Eine Verteidigung der Schuldenbremse

Damit sind wir uns (fast) einig. Und auch zwischen deiner Position und der (für Fiskalpolitik wesentlichen) Aussagen z. B. der MMT passt kaum noch ein Blatt Papier.

Die Essenz der von dir getätigten Aussage ist nämlich, dass nicht die Staatsverschuldung, sondern das Ausgabeverhalten des Staates (als bei weitem größter Marktakteur in einer Volkswirtschaft) wesentlich ist für die Geldwertstabilität. In Boomzeiten mit prall gefüllten Steuersäckeln ist es sogar denkbar, dass ohne zusätzliche Schulden getätigte Ausgabenprogramme eine bereits auf vollen Touren laufende Wirtschaft Richtung Inflation treiben. Dergleichen mit staatlicher Verschuldung identisch zu denken, ist lediglich ein antrainierter Reflex.

Im Falle dauerhaft wegbrechener privater und Unternehmensnachfrage kann die Schuldenbremse auch aus deiner Sicht keine gute Idee sein, oder?

Spätestens seit der Krise von 2008 befindet wir uns in den entwickelten Industriestaaten jedoch in einer Situation, wo tendenziell genau dies der Fall ist. Wir alle ähneln nun Japan.

Die Schuldenbremse setzt jedoch implizit voraus, dass im Normalfall der Wirtschaftsentwicklung die privaten Unternehmen die durch die privaten Haushalte erwirtschafteten Ersparnisse für ihre Investitionstätig nachfragen und die Fiskalpolitik daher neutral (=ausgeglichener Finanzierungssaldo der öffentlichen Hand) sein kann. Das war der Lauf der Dinge nach dem zweiten Weltkrieg bis vor ca. drei Jahrzehnten.

In Japan, unserem Vorreiter, drehte dann der Finanzierungssaldo der Unternehmen mit der Krise Anfang der 90er dauerhaft ins Plus: https://4.bp.blogspot.com/-hTkrc6UfAXQ/V5t9CbkdRzI/AAAAAAAAS_8/PeZoKOTRA2g6Tu3qY_YWLMzA0duidmB3gCLcB/s1600/financial%2Bbalances%2Bof%2BJAP%2C%2Bchart%2BHeiner%2BFlassbeck%2C%2BJuly%2B29%2C%2B2016.png

Und gut 10 Jahre später geschah das gleiche, etwas weniger stark ausgeprägt, auch in Deutschland: https://was-ist-geld.de/wp-content/uploads/h5p/content/53/images/file-5c12b39960566.jpg

Und das gleiche passiert überall auf der Welt, wo es aufgrund der Megatrends i) absehbar überalternder und dann auch schrumpfender Bevölkerungen gepaart mit ii) schwach steigenden oder gar stagnierenden Löhnen, gepaart mit iii) sinkender Abschöpfung von Überschüssen qua Steuern, ein Auseinanderlaufen von privaten Ersparnissen einerseits und Bedarf an kreditfinanzierter Investitionstätigkeit bei den privaten Unternehmen andererseits gibt.

Kurz gesagt: wir leben nun in einer Welt, in der die Wirtschaft nur dann nicht zusammen bricht, wenn sich die öffentliche Hand Jahr für Jahr mit X% des BIP verschuldet. Dazu passt die Schuldenbremse (und der vertragliche Unterbau der Eurozone insgesamt) nicht.

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Ok, jetzt verstehe ich deinen Punkt, Du willst auf die Giralgeldschöpfung hinaus. M.W. ist dies aber doch nicht die einzige laufende Geldschöpfung. Schafft nicht die EZB laufend neues Geld?

Mein Beispiel mit dem Gold war insofern ungünstig gewählt, weil es als Hinweis auf die Goldpreisbindung der Währung interpretiert werden konnte. Ich wollte eigentlich Sachwerte illustrieren. Mein persönliches Vermögen besteht zum Beispiel überwiegend aus Aktien, andere haben Immobilien etc., nicht unbedingt nur Geldvermögen.

Und dann ist es zumindest ungewöhnlich, Vermögensaufbau von der Seite der Geldschöpfung her zu beschreiben. Daher habe ich Dich so interpretiert, das Vermögen aus Deiner Sicht grundsätzlich nur ein Schuldverhältnis sein könnte.

Das ist aber m.E. falsch 1. für Sachwerte und 2. auch geldtheoretisch, da es ja eben nicht nur die Giralgeldschöpfung gibt, sondern eben auch die durch die ezb.

Klar. Neben Geldvermögen gibt es noch weitere Arten von Vermögen. Aber dem Anwachsen des Geldvermögens kommt eine Schlüsselrolle zu, da dies das wesentliche Motiv für die Privatwirtschaft ist. Unternehmungen, die dauerhaft keinen Überschuss erwirtschaften, sondern allein auf der Hoffnung eines Wertzuwachses des nicht-profitablen Unternehmens basieren, sind nicht die Norm. Um die Privatwirtschaft am Laufen zu halten, muss sie (im Schnitt) profitabel sein, also für die Eigentümer einen Zuwachs an Geldvermögen generieren.

Ja, die Zentralbank kann auch Geldschöpfung betreiben. Das spielt aber mengenmäßig gegenüber dem Giralgeld in der Regel keine Rolle.

(Wobei es schon Stimmen gibt, die vorschlagen, dass die Zebtralbanken in Krisenzeiten einfach jedem Bürger einen gewissen Betrag gutschreiben, als Alternative zu kreditfinanzierten Konjukturpgrammen der öffentlichen Hand. Stichwort: Helikoptergeld.)

OK, ich habe Deinen Rat beherzigt und diesen wirklich wunderbaren Podcast zu dem Thema gefunden:

Die Grundaussage von MMT (der Staat kann sich schadlos beliebig verschulden) gilt, wenn überhaupt, nur unter bestimmten Bedingungen. