Gefahr unserer medinischen Versorgung in der Zukunft

Liebes Lage Team,

Ich höre euch nun beinahe schon 2 ganze Jahre und bin begeistert davon, wie ihr die Themen aufarbeitet und erklärt.
Leider sehe ich in der Zukunft düstere Zeiten für unser Gesundheitssystem. Der Grund weshalb ich das hier reinschreibe, ist die Hoffnung, dass ihr das Thema aufgreift und der Politik zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.

Kurz zu mir: 30 Jahre alt, Arzt, arbeite zur Zeit in einem Krankenhaus der Versorgungstufe 2 im Großraum München als Assistenzarzt zur Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ich habe bereits einige Kliniken in dem Großraum München von innen gesehen und habe mitbekommen, dass alle Kliniken eigentlich die gleichen Probleme haben.

Um zu verstehen, worauf ich hinaus will, müssen einige Grundsätze klar sein, die für gut gebildete Lage Hörer teilweise bekannt sein werden.

-Die Menschen werden immer älter, das heißt in Zukunft haben wir immer mehr immer ältere Menschen
-Ältere Menschen brauchen mehr medizinische Behandlung. Es gibt genügend Menschen, die bis zum 40. Oder sogar 50. Lebensjahr nie eine einzige Behandlung benötigen. Aber aus dem klinischen Alltag muss ich sagen, dass meine Patienten meistens 65-85 Jahre alt sind. Wenn ich auf das Patientenalter bei den Kollegen der inneren Medizin schaue, so kann man da gerne nochmal 10 Jahre drauf rechnen.
-Die medizinische Forschung ist vor allem daran interessiert das outcome zu verbessern. Auf die Ressourcenkapazitäten (Fachpersonal etc) wird wenig Rücksicht genommen (höchstens in speziell dafür vorgesehenen Studien, welche sich dann oft im klinischen Alltag nicht durchsetzen können). Das heißt in Summe werden wir in den nächsten Jahren noch mehr behandeln können und auch müssen.
-In 10 oder 20 Jahren werden wir also deutlich mehr Behandlungsbedarf haben.

Wenden wir uns kurz der Gegenwart zu: der Mangel an Pflegepersonal ist in aller Munde und es gibt ja auch bereits eine Reform, die daran etwas verbessern soll. Was aber nicht in der öffentlichen Diskussion stattfindet ist eine Diskussion über das restliche Fachpersonal, welches ebenfalls meist eine 3-jährige Ausbildung hat: OTA (Operationstechnische Assistent/in), MTA (medizintechnisch Assistenten), MFA (medizinische Fachangestellte, ehemals Arzthelfer). Auch Ärzte dürfen hier nicht unerwähnt bleiben auch wenn sie keine 3jährige Ausbildung haben, sondern ein mindestens 6jähriges Studium und eine 5jährige Weiterbildung.
Das Problem hierbei ist das gleiche, wie bei der Pflege: jede Klinik ist auf der Suche nach neuem Fachpersonal. Ich gehe davon aus, dass im Großraum München mehr Personal vorhanden ist, als zB in ländlichen Gebieten. Trotzdem höre ich von allen Seiten: Fachpersonal händeringend gesucht!

