Feedback zum Interview Nicola Fuchs-Sünteln [LdN 451/452]

Ich weiß nicht wie es anderen ging, aber mein Eindruck nach der Doppelfolge war ziemlich ernüchtert. Um gleich den pointiertesten Gedanken an den Beginn zu stellen:

So viel Aufwand und Aufmerksamkeit für eine weitere Stimme, der - gefragt nach den wichtigsten Sofortmaßnahmen - nichts besseres einfällt als das alte Mantra von Deregulierung, Flexibilisierung (Noch mehr Risiko!) und mehr Subventionen für Unternehmen.

Ich weiß, sie hat sich z.T. auch differenzierter geäußert und auch die hohe soziale Ungleichheit (oder zumindest das dadurch ausbleibende Wachstum :upside_down_face: ) kritisiert. Aber alle Differenzierung hilft ja irgendwie auch nichts, wenn am Ende keine neuen Ideen stehen. Hier hätte ich mir mehr kritische Nachfragen gewünscht: Wie sollen die Maßnahmen der letzten 30 Jahre (Deregulierung, Flexibilisierung, mehr Unternehmenssubventionen) denn jetzt helfen, nachdem sie uns überhaupt erst in diese Lage geführt haben?

Insgesamt habe ich aus dem Interview leider nichts gelernt, keine neue Perspektive mitgenommen oder mich mit irgendwas kritisch auseinandersetzten können. Alles war sehr oberflächlich und wie oben bemerkt die ökonomischen Ansichten recht krude, meines Erachtens. Zum Thema “Wachstum? - Wachstumszwang?” oder auch zum Thema “Aufstieg der Rechtspopulisten - Vergleiche in Europa.” wären mal superspannend mit entsprechenden Gesprächspartner:innen, ebenso eine kritische Auseinandersetzung mit dem Neoliberalismus, den Frau Fuchs-Sünteln propagiert. Dass muss ja kein Marx-Seminar sein, Keynes reicht ja schon. Ulf und Philipp landen ja selbst immer wieder auf dem Talking Point, dass es v.a. öffentliche Investitionen braucht in der aktuellen Lage, so verstehe ich sie jedenfalls.

15 „Gefällt mir“

Sehe ich genauso.

Befürchte so kreativlos wie der Hinweis auf die Bürokratie ist auch alles was Schwarz Rot so zu bieten hat. Über 100 Mrd Investitionen spricht schon keiner mehr. Wo gehen die hin?

3 „Gefällt mir“

Stimme zu.

Als sie auf das Lieferkettensorgfaltgesetz hinwies, dachte ich: ja, das ist nicht gut, aber das gibt’s auch erst ein paar Jahre und es ist ja nicht so, als wäre die Wirtschaft ohne Fesseln gewesen.

Was mich am meisten enttäuscht hat, dass ihr beim Bürokratieabbau nur so Einzelmaßnahmen einfallen, keine strukturellen Ideen. Man könnte sich den Leiterbeauftragten (Beispiel von Philipp) ja mal nehmen und überlegen, was man grundsätzlich ändern muss, damit es automatisch nicht zu solchen Ausprägungen kommt, als jetzt jede schlechte Ausprägung einzeln zu bekämpfen.

Warum spielt zB. im Deutschen Recht Zeit eine so untergeordnete Rolle. Wenn ich die Wahl habe zwischen:

  1. das Beschaffungsamt der Bundeswehr hat 10 Monate gründlich geprüft und
  2. das Beschaffungsamt hat 4 Jahre vollständig geprüft

Dann ist doch klar, dass ersteres grundsätzlich besser ist. So tickt aber bislang das Recht nicht.

2 „Gefällt mir“

Ich fand’ es auch ziemlich schwach leider, die Frau hat nun wirklich einfach das neoliberale Playbook runtergebetet. Und da, wo sie leicht davon abgewichen ist, hat sie ihre eigenen Positionen auch fast direkt wieder relativiert (Erbschaftssteuer ja gut, aber eigentlich egal, doch lieber in Wachstum und Bildung investieren).

