Einseitige Sicht auf das Doppelbestrafungsverbot?

Ich habe mich über eure Betrachtung zum Thema Doppelbestrafungsverbot sehr geärgert. Insgesamt war das in meinen Augen komplett einseitig. Die Argumente für die Reform wurden nicht in der best möglichen Varianten und in angemessener Tiefe gewürdigt. Insbesondere finde ich bemerkenswert, mit wie viel Engagement noch so unwahrscheinliche Situationen konstruiert wurden, um auf Probleme hinzuweisen, während die Probleme der jetzigen Situation, dass Mörder (dazu wird man übrigens nicht vor Gericht, sondern durch die Tat, denke ich. Sonst wären all die nie verurteilten Täter der NS-Zeit alle keine Mörder, weil nie verurteilt, das kann nicht euer Ernst sein.) frei rumlaufen und deren Angehörige das lebenslänglich zu dulden haben, in einem Nebensatz abgehandelt werden. Genauso mit der DNA-Spur. Klar gibt es solche, die nicht eindeutig sind, aber eben auch solche, die eindeutig sind. Es wird auch nur in einem Nebensatz erwähnt, dass die Voraussetzung ausdrücklich ist, dass es neue Beweise geben muss, die eine Verurteilung wahrscheinlich machen. Dagegen wird in immer absurderen Fantasien dargelegt, wie es zu Serienverfahren kommen würde, „bis das Ergebnis passt“. Mit Verlaub etwas mehr Vertrauen in die Arbeitsmoral von Staatsanwaltschaften und Gerichten könnte man schon haben, denke ich und etwas mehr Einsehen, dass auch Opfer und Angehörige Ansprüche an Schutz vor Tätern und deren Verfolgung haben und eben nicht nur Leute sind, die den Rechtsfrieden stören. Um es euch gleich zu tun und einen hypothetischen Fall zu konstruieren: Wenn meine Angehörige von meinem Nachbarn vergewaltigt und ermordet wurde, er mangels Beweisen frei kam und nun seine DNA in einer eindeutig zuzuordnenden Probe mit klarem Bezug zur Tat nachgewiesen wird, kann niemand verlangen, dass ich das so hinnehme, damit der arme Mann seinen Rechtsfrieden genießen kann. Da scheint mir die Güterabwägung doch arg täterfreundlich. Wenn nach dem Kollaps einer Diktatur Leute mangels Zeugenaussagen frei kommen, weil die Täter weiter im Amt und Würden sind und die Zeugen Angst haben, diese sich aber später, wenn die Täter ihre Macht verlieren, doch noch melden, sollen wir die Täter dann frei rum laufen lassen? Ist deren Rechtsfrieden tatsächlich wichtiger? Ich denke nicht. Man kann immer noch Einwände gegen das Gesetz haben, aber die Einseitigkeit in der Darstellung des Sachverhalts und der Analyse fand ich sehr ärgerlich. Das eine Zitat eines Befürworters wirkt da wie ein Feigenblatt. Nicht das Niveau, das ihr sonst bietet, fand ich.

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Ehrlich gesagt fällt mir auch kein weiteres Argument ein - und ich habe mich mit dem Thema wirklich länger beschäftigt. Die verfassungsrechtlichen Positionen gehen nur in die Richtung, warum das nicht verfassungswidrig sei, aber das ist ja kein pro-Argument, sondern allenfalls ein contra-contra-Argument. Außerdem haben wir diese Diskussion ausführlich dargestellt.

Welches konkrete Argument fehlte denn aus deiner Sicht?

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Komisch. So unterschiedlich können die Wahrnehmungen sein. Ich fand die die Berichterstattung hatte für einen Podcast für Nichtjuristen eine sehr hohen Tiefgang und hat das Thema sehr gut beleuchtet. Gerade die Erfahrungen aus der Strafrechtspraxis fand ich interessant.

