2 Beiträge wurden in ein existierendes Thema verschoben: Mobbing in der Schule
Nachdem ihr so detailliert begründet habt, warum doch deutlich " mutiger" mit militärischen Mitteln die Ukraine unterstützt werden müsste, um Putins fortschreitende Aggressionen zu stoppen erwarte ich , dass ihr jetzt auch mal einen Vertreter der Friedensbewegung einladen, um deren Sichtweisen kennenzulernen. Bisher werden die gern diffamiert. Das müsst ihr ja nicht nachmachen. Darunter gibt es kluge Menschen, die sich seit Jahrzehnten mit dem Thema Friedensforschung beschäftigen. Wir sind durchaus nicht alle Angsthasen!
Grundsätzlich eine gute Idee, die der Ausgewogenheit dient.
Welche Frage mich da interessieren würde, wie aus Sicht der Friedensforscher ein Frieden für die Ukraine aussehen könnte, ohne durch enorme Gebietsverluste wirtschaftlich stark beschnitten zu werden und eine langfristige Sicherheit vor weiteren militärischen Übergriffen zu haben.
Dazu im Detail wie Friedensverhandlungen zwischen der Ukraine und Russland „auf Augenhöhe“ aussehen könnten. Also ohne das eine Seite Bedingungen diktiert und das auch das Völkerrecht gewahrt bleibt, was auch territoriale Souveränität berücksichtigt.
Wäre wirklich ein interessanter Ansatz, das mal aus Sicht von renommierten Friedensforschern zu erfahren.
Ich habe Friedensforschung und internationale Politik studiert, fühle mich also zumindest rudimentär in der Lage, da eine Antwort drauf zu geben.
Erstmal sollte man festhalten, dass anders als man den Beitrag von @HaBaWu vielleicht verstehen kann, Friedensforscher nicht automatisch „Pazifisten“ sind (wie auch immer man den Begriff wiederum definieren will).
Außerdem ist es wichtig zu verstehen, dass „Frieden“ in der Friedensforschung in der Regel in zwei Aspekte geteilt wird:
- „Negativer Frieden“ = die Abwesenheit von physischer systematischer Gewalt
- „Positiver Frieden“ = Eine Gesellschaft ohne systematische Gewalt jeglicher Art
Letzteres ist natürlich immer eine Art „Work in Progress“, ändert aber nichts an der Tatsache, dass was Möchtegern-Friedensschaffer wie Sarah Wagenknecht als Ziel formulieren wenig mit dem zu tun hat, was tatsächliche „Friedensforscher“ für die Ukraine und Russland anstreben.
Drittens ist in der Friedensforschung meiner Einschätzung nach ziemlich unumstritten, dass zum Frieden immer das grundsätzliche Interesse aller wesentlichen Konfliktparteien gehört, eine Verhandlung überhaupt zuzulassen. Und da sind wir schon beim ersten großen Problem: Die gibt es meines Erachtens auf russischer Seite derzeit überhaupt nicht.
Bei anderen Konflikten würde man jetzt nach Möglichkeiten suchen, der „unwilligen“ Konfliktpartei Anreize zu schaffen, sich zumindest an einen Tisch zu setzen. In der Vergangenheit waren dafür beliebte Optionen harte Wirtschaftssanktionen, militärische Interventionen, Strafandrohung, etc. Gegenüber einem Akteur wie Russland ist es aber schwer, solche Anreize zu schaffen, vor allem wenn sich der Rest der internationalen Gemeinschaft (Westen vs. China) in der Notwendigkeit dieser Anreize nicht einig ist.
Wenn die militärische/politische Führung einer Konfliktpartei nicht Verhandlungsbereit ist, dann gibt es in der Regel die Möglichkeit, deren „Constituency“ (also zum Beispiel die Zivilgesellschaft) in irgendeiner Form mit ins Boot zu holen. Auch das scheint in Russland eher schwierig zu sein, ist aber vielleicht noch nicht ganz ausgeschöpft worden.
Am Ende des Tages würde es mich nicht wunder, wenn es auch „renommierte Friedensforscher“ geben würde, die eine stärkere militärische Unterstützung der Ukraine befürworten. Wohl aber mit einem erheblich stärkeren Angemerkt auf die Ermächtigung auch nicht-militärischer Stakeholder auf allen beteiligten Seiten.
Vielen Dank für die ausführliche Darstellung.
Ich würde da auch zwischen „idealistischen Pazifisten“ und Friedensforschern unterscheiden.
