Einsatz westlicher Waffen auf russischem Territorium

Das finde ich schon eine sehr eigenwillige Interpretation: In der NATO-Russland-Grundakte verpflichteten sich NATO und Russland, die Souveränität aller Staaten zu achten. Zudem erkannte Russland explizit an, dass es kein Vetorecht gegen die NATO-Mitgliedschaft anderer Länder hat. Das wurde später als Zustimmung Russlands zur NATO-Osterweiterung interpretiert.
In den „Verträgsentwürfen“ von Putin von Ende 2021 forderte Russland hingegen eine Rückabwicklung der NATO-Osteerweiterung. Die Osteuropa-Experrin Sabine Fischer schreibt dazu:

Im Kern geht es in den beiden Vorlagen darum, in Europa eine russische und eine amerikanische Einflusszone zu errichten. Washington und die anderen Nato-Mitglieder sollen sich verpflichten, keine neuen Mitglieder mehr aufzunehmen. Zudem soll das Bündnis seine militärische Infrastruktur auf den Stand von 1997 zurückbauen, also noch vor den Erweiterungsrunden 1999 und 2004. Und die USA müssten ihre Atomwaffen aus Europa abziehen. Würden die Vertragsentwürfe in ihrer jetzigen Form umgesetzt, entstünde aus russischer Perspektive eine sicherheitspolitische Pufferzone auf dem östlichen Nato-Territorium und nicht etwa entlang der Außengrenzen der Nato. Die Staaten in Moskaus unmittelbarer Nachbarschaft könnten nicht mehr mit westlicher Unterstützung rechnen. Russische Gegenangebote gibt es dafür nicht. [Quelle]

Zu Mearsheimer: Ich finde den Grundansatz des Realismus ja durchaus überzeugend, aber ich fand es auch frappierend, mit welcher Arroganz er jegliche anderen Erklärungsansätze für Putins Handeln beiseite wischt und dabei immer wieder offenbart, dass er vom konkreten Fall einfach keine Ahnung hat. Schon der Hinweis, dass der DLF das Interview einem Faktencheck unterzogen hat und dass Mearsheimer diesen an mindestens einem Punkt nicht bestanden hat, spricht Bände. Unter anderem bestreitet Mearsheimer, dass Putin in einem längeren pseudowissenschaftlichen Artikel von 2021 die Existenz einer ukrainischen Nation negiert hat [Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern – Wikipedia]
Noch ein Beispiel: Mearsheimer argumentiert, dass es angesichts von nur 200.000 Soldaten im Februar 2022 absurd wäre, anzunehmen, Putin habe die gesamte Ukraine erobern wollen. Das nimmt er dass mehr oder weniger als Beweis dafür, dass es Putin gar nicht im imperialistische Ziele gehe. Was er weglässt: Natürlich wollte Putin nicht mit 200.000 Soldaten das komplette Territorium der Ukraine erobern. Er wollte damit halt „nur“ Kyjiw erobern, die gewählte Regierung des Landes ermorden und ein Marionettenregime installieren. Und das entspricht genau seinem imperialistischen Ziel, die Existenz einer von Russland unabhängigen Ukraine zu beenden.

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Ich habe genau gelesen was du geschrieben hast. Das war

Der erste Satz ist eine Beschreibung einer Position - auf die ich ja auch entsprechend reagiert habe. Der zweite Satz ist jedoch eine Tatsachenbehauptung - schon die Formulierung „Fakt ist“ macht das sehr deutlich. Gekürzt heißt der Satz „Fakt ist, dass […] somit durchaus eine Bedrohung als russisch angesehener Volksgruppen bestand“. Ich habe diese Aussage genau deshalb so scharf kritisiert, weil sie ein gängiges Kreml-Narrativ zur Tatsache erhebt. Dein Spekulieren über meine Motive in allen Ehren, aber es geht mir dabei weder um etwas Persönliches, noch darum, mich besser zu fühlen. Mein Ton ist vielleicht auch deshalb so scharf, weil so etwas (also die „Validierung“ von Kreml-Narrativen) ständig passiert und ich es langsam nicht mehr hören kann. Was ich nicht verstehe. Wenn du lediglich die Position Putins wiedergeben wolltest, warum schreibst du dann von dieser Bedrohung als „Fakt“ und wählst nicht eine Formulierung wie „Aus Sicht Putins gab es eine Bedrohung“?