Es geht eben nicht nur um den Rechtsfrieden für den Täter, sondern um den Rechtsfrieden für einen der Tat Beschuldigten. Wer einmal einen längeren Prozess mitgemacht hat, wird die Belastung dadurch bestätigen. Das muss man nicht unbegrenzt hinnehmen, entweder ist der Staat sich sicher oder nicht. Das dadurch auch mal jemand, der es verdient hätte, durchs Netz schlüpft ist im Einzelfall tragisch, aber sorgt für die Allgemeinheit für mehr Gerechtigkeit, weil man vor Willkür des Staats besser geschützt ist.

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Das Argument versteh ich allerdings auch nicht.
Mal angenommen man findet eindeutige Beweise für einen von Person X begangenen Mord, die alleingenommen für eine Anklage und Verurteilung reichen. Warum sollte es dann eine Rolle spielen, dass vor 20 Jahren X schon einmal für diesen Mord vor Gericht stand (aufgrund von ganz anderen Beweisen)?

Genau für diesen Fall soll das Gesetz doch gelten. Und eben nicht für den Fall, dass man DNS Spuren von 'ner Zigarette im Park gefunden hat und die ja vielleicht dem Täter gehört.
Mit diesen Beweisen allein, wird doch sowieso kein Staatsanwalt/Richter eine Verurteilung anstreben.

Wenn man davon ausgeht, dass das Gesetz nur dafür missbraucht wird, um mit löchrigen Beweisen immer wieder neue Verhandlungen gegen Unschuldige zu führen, dann wirkt das natürlich wilkürlich.
Die Möglichkeit, dass ein Gesetz durch korrupte oder einfach sehr schlechte Staatsanwälte/Richter missbraucht wird, sollte nur eine nebengeordnete Rolle spielen.
Für jedes Gesetz braucht es ein Mindestmaß an Vertrauen in die Institutionen, die das Gesetz am Ende umsetzen.

In der Diskussion im Podcast hat mir ein Hinweis auf die sehr niedrige Freispruchquote in Deutschland gefehlt. Zur Verhandlung kommt es ja nur wenn sich die Staatsanwaltschaft auch sicher ist, dass es zu einer Verurteilung kommt. Und im den allermeisten Fällen behalten sie dabei Recht.
Demnach sollte es doch auch sehr unwahrscheinlich sein, dass jemand der unschuldig ist, gleich mehrmals unabhängig von einander angeklagt wird.

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Ich hänge mich mal an diesen Thread dran, auch wenn es nicht ganz zur Überschrift passt.

Das Argument ist in meinen Augen das einzige, um das es bei dem ganzen Thema geht. Es steht in Zusammenhang mit der Erläuterung, dass die doppelte Anklage auch vom Doppelbestrafungsverbot erfasst ist. Die hier offenbar zugrunde liegende Annahme ist genau, dass bereits das Verfahren eine Art „Strafe“ ist.

Ich fand es deshalb etwas schade, dass Ulf und Philip bei der Betrachtung des Themas etwas abgeschweift sind, hin zu den Fragen, ob die Zigaretten für die später erfundene DNA-Analyse korrekt gesichert wurden, Polizeibeamte sich daran noch erinnern können und Entlastungszeugen noch zur Verfügung stehen.
Diese Fragen sollten bei der Frage nach der Doppel-Anklage keine Rolle spielen, weil sie genauso für eine Verjährung des Tatvorwurfs und gegen ein Verfahren Jahrzehnte nach der Tat sprechen.

Dass bereits einmal Angeklagte hier besser gestellt sind als alle anderen Beschuldigten, die auch nach Jahrzehten noch mit einer Anklage rechnen und leben müssen, lässt sich nur mit dem oben zitierten Rechtsfrieden bzw. der Belastung durch ein Verfahren begründen.

