Es besteht ja keine Frage, dass wir die Impfquote erhöhen müssen, insbesondere um eine Überlastung der Intensivstationen zu verhindern. Allerdings gilt dabei natürlich auch das Prinzip des mildesten Mittels und ich glaube da gibt es noch Möglichkeiten abseits der Impfpflicht, nämlich eine Entscheidungspflicht.
Eine Entscheidungspflicht könnte so aussehen, dass sich zwar nicht jeder Impfen muss, aber wer sich weigert müsste, nach einem Aufklärungsgespräch durch einen Artzt, unterschreiben
dass er sich der Risiken einer Corona infektion bewusst ist und diese in Kauf nimmt,
dass er im Rahmen einer Patientenverfügung auf lebenserhaltende Maßnahmen (Beatmung) im Falle einer Corona-Infektion verzichtet.
Eine solche Regelung wäre etwas milder als eine generelle Impfpflicht, immerhin besteht weiter die Möglichkeit eines opt-outs. Aber alle, die nur unentschlossen sind würden so gezwungen aktiv zu werden weil das opt-out eine genauso aufwändige Handlung erfordern würde wie das Impfen selbst.
Zuletzt würden die Intensivstationen entlasted, weil 1. sich so hoffentlich nochmal Menschen zur Impfung entschließen würden und 2. Die, die sich absolut weigern ja auf eine Behandlung verzichten würden.
Der Nachteil wäre selbstverständlich, dass einige der (hoffentlich wenigen) verbleibenden Impfverweigerer sterben würden, aber ich finde, wer sich bewusst dazu entscheidet, dem kann ein selbstbestimmter Tod nicht vorenthalten werden.
Viele Impfgegner sind glaube ich mittlerweile so verstrahlt, dass sie so etwas unterschreiben, um ihre „Freiheit“ zurückzuerlangen. Die Lösung ist ethisch zugegebenermaßen nicht einwandfrei, ist aber immerhin besser als wenn Leute sich Impfpässe fälschen und dann auf der Intensivstation landen.
Und wenn beides abgelehnt wird? Was machen wir dann? Das ist ja auch die ganze Krux mit der „Impfpflicht“. Binden wir dann Menschen am Stuhl fest und verpassen ihnen eine Impfung? Wieviel Gewalt will man anwenden? Denkt das doch mal zu Ende.
Nach der Logik kann man das auch mit Rauchern, Alkohol- und Drogenkonsumenten machen, Menschen die übergewichtig sind, oder nicht genug Sport treiben … was sind das für menschenverachtende Argumente hier?
Das hat mit Menschenverachtung nichts zu tun - es ist einfach eine Frage, die gesellschaftlich verhandelt werden muss: Welche Risiken möchten wir kollektivieren, d.h. gemeinschaftlich tragen - und für welche Risiken muss jeder Mensch für sich einstehen?
Bei den Corona-Folgen spricht dafür, sie nicht der Allgemeinheit aufzuerlegen, dass die betroffenen Personen sich ja hätten impfen lassen können. Damit man damit argumentieren kann, müsste man eine solche Regel allerdings mit einen ausreichenden Vorlauf einführen, damit die betroffenen Menschen noch eine faire Chance haben, sich impfen zu lassen (also z.B. zwei Monate).
Es gibt ja schon etliche Bereiche, wo der finanzielle Aspekte ein nicht unerheblicher Hebel sind.
Haftpflicht (auch wenn der Name Haftpflichtversicherung es suggeriert, es gibt keine gesetzliche Pflicht ) haftet man uneingeschränkt für Schäden die man verursacht.
Bei Verletzungen versuchen alle Krankenversicherung einen möglichen Verursacher für den Schäden zu ermitteln, um auf ihn die Kosten umlegen zu können.
Wir können die Unwilligen nicht physisch zum Impfen zwingen, weil ja auch dazu die notwendigen Kontrollen fehlen.
Aber die Möglichkeit, Kosten die durch Verweigerung der Impfung entstehen auf die Verursache um zu legen halte ich für legitim - finanzieller Druck kann oftmals mehr bewirken als gut zu reden.
Wie das mit unserer Verfassung machbar ist, kann ich nicht bewerten.
Grundsätzlich bin ich bei der Überlegung bei dir. Aber statt menschenverachtend würde ich unsolidarisch sagen. Jeder von uns geht individuelle Risiken ein, nicht nur in gesundheitlicher Hinsicht.
Aber du hast schon recht, denn so könnte man auch argumentieren, dass Arbeitsämter in Zukunft, den heutigen, noch verbliebenen Kohlekumpeln das Arbeitslosengeld verwehren, weil der Kohleausstieg ja lange vorhersehbar war und sie sich hätten umschulen lassen können. So funktioniert aber unsere Gesellschaft (zum Glück) nicht.