Ich fand es im Hinblick auf die degrowth Debatte hier im forum übrigens sehr spannend. Einige Foristen vertreten ja den Standpunkt, heutige Volkswirte würden gar nicht das Wirtschaftswachstum so hoch halten wie immer behauptet - und dann hören wir eine komplette Doppelfolge, dass uns eigentlich nur das Wachstum retten kann. Klar, sie ist keine akademische, aber offensichtlich eine einflussreiche Ökonomin. Ich finde, diese Folge illustriert sehr gut, warum man auch die Gegenpositionen einladen sollte, die nicht aus der klassischen, sondern meinetwegen aus der ökologischen oder feministischen Ökonomik kommen.

2 „Gefällt mir“

Tatsächlich hat mir das Interview die Augen geöffnet, wie niedrig das Aufkommen von Erbschaftsteuer im Vergleich anderen Steuerarten ist. Ich habe das noch einmal nachrecherchiert:

Wenn die steuerlichen Ausnahmeregelungen und Verschonungsprivilegien für Großvermögen und Unternehmensnachfolgen abgeschafft würden, läge der Anteil der Erbschaftsteuer am gesamten Steueraufkommen in Deutschland etwa doppelt bis dreimal so hoch wie heute – also bei rund 2 bis 3 Prozent statt nur 1 Prozent.

Wir sprechen aber dennoch von einem zusätzlichen Steueraufkommen für die Länder von 25 bis 30 Mrd. € pro Jahr. Der Großteil der Bevölkerung wäre von einer Reform nicht betroffen, da über 90 Prozent aller Erbschaften innerhalb der hohen Freibeträge steuerfrei bleiben würden.

Lass mich das mal reframen: Es gibt immer mehr Volkswirte, die Wirtschaftswachstum als Credo oder Ziel an sich infrage stellen. Es ist aber nach meinem Empfinden immer noch eine Minderheit und meines Wissens gehören - auch international - keine der heute führenden Volkswirte dazu.

Zum einen, weil meines Wissens keinen von Ihnen bislang die Frage beantwortet hat, wie denn ein Wirtschaftssystem aussehen soll, in dem keine erschöpfbaren Ressourcen mehr verbraucht werden. Will man das bestehende, marktwirtschaftliche System - das auf individuellen Entscheidungen von Konsumenten und Unternehmern gem. ihrer eigenen Nutzens beruht - so modifizieren, dass im Ergebnis keine erschöpfbaren Ressourcen mehr verbraucht werden. Oder will man ein durch wenige geplantes und gesteuertes Wirtschaftssystem, um dieses Ziel zu erreichen? Oder gibt es noch eine dritte Variante? Ich selbst habe noch nicht einmal eine Ahnung einer Antwort.

Zum anderen, weil die meisten Vertreter dieses Wissenschaftler-Segments rein normativ argumentieren und dabei eigentlich das Gleiche sagen, was in den 80er Jahren der Club of Rome, d.h. die Autoren von „Die Grenzen des Wachstums“ gesagt haben: Unendliches Wachstum ist in einer Welt endlichen Ressourcen schlechterdings möglich.

So habe ich das nicht verstanden. Sei’s drum, aber:

Das eine Argument kann man nun mal nicht wegdiskutieren: Ohne Wachstum oder mit negativem Wachstum werden die Verteilungskämpfe um knappe Ressourcen, Einkommen und v.a. Vermögen sicherlich härter und damit nimmt die Spaltung der Gesellschaft zu! D.h. nicht, dass ich mich pro Wachstum ausspreche. Es heißt nur: Wie auch immer wir ein Wirtschaftssystem erfinden und umsetzen, in dem keine erschöpfbaren Ressourcen mehr verbraucht werden, müssen wir immer mitdenken, wie wir das umsetzen und dabei eine demokratisch relevante Mehrheit mitnehmen können.