Wie man diesen Rechtsfrieden im Verhältnis zu dem Bedürfnis der Allgemeinheit nach Verurteilung des Täters gewichtet ist sicherlich eine politisch zu diskutierende Frage. Umso dramatischer finde ich es, dass das ganze scheinbar auf einer laufstarken Aktion eines einzelnen Betroffenen beruht. (So wurde es jedenfalls gesagt, und ich nehme das jetzt mal so an.)

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Zum Thema Rechtsfrieden habe ich eine Frage als juristischer Laie.

Wie ist es denn im umgekehrten Fall, wenn nach einer rechtskräftigen Verurteilung (mit Schöffengericht und allen Instanzen) plötzlich neue (potentiell entlastende) Beweise auftauchen, die den Fall in neuem Licht darstellen? Also wenn nach Jahren neue Zeugen oder DNA Spuren auftauchen, es aber schon einen rechtskräftig verurteilten Mörder gibt.

Wird dann eine neue Verhandlung angesetzt oder gilt hier auch erstmal das Recht auf Rechtsfrieden?

Bitte entschuldigt, dass ich mich erst jetzt wieder melde. Umpalumpa hat ja schon ein par Punkte genannt. Ansonsten fand ich die Darstellung im FAZ-Einspruch podcast zu dem Thema insgesamt ausgewogener, den kann ich für Interessierte noch empfehlen. Mir ging es halt zu sehr in die Richtung, dass Konstellationen konstruiert wurden in denen so ein Gesetz missbraucht werden könnte, obwohl das dorch für jedes Gesetz irgendwie zu konstruieren wäre. Desweiteren wurde die Bedeutung für die Betroffenen zu wenig gewürdigt und es wurde nach meiner Wahrnehmung auch zu wenig beleuchtet, dass es ja durchaus zu prüfende Mindestanforderungen an die Beweise für eine Neuverhandlung geben soll („Beweise, die eine Veruruteilung wahrscheinlich erscheinen lassen“ ist meine ich die Formulierung) und dass so eine Anforderung doch nach meinem laienhaften Verständnis auch geprüft wird. Also könnte ein Richter sehr wohl feststellen, dass die neuen Beweise zu unklar sind, um so eine Neuverhandlung zu rechtfertigen. Außerdem (aber das war jetzt nix, was ich erwartet hätte) hätte man durchaus auch diskutieren können, ob es nicht eine Alternative oder Ergänzung zum Vorschlag geben könnte, die einen besseren Ausgleich zwischen den betroffenen Grundrechten herstellt, als der Status Quo oder die vorliegende Änderung. Nebenbei bemerkt ist das mein erster Ausflug in euer Forum und mir gefällt die Gesprächskultur hier sehr gut. Vielen Dank an alle!

Es ist nicht ganz banal, ein Verfahren aus solchen Gründen wieder aufzurollen. Die Justiz ist da eher unwillig, getroffene Urteile nochmal aufzumachen. Aber wenn es um falsche Verurteilungen bzw. neue Beweise für die Unschuld eines Verurteilten geht, ist das grundsätzlich möglich und kommt auch gelegentlich mal vor, soweit ich das als Laie mitbekomme.

Was mich besonders gestört hat, war die Formulierung, die so in etwa lautete, es würde dank dieser Reform solange angeklagt, bis man das gewünschte Ergebnis erziele. Das fand ich arg polemisch und etwas missgünstig gegenüber Staatsanwaltschaft und Gerichten und halte es auch für ziemlich ausgeschlossen oder mindestens sehr unwahrscheinlich, weil die Entscheidung ja nie einer alleine trifft, so, wie ich das verstanden habe.

Die Darstellung der Gesetzesinitiative fand ich sehr angemessen und gut. Das Angehörige von Mordopfern und Unglücksopfern die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen wollen, ist verständlich. Wenn sie nach Jahren immer noch nach VERGELTUNG suchen, scheint mir das eher wie Rachedurst, schaurig und letztlich inhuman insofern, als das eigene Leben wie das wohl vieler anderer zur Hölle wird.