Ja, das ist genau das Problem, auf das ich hinwies. Dass Modelle in die Irre führen, wenn man deren Grenzen nicht kennt oder ignoriert.

Die Sachen stehen genauso im Original zu lesen…

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Vielleicht so als finalen Gedanken:

Sollte es zu Friedensverhandlungen kommen, bei denen Russland seine wesentlichen Forderungen durchsetzt. Also Anerkennung der besetzten Gebiete als russisches Gebiet, Neutralität der Ukraine (also weder NATO noch EU), die Ukraine wird dafür nicht mehr beschossen, und bekommt Sicherheitsgarantien von Russland.

Es wäre dann aber wohl nicht von einem dauerhaftem Frieden auszugehen, eher von einer Unterbrechung des Krieges, weil beide Seiten ihre Ziele nicht erreicht haben.

Oder?

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Sicherheitsgarantien von einem Regime das gerade einen Vernichtungskrieg führt und das Existenzrecht einer freien Ukraine leugnet wird man in der Ukraine aus guten Gründen nicht akzeptieren können.
Die Frage ist, wie die Ukraine ohne Beitritt in die NATO verteidigungsfähig?

Ein weiterer Punkt der offen bleibt: die Ukraine mag zwar ohne EU und NATO Beitritt formell neutral sein, ideologisch ist aber der Shift Richtung Westen unumkehrbar geworden und ein Dorn im Auge des Kremls. Schließlich ist ein ex Soviet-/Warschauer Pakt Staat nach dem anderen nicht durch NATO Truppen überfallen und befreit worden, viel mehr war es der Wunsch der jeweiligen Bevölkerungen sich dem Westen statt Moskau anzunähern. Aus Sicht Moskaus ist das durchaus eine Bedrohung (man schaue wie Moskau mit der eigenen politischen Opposition, westlich ausgerichteten Journalisten etc. umgeht).

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Es ist nun einmal Fakt, dass eine Bedrohung für Zivilisten bestand, die in den damals besetzten Gebieten lebten. Du hast doch selbst zugestimmt, dass auch die Ukraine geschossen hat.

Es ist auch völlig unerheblich wieviele der 3100 Menschen nun auf welcher Seite gestorben sind. Es werden sicher nicht 3100:0 sein, egal für welche Seite.

Für das russische Narrativ (und ehrlich gesagt auch jede andere Nation in vergleichbarer Situation, ich verweise auf die westliche Position anfangs in Syrien) reicht leider aus, dass die Separatisten trotz Waffenstillstand beschossen werden und damit bedroht sind.

Und anscheinend reicht es auch dem Großteil der Menschheit, die die harte Linie gegen Russland eben nicht unterstützt.

Daraus leitet sich aber keine Legitimität des Krieges ab. Stattdessen hätte eine frühe Wahrnehmung dieser Sichtweise eine mögliche Verhandlungslösung ermöglicht als Russland im Rückwärtsgang war. Denn dann hätte man über eine ernsthafte Neuauflage von Minsk II nachdenken können, mitsamt international überwachter DMZ zum Auseinanderhalten der Konfliktparteien. Nur war man zu solch gravierenden Zugeständnissen nach Butcha und vor allem im Überschwäng der Freude über die tolle Offensive nachvollziehbarerweise nicht bereit.

Das mag sein, hilft uns aber aktuell nicht weiter.
Es sei denn man sagt, die Ukraine muss dafür jetzt büssen

Sorry, aber es ist doch etwas komplett anderes, ob du sagst, dass das Leben von Zivilisten bedroht ist oder ob du behauptest, „Volksgruppen“ seien bedroht. Bei dem einen geht es um Menschenleben - und da kann man dann wirklich argumentieren, dass es egal ist, wer auf welcher Seite stirbt. Beim anderen geht es aber um ein bestimmtes ideologisches Konstrukt, das in diesem Falle postuliert, dass die in den von (pro-)russischen Milizen kontrollierten Gebieten nicht mehrheitlich Ukrainer seien, sondern Angehörige anderer „Volksgruppen“. Das ist so ungefähr das Narrativ der selbsternannten „Volksrepubliken“ im Donbas.