Wie du sehr treffend beschreibst, steht und fällt alles Bemühen in Richtung Frieden sehr mit der Bereitschaft Russlands, überhaupt Frieden zu wollen.
Da wären jetzt tatsächlich die Möglichkeiten interessant, diese Hürde realistisch zu meistern.
Es ist das gleiche Problem, wie schon immer: Gegenwehr/Verteidigung von Normen und Werten mag sich langfristig lohnen, kurzfristig ist es aber anstrengend und schlimmstenfalls riskant. Außerdem geben wir uns so viel Mühe, Menschen abzugewöhnen, die Welt in schwarz und weiß zu betrachten, dass sie dann, wenn eine Situation einfach schwarz und weiß ist, denken, dass das nicht stimmen kann. Eigentlich liegt die Lösung für den Ukrainekonflikt klar auf dem Tisch: Mit Waffenlieferungen dafür sorgen, dass die Ukraine die Friedensordnung der akzeptierten Grenzen in Europa wieder herstellen kann, anschließend mit Russland milde Reparationen und harte Sicherheitsgarantien für alle demokratischen Nachbarn Russlands aushandeln. Ist halt jetzt teuer und riskant und falls das längerfristig einen zukünftigen Überfall Russlands auf NATO-Staaten verhindern würde, würde man das nie beweisen können und die Vorteile lägen auch nicht zwingend vor allem bei den Staaten, die - wie Deutschland - jetzt viel dafür tun müssten.
Ich denke als allererstes muss man sich von dem Gedanken verabschieden, dass man irgendetwas „schnell“ lösen kann. Selbst wenn man den offenen Krieg irgendwie kurzfristig „einfrieren“ könnte, würde das Problem als solches weiterbestehen und könnte jederzeit wieder zum aktuellen Status Quo zurückkehren.
Insofern wäre es am besten, eine sehr langfristige Vision zu entwickeln und von dort aus die nötigen Schritte zu bestimmen.
In jedem Fall wollen wir wohl ein Europa (also die heutige EU), dass sich nicht der ständigen Bedrohung einer militärischen Invasion ausgesetzt sieht.
Ich persönlich würde außerdem die Ukraine in dieses Szenario einschließen.
Bleibt die Frage, was wir uns für Russland wünschen. Ist es uns egal, was dort passiert? Oder beziehen wir das Land in unsere Vision eines sicheren Europas mit ein?
Im ersten Szenario kann unsere eigene Sicherheit eigentlich nur durch Abschreckung garantiert werden. Die logische Konsequenz ist eine maximale Unterstützung der Ukraine, bis diese ihre eigene territoriale Integrität wieder herstellen kann. Außerdem die Aufrüstung der EU-Außengrenzen, Investitionen gegen asymmetrische Interventionsversuche (also „Abhärtung“ demokratischer Prozesse und Mobilisierung von Spionageabwehr) und ein Raketenschutzschirm kombiniert mit atomarer Abschreckung.
Im zweiten Szenario müsste systematisch mit politischen, zivilgesellschaftlichen und diplomatischen Mitteln auf eine demokratischen Wende in Russland hingearbeitet werden. Für die Ukraine wäre das Endziel nicht die militärische Bezwingung Russlands, sondern eher eine Lösung nach europäischem Vorbild. Ähnlich wie Frankreich und Deutschland würde man in einem mühsamen und vermutlich jahrzehntelangem Prozess die Voraussetzungen für eine Überwindung der Feindseligkeit und ein Interesse an Kooperation schaffen. Die Frage der territorialen Kontrolle würde in diesem Szenario ähnlich wie die nationale Zugehörigkeit des Elsaß sekundär werden.
Beide Szenarien sind mühsam, risikobehaftet und teuer. Keines würde das Töten in der Ukraine schnell beenden. In beiden Szenarien kann die militärische Unterstützung der Ukraine weiter sinnvoll sein. Aber es wäre vermutlich sinnvoll, sich auf eine Vision festzulegen und diese dann auch Konsequent zu verfolgen.
Wie wahrscheinlich ist ein demokratischer Wechsel in Russland.
Diese Erfahrungswerte gibt es kaum dort.
Wie wahrscheinlich war er in Deutschland, in Polen, Indien, Südafrika, etc. ?
Aber ich stimme dir insofern zu, dass da „von alleine“ auf absehbare Zeit gar nichts passieren wird. Und die track record westlicher Staaten Einfluss auf die Entwicklung demokratischer Systeme im Ausland zu nehmen ist nicht besonders gut.
Es gibt Friedensforscher.innen und --institute und es gibt die Friedensbewegung, die verschiedensten Gruppen mit unterschiedlichen Sichtweisen. Dabei auch zum Beispiel im letzten Heft des Friedensforums einen Beitrag von Clemens Ronnefeldt zu Verhandlungsoptionen im Ukrainekrieg.Mir geht es auch um die Erweiterung des Horizonts mit anderen Konzepten als ausschließlich die militärische. Es erscheint mir absurd und einfach gruselig, wie hier Kriegstüchtigkeit, Aufrüstung, Veteranentagen, Werbung fürs Militär in Schulen quasi die jahrehntelang friedliche Orientierung der Gesellschaft umgekrempelt wird.
Natürlich passiert nichts so einfach. Aber es sollte doch wenigstens mal angefangen werden. Und die erstaunlichen Veränderungen in den von Ihnen genannten Ländern könnte doch auch Mut machen dazu, neue Wege oder auch erprobte frühere anzupacken. Dabei könnten wir letztlich alle gewinnen.
Was wären diese Verhandlungsoptionen im Ukrainekrieg?
Ganz konkret?
Und steht und fällt das nicht doch alles mit Russlands Festhalten an seinen Kruegszuelen?
Auch hier: was wären diese neuen Wege oder erprobte frühere ganz konkret?
Wandel durch Handel war es zumindest in der praktizierten Form nicht, denke ich…
Du meinst glaube ich diesen Artikel hier, oder? Verhandlungsoptionen im Ukraine-Krieg | Netzwerk Friedenskooperative
Der Artikel ist eine gute Übersicht über die aktuellen Verhandlungspositionen der beiden Kriegsparteien. Aber auch in der Darstellung von Ronnefeldt lässt sich die Russische Position so zusammenfassen: Aufgabe der ukrainischen Souveränität und Verteidigungsfähigkeit, Eingliederung des Landes in die russische Einflusssphäre, Anerkennung der russischen Annexionen und perspektivische Annexion des restlichen Landes („Russen und Ukrainer sind ein Volk“).
Durch das Eingehen auf diese Forderungen würde man sicher das aktuelle Töten im Krieg beenden. Allerdings tauscht die ukrainische Bevölkerung damit den offenen Kriegszustand nur gegen die hohe Wahrscheinlichkeit einer russisch gelenkten Unterdrückung mit vielen (dann verdeckten) Toten. Und Europa tauscht den offenen Krieg gegen die hohe Wahrscheinlichkeit einer russischen Aggression direkt gegen EU-Mitglieder.
Ronnefeldt hat selbst keine konkreten Vorschläge, wie man auf die russische Verhandlungsposition einwirken könnte. Er verweist auf eine IPPNW- Studie „Waffenstillstand und Frieden für die Ukraine“. Die fordert aber in erster Linie einen Waffenstillstand, auch wiederum ohne konkrete Ansätze für die Veränderung der russischen Perspektive bzw. die Forderung nach einer konstruktiveren russischen Haltung als Voraussetzung für einen Waffenstillstand.
Bin ich total dafür. Es wird viel zu wenig über nicht-militärische Optionen und Perspektiven geredet. Zivile Akteure auf allen Seiten sollten deutlich mehr Unterstützung erhalten.
Aber das kann nicht von der (militärischen und politischen) Realität ablenken: es gibt derzeit keinerlei Bereitschaft auf russischer Seite, von den (für alle anderen Akteure inakzeptablen) Maximalforderungen abzuweichen. So lange man dafür keine Lösung findet (siehe meine anderen Beiträge wird es auch keine Möglichkeit für einen „positiven Frieden“ in der Ukraine geben.
Mal ein kleiner Gedanke zu dem Thema generell.
Ja es ist verständlich das man Angst vor Krieg hat. Und Krieg hat immer was unberechenbares. Aber es ist in seiner eigenen Logik auch wieder berechenbar.
Soweit vorab aber jetzt der eigentliche Gedanke.
Gerade wir Deutschen halten uns selber immer wieder dieses „NIE-WIEDER“ ganz groß vor die Nase und reagieren teilweise sogar hyperempfindlich bei der kleinsten Kleinigkeit die schon irgendwie Rassistisch wirken mag. Alles auf Grund unserer Vergangenheit und den Verbrechen die unser Land in der Vergangenheit begannen hat. Und das ist auch Richtig so (gut über die Ausmaße der Empfindlichkeiten kann man debattieren aber das ist ein anderes Thema, im Kern ist es aber Richtig, sich der Vergangenheit und der Schuld und Verbrechen bewusst zu sein.)