Wenn die Beweise nicht ausreichen (nach dem Stand der verfügbaren Technik), dann kann nur ein Freispruch folgen. Das Schrecklichste im ganzen Rechtswesen ist doch der JUSTIZIRRTUM! Dagegen ist der vermutlich seltene Fall eines freilaufenden Mörders ein hinzunehmendes Übel.

Natürlich. Aber ich glaube nicht, dass ihnen oder irgendjemand sonst von jenen vermeintlichen Tätern eine Gefahr droht, die gerade aus Mangel an Beweisen freigesprochen wurden. Wenn sie wirklich die Täter waren, werden sie sich unauffälligst verhalten, weil sie sicher nicht damit rechnen werden, ein weiteres Mal so günstige Umstände zu haben. Hier geht es ja nicht um schwerstkriminelle Serientäter.

Das geht jetzt vom eingentlichen Theam etwas weg, aber auch hier geht es mM nach rein um Rache: zum Beispiel das Unglück von Kaprun, oder love parade Unglück von Duisburg. Es ist mM nach völlig fehlgeleiteter Gerechtigkeitssinn, wenn brave Ingenieure oder Verwaltungsmenschen einen kleinen Fehler machen (wie ihn jeder Mensch mehr oder weniger oft in seinem Leben macht, der sich unter tragischen Umständen zu einem schweren Unglück aufschaukelt) wie Mörder angesehen werden, die hängen sollen.

Keine geringe Rolle spielt mE sowohl bei Verbrechen wie Unglücken die Hetze mancher Medien, für die Rache- und Vergeltungsgeschichten lukrativ die Story verlängern.

Im letzen „Sunday Read“ der NYTimes war die unglaubliche Geschichte eines vermeintlichen Räubers, der von einem bekannt rachsüchtigen Richter in New Orleans zu 60 Jahren verurteilt wurde. Die Autorin ging der Sache nach und fand schlimme Fehler und Versäumnisse der Strafverfolgung wie der Pflichtverteidiger, und nur durch glückliche Umstände (neue Leute an wichtigen Stellen, nach 10 Jahren) wurde der inzwischen 29 jährige aus dem praktisch Lebenslang in die Freiheit entlassen. Hier hat Rache, Erfolgsdruck der Staatsanwaltschaft usw. ein Menschenleben beinahe vernichtet. In DE ist das ja nicht so extrem, aber man muss solche Tendenzen im Auge behalten.

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Bitte was? Du meinst nicht ernsthaft, dass pauschal alle Angehörige von Mordopfern rachsüchtige nicht-Menschen (Demonen oder was?) sind, wenn sie auch noch Jahre später dem Täter nicht verzeihen wollen. Was sind in dem Zusammenhang „Unglücksopfer“?

Wie siehst Du denn zum Beispiel Historiker, die auch 70+ Jahre später noch Verbrechen der Nazis aufklären wollen?

Mal davon abgesehen, hat die vergangene Zeit auch gar nichts mit dem Doppelbestrafungsverbot zu tun. Dir geht es wohl eher um eine Verjährung von Mord.

Warum gehst Du davon aus, dass das Doppelbestrafungsverbot für weniger Justizirrtümer sorgt?

Pauschal würde ich eher die gegenteilige Annahme treffen, schließlich steht ein Richter deutlich mehr unter Druck, wenn er weiß, dass sein Freispruch auch noch gilt, wenn einwandfreie Beweise auftauchen, die die Tat beweisen. Eine falsche Verurteilung kann schließlich noch korrigiert werden, ein falscher Freispruch nicht.

Im Normalfall sollten Richter solche Gedanken natürlich nicht beachten, deshalb denke ich nicht, dass sich die Zahl der Justizirrtümer durch das Gesetz groß ändern wird.

Wenn Dir Justizirrtümer wichtig sind, solltest Du Dich lieber dafür einsetzen, die Hürden für eine Wiederaufnahme nach Verurteilung zu verringern. Diese sind im Moment nämlich sehr hoch.

