Wieso sind die denn so stark gestiegen? Sicherlich nicht weil es weniger gefördertes Gas gab. Das sind doch größtenteil Mitnahmeeffekte des Krieges.
Es gab grob zwei Phasen:
-
Phase: seit Sommer 21 steigt nach dem „Corona-Einbruch“ der Wirtschaft der Gasverbrauch in Europa wieder. Der größte Lieferant Russland fährt seine Lieferungen jedoch nicht hoch. Jenseits von Russland gibt es aber kaum Anbieter, die schnell mehr nach Europa liefern können. Aufgrund der allmählichen Verknappung steigen die Preise zunächst langsam, im Herbst/Winter dann sprunghaft an. Von Anfang 2021 bis September verdoppelt sich der Erdgaspreis von ~4 ct/kWh auf ~8 ct/kWh. Dann geht es über den Winter und mit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine hoch auf ~16 ct/kWh.
-
Phase: Im Sommer 22 drosselt Russland seine Lieferungen deutlich. Von Mitte Juni bis heute steigt der Erdgaspreis dadurch von ~16 ct/kWh auf nunmehr 34 ct/kWh.
Dies ist logisch unmöglich. Der Erdgaspreis ist ja in Europa so absurd hoch, dass alles Gas, was nach Europa geliefert werden kann, bereits hier ankommt (außer aus Russland, natürlich). Wenn nun die Speicher besonders schnell gefüllt werden sollen, muss man dieses Erdgas den europäischen Verbrauchern wegnehmen. Das geschieht über den Preis. Wenn man dessen Effekt ausgleicht, indem man die Gasverbraucher für Mehrkosten entschädigt, dann wird sich die zum Befüllen der Speicher notwendige Verbrauchseinschränkung nicht einstellen.
Rein physikalisch war man im Heck der Titanic nie weiter von der Wasseroberfläche entfernt als kurz vor deren Untergang. Wer in dieser Situation bereit gewesen wäre, sehr viel Geld für einen Platz im Rettungsboot auszugeben, den hätte man aber wohl kaum der Spekulation bezichtigt.
Die Erklärung für die „Nichtnerds“ Gasumlage für eine stabile Energieversorgung | Bundesregierung
Das Fazit aus den Aussagen ist:
- die Entscheidungen der Politik hat den Beschaffungspreis für Gas erhöht.
- durch diesen erhöhten Beschaffungspreis kommen Versorger in Schieflage und müssen gerettet werden. Nicht alle sondern nur die die auch vorher schon Probleme hatten.
- um diese Rettung zu bezahlen machen wir eine Gasumlage wo jeder Verbraucher zusätzlich zum erhöhten Preis noch einen Obolus dazu bezahlen muss.
Dem widerspreche ich, denn kurz vor dem Untergang ist das Heck der Titanik erst noch mal richtig in die Höhe gestiegen, was durch die Buglastigkeit (Physik) des Schiffes bedingt war.
Dieses Beispiel ist Beispielhaft für die Art der Kommunikation bei diesem Thema
Erster Satz:
Durch weniger Gaslieferungen aus Russland müssen Importeure unter hohen Kosten Ersatz beschaffen – sie werden durch eine Umlage dabei unterstützt.
Damit ist doch alles gesagt.
Widerspricht der Aussage dass Russland weiterhin die vereinbarte Menge Gas liefert.
Dass die bestellten Mengen geliefert werden, das behauptet doch nicht einmal die russische Seite: Exclusive: Russia's Gazprom tells European buyers gas supply halt beyond its control | Reuters
DIese Überlegung berücksichtigt aber nicht das ganze Bild:
- Es dürfte mittlerweile jeder Verbraucher mitbekommen haben, das Gas gespart werden muss. Das allein sollte schon unabhängig vom Preis Auswirkungen auf den Verbrauch in einer (solidarischen) Gesellschaft haben.
- Menschen (und vorallem private Verbraucher) sind kein Homo-Oekonomicus. Keiner screent fortlaufend seinen Gas-Verbrauch und rechnet aus, wie viel er diesen Tag, diese Woche, diesen Monat etc. verbraucht hat, um zu überlegen, ob er sich das leisten kann oder will. Es werden 11 (manchmal 12) Abschläge gezahlt und am Ende kommt die Rechnung. Die kann man dann entweder zahlen oder vielfach auch nicht.
- Wenn private Haushalte alles auf das Nötigste reduziert haben, besteht kein wirklicher Raum mehr zusätzlich zu sparen. Preisänderungen (wie schon die Umlage) werden größtenteils einfach hingenommen, ohne das sich verbrauchsmäßig etwas ändert.
- Die Mehrkosten für einen Teil der Gesellschaft werden dazu führen, dass es zu einer erheblichen Verschiebung des verfügbaren Einkommens weg von „Gasverbrauchern“ kommt. 50% der Deutschen haben Glück, die anderen Pech. So sollte Politik m.E. nicht funktionieren.