5 „Gefällt mir“

Lieber TilRq, lieber Matteo,

ich teile die Ansicht der anfänglichen Einschätzung zur Folge von Cedric.

Aber hier zur spannenden Diskussion über die Grenzen des Wachstums.

Ich stimme TilRq zu, dass die Verteilungskämpfe ohne Wachstum zunehmen. Dennoch möchte ich die sehr abstrakte theoretische Diskussion kurz anhand eines konkreten Beispiels aus dem Alltag verdeutlichen:

Wachstum löst Probleme der Knappheit nicht automatisch, sondern kann sie verschärfen:

  1. Knappe Ressource Land: Die Wertsteigerung von begrenztem Land und Wohnraum in Metropolen wird durch die erhöhte Nachfrage aus dem Wirtschaftswachstum (mehr Jobs, Zuzug) getrieben.

  2. Übertragung auf Miete: Dieser Vermögenszuwachs von Immobilienbesitzern schlägt über die Mietpreiskalkulation auf die Mieten durch.

  3. Inflation: Die steigenden Mieten belasten als direkter Bestandteil die offizielle Inflationsrate und die Kaufkraft der Mieter.

Die Kernaussage: Wenn das BIP wächst, aber die Preise für knappe Güter (wie Wohnen) schneller steigen als die Löhne, dann nimmt die Spaltung der Gesellschaft zu, obwohl Wachstum vorhanden ist.

Das illustriert, dass wir uns nicht nur fragen müssen, ob wir Wachstum brauchen, sondern welche Art von Wachstum wir wollen und wie wir mit der Knappheit von nicht-reproduzierbaren Gütern umgehen. Die aktuellen Mechanismen der Knappheitsmärkte führen selbst bei Wachstum zur Umverteilung von Arm nach Reich und schüren so die Verteilungskonflikte, die TilRq zurecht anspricht.

3 „Gefällt mir“

Genau das ist auch mein Problem. Auf das Wachstumsprinzip zu schimpfen ist wegen Klimawandel und Vermögensungleichheit ja erstmal intuitiv und einfach. Geht es jedoch um konkrete Vorschläge die realistisch umsetzbar wären und die Situation nicht verschlechtern: *Crickets*

Einige Gedanken noch einmal zum Wachstumsbegriff …

  • Der Begriff ist im Geiste der Argumentierenden stets mit begrenzten physischen Ressourcen verbunden, insbesondere mit fossilen Brennstoffen. Dabei kann Wachstum auch aus Intangibles entstehen (Dienstleistungen, Digitalisierung, irgendjemand?)
  • Wachstum entsteht auch aus Produktivitätsfortschritten. Es ging von der Agrarwirtschaft zur Industriewirtschaft, dann zur Finanzwirtschaft, dann zur Digitalwirtschaft. Es ist vielleicht gesund stets davon auszugehen das aktuell nun wirklich das Ende der Fahnenstange erreicht ist. Aber was passiert denn wenn übermorgen dann doch ein neuer Durchbruch gelingt, z.B. in der Energie-Erzeugung oder auch nur -Speicherung? Der nächste bahnbrechende Schub kann jederzeit um die Ecke biegen. Man stelle sich vor die Menschen im 17. oder 19. Jahrhundert hätten die Hände in die Luft geworfen und gesagt “Halt, Stopp, Geburtenraten auf Bevölkerungsstabilität, alles wird gleich verteilt und durchgeplant, wir frieren unseren Zustand jetzt hier ein”.

Nicht, dass ich mit meinen Forderung nach umsetzbaren Alternativen falsch verstanden werde:

Die Erkenntnis ist und bleibt richtig, dass wir uns auf einem Planeten mit begrenzten Ressourcen (zu denen auch die Atmosphäre gehört: Klima) einen Verbrauch begrenzter Ressourcen schlicht und ergreifend nicht leisten können.

