft hatten, solche düsteren Zeiten hinter uns zu lassen.
Bei einigen Fällen wird an den russischen Spionage- oder Sabotage-Vorwürfen durchaus etwas dran sein, andere Fälle allerdings sind offenkundig konstruiert (ich sage nur „Cannabis-Gummibärchen“). Dass jedenfalls ein offenkundiger Mörder, der von Putin noch für seine Verdientste für’s Vaterland gelobt wird, gegen Menschen getauscht wird, gegen die größtenteils nur absurde Vorwürfe vorliegen, ist schon ein massives Ungleichgewicht, dass es in dieser Form im Kalten Krieg mWn nicht gab (man könnte sagen, dass im Kalten Krieg beide Seiten genug „echte“ oder zumindest „glaubwürdig als solche geframte“ Spione hatten, um nicht auf solche lächerlichen Mittel zurückgreifen zu müssen).
Anyways, mit diesen Fällen sollte jedenfalls klar sein, dass kein Westler, der es irgendwie vermeiden kann, nach Russland oder Belarus gehen sollte…
Ist zwar ein bisschen off topic aber worin besteht der Unterschied zwischen gezielten Tötungen via drone strike, navy seals, Autobombe zu Erschießung oder Fenstersturz? Wenn westliche Staaten ihre Killer auszeichnen, sollte es uns bei Russland doch nicht überraschen.
Hmm, das ist schwierig.
Das Opfer des Tiergartenmörders war Kommandeur im Tschetschenien-Krieg und auch später als irregulärer Kombattant (aus russischer Sicht: Terrorist) in Georgien aktiv, außerdem wohl auch als Spion. Aus russischer Sicht war er damit ein legitimes Ziel, völkerrechtlich aber nicht.
Die Opfer der Autobombenanschläge im Iran waren hingegen Atomwissenschaftler und ganz klar Zivilisten - nur eben Zivilisten, die an etwas gearbeitet haben, was für Israel - nachvollziehbar - problematisch war. Aus israelischer Sicht waren sie damit ein legitimes Ziel, völkerrechtlich aber ganz eindeutig nicht (noch eindeutiger als im Tiergartenmordfall, weil hier nicht mal ein ehemaliger Kombattanten-Status vorliegt…).
Ich denke schon, dass @koebes hier einen Punkt hat und wir schon zu oft wegschauen, wenn unsere Verbündeten Dinge tun, die wir bei Russland sofort auf das harschste kritisieren würden. Und das schadet der Glaubwürdigkeit unserer Kritik. Als Deutschland bzw. Europäische Union sind wir zum Glück in der Position, dass wir selbst derartiges nicht tun (oder zumindest nichts davon bekannt ist…), sodass wir durchaus glaubwürdig Kritik äußern können. Aber die darf dann nicht einseitig sein, wir müssen auch unsere Verbündeten mindestens ebenso stark kritisieren wie unsere Gegner. Alles andere ist Doppelmoral, die uns jede Glaubwürdigkeit nimmt.
Das ist sicher richtig. Auch die USA sind da nicht zimperlich, auch unter „Wegsehen“ beim Völkerrecht.
Es geht hier eher um die Frage (unabhängig von den aktuell ausgetauschten Personen), ob speziell der Westen sich hier (noch) angreifbarer macht oder ob eigentlich alles ist wie immer.
So gesehen braucht ein russischer Krimineller oder Auftragsmörder in Deutschland keine Strafverfolgung befürchten, solange er/sie den Kreml auf seiner/ihrer Seite hat.
Denn dann wird irgendwo von Russland ein Deutscher verhaftet, zum Geständnis weichgekocht und verurteilt, und bei nächster Gelegenheit ausgetauscht.
Hat sowas von staatlicher Narrenfreiheit.
Mir stellt es sich so dar: in Deutschland kommen Straftäter ins Gefängnis und Politiker in den Bundestag.
In Russland kommen Straftäter in den Kreml und Politiker ins Gefängnis.