Für das russische Narrativ reicht jede x-beliebige Behauptung aus - sei es der angebliche „Putsch“ in Kyjiw, sei es das angebliche „Massaker“ in Odessa oder sei es der angebliche „Genozid“ an Russen in der Ukraine. Sprich: wenn es um russische Narrative zur Rechtfertigung des Krieges gegen die Ukraine geht, haben wir es nicht mehr mit Fakten zu tun.

Stimmt. Eine Legitimität des russischen Angriffskriegs gibt es nicht. Die Legitimität der Verteidigung der Ukraine leitet sich hingegen aus dem internationalen Recht ab.

Eine Neuauflage von Minsk II stand in der Ukraine niemals zur Debatte. Wie auch?

Ich würde sagen das Kind ist nun im Brunnen und wir müssen die Ukraine jetzt stark unterstützen, ja. Gerne so wie Scholz es tut im Gleichschritt mit den USA oder auch einem Macron, der nicht nur ankündigt sondern auch leistet.

Mir ging es nur darum darauf hinzuweisen, dass das russische Narrativ nicht völlig an den Haaren herbeigezogen ist und es (vielleicht) wichtig ist dieses unvoreingenommen bei der Suche nach Lösungen zu analysieren.

Mir kommt es oft so vor als würde hier die Vorstellung herrschen, dass alles was Russland sagt, ohnehin Bullshit sein muss. Ebenso wie Russland für einen verrückten Psychopathen gehalten wird, was ganz sicher Unfug ist. Das ist einfach ein strategisch denkender Machtpolitiker. Diese Geringschätzung der Russen bringt uns aber nicht weiter.

Und zusätzlich ist es wichtig aus den Fehlern der anderen Vergangenheit (möglicherweise Verhandlungen im Sommer 2022) zu lernen um für ein zukünftiges Verhandlungsfenster vorbereitet zu sein.

Ich hatte im Verlauf hier mal etwas zur geopolitischen Sicht Russlands verlinkt.

Das aus russischer Sicht vieles Sinn ergibt, und sogar aus Putins machtpolitischer Sicht, würde ich nicht in Frage stellen. Das manches im Westen davon aus Arroganz oder eigenen machtpolitischen Motiven ignoriert wurde, mag somit diesen Krieg begünstigen.

Doch den Krieg faktisch durch den Einmarsch 2022 gestartet hat nun Russland.
Die Ukraine leidet darunter und darf wohl mit Recht als Opfer bezeichnet werden.
Damit ist sicher auch der Westen in der Verantwortung zu unterstützen.

Doch kann es ja keine Friedenslösung sein, Russland nun maximal (auf Kosten der Ukraine) entgegenzukommen. Das ist wohl auch aus völkerrechtlicher Sicht Konsens.
Zudem: sind die „Sicherheitsinteressen Russlands höher zu bewerten wie die seiner angrenzenden Nachbarn, wie auch der Ukraine? Warum sind die ehemaligen Sowjetstaaten mehrheitlich in die NATO und nicht der russischen Föderation beigetreten? Sicherheitsinteressen?
Hätte man sich 2007 mit Putin zusammengesetzt und gesagt, wir möchten die russischen Sicherheitsinteressen berücksichtigen, was hätte Putin dann gefordert?

Und das Vorgehen Russlands u.a. Und Butcha oder jetzt Charkiw mit bewusstem Angreifen ziviler Ziele ist ja nicht durch vorherige Fehler des Westens zu erklären.

Daher finde ich die bisher postulierten Verhandlungslösungen nicht zielführend hinsichtlich eines langfristigen Friedens.

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Angesichts dessen, dass ein Staat dieses gerade vor den Augen der Welt bricht, wirkt das wie whataboutism.