Dabei sind folgende Argumente gegen „Postgrowth aller Art“ Schein-Argumente:

  • Verweise auf das BIP als unsinniges Maß für Wohlstand und Wachstum. Das ist zwar richtig. Ändert aber an der Erkenntnis nichts.
  • Technischer Fortschritt: Das, was intuitiv ohnehin sofort einleuchtend ist, wurde m.W. in Studien immer wieder belegt: Technischer Fortschritt kann dazu beitragen, dass man zur Produktion ein und des selben Guts immer weniger Ressourcen benötigt. Wenn aber die Konsummenge wie auch die Werthaltigkeit dieses Guts immer weiter wachsen, kann technischer Fortschritt allein wohl niemals dazu führen, dass wir irgendwann keine begrenzten Ressourcen bei dessen Produktion mehr verbrauchen werden.
  • Kreislaufwirtschaft: Ebenso ist undenkbar, dass in einem globalen Wettbewerb ohne massivsten regulatorischen Eingriff eine Wirtschaft entsteht, in dem neue Güter nur noch aus den Ressourcen recycelter Güter produziert werden. Die Kreislaufwirtschaft nimmt heute immer noch nur einen sehr kleinen Teil der volkswirtschaftlichen Input-Ressourcen ein. Und das für viele Stoffströme nur, weil der Staat es über verbindliche Recyclingquoten (z.B. Kunststoffproduktion) oder Rücknahmepflichten (z.B. E-Schrott) vorschreibt und künstliche Märkte geschaffen hat. In manchen Fällen ist es schon rein physikalisch nicht denkbar, dass das jemals ökonomisch sinnvoll sein wird: Die Produktion eines Yogurtbecher „kostet“ einen Tropfen Erdöl. Das Trennen, Sammeln, der Transport und die Verarbeitung dieses Yogurtbechers kostet so viele mehr Ressourcen, dass die meisten Kunststoffumverpackungen, die deutsche Haushalte heute so diszipliniert sammeln, letztlich als EBS (Ersatzbrennstoff) in Müllverbrennungsanlagen landen - genau so, wie der Restmüll. Warum trennen wir alle nochmal? Damit wir ein Trenn- und Sammel-System etabliert haben in der Hoffnung, dass irgendwann der Technische Fortschritt das Wunder vollbringt, was heute Physikalisch Gesetze unmöglich machen? Vielleicht trennen wir in der Hoffnung, dass die Hersteller von Yogurt irgendwann die Kosten für das Trennen, Sammeln, der Transport und die Verarbeitung des Yogurtbechers tragen müssen, damit sich Sammeln, Transport und Verarbeitung lohnt. Weil aber die Hersteller diese Kosten auf die Konsumenten abwälzen müssen, scheitert so etwas wieder an der Angst der Politiker vor ihren Wählern. Obwohl das Abwälzen sinnvoll ist: Konsumenten werden die diese Veränderung von relativen Preisen von Herstellern kaufen, die ihren Yogurt z.B. in Mehrwegverpackungen verkaufen.

Kurz: Wir benötigen dringender denn je eine Lösung für die berechtigte Forderung, dass wir bei der Produktion von Güter lieber früher als später keine begrenzten Ressourcen mehr verbrauchen. Und das muss m.E. ein Wirtschaftssystem sein, in dem durch Regulatorik die relativen Preise und Kosten so verändert werden, dass Konsumenten und Unternehmer als Homo Oeconomicus sich für Alternativen entscheiden, bei denen keine begrenzten Ressourcen mehr verbraucht werden.

Ich habe bei den Postgrowth-Ökonomen leider noch keinen gefunden, der so ein System beschrieben hätten. Wer mich auf Wissenschaftler verweisen kann, der sich ernsthaft mit solchen Lösungen beschäftigt, dem ich ich dankbar.