Dazu gibt es auch eine sehr interessante Folge von Zeitverbrechen. (Sind insgesamt 4 Folgen)

Warum nicht? Würde sogar sagen, es geht überdurchschnittlich häufig um besonders schwere Straftaten. Denn da gibt es aus offensichtlichen Gründen ein größeres Interesse an einer Aufklärung.

Serientaten sind auch schwerer aufzuklären, viele Fälle eben erst heute mit Hilfe eines DNS-Abgleichs.

Im Gegensatz dazu vielleicht die Frau, die ihren Mann aus purer Verzweiflung umbringt, weil der sie jahrelang schlägt. Bei solchen Taten steht der Täter ja meistens schnell fest, wenn er nicht sogar selbst gesteht.


Sagst ja selbst schon dass der Absatz zur love parade/Unglück von Kaprun nichts mit dem Thema zu tun hat, trotzdem dazu:

  • keiner der Verantwortlichen wurde als Mörder angeklagt
  • Meines Wissens gab es keine Verurteilung im Fall loveparade
  • für Mord hängt man in Deutschland schon lange nicht mehr

Zur loveparade wurden außerdem viele Fälle eingestellt (kein Freispruch). Dadurch könnten theoretisch auch mit Doppelbestrafungsverbot, diese Fälle wiederaufgenommen werden. In dem Fall ist es also anscheinend okay, dass die Beteiligten keinen Rechtsfrieden erhalten. (Da es sich aber nicht um Mord handelt, verjähren die Vorwürfe)

Der allerdings „nur“ einmal angeklagt wurde. Mit Doppelbestrafungsverbot hat das nichts zu tun.

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Nur ein kurzer Zwischenruf zur Freispruchquote. Die Freispruchquote ist ausgesprochen schwer zu ermitteln. Klar ist, dass sie niedrig liegt. Um zu ermitteln wie stark Anklage und Entscheidung übereinstimmen, müsste man allerdings auch alle Einstellungen einberechnen und fragen, welche Taten angeklagt und welche im Urteil ausgeworfen wurden. Es kommt zudem in Hauptverhandlungen auch oft noch zu Einstellungen (§§ 153ff., 154ff. StPO).

Dass die Staatsanwaltschaft nur anklagt, wenn sie sicher ist, dass verurteilt werden wird, ist aus meiner persönlichen Erfahrung zuerst als Staatsanwalt und später als Verteidiger nicht richtig.
Ich habe als junger Staatswalt im Übrigen für jeden Freispruch einen Rüffel vom Abteilungsleiter bekommen…

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Weder Nicht-Menschen noch Dämonen, aber getrieben von einem Verlangen nach Vergeltung, das ich inhuman finde. Und was ich ergänzen möchte, zum Teil angetrieben durch Sensationsmedien und Beispielen aus der Vergangenheit, so als ab es gut und heldenhaft wäre, nicht seinen Frieden mit einer unabänderlichen Tatsache zu machen.

Das ist gut so. Diese Verbrechen waren vorsätzlich, planmässig, teuflisch. Ich beziehe mich auf Indizienprozesse, bei denen die Gefahr eines Justizirrtums gegeben ist, und bei denen der Druck der Öffentlichkeit auf Staatsanwaltschaft und Richter gross ist.

Nein. Aber ein Prozess ggf. durch alle Instanzen muss genügen. Damit sind genau genommen auch die Angehörigen eines Mordopfers insoweit entlastet, als sie eben nicht mehr in der Ungewissheit wie vor dem Prozess sind und also die Möglichkeit haben, damit abzuschliessen.

Ich wollte damit nur sagen, dass man die Energie, die man nun plant auf neue Anklagen zu verlegen, besser in noch sorgfältigere Urteile und leichter zugängliche Wiederaufnahmeverfahren verwenden sollte.

