Ich habe in der vorherigen Mieter/Vermieter-Diskussion schon viel Raum eingenommen, ich hoffe ihr seht mir nach, wenn ich mich auch hier wieder zu Wort melde.
Die Vorstellung, dass das Anheben günstiger Bestandsmieten – also der Mietpreise alter, unter dem aktuellen Marktniveau liegender Verträge – zu einer Entlastung oder Stabilisierung der Mietmärkte führt, ist weit verbreitet.
Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass dadurch Mieter mit günstigen Altmietverträgen zum Umzug bewegt würden, was mehr bezahlbaren Wohnraum freisetzt. Diese Annahme beruht jedoch auf einem stark vereinfachten marktwirtschaftlichen Modell, das in der Praxis kaum bestätigt wird. Empirische Studien, zum Beispiel von der OECD (2020), der London School of Economics (2018) und Kholodilin (2024), zeigen folgendes:
Ja, der sogenannte Lock-in-Effekt existiert: Durch das große Mietpreisgefälle verbleiben viele Haushalte trotz suboptimaler Wohnverhältnisse bei ihren günstigen Altverträgen, da ein Umzug in den höherpreisigen freien Markt finanziell oft untragbar ist.
Allerdings führt die Erhöhung dieser günstigen Bestandsmieten nicht zu einer signifikanten Marktbewegung oder Entlastung. Vielmehr steigt lediglich die Belastung, Verdrängung und soziale Segregation nehmen zu. Die Umzugsbereitschaft kann nicht steigen, da Alternativen fehlen. Leute, die ihre günstige Altmiete verlieren, können sich oft auch eine kleinere Wohnung nicht leisten - sie werden einfach komplett vom Wohnungsmarkt verdrängt (oder wären in Deutschland auf Wohngeld angewiesen).
Weiterhin illustrieren internationale Metropolen wie London, Paris und New York diesen Effekt eindrücklich: Mietsteigerungen im Bestand verstärken soziale und räumliche Ungleichheiten, ohne den Mietmarkt quantitativ oder qualitativ zu entlasten.
Im Gegensatz dazu zeigt Wien, wo sozialer Wohnungsbau und stabiler Mieterschutz Hand in Hand gehen, eine höhere soziale Durchmischung und Mobilität bei moderaten Mietniveaus.
Nachhaltige Lösungen erfordern eine Kombination aus sozialem Wohnungsbau, Neubau und verlässlicher Mietpreisregulierung. Ich habe kein einziges empirisch belegtes Beispiel gefunden, in dem eine Schließung der Lücke zwischen günstigen Altmietverträgen und teuren Angebotsmieten net-positive Effekte gezeigt hat. Negative Effekte hingegen durchaus. Das liegt daran, dass die ineffiziente Nutzung von Wohnraum nur ein Teil eines komplexen Problems ist, und die Schließung der Preislücke andere Teile verschärft, statt das Problem zu lösen.
Es gibt genug Städte, die uns in Sachen Wohnungsnot und Mietenkrise ein paar Jahrzehnte voraus sind. London und seine Entwicklung kenne ich ähnlich gut, wie Berlin. Hier probiert man seit den 80ern, mit Marktlogik und Deregulierung bzw. Privatisierung und dem einhergehenden Verlust stabilisierter Altmieten einem eskalierenden Problem Herr zu werden - mit katastrophalen Folgen. Der gewünschte Effekt effizienterer Raumnutzung ist sogar eingetreten, wie die Housing London 2021 Studie der Greater London Authority belegt: “Owner occupier households have an average of 41 m² per person while both private and social renting households have 26 m² per person.“
Mieter leben auf signifikant weniger Raum, als Eigentümer, aufgrund der extrem hohen Mieten. Die 26m2 sind ein Durchschnittwert. London hat u.a. durch seinen Status als globales Finandienstleistungszentrum und Metropole von Weltrang auch viele sehr wohlhabende Einwohner, darunter auch Mieter, die sich viel Grundfläche leisten können, egal, was sie kostet. Es gibt auf der anderen Seite auch noch einen kleinen Anteil Sozialwohnungen. Diesen Trend sehen wir zunehmend auch in Berlin.
Der Zustand der verfügbaren Wohnungen hat sich trotz der hohen Mieten jenseits des Luxussegments in London nicht positiv entwickelt. Beispiel aus einer BBC Investigativreportage August 2025 (“Illegal house-sharing exposed by BBC undercover filming”): „One property had around 10 tenants living in a two-bedroom flat with some beds missing mattresses and others stacked in bunk beds, with pervasive damp and mold.” Oder hier im Fall von völlig legalen, zumeist teuren Mietverträgen: “One in eight privately rented homes poses a serious health hazard, as government urged to clean up ‘Wild West’ sector by going after ‘slum’ landlords.” ( Revealed: Scandal of renters facing deadly hazards in their homes | The Independent )
Zusammenfassend lässt sich sagen: Die Anhebung günstiger Bestandsmieten ist weder ein effektives Mittel zur Verbesserung der Marktlage, noch garantiert sie Instandhaltung. Vielmehr verfestigt sie bestehende Probleme und erschwert den Zugang zu bezahlbarem Wohnraum, was mit allerhand sozialen und ökonomischen Folgeschäden einhergeht: Verdrängung und soziale Segregation, Überbelegung und schlechte Wohnqualität, massivem Anstieg illegaler HMOs, Wirtschaftliche Belastung, zunehmende Obdachlosigkeit…