1 „Gefällt mir“

Ich glaube für unser Problem brauchen wir eine Entlastung des Faktors Arbeit. Es muss zwingend zu einer Reduzierung der Sozialabgaben kommen. Nur so werden niedrige und mittlere Einkommen stark entlastet. Das hierfür notwendige Geld muss man sich aus dem Vermögen und aus den Erbschaften holen. Hierzu müssen eben Änderungen im Finanzsystem zwischen Bund und Ländern geändert werden. Man könnte ja z.b genauso wie es eine Obergrenze bei den Sozialabgaben gibt auch an einen Freigrenze von unten, ähnlich dem Steuersystem, denken.

Mit einer Reduzierung der Lohnnebenkosten im Bereich der Sozialabgaben werden zwei Dinge erreicht die uns derzeit fehlen:

Arbeit und damit Produktion wird günstiger, Konsum im Inland wird gestärkt

Punkte wie Deregulierung, Endbürokratisierung tragen dann noch dazu bei. Aber ohne einen großen befreiungsschlag beim Thema Arbeit ist das irrelevant.

Zum Interview selbst: Fragen zur Deregulierung enden meist in allgemeinen Sätzen und nicht in konkreten Vorschlägen. Konkrete Vorschläge sind halt einfach schwierig zu machen und nicht in zwei Sätzen zu beantworten.

Interessante Unterstellung. Vielleicht missverstehe ich dich und du meinst die Argumentierenden hier im Forum. Aber ansonsten habe ich das Gefühl, dass diejenigen (Volkswirtschaft, Wirtschaftspolitik, journalistisches Kommentar dazu) die typischerweise unkritisch mit dem Wachstumsbegriff arbeiten und von einem implizierten Wachstumszwang ausgehen, gerade die sind, die dabei nicht an physische Ressourcen denken. Sonst würde man ja eigentlich auch ziemlich schnell an deren Endlichkeit erinnert werden oder? Meine Unterstellung wäre, dass wir längst in einer Realwirtschaft leben in der jedem einzelnen in seiner Lebenswahrnehmung gerade physische Ressourcen unendlich vorkommen. Wenn man an volle Regale im Supermarkt denkt, an alles mögliche, dass jederzeit binnen weniger Tage zu einem nach Hause geliefert werden kann, nie ist irgendwas mal richtig leer oder physisch nicht verfügbar. (Finanziell nicht verfügbar, ja, aber das ist eine andere Facette des Kapitalismus.)

Ich glaube, das Problem ist, dass wir (im globalen Norden) in den letzten 50+ Jahren derartige Produktivitätssteigerungen erlebt haben, dass es normal geworden ist, gar nicht mehr über die materielle Grundlage unseres Wirtschaftens nachzudenken. Die meisten Menschen in Deutschland arbeiten im Dienstleistungssektor. Selbst die, die im produzierenden Gewerbe oder der Industrie arbeiten, haben oft Dienstleistungsjobs, nur die aller wenigsten arbeiten noch direkt am „Materialstrom“.

Negativ. Ja, die Digitalisierung kann wieder gewaltige Produktivitätsgewinne erzeugen, aber es ist der innere Wettbewerb, der Unternehmen in einer Marktwirtschaft dann wieder zwingt zu expandieren. Die Digitalisierung hat ja in den letzten Jahrzehnten einfach ihre eigenen Bedarfe geschaffen, sodass der Energiebedarf des Internets einfach immer weiter wächst und die Möglichkeit genutzt wird einfach immer mehr Daten zu erfassen, zu speichern und zu verarbeiten. Mit Large Language Models (KI-Textverarbeitung) und anderen generativen KI hat man jetzt ja neue Methoden der Datenverarbeitung normalisiert, die zum einen nochmal schnell noch mehr Daten erzeugen und noch mehr Energie für die Verarbeitung benötigen. Und das derzeit ohne, dass die Effizienzgewinne in der Gesamtwirtschaft das rechtfertigen. Tech-Konzerne investieren trotzdem Milliarden in neue Datencenter und eigene Kraftwerke, weil sie wissen, dass sie hier wachsen müssen, wenn sie weiter am Markt bleiben wollen.