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Sorry, aber das ist einfach nicht richtig. Er sagt, dass dem erwähnten Artikel Putins nicht die Vorstellung der Wiederrichtung eines ehemaligen russischen Staatsgebildes zu entnehmen ist. Er bezieht sich damit auf die Vorstellung, die im Westen vorherrscht, dass der Artikel beweise, dass Russland nach dem Angriff auf die Ukraine alle möglichen anderen Länder überfallen wird, die irgendwann mal zu einem russischen Staatsgebilde gehört haben. Er bestreitet zu keiner Sekunde in diesem Interview, dass Putin die Existenz einer ukrainischen Nation leugnet. Das sind einfach grundlegend andere Dinge. Außerdem ist der Disclaimer, den der Dlf voranschickt, journalistisch generell bedenklich. Wenn Medien einen Experten interviewen, sind sie eigentlich dazu da, dem Zuhörer ein neutrales Bild zu liefern, damit dieser sich selbst eine Meinung bilden kann. Diese Disclaimer nach dem Motto „Hier is eine vom Mainstream abweichende Meinung, aber komm bitte nicht auf die Idee, sie zu übernehmen“ sind eine Farce.

Ja, das ist schon richtig, so etwas kann grundsätzlich zu einem Problem werden. Das ist aber nicht das Problem, das hier in diesem Forum vorliegt, wenn Mearsheimer hergenommen wird, um Dinge zu beschreiben, die bei vielen Darstellungen dieses Konflikts unten durch fallen. Es liegt einfach an der Disziplin. Er ist eben IB‘ler und kein Osteuropaexperte, was seine Perspektive nicht mehr oder weniger wertvoll macht, als andere. Außerdem vertreten auch andere IB‘ler Aussagen die er im Interview tätig, so oder in ähnlicher Form. Also hör doch bitte auf, jeglichen Mehrwert, den ein Verweis auf Mearsheimer und den Realismus bietet, damit abzutun, dass wir es hier mit einem verrückten Opa zu tun hätten.

Hier ist nochmal besonders die Aussage hervorzuheben, die neben ihm auch viele andere vertreten: „Die Effektivität des Völkerrechts entfaltet sich über die konsequente und vorbildliche Einhaltung, da man durch einen Bruch des Völkerrechts den Weg dafür ebnet, dass es auch andere brechen …“

Im deutschen Mainstream herrscht die Ansicht, dass die einzig akzeptable Lösung dieses Konflikts diejenige ist, dass die völkerrechtlich anerkannten Grenzen der Ukraine von 2014 wiederhergestellt werden.
Aus diesem Blickwinkel ist das aber einfach falsch. Es kann eine mögliche Lösung des Konflikts sein, ja. Es ist aber nicht die einzige. Nachdem bereits von anderen Staaten das Völkerrecht gebrochen wurde, kann nicht als Grundlage für die Konfliktlösung davon ausgegangen werden, dass sie sich einzig und allein am Völkerrecht orientiert. Ich verstehe einfach nicht, wie diese Logik nicht begriffen werden kann. Bei möglichen Verhandlungen nach dem Ende eines Krieges, wird die USA ein Verhandlungspartner sein. Wieso sollte sich denn Russland an ein Recht halten, welches ihr Verhandlungspartner mehrmals gebrochen hat?

Für die Ukraine wäre es natürlich wünschenswert, wenn sie die volle Souveränität ihrer rechtmäßigen Gebiete zurückerlangen würde. Es ist allerdings völlig undifferenziert, wenn Politiker westlicher Staaten und sämtliche Medien immer wieder von der Wiederherstellung der völkerrechtsmäßigen Grenzen der Ukraine als einzig akzeptablem Ausgang dieses Krieges schwadronieren. Wir sollten endlich mal wieder differenziertere Diskurse, unabhängig von der überwiegend vorherrschenden Meinung, zulassen, anstatt weiter über mehr als 2 Jahre hinweg gerade so viel Gerät an die Ukraine zu liefern, damit sie diesen Krieg nicht verliert. Das ist meines Erachtens mittlerweile wirklich die schlechtmöglichste Lösung, ganz egal wie man es mit den Waffenlieferungen generell halten mag.