Und warum denke ich nun daran? Was hat das alles mit dem Ukraine-Krieg zu tun?
Nun ich frage mich eigentlich in welchen Land wir jetzt leben würden, wenn nicht Großbritannien und England irgendwann zu Nazi-Deutschland gesagt hätten „Jetzt bist du zu weit gegangen, dann ziehen wir halt in den krieg um dich zu stoppen!“. Wir profitieren heute davon, das damals Menschen gesagt haben „Bis hier hin und nicht weiter“. Und ja Geschichte ist deutlich komplizierter, aber letztlich haben wir hier einen eindeutigen Aggressor den man in die Schranken verweisen muss. Je schneller um so besser für alle. Auch wenn das bedeutet das man Dinge mach die einen Angst machen oder die man nicht will. Und auch wenn der Aggressor vielleicht seine „berechtigen“ Gründe und Motivationen hat, aber es sind so eindeutig Grenzen des Zusammenlebens verletzt worden, das man das nicht akzeptieren darf. Und gerade wir Deutschen sind doch experten dieser Grenzen extrem überschreiten. Gehört es dann nicht auch zu unserer Verantwortung des „Nicht-Vergessen“ und des „NIE-WIEDER“ genau solchen Aggressoren Einhalt zu gebieten? Auch wenn es uns zu Dingen zwingt vor denen wir eigentlich Angst haben?
Es gibt schon ein paar Möglichkeiten jenseits der militärischen Hochrüstung der Ukrainer. Allerdings sind diese meist nicht weniger komplex, risikobehaftet, langwierig oder teuer und stehen manchmal im Widerspruch zueinander. Mal ein paar Beispiele:
1. Förderung eines langfristigen und friedlichen demokratischen Wandels in Russland:
Mit Putin an der Spitze Russlands wird es keine friedliche (im Sinne der Friedensforschung) Lösung für den Konflikt (bzw. das weitere Verhältnis mit Europa) geben. Europa/der Westen könnte aber durchaus viel stärker als bisher eine Demokratisierung Russlands unterstützen, indem der demokratischen russischen Zivilgesellschaft erhebliche Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, der westliche technologische und kulturelle Einfluss zur Unterminierung russischer Propaganda in Russland eingesetzt wird, der russische Einfluss in den Anrainerstaaten zurückgedrängt wird usw. Das Ziel wäre ein demokratischer Wandel innerhalb der nächsten 30 Jahre oder länger.
2. Internationale Isolierung Russlands durch Kompromisse mit russischen Verbündeten:
Russland kann ohne militärische Unterstützung und Handelsbeziehungen mit anderen Staaten keinen Krieg führen. Zu nennen wären hier beispielsweise China, Indien und Iran, aber auch generell Handelspartner z.B. in der EU (Erdöl/Gas), Türkei, etc… Ziel wäre eine vollständige Isolierung Russlands, wofür man aber innerhalb der EU erhebliche Kosten in Kauf nehmen müsste (Stop aller Gas/Erdölimporte, Abbruch aller Handelsbeziehungen und Sanktionierung von Zwischenhändlern).
Außerdem müsste man Staaten wie China, Indien und Iran die Kooperation in irgendeiner Form schmackhaft machen. Im Falle Chinas zum Beispiel durch einen weitgehend ungehinderten Zugang zum europäischen und amerikanischen Markt, im Falle Irans wohl eher durch ein Ende der militärischen Einhegung des Landes, Aufhebung der Sanktionen und Akzeptanz des ideologischen und militärischen Einflusses Irans in der Region.
3. Konkretes Angebot an Russland mit teilweisen Zugeständnissen
Wenn es erstmal nur um den Einstieg in Verhandlungen geht, könnte man Russland auch konkrete Zugeständnisse in Aussicht stellen. Zum Beispiel Verbleib der Krim bei Russland und Neutralität (à la Schweiz) der Ukraine. Sicher müsste man schauen, was Russland als Garantien für so einen Frieden anbieten würde und wie glaubhaft das ist. Es würde auch die Problematik des russisch-europäischen Verhältnisses nicht klären. Aber möglich ist das natürlich.
