Gefangenenaustausch mit Russland - Perspektiven?

Sehr schönes Pro und Contra in der Süddeutschen Zeitung von heute (leider hinter Paywall):

Ich frage mich grad, ob es für die AfD als Vorlage für ein mögliches Framing dienen kann. In der Art: wenn die Politik will, dann kann man auch Straftäter in ein Unrechtssystem abschieben. Auch wenn der Spion freudig begrüsst wurde, 100%ig sicher kann man nicht sein, ob er vielleicht in 14 Tagen aus dem Fenster fällt.

[edit: sprachlich]

Ich denke, dafür sind die Fälle zu unterschiedlich.

Ich denke, wenn die Taliban irgendwelche Deutschen (oder auch nur Ortskräfte, die mit den Deutschen kooperiert haben) gefangen halten würden und gegen afghanische Straftäter, die in Deutschland im Knast sitzen, austauschen wollten, würde niemand etwas dagegen sagen. Aber das würden die Taliban halt nicht mal wollen: Beim Thema Abschieben geht es in aller Regel gerade darum, dass beide Länder (das Abschiebende und das Herkunftsland) kein Interesse an der Person haben oder - noch schlimmer - dass beide Länder der Person negativ gegenüber stehen (z.B. Deutschland, weil die Person „illegal“ eingereist ist, und Afghanistan, weil die Person „illegal“ ausgereist ist, um vor den Taliban zu flüchten). In diesen Fällen ist zu erwarten, dass den Leuten nach der Abschiebung Folter oder Schlimmeres droht.

Dass die nun ausgetauschten auch wieder aus der Gunst des Kreml fallen können - klar. Aber das liegt nicht mehr in unserer Hand. Vergleichbarer wäre der Fall, wenn Russland als Gegenleistung für die Freilassung von Deutschen und Amerikanischen Gefangenen anfangen würde, die Auslieferung von z.B. Regimegegnern zu fordern, die sich in Deutschland vor Russland verstecken. Das wäre vergleichbar mit dem Abschiebe-Fall und hier wäre die Antwort wohl (hoffentlich!) ganz klar: Nope, das läuft so nicht.

Glaube ich kaum. Er hat für Russland einen Auftragsmord begangen und dafür jahrelang im Knast gesessen, ohne z.B. seine Zugehörigkeit zum FSB offenzulegen.
Solche „Loyalität“ nicht zu belohnen, wäre mMn sehr kurzsichtig.

Vielleicht muss man einfach akzeptieren, das die Welt weder gerecht noch schwarz-Weiß ist.

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Das hat man an Prigoschin gesehen.
Momentan ist er eine Werbung, dass Russland seine Agenten nicht im Stich lässt und das wird sich Putin erst mal nicht kaputt machen.

Naja, es gibt wirklich keinerlei Anzeichen, dass der Tiergartenmörder sich nun vom Regime abwenden wird und in Folge dessen „aus dem Fenster fallen wird“.

Fälle wie Prigoschin (vermutlich eigene Macht-Ambitionen), Skripal (Doppelagent für den MI6) oder Kusminow (der russische Pilot, der zur Ukraine übergelaufen ist und später in Spanien ermordet wurde) sind da eben jeweils ganz eigene Fälle. So sehr man Russland und Putin für ihre Methoden auch verachten mag, in all diesen Fällen war es zumindest nachvollziehbar, warum diese Menschen ins Visier des Diktatoren geraten sind, es war bitterböse Machtpolitik mit verachtenswerten Mitteln, aber keine Willkür.

Putin als Diktator ist absolut böse, gar keine Frage, aber er ist gegenüber seinen eigenen Leuten (noch?) nicht völlig unberechenbar-paranoid, wie es z.B. Stalin später war (und etliche andere Diktatoren wurden). Insofern kann man wirklich nicht argumentieren, man hätte den Tiergartenmörder aus Sorge um sein Leben nicht austauschen dürfen (und darauf läuft das Argument und der Vergleich mit Flüchtlingen doch letztlich hinaus?!?).

Putin ist ja nicht wahnsinnig oder psychopathisch. Eine gewisse Macht-und altersbedingte Realitätsverzerrung öfters, aber immer noch strategisch denkend und berechnend.

Er weiß schon genau was er will (ob das alles so realistisch ist, ist ein anderes Thema und seinem hörigem Machtapparat geschuldet).

Dazu weiß er auch, das er auf seine Gefolgsleute und Eliten schon angewiesen ist, aber auch auf die Unterstützung der Bevölkerung.

Daher die Kontrolle der Medien, aber auch das Signal „Ihr könnt auf mich zählen, ich kümmere mich um euch!“.

Ähnlich wie bei den Nazis damals.

Zudem versucht er auch sehr gezielt auf andere Länder Einfluss zu nehmen, wie Deutschland, und nutzt dafür entsprechende Medien und Parteien (AfD, BSW).

Also man sollte Putin nicht unterschätzen.
Den Geisel-Deal wird er im Inneren als Erfolg ausschlachten und damit die Schwäche des Westens und der Demokratien demonstrieren. Aus seiner Sicht.

Mal wieder etwas weg von wilden Spekulationen und Vergleichen und hin zu den Hintergründen des Austauschs: Ich fand diesen Podcast mit Bojan Pancevski spannend, einem Kollegen des vom Krelm als Geisel genommenen Evan Gerschkowitsch vom Wall Street Journal.

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Kannst du die wesentlichen Punkte kurz zusammen fassen, für diejenigen, die keine Zeit haben, sich die 51 Minuten anzuhören? Ich werd’ den Podcast morgen im Gym hören, heute komme ich dazu nicht.

Guter Beitrag.

In Kürze: Putin wollte um jeden Preis seinen Geheimdienstkumpel Krassikov, und hätte dafür so lange wie möglich Geiseln genommen.
Putin wollte den Geiseldeal vor der US Wahl über die Bühne bringen, weil er unsicher ist wie gut sich mit Trump handeln lässt.
Die Amerikaner hatten sich mit den Russen auf einen 1:1 Tausch geeinigt. Der BND hat wohl spitzgekriegt wie dringend die Russen Krassikov wollen, und den Preis in die Höhe getrieben, so das letztlich 26 westliche Geiseln freikamen.
Fazit: im Grunde gut das wir Krassikov los sind, denn Putin hätte mit dem Geiseln sammeln wohl sonst weitergemacht.
Möglicherweise weiß Krassikov auch Interna, die für Putin ungünstig sein können. Aber das seien nur Vermutungen

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Ah ja, was ähnliches hatte ich auch schon in Podcasts gehört. Also nach dem Motto: Krassikov war ein Spion in einer Elite-Einheit des FSB, und Putin als ehemaliger KGB- und später FSB-Offizier sah es als ein ganz besonderes, persönliches Anliegen, dass „seine Schützlinge“ frei kommen.

Das mag damit zu tun haben, dass Putin davon ausgehen muss, dass eine etwaige Trump-Regierung das Verhältnis zu Deutschland massiv beschädigen könnte. Also auch wenn Putin vermutlich davon ausgeht, mit Trump einen besseren Deal schließen zu können (wie toll Trumps außenpolitische Deals sind konnte man ja in Nordkorea und Afghanistan sehen…), musste er befürchten, dass Deutschland mit einer Trump-Regierung nicht so leicht kooperieren würde wie mit der aktuellen Biden-Regierung.

Denn eigentlich kann es Putin, der ja will, dass Trump die Wahl gewinnt, nicht gefallen, dass Biden und Harris nun einen Erfolg feiern können. Denn in den USA wird der Deal durchaus positiver aufgenommen als in Deutschland und auch wenn Trump natürlich versucht, den Deal nun als Schande darzustellen, wird er sich wohl eher zu Gunsten der Demokraten auswirken (wenn überhaupt).

