Liebes Lage Team,
Ich höre euch nun beinahe schon 2 ganze Jahre und bin begeistert davon, wie ihr die Themen aufarbeitet und erklärt.
Leider sehe ich in der Zukunft düstere Zeiten für unser Gesundheitssystem. Der Grund weshalb ich das hier reinschreibe, ist die Hoffnung, dass ihr das Thema aufgreift und der Politik zeigt, dass hier dringender Handlungsbedarf besteht.
Kurz zu mir: 30 Jahre alt, Arzt, arbeite zur Zeit in einem Krankenhaus der Versorgungstufe 2 im Großraum München als Assistenzarzt zur Weiterbildung zum Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie. Ich habe bereits einige Kliniken in dem Großraum München von innen gesehen und habe mitbekommen, dass alle Kliniken eigentlich die gleichen Probleme haben.
Um zu verstehen, worauf ich hinaus will, müssen einige Grundsätze klar sein, die für gut gebildete Lage Hörer teilweise bekannt sein werden.
-Die Menschen werden immer älter, das heißt in Zukunft haben wir immer mehr immer ältere Menschen
-Ältere Menschen brauchen mehr medizinische Behandlung. Es gibt genügend Menschen, die bis zum 40. Oder sogar 50. Lebensjahr nie eine einzige Behandlung benötigen. Aber aus dem klinischen Alltag muss ich sagen, dass meine Patienten meistens 65-85 Jahre alt sind. Wenn ich auf das Patientenalter bei den Kollegen der inneren Medizin schaue, so kann man da gerne nochmal 10 Jahre drauf rechnen.
-Die medizinische Forschung ist vor allem daran interessiert das outcome zu verbessern. Auf die Ressourcenkapazitäten (Fachpersonal etc) wird wenig Rücksicht genommen (höchstens in speziell dafür vorgesehenen Studien, welche sich dann oft im klinischen Alltag nicht durchsetzen können). Das heißt in Summe werden wir in den nächsten Jahren noch mehr behandeln können und auch müssen.
-In 10 oder 20 Jahren werden wir also deutlich mehr Behandlungsbedarf haben.
Wenden wir uns kurz der Gegenwart zu: der Mangel an Pflegepersonal ist in aller Munde und es gibt ja auch bereits eine Reform, die daran etwas verbessern soll. Was aber nicht in der öffentlichen Diskussion stattfindet ist eine Diskussion über das restliche Fachpersonal, welches ebenfalls meist eine 3-jährige Ausbildung hat: OTA (Operationstechnische Assistent/in), MTA (medizintechnisch Assistenten), MFA (medizinische Fachangestellte, ehemals Arzthelfer). Auch Ärzte dürfen hier nicht unerwähnt bleiben auch wenn sie keine 3jährige Ausbildung haben, sondern ein mindestens 6jähriges Studium und eine 5jährige Weiterbildung.
Das Problem hierbei ist das gleiche, wie bei der Pflege: jede Klinik ist auf der Suche nach neuem Fachpersonal. Ich gehe davon aus, dass im Großraum München mehr Personal vorhanden ist, als zB in ländlichen Gebieten. Trotzdem höre ich von allen Seiten: Fachpersonal händeringend gesucht!
Wenn wir also jetzt die beiden Absätze zusammenziehen, haben wir in 10 oder 20 Jahren einen deutlich erhöhten Bedarf an Behandlungsmöglichkeiten aber höchstwahrscheinlich nicht das Fachpersonal um diese Durchzuführen. Als Beispiel möchte ich aufführen, welche Menge an Fachpersonal nötig ist um eine Operation durchzuführen: Je nach komplexität des Eingriffes sind 1-3 Chirurgen nötig, meistens reichen ein oder zwei, aber es sind immer 2 OTAs notwendig, weil sie zusammenarbeiten: einer ist steril und der andere ist unsteril. Außerdem ist für die Anästesie noch ein Anästhesist und eine Anästhesiepflege nötig. Zusammengefasst braucht man, auch für einen kleinen ambulanten operativen Eingriff, mindestens 2 Fachärzte und 3 ausgebildete Fachkräfte. Zugegeben einer der beiden OTAs kann auch in der Ausbildung sein, aber muss gut eingearbeitet sein, und mindestens im 2. Jahr.
OTAs sind so eine Mangelware, dass die Kliniken diese oft nur über Zeitarbeitsfirmen bekommt, wo die OTAs ein höheres Gehalt bekommen, die Klinik aber deutlich mehr kostet. In meinem Krankenhaus sind aktuell sogar OP-Sääle gesperrt, weil wir zu wenig OTAs haben. Wenn wir kurz die Kliniken verlassen und auf den Arzt in einer Praxis schauen: dieser braucht vor allem MFAs, aber auch hier ist es schwierig offene Stellen zu besetzen.
Aktuell sehe ich vor allem dahingehend in der Zukunft keine Besserung, weil wir wegen der konstant hohen Belastung an das vorhandene Personal diese auch aus dem Fach vergraulen. In jeder Notaufnahme, wo ich bereits gearbeitet habe, ist das Notaufnahmepersonal reihenweise weggegangen, teilweise im Haus auf andere Stellen, teilweise sogar der Medizin den Rücken gekehrt. Wir befinden uns in einer Spirale, die langfristig große Schäden anrichten wird.
Ergänzend möchte ich noch sagen, dass ich nicht gegendert habe, damit es einigermaßen übersichtlich bleibt, denn das Thema ist schon komplex genug. Eigentlich hätte ich überall die weibliche Form hernehmen können, denn die Mehrheit bei all diesem Fachpersonal ist weiblich.
Dieses Thema ist noch deutlich komplexer und kratzt mit den Informationen oben gerade nur an der Oberfläche. Komplexer wollte ich es aber nicht gestalten, und ich hoffe, dass meine große Sorge klar geworden ist: In 10 oder 20 Jahren können wir viele Erkrankungen nicht behandeln, weil wir dafür zu wenig Personal haben. Und das betrifft leider uns alle…