Einen solchen falschen Freispruch kann man einem Richter nicht vorwerfen. Ein falscher Freispruch bewahrt einen Menschen vor dem verdienten Gefängnis, ein falscher Schuldspruch zerstört das Leben eines Unschuldigen. In dieser Abwägung würde ich einige falsche Freisprüche hinnehmen für einen vermiedenen Irrtum. Zumal ja wie ich schon sagte, von einem freigesprochenen Mörder nicht per se eine Gefährdung der Öffentlichkeit ausgeht. Die meisten solcher Verbrechen sind die Folge von zwischenmenschlichen Dramen, und nicht Taten von kaltblütigen, empathielosen, krankhaften Persönlichkeiten.

Ja freilich, es geht um Mord. Aber wird ein aus Mangel an Beweisen freigesprochener Mörder einen zweiten Mord begehen, wenn er gerade mit viel Glück einem Lebenslang entgangen ist? Ich bezweifle sogar, dass ein echter Killer seine Karriere einfach fortsetzt, wenn er einmal davongekommen ist. Er steht ab da quasi unter Beobachtung.

Ich glaube, man muss sehr unterscheiden zwischen z.B. auch Serientätern (Vergewaltigern), die unentdeckt ihr Unwesen treiben und jenen, denen einmal der Prozess gemacht wurde und die halt ungerechterweise freigekommen sind. So ein Prozess hat seine Wirkung, natürlich nicht bei allen. Ich will nur sagen, das Sicherheitsbedürfnis der Bürger ist nicht beeinträchtigt durch das Doppelbestrafungsverbot.

Habe ich angefügt, weil das offensichtliche Bedürfnis nach Vergeltung (Rache) eben doch mit dem Thema eine Verbindung hat.

So war die Stimmung damals. „man hätte am liebsten…“ verstehst du schon, oder?

Aber, ich will nicht rechthaberisch sein. Du hast natürlich Punkte, die ich anerkenne. Es ist ein sehr strittiges Thema, und ich neige halt zu der Seite, die ich darzustellen versucht habe.

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Den FAZ-Einspruch habe ich mir gerade angehört. Inwiefern diese Podcastfolge allerdings ausgewogener sein soll als die Lage, erschließt sich mir nicht. Das einzige Argument für die Wiederaufnahmeerweiterung scheint hier die Unerträglichkeit zu sein. Andere Argumente lassen die beiden Podcaster kaum gelten. Ich bin aber befangen, weil ich den FAZ-Einspruch früher regelmäßig gehört habe, dann aber irgendwann wegen der Vielzahl von Mängeln beim Umgang mit strafrechtlichen Themen keine Lust mehr hatte. Ich habe die Darstellung der Lage als meinungsstark, aber keinesfalls tendenziös empfunden.

Ich empfand die Berichterstattung zu diesem Thema ebenfalls als etwas einseitig.

Man hätte beispielsweise darauf eingehen können, dass der ne-bis-in-idem-Grundsatz auch jetzt schon nicht absolut gilt, vgl. insoweit §§ 359, 362 StPO, § 78 I BVerfGG, § 18 ZEG. Wenn nun ein Verfahren wegen neuer Beweise zugunsten des Verurteilten gem. § 359 Nr. 5 StPO wiederaufgenommen wird, dann aber in dem wiederaufgenommenen Verfahren erneut die Schuld des Verurteilten festgestellt wird, so ist doch der Rechtsfrieden der Angehörigen auch in erheblichem Maße gestört. Ich will damit nicht sagen, dass ich der Meinung bin, eine Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten sei falsch; ich halte diese Möglichkeit vielmehr für absolut richtig. Allerdings erscheint es in meinen Augen ein wenig befremdlich, das Argument des gestörten Rechtsfriedens bezüglich einer Wiederaufnahme zuungunsten des Betroffenen so stark zu gewichten, bei einer Wiederaufnahme zugunsten des Verurteilten indes kaum zu berücksichtigen.