Da bin ich anderer Meinung, denn wir HABEN uns als Gesellschaft durch unser Versicherungssystem bereits darauf comittet, dass wir Risiken durch Krankheit als Gemeinschaft tragen. Auch dann wenn bestimmte Leute, wie eben Raucher, das System stärker belasten.
Da können wir bei Corona keine Ausnahme machen.
Leute zum Impfen bewegen: Ja
Restriktionen: Ja
Imppflicht: Wenn es sein muss!
Aber Leute aus dem Solidarsystem auszuschließen, nur weil sie eine bestimmte Meinung vertreten: Sorry, das geht gegen alles für was unsere freiheitliche Grundordnung steht. Es ist einfach noch ein Unterschied, ob man eine Anschnallpflicht verhängt oder ob man sag: Sorry, wenn Du nicht angeschnallt warst, fährt der Rettungswagen wieder nach Hause.
Und ja, das gilt auch dann, wenn das alles non-fiktionaler ersponnener Quatsch ist, der mit Fakten nichts zu tun hat.
Es gibt bestimmte rote Linien, die man nicht überschreiten sollte.
Ich möchte an dieser Stelle noch einen anderen Gedanken einbringen, der mir gerade auf der Seele brennt.
Ich habe um einen Impfunwilligen vom Impfen zu überzeugen diesen Hilferuf der Charité geschickt.
Mir wurde dann geantwortet, dass ja nur 5% der Intensivpatienten COVID Patienten sein, ja auch 60% der Über-60-Jährigen ungeimpft und das die Impfung ja alles andere als harmlos sei etc. Keine Ahnung wo der Mensch die Zahlen her hat, aber das ist auch unerheblich. Krasse Realitätsverweigerung halt.
Viel interessanter wird es, wenn mir eine vergleichbare Notsituation vorstelle:
Ein Mann geht an einem See spazieren und sieht, dass eine ältere Frau am Ertrinken ist und um Hilfe ruft.
Statt die 112 zuwählen und ihr zurückzurufen, versucht derjenige erstmal die Wassertiefe an der Stelle herauszukommen: „Nur 120cm Wassertiefe! Nie im Leben kann die Frau ertrinken, sie simuliert nur!“ Und wenn überhaupt sei sie ja selbst schuld, dass sie als Über-60-jährige noch soweit rausschwimmt und keine Schwimmflügel trägt.
Der Mann geht also seines Weges und die Frau ertrinkt.
Ist offensichtlich, dass der Herr nicht nur antisoziale Persönlichkeitsstörung hat, sondern dass er damit auch die Straftat der unterlassenen Hilfeleistung begangen hat:
StGB § 323c
(1) Wer bei Unglücksfällen oder gemeiner Gefahr oder Not nicht Hilfe leistet, obwohl dies erforderlich und ihm den Umständen nach zuzumuten, insbesondere ohne erhebliche eigene Gefahr und ohne Verletzung anderer wichtiger Pflichten möglich ist, wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Ebenso wird bestraft, wer in diesen Situationen eine Person behindert, die einem Dritten Hilfe leistet oder leisten will.
Mir geht bei dem Vergleich um die Impfung als unter den Umständen nach zumutbare Hilfeleistung in einer Notsituation.
Warum liegt beim Nichtimpfen lassen trotz Hilferuf eines Krankenhauses keine unterlassene Hilfeleistung vor?
Dem würde ich widersprechen. Es gibt genug Bereiche in denen bereits das beschriebene Solidarprinzip in der Krankenversicherung nicht (mehr) greift. Beispiel Zahnersatz oder Zuzahlungen zu Medikamenten. Auch jeder der mit einer Vorerkrankung in die PKV wechselt, kennt den Ausschluss von bestimmten Leistungen oder entsprechender Beitragszuschläge.
Also wäre meines Erachtens eine gewisse finanzielle Eigenbeteiligung an vermeidbaren Behandlungskosten nicht unsolidarisch. Das gilt besonders wenn das Risiko klar erkennbar und leicht vermeidbar ist. Und wenn das auf anderer Lebensbereiche auch zutrifft - go for it!
Freiheit personalisieren und Risiken vergemeinschaften kann´s ja auch nicht sein.
Ich glaube auch nicht das es der Gedanke war, dass Ungeimpfte vor der Intensivstation sterben sollen, auch wenn noch Kapazität frei wäre. Aber es geht ja darum ob ein anderer Patient entsprechend schlechter/gar nicht versorgt werden kann und die Ärzte gezwungen sind eine Auswahl zu treffen.