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Was wäre denn eine Lösung, mit der die Ukraine leben könnte und dabei noch gewisse Sicherheitsgarantien für die eigene Zukunft zu haben?
Auch vor dem Hintergrund, das Putin der Ukraine ja das Existenzrecht quasi abspricht?

Aber eben nicht, wenn sie sich mit der Geschichte und Gegenwart in Osteuropa und Russland auskennen. Das ist doch genau mein Punkt. Auf die sachlichen Fehler im Interview wurde hier im Forum ja dankenswerterweise schon hingewiesen und die sind eben keine Nebensächlichkeiten, sondern entscheidende Grundlage von Mearsheimers ganzer Argumentation, dass Putins Russland eben auch nur eine Standard-Blackbox wäre, die halt will, was nach seinem Modell alle Staaten immer wollen. Wenn diese Annahme bzw. seine Belege für diese Ausgangsthese nicht stimmen, funktioniert sein Argument nicht. Finde ich ehrlich gesagt etwas irritierend, dass das so lapidar weggewischt wird. Und genau darauf muss ein Journalist bei einem Interview hinweisen, weil das eben nicht nur Osteuropa-Experten hören, die eh schon wissen, dass diese Aussagen nicht stimmen. Mit Mainstreaming hat das 0 zu tun. Fakten sind eben nicht frei.
Dazu kommt (allerdings natürlich nur meiner bescheidenen Meinung nach) noch, dass mir noch kein Realist erklären konnte, warum Russland anhalten sollte, wenn es keine militärischen Garantien für eine - wie auch immer gestückelte - Ukraine geben würde (dass Russland eine Garantie auf Art.5-Lvl. akzeptieren würde, darf man ausschließen, denke ich und alles andere ist keine Garantie). Nach realistischer Annahme rafft doch jeder Staat zusammen, was er zu können glaubt. Woher nehmen Menschen ohne Kenntnis oder (echtes) Interesse an der inneren Verfasstheit der russischen Diktatur das Selbstbewusstsein, einschätzen zu können dass Putin und sein Regime glauben, dass das Risiko weiterer Überfälle zu groß wäre und die deswegen schon Ruhe geben werden, wenn man ihnen nun nur noch dieses eine weitere Zugeständnis machen würde?

Verrückte Idee, aber wenn es stimmen würde, dass Russland nur begrenzte Sicherheitsinteressen verfolgen würde, müsste es doch ein Interesse haben, eine wie auch immer gestaltete Nachkriegsordnung abzusichern und dann in Kooperation mit seinen Nachbarn leben, also ganz egal was andere anderswo tun oder lassen. Wenn man glauben will, dass Russland in gutem Glauben verhandeln wollen würde, müsste man annhemen, dass dazu auch gehören würde, seine Nachbarn als gleichberechtigte Staaten zu akzeptieren. Da wissen wir beide, dass das nicht so ist (implizit schon drin enthalten, dass Russland eben nicht mit der Ukraine oder den Balten oder Polen irgendwas verhandeln will, sondern nur mit den USA und maximal vielleicht noch mit Deutschland). Und dann schließt sich auch der Kreis, warum mit diesem Russland Verhandlungen nicht mehr wert sind, als die Verhandlungen, die es schon gab und die genau nichts lösen konnten, weil sie das eigentliche Problem, den russischen imperialen Anspruch auf weite Teile Osteuropas, nicht lösen können. Auch wenn Mearsheimer und andere diesen Anspruch gern bestreiten wollen, egal wie explizit und implizit der sich in der gesamten russischen Außenpolitik immer wieder zeigt.

Gestern hast du mich noch persönlich angegriffen, weil ich es kritisiert habe, dass du russische Propagandanarrative plausibilisierst. Nun sagst du sogar selber, dass es dir darum geht. Leider sagst du aber nicht, welches Narrativ angeblich plausibel sein soll. Für den Fall, dass du dich auf die angeblich „bedrohte Volksgruppen“ beziehst, würde ich Folgendes entgegnen: Dass höchstwahrscheinlich auch die ukrainische Armee im Donbas seit 2014 Zivilisten getötet hat, bedeutet nicht, dass „Russen“ (gemeint sind vor allem russischsprachige Staatsbürger der Ukraine) wegen ihrer Sprache oder ethnischen Identität „bedroht“ waren, wie es der Kreml behauptet hat. Sie waren bedroht, weil kremltreue Milizen, unterstützt vom russischen Geheimdienst und der russischen Armee, auf ukrainischem Territorium einen Krieg gegen den ukrainischen Staat begonnen haben.