Dieses strukturelle Grundproblem der kapitalistischen Wirtschaft bekommt man leider nicht weg. Da hatte Marx einfach Recht, egal wie man zu seinen Lösungsvorschlägen steht. Das Konkurrenzverhältnis zwischen den Unternehmen zwingt diese dazu immer neue Formen der Kapitalisierung zu finden.

Ist es. Aber so kann ein Unternehmen am freien Markt nicht agieren. Kleine Unternehmen können vielleicht noch eine Zeit lang ihr Geschäftsmodell relativ gleichbleibend halten und einzelne Selbstständige können sich durch besondere Leistungen oder Reputation in überschaubaren Verhältnis ein gutes Leben machen. Aber schon mittlere Unternehmen stehen im Konkurrenzkampf und haben stets die Wahl sich zu vergrößern oder irgendwann von der Konkurrenz übernommen zu werden. (Egal, ob tatsächliche Übernahme durch Kauf oder Geschäftsaufgabe wegen Einbruch der Auftragslage.) Mittlerweile ist ein Großteil der tatsächlichen Wirtschaftsleistung (also dem monetär messbaren Output) in Großunternehmen organisiert, die in globaler Konkurrenz stehen. Davon ist wiederum der allergrößte Teil mit Dienstleistungen belegt, meist Finanzdienstleistungen. Die Bereitstellung von Kapital für reale wirtschaftliche Investitionen spielt dabei inzwischen nur noch eine untergeordnete Rolle. So lässt sich, in der Theorie, der Wachstumszwang unendlich fortsetzen, indem man frei nach dem Gesetz der großen immer größere Renditenspiralen mit immer größeren auf verschiedenen Wetten basierenden Einsätzen erlaubt. In der Praxis entzieht das immer wieder genug Kapital aus der Realwirtschaft, um dort zu Mehrarbeit zu motivieren und die Ausbeutung physischer und menschlicher Ressourcen voranzutreiben.

Bei der Digitalisierung kommt zu dem, was ich oben genannt habe noch die Ausbeutung eines ganz neuen Produktes hinzu, dass auch noch nicht zu Ende „abgebaut“ wurde: Nutzungsdaten. Dabei ist fraglich, ob Werbeschaltende, wenn sie reale Produkte bewerben wollen, wirklich am Ende mehr Budget haben. Aber wenn Tech-Unternehmen eine höhere Treffergenauigkeit versprechen, weil sie die Nutzungsdaten, dann können sie vielleicht die Effektivität der Marketing-Abteilung um X% steigern. Wird reale Werbung an Litfaßsäulen und bunten Bannern deshalb verschwinden? Nein, Außenwerber werden gezwungen sein, ihre Systeme zu modernisieren, ihre Abläufe zu verbessern und mit Online-Preisen mitzuhalten.

Und so geht es immer weiter, für jeden Bereich. Zwang, sich so weit es geht auszudehnen, ohne dass die gewonnene Produktivität tatsächlich für Einsparungen am anderen Ende sorgt.

… Gerade im späten 19. Jahrhundert gab es wahrscheinlich in Europa die größeren sozialistischen Gesellschaftsmehrheiten. Die Menschen haben das Leiden in neuen Elendsvierteln der Städte gesehen und darauf mit Protest reagiert. Vielen, gerade auf dem Land, waren neue Technologien nicht geheuer. Wenn es dafür damals die entsprechenden demokratischen Hebel gegeben hätte, wer weiß, was alles gestoppt worden wäre. Es war zu jeder Zeit die ökonomische Elite, die große strukturelle Veränderungen und Neuerungen (Strom, das Auto, das Handy, KI) vorangetrieben hat. Nicht immer hat die Mehrheitsbevölkerung da wirklich ein aktives Interesse gehabt.