Genau dasselbe Argument kannst Du doch auf Rauchen, schlechter Ernährung, Alkohol- und Drogenkonsum auch anwenden. Warum sollen Menschen, die ihren Körper nicht schädigen, für die Kosten der Behandlung derer aufkommen, die es tun? Die Frage, welche Risiken kollektiviert werden sollen und welche nicht, ist ja eine grundsätzliche ethische Frage - ich verstehe nicht, warum Corona da eine Ausnahme darstellen sollte. Es geht um die Frage, ob ich bestimmte Erkrankungen als vermeidbar ansehe und ob ich die Behandlung solch vermeidbarer Erkrankungen vom allgemeinen Prinzip ausnehmen möchte, dass Menschen medizinisch so behandelt werden, wie sie es brauchen.
Wenn ich Menschen, die ohne Impfung schwer an Corona erkranken, die Leistungen der Krankenversicherung versage, mit welcher Begründung soll sie dann jemand in Anspruch nehmen, der sich im Vollsuff ein Bein bricht oder der als Kettenraucher eine teure Krebsbehandlung benötigt?
Das ist eben eine Frage der gesellschaftlichen Verhandlung. Beim Rauchen nehmen wir das (noch) hin - vermutlich, weil Rauchen zwar nicht besonders schlau ist, wir den Menschen aber ihren Spaß gönnen und sie sich vor allem selbst schädigen, seit Rauchen in Innenräumen kaum noch zulässig ist.
Sich nicht impfen zu lassen ist hingegen einfach nur bescheuert und gefährdet andere Menschen. Daher könnte ich mir gut vorstellen, dass es hier an einem Konsens fehlen könnte, die Folgekosten dieses bescheuerten Verhaltens auch noch der Allgemeinheit aufzuerlegen.
mMn ist das ein reines Scheinargument. Der wesentliche Unterschied ist, dass Ungeimpfte im Gegensatz zu Adipösen und Extremsportlern durch die Übertragbarkeit der Krankheit eine reale Gefahr für andere darstellen - abseits von möglicherweise besetzten Krankenhausbetten. Jeder Ungeimpfte kann im Extremfall eine Person die sich nicht impfen lassen kann, das Leben kosten. Bei Rauchern und Motorradfahrern ist das ähnlich, deshalb gibt es ja zB ein Rauchverbot in Gaststätten und eine Straßenverkehrsordnung. Und auch hier wird schon internalisiert. Raucher, Adipöse, Extremsportler und Motorradfahrer (mit vielen Unfällen) zahlen bereits heute mehr für die Kranken- bzw. KfZ-Versicherung. Klar, eine Unterlassung von lebenserhaltenden Maßnahmen ist sicherlich ultima ratio aber zumindest über einen deutlich erhöhten Krankenkassenbeitrag kann man sicherlich diskutieren.
Die Pandemie ist eine akute (temporäre) Notfallsituation, die alle Menschen betrifft. Wenn sich Triagen nicht vermeiden lassen, dann muss in jedem Fall eine Entscheidung getroffen werden. Wenn sich Menschen bewusst bereit erklären, potentiell anderen Hilfsbedürftigen den Vortritt zur Hilfe zu geben, dafür dass sie sich nicht haben impfen lassen, dann ist auch das ein Akt von Solidarität. Summa summarum rettet man durch das weglassen einer solchen Regel kein Leben.
Auch wenn ich deiner Arguemtation widerspreche, bin ich insofern bei dir, als dass ich die Entscheidungspflicht für unbrauchbar halte. Eine Triage in der Praxis ist ja nicht wie ein Choose your own Adventure Buch, indem man klar einer Person das Leben retten kann. Jede Krankenakte ist individuell.
Sagen wir eine ungeimpfte Person hätte ohne Intensivbett eine Überlebenschance von nur 2%. Gleichzeitig kommt eine geimpfte Person die ohne Intensivbett eine Überlebenschance von 99% hat. Es wäre absurd, der Geimpften das Bett zu geben. Aber ab welchen Überlebenschance Verhältniss wäre es okay? Und selbst wenn man sich darauf einigen würde, wer sollte überhaupt solch eine Überlebenswahreinlichkeit schätzen?
Eine Triage ist grundsätzlich keine einfache A/B Entscheidung. Und ich kann mir keine Regel vorstellen, die man da moralisch legitim drüber stülpen könnte.
Das traurige ist doch nur, dass viele effektive Mittel nicht ausgeschöpft wurden, wo sind denn jetzt die Impfzentren?
Ich studiere in Österreich und habe heute per Post eine Aufforderung zur Auffrischung mit folgenden Hinweisen erhalten
Wieso bekommt nicht jeder mal einen Impftermin zugeteilt, wie in Spanien und Portugal?
Geht alles viel leichter auch ohne Zwang, oder wie Drosten im aktuellen Podcast sagt, brauchen wir vielleicht erst die harte Welle, wie sie viele südeuropäische Länder hatten, um zu begreifen.