Wenn wir also jetzt die beiden Absätze zusammenziehen, haben wir in 10 oder 20 Jahren einen deutlich erhöhten Bedarf an Behandlungsmöglichkeiten aber höchstwahrscheinlich nicht das Fachpersonal um diese Durchzuführen. Als Beispiel möchte ich aufführen, welche Menge an Fachpersonal nötig ist um eine Operation durchzuführen: Je nach komplexität des Eingriffes sind 1-3 Chirurgen nötig, meistens reichen ein oder zwei, aber es sind immer 2 OTAs notwendig, weil sie zusammenarbeiten: einer ist steril und der andere ist unsteril. Außerdem ist für die Anästesie noch ein Anästhesist und eine Anästhesiepflege nötig. Zusammengefasst braucht man, auch für einen kleinen ambulanten operativen Eingriff, mindestens 2 Fachärzte und 3 ausgebildete Fachkräfte. Zugegeben einer der beiden OTAs kann auch in der Ausbildung sein, aber muss gut eingearbeitet sein, und mindestens im 2. Jahr.
OTAs sind so eine Mangelware, dass die Kliniken diese oft nur über Zeitarbeitsfirmen bekommt, wo die OTAs ein höheres Gehalt bekommen, die Klinik aber deutlich mehr kostet. In meinem Krankenhaus sind aktuell sogar OP-Sääle gesperrt, weil wir zu wenig OTAs haben. Wenn wir kurz die Kliniken verlassen und auf den Arzt in einer Praxis schauen: dieser braucht vor allem MFAs, aber auch hier ist es schwierig offene Stellen zu besetzen.

Aktuell sehe ich vor allem dahingehend in der Zukunft keine Besserung, weil wir wegen der konstant hohen Belastung an das vorhandene Personal diese auch aus dem Fach vergraulen. In jeder Notaufnahme, wo ich bereits gearbeitet habe, ist das Notaufnahmepersonal reihenweise weggegangen, teilweise im Haus auf andere Stellen, teilweise sogar der Medizin den Rücken gekehrt. Wir befinden uns in einer Spirale, die langfristig große Schäden anrichten wird.

Ergänzend möchte ich noch sagen, dass ich nicht gegendert habe, damit es einigermaßen übersichtlich bleibt, denn das Thema ist schon komplex genug. Eigentlich hätte ich überall die weibliche Form hernehmen können, denn die Mehrheit bei all diesem Fachpersonal ist weiblich.

Dieses Thema ist noch deutlich komplexer und kratzt mit den Informationen oben gerade nur an der Oberfläche. Komplexer wollte ich es aber nicht gestalten, und ich hoffe, dass meine große Sorge klar geworden ist: In 10 oder 20 Jahren können wir viele Erkrankungen nicht behandeln, weil wir dafür zu wenig Personal haben. Und das betrifft leider uns alle…

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Ein paar Beobachtungen

Viele aus meinem näheren Umfeld arbeiten im hiesigen Klinikum. Die wenigsten haben noch eine 100% Stelle. Jeder der es sich finanziell leisten kann arbeitet 75% weil die Belastung sonst nicht auszuhalten ist. Immer weniger Personal muss immer mehr Patienten auf den Stationen versorgen.

Um den Fachkräftemangel zu begegnen wird immer mehr Personal aus dem Ausland angeworben. Um dies Reibungslos zu gewährleisten werden die Standards der Ausbildung immer mehr angeglichen. Für das Anwerben werden oft „Kopfprämien“ an Vermittler gezahlt.

Vor 30 Jahren wurden im hiesigen Klinikum 3 Klassen Pfleger-innen pro Jahrgang ausgebildet. Heute sind sie froh wenn sie eine Klasse zusammen bekommen.

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Ich möchte auch noch aus dem konservativen Bereich ergänzen, dass es immer bessere und teurere Medikamente gibt, gerade in der Onkologie sind 5stellige Summen für Chemotherapeutika heute nichts besonderes mehr und immer öfter wird es auch 6stellig für die ganze Behandlung mit mehreren Zyklen. Und Krebs ist nun mal eine Erkrankung die mit der Zahl der erfolgten Zellteilungen (ergo zunehmendem Alter) häufiger wird.
Tja… ich weiß auch nicht.
Aus England und teils auch aus Dänemark hört man gruselige Dinge über harte Altersgrenzen für Hüft-TEPs oder Chemotherapien bei bestimmten Metastasierungsszenarien.

Nie eine Quelle habe ich für ein Statement eines Dozenten im Studium gefunden, der behauptete, dass im Schnitt 60% der Gesundheitskosten des gesamten Lebens in den letzten drei Lebensmonaten verbraucht werden.

Und dass Pflege im Pflegeheim unterbezahlt ist und deshalb bei gleicher Anzahl der zu Pflegenden teurer werden muss haben inzwischen ja sogar FDP-Wähler geschluckt…

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In 10 oder 20 Jahren werden wir, als Gesellschaft, viele Dinger nicht mehr leisten können, es sei denn, wir schaffen es, dauerhaft jedes Jahr ca. 500.000 halbwegs ordentliche ausgebildete Arbeitskräfte ins Land zu holen (die dann natürlich in ihren Herkunftsländern zum Teil schmerzlich vermisst werden).

Die Gesundheitsversorgung ist natürlich ein besonders kritisches Beispiel. Aber dies wird so gut wie jeden Bereich der Arbeitswelt betreffen, der nicht automatisiert werden kann.

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Schön, dass hier ein Austausch beginnt.
@Schlossermeister Ja die Teilzeit ist sehr beliebt, insbesondere bei den weiblichen Mitarbeitern, und das ist wie ich ja bereits geschrieben hatte die Mehrzahl. Was bei Berechnungen zu den Leuten die wir ausbilden müssen dazu führt, dass diese zu niedrig ist. Kopfprämien zahlt inzwischen fast jedes Krankenhaus, das einzige, was diese also bewirkt ist häufig Arbeitsgeber zu Wechseln. Interessant, dass du sagst es werden weniger Leute ausgebildet. Kannst du da an ein paar Zahlen kommen? Zu den absoluten Zahlen von Ausbildungen in der Pflege und bei den OTAs und MTAs/MFAs habe ich bei einer kurzen online Suche nichts gefunden.

@Jakob Neue Medikamente sind abartig teuer, gerade bei den von dir angesprochenen Antikörper gegen spezifische Tumorzellen ist es exorbitant. Natürlich ist das outcome auch deutlich besser. Mir ging es in der Diskussion weniger um den finanziellen Aspekt, und selbst wenn müssten wir eher über das DRG oder die Quartalsabrechnungen diskutieren, die sich ein sehr kluger BWLer ausgedacht hat und nicht dabei bedacht hat, welchen Schaden diese langfristig anrichten werden. Was ich allerdings zum Thema Finanzen mitbekommen habe, ist dass ein paar wenige Patienten für die allermeisten Kosten verantwortlich sind. Wen wundert es, wenn sehr wenige Patienten teilweise 2-3 Monate auf Intensivstation liegen und dabei um die 10 mal operiert werden, und die meisten Leute einmal in 3 Monaten einen bis keinen Arzt in seiner Praxis aufsuchen.

@Guenter genau weil sie ein besonders kritisches Beispiel ist, und wir gerade eine Pandemie durchgemacht haben, wo unser Gesundheitssystem auf Herz und Nieren geprüft wurde, muss ich sagen: Wenn sich jetzt nichts ändert, dann blicke ich düster in die Zukunft

Ich habe gerade auf SZ einen interessanten Artikel gefunden, der heute geschrieben wurde (leider nur für SZ Plus):

Hier wird auch das Problem der Fachkräfte angesprochen, neben anderen Themen. Ich glaube sie spielen alle zusammen: Es soll immer weniger Krankenhäuser geben, deshalb werden Sparmaßnahmen härter und am Ende ist in der Klinik die Belastung jedes einzelnen groß. Daraufhin kündigt das Personal und auf dem verbliebenen Personal lastet noch mehr Druck. Das ist leider ein Kreislauf, der das aufs Spiel setzt, was das allerwichtigste in unserem System ist!
Hinzu kommen oft noch eine umständliche digitale Software (KIS heißt diese und steht für Krankenhausinformationssystem), wo ich leider sagen muss, dass mir noch in keiner Klinik ein KIS begegnet ist, dass eine benutzerfreundliche Oberfläche hat. Die KIS die ich kenne sind alle für die Verwaltung gemacht (die entscheidet ja auch, welches KIS gekauft wird). Im Klinikalltag ist man dann dafür mit vielen umständlichen Mausklicks beschäftigt, oft auch noch mit Ladezeiten nach jedem Mausklick, um an die Informationen zu kommen, die man jeden Tag braucht. Und es sind auch wirklich jeden Tag die gleichen Informationen die wir aufrufen und die gleichen Aufträge die wir stellen, zumindest über 90% der Zeit. Wir müssen dafür Sorgen, dass ein Arzt, eine Pflegekraft, eine OTA, MTRA, MTLA, MFA, also einfach ALLE ein System haben, in dem Sie möglichst wenig Zeit verbringen müssen um anteilig mehr Zeit ihrer wertvollen Arbeitszeit damit zu verbringen, was wichtig ist: der Arbeit, die keine Maschiene für uns erledigen kann.

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Lieber Bernard, liebe Alle,
danke, dass wir hier dieses so große, wichtige Zukunftsthema für uns alle diskutieren (können), schätze ich doch sehr die hochqualitativen Diskussionen in diesem Forum. Als mein Beitrag dazu kommen hier meine Gedanken zu der Thematik:

  1. Grundsätzlich werden wir viel, viel mehr Geld für das Gesundheitssystem aufwenden müssen - oder Leistungen massiv rationieren müssen (die Beispiele Großbritannien und Co sind ja schon angesprochen worden). Sollte es zu Letzterm kommen so hoffe ich nur, dass dies politisch geschieht - ich als angehender Arzt möchte niemals aus rein finanziellen Gründen eine prinzipiell hilfreiche Therapie verweigern müssen, wenn dann soll das schon jemand entschieden haben, der demokratisch legitimiert ist.

  2. Das Fachpersonal - von Krankenpflege, über MT(R)A’s&OTA’s/ATA’s bis hin zu Ärzt:innen - ist DER zentrale Knackpunkt. Insbesondere im pflegerischen Bereich sind Zustände erreicht, die meiner Meinung nach kurz vor einer „programmierten Selbstzerstörung“ stehen (Teufelskreis aus Personalabwanderung und dadurch erhöhter Belastung des Restpersonals mit gleichzeitig sinkender Zahl an Auszubildenden). Was sind mögliche Lösungsansätze? Aus meiner Sicht vor allem eine Reduktion der „Vollzeitarbeitszeit“ auf 30, maximal 35h/Woche bei gleichem Gehalt. Warum? Weil man dann de-facto eine heutige 75%-Stelle hat, aber mit vollem Gehalt. Eine (im Vergleich zu jetzt) halbe Stelle bedingt das Gehalt einer heutigen 75%-Stelle. Die übliche Erwiderung darauf ist, dass wir dann ja noch mehr Personal benötigen würden. Das ist auch sachlich korrekt. Ich bin aber überzeugt, dass unser allererster, dringendster Fokus darauf liegen muss, das jetzt noch vorhandene Personal zu halten (denn hier zeichnet sich ja schon eine große Berufsflucht ab!), um dann längerfristig zum einen Kolleg:innen, die der Pflege den Rücken gekehrt haben wieder für eine Tätigkeit in der Pflege begeistern zu können, zum anderen den Beruf attraktiv für Berufseinsteiger:innen zu machen. Für eine Übergangsphase hätte in meiner Vorstellung das Personal dann die Wahl, auch weiter 40h zu arbeiten - aber mit deutlich mehr Gehalt (weil ja die zusätzlichen 5h/Woche Überstunden sind). Kehren dann Mitarbeiter:innen in Teilzeit zurück, so ist das aus meiner Sicht ein riesiger Vorteil. Eine hohe Teilzeitquote macht zwar die Personalplanung anstrengender und schwieriger. Sie ermöglicht aber auch gleichzeitig eine bessere Verteilung eines ganz, ganz großen Problems: Der Kompensation von kurzfristigen Personalausfällen. Diese können immer auftreten, da brauchen wir uns nichts vorzumachen. Wenn allerdings ein Team, das sagen wir 20 Vollzeitstellen hat, aus 30 Personen besteht, so ist der Pool derer, die potenziell einspringen könnten, deutlich größer und die Belastung der:des Einzelne:n hoffentlich geringer.

  3. Wir brauchen eine viel aktivere Krankenhausplanung von Seiten der Länder, mit politischem Mut. Die DRG’s wurden in den 2000er Jahren, zumindest auch, mit dem Ziel eingeführt, die Zahl der Krankenhäuser zu verringern. Idee war, dass sich das dann durch den Markt von allein regelt. Tatsächlich ist das auch zum Teil gelungen - aber nicht grundsätzlich so, wie es für die Gesamtgesellschaft am Besten wäre. Im ländlichen Bereich kämpfen kleine Kliniken, die aber allein auf weite Flur stehen, oft ums Überleben, während in großstädtischen Bereichen weiter Klinik neben Klink steht, jede eben ein bisschen spezialisiert. Zusätzlich haben die Beschäftigten und Lokalpolitiker:innen oft mit großen persönlichen Opfern teils die Schließung von Kliniken verhindert. Wieso eigentlich? Weil niemand den „politischen Arsch in der Hose“ hatte, zu entscheiden, nach welchen Kriterien in Zukunft Krankenhausplanung gemacht werden soll. Ausgehend von der Annahme, dass wir zu viele kleine Krankenhäuser haben (ob das so ist oder nicht sprengt hier den Rahmen, ich persönlich bin mir da nicht sicher, aber fürs Verständnis bleibe ich erst einmal bei dieser Annahme, die zumindest die Politik der letzten 20 Jahre bestimmt zu haben scheint) müsste man doch eigentlich definieren, wo die dann größeren Krankenhäuser denn stehen sollten. Dafür muss man sich aber mit einer Vielzahl an Lokalpolitiker:innen herumschlagen, die als oberstes Ziel der Agenda haben „ihr“ Krankenhaus zu erhalten. Zum Teil kann ich das auch gut nachvollziehen - viele Kommunen investieren viel Geld in „ihr“ Krankenhaus (warum, dazu gleich mehr), und Krankhäuser können auch ein Teil der lokalen Identität sein. Wenn wir aber grundsätzlich festlegen, dass wir zu viele Krankenhäuser haben, dann geht das nicht mehr. Dann muss mindestens auf Eben der Länder festgelegt werden, wo (unter Berücksichtigung lokaler, grenzüberschreitender, Gegebenheiten) welche Kliniken sinnvoll sind, um eine adäquate Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Macht bloß keiner.

  4. Damit einher geht mein nächster (und vielleicht erst einmal letzter, obwohl ich noch stundenlang weiter schreiben könnte) Punkt: Die aktuelle Finanzierung der Krankenhäuser. Die Länder kommen im Prinzip seit Einführung der Dualen Krankenhausfinanzierung ihrer Verpflichtung zum Tragen der Investitionskosten völlig unzureichend nach. Krankenhäuser kosten Unsummen, moderne Krankenhäuser umso mehr. Diese müssen irgendwo her kommen. Eigentlich sind die Länder dafür zuständig. Diese haben sich aber darauf versteift, sich nur als „Förderer“ zu sehen und bewilligen dann gern „X Prozent“ der beantragten Investitionsmittel. Leider kann ich aber beim Hersteller des dringend benötigten Computertomographen oder beim Generalaufragnehmer für den Bau der neuen Intensivstation (oder whatever) nicht sagen „Joa, ich brauche das zwar alles, aber ich zahle nur 80%“. Ergo muss querfinanziert werden. Deswegen ist es aus meiner Sicht so wichtig, eine aktivere Krankenhausplanung zu betreiben. Für die dann noch in den Landeskrankenhausplänen enthaltenen Häuser müssen aber auch alle Investitionskosten ohne wenn und aber zu 100% getragen werden. Sicherlich wird man dafür allerdings festlegen müssen, was denn der Bedarf für ein Krankenhaus einer bestimmten Versorgungsstufe ist (also zum Beispiel, wie viele Betten auf der Intensivstation minimal, wie viele maximal, wie viele Computertomographen, wie viele Magnetresonanztomographen, etc.). Das wiederum birgt ganz eigene Probleme, die hier wohl den Rahmen sprengen würden.
    Gleichzeitig muss die Finanzierung im Bereich der Betriebskosten (die ja maßgeblich beim Personal beeinflussbar sind) aus meiner Sicht um einen Vorhalteanteil ergänzt werden. Man muss teils aus strukturellen Gründen einfach Einrichtungen, Leistungen und Personal vorhalten, wofür es im aktuellen System kein Geld gibt. Bestes Beispiel sind personalmäßig, räumlich und technisch gut ausgestattete zentrale Notaufnahmen im ländlichen Bereich. Diese sind sehr teuer und verschlingen viele Ressourcen. Statistisch werden sie aber aufgrund einer geringeren Bevölkerungsdichte deutlich weniger ausgelastet als in Ballungsgebieten. Das führt dann dazu, dass sie meist noch defizitärer laufen als es Notaufnahmen ohnehin sind - oder nicht so ausgestattet sind, wie sie es sein müssten, um die ja trotzdem anfallenden lebensbedrohlichen Notfälle adäquat zu behandeln. Nicht immer kann man nämlich einen Notfallpatienten einfach in das noch 30 Minuten weiter entfernte „große“ Krankenhaus fahren, manchmal überlebt diese:r nur bis zum kleineren Haus. Aufgrund dort mangelnder Ressourchen überlebt er:sie ehrlicherweise auch dann trotzdem manchmal nicht.

Soviel zunächst von mir, ich freue mich auf den weiteren Austausch mit euch!

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Viele Zusammenhänge die sie schreiben decken sich mit meinen Beobachtungen.
Falls aber jemand hergehen würde und eine entsprechende Planung strikt nach dem Bedarf, der sinnvollen Abdeckung, die Finanzierung usw. erstellen würde dann höre ich schon die Rufe nach Planwirtschaft und DDR 2.0.
So sinnvoll eine entsprechende Planung und Finanzierung wäre, ich befürchte so stark würde diese auch diskreditiert werden

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Ich möchte an dieser Stelle auch noch einmal auf die Berliner-Krankenhausbewegung hinweisen. In Berlin wird seit 25 Tagen mit allen verfügbaren Mitteln für bessere Arbeitsbedingungen, einen besseren Betreuungsschlüssel und damit einer sicheren Patient*innenbetreuung gestreikt. Und es wird nicht ernsthaft darüber berichtet, geschweige denn, dass sich an Verhandlungstermine gehalten wird.

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Bevor der Artikel hinter Paywall verschwindet, sei er allen Interessierten zur Lektüre empfohlen: ZEIT ONLINE | Lesen Sie zeit.de mit Werbung oder im PUR-Abo. Sie haben die Wahl.

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Erschrecken zu lesen, wie die Menschen an diesem System zerbrechen.

Es ist eine Schande, dass sich eine so reiche Nation wie Deutschland nicht genug Personal im Gesundheitswesen leisten will.
Einige der 25 haben das ja auch klar angesprochen, die Ursache für viele Problem ist, dass Klinken Profit abwerfen müssen.
Ich sehe da wenig Hoffnung, dass sich ohne einen Systemwechsel da was verbessern kann.

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Wir müssen die Krankenhäuser wieder verstaatlichen. Medizinische Versorgung ist Dasein-Vorsorge und damit höchst staatliche Aufgabe. Die Wirtschaft kann gerne Iphones und Autos bauen. Aber alles, was Konkurs-sicher funktionieren muss, gehört in staatliche Hand.

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Auch wenn ich grundsätzlich kein Befürworter von Verstaatlichung bin, die Gesundheit der Menschen darf nicht vom wirtschaftlichen Ertrag der Behandlung abhängen.
Hier muss tatsächlich ein Umdenken stattfinden.

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Dafür lag der Beitragssatz in der Kranken- und Pflegeversicherung im Schnitt der letzten Jahre vielleicht 1-2% niedriger als bei einer angemessenen Personalausstattung und -bezahlung. Das hätte dem BDI und seiner parlamentarischen Vertretung, der Union, sicher nicht gefallen.

Die Frage ist doch, ist grundsätzlich nicht genug Geld im System, oder fließt einfach zu viel zweckfremd ab?
Wenn man sich die Vorstandgehälter der KK anschaut, ist das zumindest kein Indiz, dass die mit spitzen Stift kalkulieren müssen.

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ich bin sehr froh, dass die Diskussion wieder aufgegriffen wurde. Es ist aber leider keine richtige Diskussion, denn die meisten Beiträge geben mir in meinem Eröffnungsstatement recht. Auch in meiner Klinik geben mir alle Leute recht, mit denen ich über das Thema spreche. Es ist einfach erschreckend zu sehen welche Probleme da auf uns zu kommen werden und in der politischen Debatte geht es nur um irgendwelche Prämien…

Hände auf den Tisch, es geht ums Geld. Mit genügend Geld kommen alle wieder an Ihren Arbeitsplatz, oder? Naja, ich denke es gehört schon mehr dazu: viele Kliniken sind einfach dermaßen schlecht organisiert, dass Mitarbeiter/innen für kein Geld der Welt dorthin zurückgehen würden. Aber letztlich kostet auch eine gute Organisation Geld… Nur: wie teuer darf das Gesundheitssystem werden? Was können und wollen wir uns leisten?

Ich glaube wir sind an einem Punkt angekommen, wo man sich über das „bigger picture“ mal Gedanken machen muss. Macht ein Versicherungssystem mit Gesetzlichen und Privaten Sinn, wo eine privilegierte Gruppe an Menschen eine „größere“ medizinische Versorgung zu einem niedrigeren Preis bekommt? Ist das bisherige System, was Patientenorientiert ist, noch den aktuellen Bedürfnissen entsprechend, oder sollten wir uns zB an den Skandinavischen Modellen orientieren, welche Personalorientiert sind, was zwar bessere Arbeitsbedingungen schafft, für die Patienten aber längere Wartezeiten bedeutet? Bürokratieabbau wäre auch Sinnvoll, denn es entstehen immer höhere Personalkosten in der Verwaltung, die vielleicht in der Patientenversorgung besser aufgehoben wären. Macht es Sinn, dass wir in Deutschland noch ca. 100 Krankenkassen haben? Ein Vergleich für den Verbraucher scheint mir bei dieser Masse an Angeboten schwierig. Macht es Sinn, wie Krankenkassen querfinanziert werden? Der sogenannte morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich sorgt dafür, dass Krankenkassen finanziell davon profitieren, wenn Sie Ihre Patienten kränker machen, weshalb Sie an Prävention kein wirkliches Interesse haben. All dies sind spannende Fragen, über die wir uns alle Gedanken machen sollten, und es gibt sicherlich noch hunderte mehr von diesen. Aber das wichtigste ist, dass dieses Thema politisch auf den Tisch kommt. Nochmal, was die Pflege angeht, da ist schon etwas passiert, aber beim ganzen Rest ist noch nichts passiert…

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Die Krankenkassen sind offiziell gescheitert, seit ein gemeinsamer Topf eingeführt wurde, in den alle einzahlen und aus dem dann die Leistungen bezahlt werden.
Denn die AOKs hatten das Problem, dass sie vor allem die treuen (und teuren) Patienten hatten, während die jung-dynamischen Krankenkassen auch jung-dynamisches Publikum hatten.
Die Leistungen wurden per Leistungs-Katalog festgeschrieben, die Unterschiede sind nur noch Nuancen.

Unsere Caritas hat drei Altenheime in eine gGmbH ausgegliedert, um die Zahlen zu verbessern, ein Steuerberater wurde als Geschäftsführer eingestellt.
Die Kosten gingen runter, aber viele Angestellten unter 40 wanderten zur Konkurrenz ab.
Jetzt wurde der Steuerberater vor ein paar Monaten in die Wüste geschickt, jedes Heim hat eine Leiterin vom Fach.
Mit Sicherheit sind sie nicht mehr so kosteneffizient, aber das Betriebsklima hat sich auf einen Schlag ins Gegenteil gekehrt.

Ich befürchte einfach dass unser klassisches ökonomisches System an der Gesundheit und Pflege scheitert. Hier das System auf Gewinn zu trimmen wurde nun jahrzehntelang versucht, und scheitert einfach gnadenlos. Klar, man kann es so umbauen dass Investoren für eine gewisse Zeit Gewinn machen. Die Betonung liegt halt auf „eine gewisse Zeit“. Dann ist es entkernt und wird als Rohbau zurückgelassen.

Schönes Haus haben sie da, echt gute Basis, aber drinn wohnen kann man nun nicht mehr.

Am Ende muss man vermutlich mal einsehen, dass das ein Zuschusssystem ist, aber auch ein Solidarsystem. Die Starken und Gesunden tragen die Schwachen und Kranken. Denn wir alle könnten mal zur zweiten Gruppe gehören.

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Eine bessere Organisation ist sicher ein elementarer Baustein, um das vorhandene Personal zielgerichtete einzusetzen, und zeitgleich von bürokratischen Belastung zur medizinischen Tätigkeit zu entlasten.
Ich war in den letzten 20 Jahren zum Glück nur einen einzigen Tag stationär in einer Klinik, was da organisatorisch an einem Tag schief gelaufen ist, da kann ich bis heute nur mit dem Kopf schütteln - und das ohne den Menschen auf der Station einen Vorwurf zu machen.

Das kann man ganz gut untermauern, wenn Menschen eine Kur brauchen, oder wenn es zu einem späteren Zeitpunkt im Leben um Ansprüche aus der Rentenversicherung geht, aus gesundheitlichen Gründen.
In beiden Fällen haben es Menschen, die regelmäßig beim Arzt waren, am besten mit immer mal wieder „gelben Schein“ deutlich einfacher Leistungen zu erhalten - es ist in unserem Gesundheitssystem besser eine dicke Akte zu haben.
Fälle aus meinem engeren Arbeitsumfeld bestätigen das.

Absolut, hier muss ein Umdenken stattfinden.
Es muss sich, wenn dann überhaupt nur für die Menschen die für die Menschen arbeiten, lohnen.
Nicht für irgendwelche AGs oder GmbHs die ihr Investment abstoßen, wenn genug ab geschöpft wurde.

Wäre die beste und kostengünstigste Lösung dann nicht eine staatliche gesetzliche Krankenkasse, in der alle sind?
Keine Privaten Krankenkassen mehr (gibt ja dann immer noch private Zusatzversicherungen bei Bedarf) und auch nicht viele verschiedene gesetzliche Kassen.

Dadurch könnte doch einiges an Geld für Personal, redundante Infrastruktur und Marketing eingespart werden.

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Da sind sich eigentlich alle einig.
Nur bei der Finanzierung möchten Grün und Rot eher eine Bürgerversicherung, in die jeder entsprechend seines Einkommens einzahlt.
Schwarz und Gelb hätten lieber eine Kopfpauschale in der jeder den gleichen Beitrag zahlt.
Und wenn man sich nicht einigen kann, bleibt eben alles so wie es ist.