Die Massenverbreitung der Autos, so ist man sich in der Mobilitätsforschung inzwischen fast einig, war beispielsweise völlig unnötig in den meisten Weltregionen. Insbesondere da wo sie schon vor 50+ Jahren stattfand, gab es sehr gut ausgebaute öffentliche Verkehrssysteme. Das Auto (als Massenprodukt) war und ist ein Konsumgut, dass für einen minimalen Zugewinn an individueller Flexibilität, maximale gesellschaftliche Kosten abverlangt

1 „Gefällt mir“

Was wäre so schwer daran, dem Jogurthersteller zu zwingen, Glas zu benutzen?
Das hätte den netten Nebeneffekt, dass der Jogurt palettenweise so schwer wäre, dass der Transport (Wir verbieten dem Lieferanten nämlich auch, Diesel zu benutzen.) so teuer wird, dass man nur noch lokalen Jogurt kaufen kann. Und der ist von Kühen, bei dem wir dem Bauern verboten haben Giftstoffe und übermäßig Nitrat zu benutzen. Weniger Joghurt für alle, mehr Erde für alle.

Mein Take wäre ein stark lokalisiertes Wirtschaftssystem. Wenn das Gros der persönlich erlebbaren Wirtschaft vor Ort stattfindet, sind Menschen geneigter menschlicher zu handeln. Löhne sind höher und Produkte von besserer Qualität. Die Leute haben ein direktes Intresse, dass die Fabrik um die Ecke nicht das Grundwasser verschmutzt und können nachvollziehen, wo die Lebensmittel im Supermarkt herkommen. Dafür müsste man sich aber auch viel Entschleunigung gegenüber dem heutigen Lebensstandard vorstellen. Nicht mehr die gesamte Produktpalette wäre das ganze Jahr verfügbar, nicht alles würde sofort auf Zuruf laufen. Man müsste wahrscheinlich nur noch 15 Stunden die Woche arbeiten und sich für die neu gewonnene Freizeit Tätigkeiten überlegen, die ihrerseits nicht unendlich Strom und Ressourcen fressen. Vielleicht was mit anderen Menschen machen. :upside_down_face: Das birgt natürlich immer die Gefahr auch noch andere gesellschaftliche Probleme zu lösen.

Nicola Fuchs-Schündeln argumentiert aus einem links-liberalen, aber ökonomisch fundierten Spektrum. Ihre Position ist keine neoliberale Forderung nach „mehr Markt“, sondern die nüchterne Feststellung, dass Wachstum die Grundlage unseres Geld- und Handelssystems bildet. Eine Volkswirtschaft, die auf Kreditgeld basiert, braucht Vertrauen in zukünftige Wertschöpfung – ohne Wachstum zerfällt diese Basis, weil Schulden, Renten und Handel ihre Deckung verlieren.

Wachstum ist damit keine Ideologie, sondern eine systemische Notwendigkeit. Konzepte wie Postwachstum, feministische oder ökologische Ökonomik sind in erster Linie moralische und gesellschaftliche Ansätze, keine empirisch belastbaren Wirtschaftstheorien. Moralische Ziele sind nicht monokausal umsetzbar – wirtschaftliche Systeme reagieren auf Anreize, nicht auf Absichten. Darum führen moralisch intendierte Eingriffe häufig nicht zu den gewünschten Ergebnissen. Wissenschaft beschreibt Zusammenhänge, Politik bewertet sie – und diese Trennung ist zentral, wenn man ökonomisch verstehen will, wie Dinge tatsächlich funktionieren.

3 „Gefällt mir“

Ich verstehe nicht, inwiefern das meinem Punkt widerspricht. Insbesondere nicht den Teil der nach dem “aber” folgt. Kannst du den Zusammenhang genauer erklären?

Etwas übertrieben: Da braucht es keine Wissenschaftler dafür. Daran arbeiten Unternehmen heute schon.

Es gibt tatsächlich beides:

Forschungsprojekte und bereits etablierte Lösungen

1 „Gefällt mir“

Ich dachte, das sei deutlich geworden.
Die Produktivitätsgewinne werden immer wieder durch Ausbau von Infrastruktur gefressen, der unterm Strich wieder mehr Energie kostet.

Ihr links sein zu unterstellen halte ich für gewagt.