Anderes Argument: Da in der Podcast-Folge auch mit hypothetischen Beispielen gearbeitet wurde, möchte ich mich ebenfalls an einem solchen versuchen: Angenommen, in einem bestimmten Mordfall tauchen neue Beweise auf, durch die Presse gelangt dies an die Öffentlichkeit. Ohne die Möglichkeit einer Wiederaufnahme sind der Justiz die Hände gebunden. Ich wage zu behaupten, dass viele in der Bevölkerung hier dazu neigen würden, den betroffenen (vermeintlichen) Täter zu verunglimpfen, ohne dass die Beweise von einem Gericht geprüft wurden. Es könnte also trotz des Freispruchs zu einer Verurteilung durch die Bevölkerung kommen. Dies zeigt, dass es für den Freigesprochenen (insbesondere wenn er tatsächlich unschuldig ist, was dann erneut festgestellt werden könnte) nicht zwangsläufig von Vorteil sein muss, wenn die Wiederaufnahme des Verfahrens nicht möglich ist.

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Würde Johannes hier gerne zustimmen. Habe selten so wenig übereingestimmt mit dem Bild, das ihr zu diesem Thema gezeichnet habt. Ich tue mich glaube ich am allerschwersten mit der Formulierung, dass man ein wiederholtes Verfahren (überspitzt hattet ihr gesagt, dass es ja 3-4 mal passieren könne, „bis einem das Ergebnis passt“) ja niemandem „zumuten“ könne.

Wie viele Mordverdächtige werden eigentlich aus Mangel an Beweisen freigesprochen und bei wie vielen wird die Unschuld festgestellt? Kann man das beziffern? Oder ist das juristisch das Gleiche?

Gefühlt müssten doch die meisten Verdächtigen, bei denen es tatsächlich zur Anklage kommt, aus Mangel an Beweisen freigesprochen werden, oder? Falls das so ist, finde ich es auch vollkommen legitim, dass man ein Verfahren wieder aufnimmt, wenn es neue belastende Beweise gibt oder die alten Beweise mit neuen Methoden besser verarbeitet werden können.

Hallo,
vielen Dank erstmal für diese spannende Diskussion. Ich habe eine Frage:
Gilt das Gesetz (wenn es erlassen wird) auch rückwirkend?
Es wurde der Einzelfall angesprochen, der den Anstoß gegeben hat. Könnte nach Erlass des Gesetzes dieser Fall wieder aufgenommen und der Freigesprochene wieder angeklagt werden? Oder gilt das Gesetz nur für zukünftige Fälle?

Ja, das soll rückwirkend gelten - das ist ja eines der verfassungsrechtlichen Probleme, die wir in der Lage angesprochen haben.

Wobei man hier mit der rechtshistorischen Entwicklung der Verjährung von Mord argumentieren kann. Hier wurde ja auch - rückwirkend geltend - die Verjährungsfrist für Mord immer weiter verlängert und schließlich sogar aufgehoben, gerade um die Fälle aus dem zweiten Weltkrieg weiterhin strafrechtlich verfolgen zu können.

Auch hier wurde mit dem Rückwirkungsverbot argumentiert, dass dies unzulässig sei, aber letztlich hat das BVerfG 1969 entschieden, dass Verjährungsfristen nicht unter das Rückwirkungsverbot fallen. Rein dogmatisch betrachtet halte ich das weiterhin für fragwürdig (wenngleich vom Wortlaut des Art. 103 II GG durchaus gedeckt), aber der Zweck, daher das Nazi-Unrecht nicht 20 Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs verjähren zu lassen, rechtfertigte eben die Mittel.

Die Frage ist nun:
Will man daraus nun einen Präzedenzfall für weitere Umgehungen des Rückwirkungsverbotes stricken? Bei der Verjährungsdebatte im Hinblick auf Mord stand halt ein massives, unübersehbares Unrecht im Raum, welches verhindert werden musste. Beim Thema Doppelbestrafungsverbot geht es um eine Handvoll Fälle, vielleicht ein paar Dutzend, die in Zukunft noch auftauchen.