Natürlich muss es das nicht sein, aber empirisch betrachtet ist es das eben häufig. Der Kreml arbeitet nun mal systematisch mit Fakenews und fährt dabei nicht selten eine ähnliche Strategie, die der Rechtsextreme und (ehemalige) Trump-Alliierte Steve Bannon mal als „flooding the zone with shit“ beschrieben hat: Einfach so viele unterschiedliche Narrative raushauen, bis keiner mehr weiß, was eigentlich stimmt. Das war so beim Abschuss des Zivilflugzeugs MH 17, das war so bei der Sprengung des Staudamms in Kachowa und so ist es auch bei den angeblichen Gründen, warum Russland die Ukraine angegriffen hat: Mal sind es die „bedrohten Russen“, mal sind es die „Nazis“ in der ukrainischen Regierung, mal ist es das angeblich gebrochene Versprechen der NATO etc pp.

Ich glaube hier hast du „Russland“ mit „Putin“ verwechselt. Natürlich ist Putin nicht dumm, natürlich handelt er auch rational und strategisch. Dass schließt aber nicht aus, dass sein Ziel und die dafür gewählten Mittel - nämlich der militärische Angriff auf ein Nachbarland, der fast sämtliche militärische Kapazitäten bindet, enorme politische und wirtschaftliche Schäden verursacht, Hunderttausende Staatsbürger das Leben kostet etc. an sich höchst irrational sein können. Und genau diese Überlegung fehlt bei dieser vulgär-realistischen Auslegung wie sie m. E. auch Mearsheimer vertritt. Das zu kritisieren und offen zu sagen, wie menschenverachtend dieser Krieg von Putin ist, ist keine „Geringschätzung der Russen“.

Ja also dieses ganze Meinungs-Ping Pong im Internet ist ja ganz nett und ich will hier auch nicht alles in Widerrede stellen, was du hier sagst und ich gehe mal davon aus, dass das andersrum auch so ist.

Mein Punkt ist:
Ich möchte hier niemanden despektierlich behandeln, weil er der Meinung ist, wir bräuchten mehr Waffenlieferungen an die Ukraine (ohne jetzt konkret deine Postion damit zu meinen). Ich persönlich befasse mich genau genommen schon seit 2021 wissenschaftlich mit dem Thema des Russisch-Ukrainischen Konflikts und sehe das aktuell etwas anders, was nicht bedeutet, dass sich das auch wieder ändern kann. Ich denke jedoch, dass ich ein paar plausible Gründe für meinen Standpunkt genannt habe. Ich bin mir sicher, dass die Menschen, die die Lage der Nation hören und hier Forenbeiträge schreiben, kluge Menschen sind und ich wäre in Real Life auch sofort bereit über dieses Thema bei einem Bierchen zu diskutieren.

Ich möchte jedoch hiermit dazu animieren, aus dieser Echokammer, welche der deutsche Diskurs über außenpolitische Themen aktuell ist, auszubrechen.
Und diese Echokammer ist eben einfach (zumindest in der „liberalen“ Bubble): Mehr Waffen, mehr Aufrüstung, Völkerrechtsgrenzen von 2014 etc… und das alles ist alternativlos.

Ich arbeite in meiner Stadt mit dem dortigen ukrainischen Verein zusammen. Dort sind viele russischsprachige Ukrainer und meine Arbeit bringt es auch mit sich, dass ich regelmäßig mit anderen russischsprachigen Menschen in Kontakt komme. Sehr viele davon sind keine „ethnischen“ Russen, oder haben jemals überhaupt in Russland gelebt. Sowohl die russischsprachigen Ukrainer, als auch die anderen russischsprachigen Menschen berichten unabhängig voneinander regelmäßig von Anfeindungen und Ausgrenzungen aufgrund des Sprechens der russischen Sprache.