Letztlich wurde es ein 2:1-Tausch, 16 westliche Geiseln und 8 russische Gefangene wurden getauscht. Woher kommt die Zahl von 26 westlichen Geiseln?

Naja, unser Gerechtigkeitsempfinden schmerzt es zwar, aber als Spion dürfte Krassikov nun definitiv verbrannt sein, also die tatsächliche Gefahr, die von ihm ausgeht, dürfte eher gering sein. Er wird vermutlich den Rest seiner Tage damit verbringen, einen Schreibtischjob zu machen, den Nachwuchs auszubilden oder im Inlandsgeheimdienst tätig zu sein, für Auslandseinsätze ist er jedenfalls viel zu bekannt. Also zumindest für den Westen geht von ihm wohl keine direkte Gefahr mehr aus.

Nach Medwedews Äußerungen, dass die freigelassenen Geiseln sich besser in ein Zeugenschutzprogramm begeben sollten, frage ich mich natürlich, ob Russland jetzt tatsächlich versuchen wird, diese Leute im Ausland auszuschalten. Dass ein Präsident eines Staates etwas derartiges öffentlich äußert lässt jedenfalls tief in die Diktatur, die Russland mittlerweile ist, blicken.

Meine die Zahl fiel im Beitrag, kann aber auch 24 gewesen sein,

16 auf Seiten Russlands, 10 auf Seite des Westens. Unter ihnen befinden sich zwei Minderjährige, auf welcher Seite konnte ich nicht erfassen.

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Danke, dann passt es.

Zu den Minderjährigen, wurde dort auch erklärt.

Ein Spionen-Paar soll von Russland nach Südamerika verfrachtet worden sein, um sich da langfristig eine Legende aufzubauen. Dazu gehören auch zwei Kinder, die rein spanischsprachig aufgewachsen sein sollen.
Die „Familie“ zog dann nach Slowenien und sollte dort in der EU als Agenten tätig werden. Die Kinder wussten wohl von nichts. Die Eltern wurden verhaftet, und nun mit ausgetauscht samt Kinder.
Die beiden Minderjährigen steigen also in Russland aus dem Flugzeug, wissen gar nicht wo sie sind und warum, und bekommen von einem älteren russischen Mann Blumen in die Hand gedrückt.
Skurril…

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Dazu heute:

Der frühere US-Präsident Donald Trump hat Kremlchef Wladimir Putin zum jüngsten Gefangenenaustausch mit dem Westen gratuliert. „Ich möchte Wladimir Putin dazu beglückwünschen, dass er wieder einmal einen großartigen Deal gemacht hat“, sagte der republikanische Präsidentschaftskandidat bei einem Wahlkampfauftritt .

Für die Vereinbarung seien einige der übelsten Killer auf der Welt freigelassen worden. „Wir haben unsere Leute zurückbekommen“, sagte Trump, beklagte aber zugleich, die USA machten „schreckliche“ Deals. Die Einigung schaffe einen schlechten Präzedenzfall. Auch während seiner Amtszeit seien im Ausland inhaftierte US-Amerikaner freigekommen, sagte Trump weiter und betonte: „Ich habe nie etwas bezahlt.“ Der Republikaner hatte den jüngsten Deal mit Russland bereits zuvor schlechtgeredet und ohne jeden Beleg impliziert, für den Austausch der Gefangenen sei Geld geflossen.

Ja, wer „The Americans“ gesehen kann, kennt das Szenario quasi. ^^
Faktisch war der Austausch damit wohl dennoch 16:8, also 2:1, weil gegen die Kinder natürlich nichts vorlag, sie keine Gefangen waren und natürlich auch keine „Geiseln“, sondern schlicht „unschuldige Zivilisten“, die halt mit dran hingen.