Es gibt sicher noch andere Möglichkeiten. Aber ich denke das jede alternative/ergänzende Strategie genauso wie die Fortsetzung der militärischen Unterstützung der Ukraine ein paar grundlegende Fragen beantworten muss:
- Was ist das Endziel/die Vision zu der die Strategie beitragen soll?
- Über welche Zeiträume sprechen wir und was passiert in der Zwischenzeit?
- Was sind die „unerwünschten“ Nebeneffekte und Kosten der Umsetzung?
- Welche anderen Strategien sind kompatibel oder stehen im Widerspruch?
- Was muss sich am Status Quo verändern, damit die Strategie erfolgreich sein kann und wie kann diese Veränderung erreicht werden?
Auf dem Niveau wird noch viel zu wenig diskutiert.
Ich würde gerne folgendes zur Debatte beitragen:
In der Lage geht ihr auf die Aussage ein „Angst ist kein guter Ratgeber“. Dem würde ich prinzipiell nicht widersprechen. Würde es dann aber gleichzeitig auch auf mögliche Eskalationsszenarien anwenden, welche eine Unterstützung der Ukraine bestärken soll und bei denen - überspitzt ausgedrückt - Putin morgen vor Warschau oder gar Berlin steht, wenn wir heute die Ukraine nicht auf maximale Weise unterstützen.
Im deutschen öffentlich wahrnehmbaren liberalen Diskurs herrscht eine Alternativlosigkeit zu dem Gedanken, dass man die Ukraine bis zu einem Sieg unterstützen muss.
Genau dieser Diskurs ist meines Erachtens jedoch ebenfalls ein „schlechter Ratgeber“.
Ich kann die Argumente völlig verstehen, dass man 1. ein Zeichen setzen möchte, dass sich ein Krieg zur Durchsetzung von Interessen nicht lohnen darf sowie 2., dass Putin schwer zu trauen ist, da er auch in Vergangenheit in diplomatischen Verhandlungen oft gelogen hat.
Die Realität ist jedoch, dass dieser Krieg bereits seit über 2 Jahren andauert und es Russland auf der einen Seite nicht gelungen ist, bis nach Kiew vorzurücken und auf der anderen Seite die Ukraine es nicht geschafft hat, Russland hinter die Grenzen von 2022 geschweige denn 2014 zurückzudrängen. Daraus ergibt sich die Frage: Was ist denn ein ukrainischer Sieg, den wir mit den Waffenlieferungen zu verfolgen gedenken?
Realistisch betrachtet ist es nahezu ausgeschlossen, dass die Ukraine ihre Gebiete der Grenzen 2022 oder 2014 zurückerobern wird. Wollen wir weitere 2 Jahre den Status Quo aufrechterhalten, bis die ukrainische Armee keine Soldaten mehr hat und wir für das Erreichen der westlichen Ziele auch westliche Truppen entsenden müssten?
Die Ziele, so legitim sie auch sein mögen, sollten nicht um jeden Preis verteidigt werden.
Die Nachrichtenagentur Reuters bezieht aus vier unterschiedlichen russischen Quellen die Information, dass Putin zu Verhandlungen bereit sei. Ja, Putin hat in Vergangenheit oft gelogen und ihm ist zu misstrauen. Aber: Sollen wir es trotzdem unversucht lassen und auf den Maximalzielen beharren? Ich denke nicht, da, wie dargelegt, das Erreichen dieser entweder unrealistisch ist oder eine weitere massive Anzahl an Opfern fordern würde. Zudem steht mit einer möglichen Wiederwahl Trumps in den USA ein weiterer Unsicherheitsfaktor für die Umsetzung dieser Ziele im Raum.
Putin wurde bereits vermittelt, dass er auf massiven Widerstand stößt, wenn er die russischen Grenzen Richtung Westen verschieben will und die NATO Ostflanke wurde in den letzten 2 Jahren ebenfalls aufgerüstet. So traurig und unfair das sein mag, aber ich denke, man sollte sich mit dem Gedanken an Verhandlungen beschäftigen, versuchen ein möglichst großes Gebiet der Ukraine zu erhalten und in die EU einzugliedern sowie künftigen Expansionen Russlands Richtung Westen vorzubeugen. Und ja, ein nächstes Opfer kann trotzdem Georgien sein, aber das kann es auch werden, wenn die Maximalziele der Ukraine erreicht werden und das Massensterben um Russlands Expansionsdrang zu beenden muss aufhören.