Das passiert, weil offensichtlich genügend Menschen in Deutschland nicht mehr in der Lage dazu sind, die aggressive Sch…politik Putins von Menschen, die die russische Sprache sprechen, zu differenzieren. Man könnte jetzt sagen, das sei halt einfach ein „gesellschaftlicher Kollateralschaden“ der in solchen Situation mit eingepreist ist. Ich denke jedoch, damit macht man es sich zu einfach.

Auch wenn wir nicht selbst diejenigen sind, die Ausgrenzen und Anfeinden, tragen wir dennoch mit einer Ignoranz gegenüber abweichenden Perspektiven unseren Teil zur Spaltung unserer Gesellschaft bei.

Was ist denn genau dein Punkt, außer dass du implizit unterstellst, dass sich andere an dieser Diskussion Beteiligte nicht gründlich mit dem Thema beschäftigen - und das vielleicht sogar schon sehr viel länger als seit 2021.

Ich finde diese Kritik an angeblichen „Echokammern“ oder „Filterblasen“ anstatt einer konkreten Kritik inhaltlicher Positionen ehrlich gesagt etwas billig. Es ist ja beileibe nicht so, dass es nur einen „deutschen Diskurs“ zum Thema Ukrainekrieg gäbe. Es ist auch nicht so, dass Anton Hofreiter, Carlo Masala, Agnes Strack-Zimmermann und Nico Lange „den“ deutschen Diskurs beherrschen. Dann würde es ja nicht so viele so zähe, sich immer wieder im Kreis drehende Diskussionen geben, die diesen Namen oft gar nicht verdienen, weil eben nicht wirklich darüber gestrittet wird, was wir eigentlich erreichen wollen, was wir dafür tun müssten und was für Konsequenzen verschiedene Handlungsweisen jeweils haben. Stattdessen gibt es gefühlt bei jeder atomaren Drohgebärde aus dem Kreml eine neue Talkshow darüber. Es gibt im „deutschen Diskurs“ eben auch die Scholze, die Mützenichs, die Wagenknechts und die Weidels oder Chrupallas.
Deinen Appell, zwischen russischsprachigen Ukrainern und Russen zu unterscheiden und beide als Menschen zu behandeln, finde ich gut und richtig. Ich verstehe allerdings auch hier den Zusammenhang nicht wirklich. Es ist ja nicht so, dass ein Eintreten für eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine gleichbedeutend ist mit einer klar abzulehnenden Diskriminierung von Menschen, nur weil sie russisch sprechen.

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Ich behaupte mal, das wir das Thema sogar mit Nebensträngen sehr umfassend diskutiert haben.

Bis es neue weltpolitische Entwicklungen zum Ukrainekrieg gibt, die einen neuen Thread begründen, würde ich diesen heute schließen wollen.

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Ich höre mir gern Alternativen an, weil ja schon klar ist, dass die Alternative, die ich am sinnvollsten fände (wenn man die Ukraine nicht fallen lassen will, dann wirklich und unbegrenzt in Menge und Nutzung liefern), in Deutschland keine politische Mehrheit hat. Was ich aber konkret von Verhandlungsalternativen wissen will, ist wie man das Verhandlungsergebnis gegen russische Aggressionen absichert. Denn das wurde sehr oft probiert und ist jedes Mal gescheitert. Dazu habe ich noch nirgends etwas plausibles gehört (Auch nicht von Mearsheimer, übrigens). Mein Verdacht: Diejenigen, die sowas vorschlagen, wissen selbst, dass das nicht funktionieren wird, deswegen lassen sie diese Lücke offen und tun so, als gäbe es sie nicht. Meine Position kann natürlich auch falsch sein, sie hat ja einige Risiken, auf die ich bei Bedarf gern auch noch eingehen kann, sie hat aber gegenüber Verhandlungen mit Konzessionen den Vorteil, dass man es noch nicht versucht hat, also auf ein neues Ergebnis hoffen könnte.

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Du unterstellst mir hier Dinge, dich einfach nie gesagt habe. …
Deshalb halt ich es a this point mit @Mike und betrachte die Diskussion für beendet.