Aber ich möchte einmal kritisch an die gemachten Argumente rangehen: Genau dieses „Wachstum ist keine Ideologie sondern einfach eine Gegebenheit“ ist eine Ideologie. Moderne (neoliberale) Ökonomik ist durchzogen von normativen Annahmen. Und dass Wissenschaft normativ verankert ist, hat sie überhaupt erst erfolgreich gemacht (siehe Aufklärung, Humanismus, Säkularisation,…).

Ja, wir leben in einer Kreditwirtschaft, die Ökonomik kennt aber auch andere Finanzierungsmodelle. Nichts ist in Stein gemeißelt und kein Wirtschaftssystem ist ein Naturgesetz. Volkswirtschaft mag sich als Mathematik verkleiden, aber Wirtschaft ist ein Sozialsystem. Es funktioniert nach politisch vereinbarten oder aufgezwungenen und gesellschaftlich geachteten tradierten Regeln und folgt in seinem inneren Wandel gesellschaftlichen Tendenzen und sozialen Regeln.

Postwachstum und andere Sozialwissenschaften als Esoterik hinzustellen, die ausschließlich normativ begründet und unseriös oder mithin nur politisch an sich sind finde ich hochgradig problematisch. Die Herleitung für Postwachstum ist streng naturwissenschaftlich: Energieerhaltungssatz, Materialkreislauf, Ökosysteme. Nichts davon lässt sich ökonomisch überschreiben oder negieren - vielleicht mal von einer Expansion der Weltwirtschaft ins All abgesehen.

Man kann argumentieren, dass der Wandel schwierig ist aber nicht, dass er für immer unmöglich bleibt. Wirtschaftssysteme sind sozial konstruiert. Was Menschen bauen können, können Menschen auch umbauen.

1 „Gefällt mir“

Du sagst natürlich wird mit Netflix auf der einen Seite zwar Umsatzwachstum generiert, auf der anderen Seite jedoch verursacht das ganze Streaming immense Energiekosten? Was bedeutet, dass auch Wachstum durch intangible Güter physische Ressourcen verbrauchen?

1 „Gefällt mir“

Ich würde Umverteilung und Vermögensbesteuerung klar als links-liberale ökonomische Themen einordnen. Dabei geht es mir nicht um politische Haltungen, sondern um inhaltliche Zuordnung.

Gleichzeitig sehe ich bisher keinen wissenschaftlich belastbaren Nachweis, dass eine Postwachstums- oder Degrowth-Ökonomie global tragfähig wäre. Ebenso existiert kein eindeutiger Gegenbeweis – aber die meisten Ansätze bleiben auf theoretischer Ebene und liefern kein konsistentes makroökonomisches Modell, das Schuldenstabilität, Wohlstand und politische Machbarkeit gleichzeitig abbildet.

Nach großen Krisen oder Kriegen haben sich Geld- und Wirtschaftssysteme historisch mehrfach verändert (etwa Bretton Woods, Nixon-Schock), doch immer unter dem Ziel, Wachstum und Kapitalstabilität zu sichern – nicht, sie dauerhaft zu ersetzen.

Die Marktwirtschaft pauschal als „neoliberal“ zu bezeichnen, halte ich für verkürzt. Sie ist ein Rahmen, der sowohl marktorientierte als auch soziale Elemente zulässt.

Eine sachliche Diskussion sollte Wirtschaft, Politik und Gesellschaft klar voneinander trennen, bevor man über Systemalternativen spricht. Nur so lassen sich reale Zwänge und normative Ziele sauber unterscheiden.

Zudem muss jede ökonomische Ordnung global gedacht werden. Kein Land kann sich dauerhaft von internationalen Kapital- und Handelsstrukturen abkoppeln.

Wohlstand ist ein universelles Ziel – doch sobald die Verteilung und Einschränkung davon zur Debatte stehen, wird es politisch und gesellschaftlich unhaltbar.

1 „Gefällt mir“