Der typische Trump-Bullshit eben. Außerhalb seiner Fanbase scheint das aber zum Glück nicht wirklich anzukommen, weil bei den meisten Amerikanern „Nobody is left behind“ doch noch etwas wert ist, daher die Rettung der eigenen Leute (ob Schuldig oder nicht) hohe Priorität genießt. Wenn Trump quasi sagt, er würde eher seine Landsleute im russischen Gulag verrotten lassen, als den Russen etwas für die Freilassung zu geben, spricht das gerade aus Sicht der Wähler in der Mitte eher gegen als für ihn.

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Es scheint jetzt doch ein Geschäftsmodell zu werden. Anfang der Woche ein Reisender im Hotel festgenommen, nun das:

Die Taktung erhöht sich…

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Ehrlich gesagt muss ich hier ganz hart sagen, dass der Westen sich hier nicht weiter erpressbar machen sollte. Es gab hinreichende Reisewarnungen, als US- oder EU-Bürger nicht nach Russland zu reisen, spätestens nach dem letzten großen Gefangenenaustausch muss jedem klar sein, dass Russland strategisch „Geiseln nimmt“. Für die jetzigen Fälle kann man noch Ausnahmen machen (weil die Festnahme Anfang 2024 war, also vor dem letzten großen Gefangenenaustausch), aber in Zukunft sollte für solche Fälle klar sein, dass es keinen Austausch geben wird: Wer heute, wie im Fall der 32-jährigen damals, nach einem Türkei-Urlaub nur mal kurz die Familie in Russland besuchen will, gerade, wenn man zuvor für die Ukraine gespendet hat (und deshalb damit rechnen muss, dass Russland einen als „Staatsfeind“ sieht, ähnlich, wie wenn man öffentlich auf Twitter und co. für die Ukraine Position bezogen hat), muss damit rechnen, nicht ausgetauscht zu werden.

Es ist wie mit all diesen Katastrophen - wenn sie unerwartet passieren bin ich für volle Solidarität, aber wer sein Haus in einem Flutgebiet wie dem Ahrtal neu aufbaut und es wieder weggeschwemmt wird oder wer jetzt noch als US- oder EU-Bürger „mal kurz nach Russland reist“, der muss wissen, welches Risiko er eingeht und kann sich nicht darauf verlassen, dass wir Spione und Mörder freilassen, um diese Leute freizukaufen… das mag eine harte Position sein, aber sie ist m.M.n. notwendig. Mehr noch: Es sollte sogar über ein Verbot, nach Russland einzureisen, nachgedacht werden - die USA verbieten sogar Reisen ihrer Bürger zu touristischen Zwecken nach Kuba, warum sollte es für Russland anders aussehen? Den Tourismus nach Russland einzuschränken ist eine effektive Sanktionsmaßnahme und gleichzeitig reduziert es die Wahrscheinlichkeit, dass Russland weiter Geiseln nimmt. Wer trotz Verbotes nach Russland einreist ist dann wirklich selbst Schuld.

Kurzum:
Wer vor dem August nach Russland/Belarus/Nordkorea/Iran eingereist ist, sollte noch ausgetauscht werden.
Wer ab dem August 2024 noch in diese Staaten einreist, tut das auf eigene Verantwortung und sollte nicht damit rechnen, gegen Mörder und Spione ausgetauscht zu werden.

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Einem der ausgetauschten Oppositionellen machten Deutschland und die USA vorsorglich klar, dass es keinen weiteren Austausch geben wird, denn er dachte gleich laut darüber nach, ob er den Kampf gegen Putin überhaupt aus dem Ausland effektiv führen kann.
Das Thema sollte sogar jetzt noch mehr in die Öffentlichkeit, dass auch dem letzten in Russland und Belarus klar wird, dass er in diesem Land nicht sicher sein kann und der Brain-Dead vorangetrieben wird, indem jeder, der eine zweite Staatsbürgerschaft hat, die beiden Länder verlässt.