Und außerdem: Was wäre das langfristige Ziel der westlichen Vorgehensweise? Soll Russland ab jetzt ein Paria-Staat bleiben, bis der Krieg vorbei ist und/oder Putin seine Macht verloren hat? Angesichts der Tatsache, dass Russland selbst mächtig ist und mit Iran und China mächtige Verbündete hat, ist es auch da völlig unrealistisch, dass der sog. Westen Russland aus dem globalpolitischen Geschehen verdrängt. Es braucht in irgendeiner Form wieder diplomatische Beziehungen, um in Zukunft nicht einer völligen Willkür Russlands oder gar einer ganzen Achse an „feindlichen“ Staaten ausgesetzt zu sein. Das geopolitische Kräfteverhältnis verändert sich gerade, und zwar nicht zum Gunsten des Westens. Ich bin mir nicht sicher ob eine Kluft zwischen dem Westen und anderen Ländern das ist, wonach der Westen streben sollte.
Ich möchte hier auf keinen Fall behaupten, dass meine hier dargelegte Sichtweise die richtige ist und die anderen dargelegten Meinungen falsch sind. Ich würde mir ebenfalls wünschen, dass Russland bis hinter die Grenzen von 2014 zurückgedrängt wird. Ich finde nur, dass es berichtigte Hinweise dafür gibt, mehr Raum für die „Verhandlungsperspektive“ im Diskurs zuzulassen.
Ich persönlich denke, dass hinter den Kulissen schon die ganze Zeit und ständig Verhandlungsversuche laufen. War auch im Jugoslawienkrieg so, soweit ich weiß. Solche Verhandlungen führen Politiker doch nicht in der Öffentlichkeit.
Und wenn jemand nicht verhandlungsbereit ist, dann doch wohl eher Putin. Nach all den Erfahrungen mit ihm scheint es mir naiv, an seine Verhandlungsbereitschaft zu glauben. Vergesst nicht, woher er kommt. KGB-Offizier.
Das Problem der Ukraine ist nicht in erster Linie die Zahl der Soldaten (auf die sie selber noch einen recht großen Einfluss hat), sondern die Verfügbarkeit moderner Waffensysteme in ausreichender Zahl, vor allem im Bereich Artillerie, Luftabwehr und -Hoheit. Personal ist eine Herausforderung, aber meines Erachtens nicht der entscheidende Faktor.
Es hindert absolut niemand Putin daran, direkt oder indirekt (z.B. über die Diplomaten eines neutralen Staats) Verhandlungen anzustoßen. Dafür müsste aber auch er von seinen Maximalforderungen abrücken oder zumindest die Bereitschaft dazu signalisieren. Sonst gibt es ja nicht wirklich etwas zu verhandeln.
Alternativ gab es auch immer wieder niederschwellige Angebote an Putin, Verhandlungsbereitschaft zu signalisieren. Z.B. bei der Frage der Repatriation von Kriegsgefangenen und den nach Russland verschleppten Kindern. Auch da scheint die russische Seite keine große Gesprächsbereitschaft zu zeigen.
In irgendeiner Form muss Putin eben nicht nur darüber reden, dass man ja reden kann, sondern auch konstruktiv Handeln. Sonst entsteht halt schnell der Verdacht, dass er mit dem Gerede über Verhandlungen nur seinen eigenen Vorteil stärken will (Propaganda, Zeit für Aufrüstung).
Ja, warum nicht?
Das hat doch mit einer wesentlich stärkeren Sowjetunion am Ende ganz gut funktioniert, oder? Ich will damit nicht zum Ausdruck bringen, dass ich diese Perspektive oder den Vergleich persönlich unterstütze, aber ich nehme an, dass das zumindest insgeheim ein beliebter Gedanke in vielen westlichen Hauptstädten ist.
Die entscheidende Frage ist doch, auf welchem zeitlichen Horizont denken wir? „Der Westen“ macht oft den Fehler, Geopolitik im Bereich 1-5 Jahre zu denken. Das begrenzt die Suche nach Handlungsoptionen jeder Art.
Das es manchmal dramatische Ereignisse gibt (Kriegsausbruch, Revolutionen usw) lenkt davon ab, dass sich internationale Politik eher gletscherhaft entwickelt. Wer hier Einfluss nehmen will und nicht nur Spielball sein möchte, der muss eher über Zeiträume von 50 als von 5 Jahren nachdenken.
Also mir persönlich ging es auch eher darum zu sagen, dass im öffentlichen Diskurs um die Ukraine der rein militärische Weg nicht als einzige Lösungsoption betrachtet werden sollte. Die Gründe dafür habe ich ja genannt.