Was eventuell auch einfach daran liegt, dass sie extrem intransparent ist. Sowohl das Verfahren wieso es eine Umlage sein soll, wie auch die Ermittlung dieser.
Die entsprechende Verordnung sieht das etwas anders. Bereits im ersten Absatz wird explizit auf Insolvenzen von Unternehmen des Gasimports eingegangen (https://dserver.bundestag.de/btd/20/029/2002985.pdf). Das macht die Umsetzung für alle Importeure ja so kritisch und kommunikativ umso katastrophaler.
Abgesehen davon ist es auch mal wieder ein Drücken um die politische Verantwortung. Das Energiesicherungsgesetz schreibt in Paragraph 26 explizit davon, dass Bestimmungen zur Berechnungsgrundlagen des finanziellen Ausgleichs zu machen sind. Da einfach zu sagen, es wird auf Trading Hub Europe ausgelagert, die zwar fachlich Ahnung haben sollten, aber keine demokratische Legitimation einer staatlichen Stelle haben, ist bei der Relevanz doch sehr fragwürdig.
Glaube das Ziel ist schon wichtiger als die Details der Ermittlung. Finde es war zu jeder Zeit gut erklärt, dass es darum geht gestiegene Kosten fair zu verteilen und Unternehmen vor der Insolvenz zu retten (was weitere Kosten und Verwerfungen verursachen würde) .
In dem Moment, wo es aber offensichtlich nicht darum geht Unternehmen vor der Insolvenz zu bewahren, sondern alle ein Stück vom Kuchen erhalten sind die Details schon interessant. Da aber genau ein zentrales Ziel eben anscheinend nicht so wichtig ist wäre es wichtig den Prozess nachvollziehen zu können.
Als Vergleich: Die EEG Differenzkosten sind zwar auch komplex aber immerhin konnte und Mensch sie, wenn man denn wollte, nachvollziehen. Das geht auch jetzt noch in der nicht mehr über die Umlage finanzierte Form. Aufwendig ja, aber machbar. Dagegen ist die Gasumlage eher eine komplette Blackbox.
Auf Seite 2 steht dann aber auch, was ohne die Umlage passieren würde:
Ohne die Regelung einer saldierten Preisanpassung käme zur Behebung der beschriebenen Problematik insbesondere das Preisanpassungsrecht nach § 24 des
Energiesicherungsgesetzes in Betracht. Die durch die Lieferausfälle entstandenen
Kosten würden nicht gleichmäßig, sondern allein entlang der jeweiligen Lieferkette entstehen. Entlang der Lieferkette könnte es zudem zu einer Unterbrechung
der Weitergabe der Preisanpassungen kommen. Dies würde absehbar zu erheblichen finanziellen Belastungen einzelner Energieversorgungsunternehmen in der
Lieferkette bis zu ihrem Ausfall durch Insolvenz führen und würde wiederum die
Erfüllung einer Vielzahl von Lieferverträgen gefährden.
Es bedarf einer Regelung der Weitergabe der Ersatzbeschaffungskosten, die
gleichmäßiger wirkt, um eine zufällige und ungleichmäßige Verteilung des Kostenrisikos unter den gewerblichen und privaten Verbrauchern zu vermeiden.
Die Umlage dient somit dazu, die unvermeidbaren Kosten der Ersatzbeschaffung gleichmäßig auf alle Gaskunden zu verteilen. Dadurch wird (hoffentlich) verhindert, dass einzelne Marktteilnehmer finanziell überfordert werden. Aber dies betrifft die gesamte Lieferkette bis zum Endkunden und eben nicht nur ein paar Gas-Importeure wie Uniper. Die könnten ihre Mehrkosten, die sie aufgrund der ausbleibenden russischen Lieferungen haben, ohnehin versuchen weiterzugeben - allerdings nur an ihre eigenen Kunden.
Nur weil diese Alternative aus meiner Sicht noch schlechter ist, heißt es nicht, dass dir aktuelle besser ist. Nach § 24 des
Energiesicherungsgesetzes wäre es sehr wahrscheinlich ein noch größerer bürokratischer und ebenfalls intransparenter Vorgang. Dazu, wie du korrekt anmerkst, wäre es auch innerhalb der Gaskundinnen am Ende noch mehr mit Glück oder Pech verbunden wie stark der Preis steigt. Gäbe ja darüberhinaus noch weitere Möglichkeiten als nur die beiden gerade genannten Paragraphen.
Hier ein Kommentar vom Deutschlandfunk:
Zur Erinnerung: Ginge es nach den Grünen und anderen Akteuren, läge die Abnahme von Gas aus Russland am liebsten bereits bei null. Es wirkt ein bisschen widersprüchlich, dies gewollt zu haben und im Herzen noch immer zu wünschen und gleichzeitig eine mangelnde Bereitschaft Russlands zu beklagen, mehr zu liefern – zumal diese Lieferungen aus Russland durch eigene Sanktionen behindert werden. Im Ergebnis sinkt die Menge der bezogenen fossilen Rohstoffe aus Russland – nicht aber der Erlös aus dem Verkauf.