Ich bin daher grundsätzlich für eine weite Auslegung des Rückwirkungsverbotes und halte es für fragwürdig, dieses für ein paar Einzelfälle, um die es nun geht, auszusetzen. Anders gesagt: Der potentielle Schaden am Institut des Rückwirkungsverbotes überwiegt meiner Meinung nach den Nutzen, eine Handvoll alter Einzelfälle der Gerechtigkeit zu überführen.

Aus den gleichen Erwägungen halte ich auch die Aufhebung des Doppelbestrafungsverbotes für fragwürdig, gesellschaftliche Kosten und Nutzen stehen sich hier einfach in keinem guten Verhältnis gegenüber und letztlich hat es wieder den Anschein, als würde man wieder nur aus Hilflosigkeit handeln, daher weil man das Unrecht, dass hin und wieder mal ein Mörder frei kommt, nicht ertragen kann. Und das ist eine ganz schlechte Motivation dafür, den Rechtstaat aufzuweichen.

Naja, ich würde hier schon differenzieren wollen.

Das Interesse des „zu Unrecht verurteilten“, bei neuen Beweisen über einen neuen Prozess wieder freikommen zu können, wiegt um ein vielfaches schwerer als jedes Recht der Angehörigen eines Opfers darauf, dass der (möglicherweise unschuldige) Täter seine Rechte verwirkt. Diese Fälle sind einfach völlig unterschiedlich. Das „Recht der Opfer auf Bestrafung des Täters“ ist grundsätzlich signifikant niedriger ausgeprägt als das „Recht des Bürgers, nicht Opfer einer ungerechtfertigten Bestrafung zu werden“. Ersteres ist ein „nice to have“ und trägt einen Teil zum gesellschaftlichen Frieden bei, aber letzteres ist eine elementare Grundvoraussetzung für einen funktionierenden Rechtsstaat…

Die logische Konsequenz wäre, dass es für den Beschuldigten ein Recht auf einen Prozess geben müsste, um seine Unschuld zu beweisen - die Frage ist, wie man dann damit umgehen würde, wenn dieser Prozess zu einer Schuldfeststellung käme. Aber das Thema „gesellschaftliche Verurteilung vs. juristische Verurteilung“ ist ja ohnehin endlos. Kurzum: Selbst nach einem Freispruch ist man nicht davor geschützt, von der Bevölkerung weiterhin als Schuldig betrachtet zu werden. Vor allem, wenn es ein eher technischer Freispruch ist (z.B. das klassische „im Zweifel für den Angeklagten“, bei dem schon vieles für eine Schuld spricht, der Richter aber eben noch hinreichende Restzweifel hatte…). Auch wenn man vor den Zivilgerichten eine Unterlassungsverfügung gegen z.B. eine Zeitung erstreiten konnte, heißt das noch lange nicht, dass nicht weiterhin der Großteil der Bevölkerung von der Schuld überzeugt ist.

Anders gesagt: Ein Freispruch vor Gericht heißt mitnichten, dass jeder Bürger deshalb davon überzeugt ist, dass der Freigesprochene unschuldig ist…

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Das aber sind Fälle, die man nicht vergleichen kann. Ich dachte eigentlich wir hatten diesen Unterschied in der Folge herausgearbeitet: Bei den Verlängerungen der Verjährungfristen für Mord war die Verjährung gerade noch nicht eingetreten, sodass der jeweilige Sachverhalt nicht abgeschlossen war - die Betroffenen mussten jederzeit mit Strafverfolgung rechnen. Das ist bei der Änderung der Regeln über die Wiederaufnahme anders: Da sind die Urteile derzeit rechtskräftig und unangreifbar, und in diesen endgültig abgeschlossenen Zustand möchte der Gesetzgeber nun rückwirkend eingreifen.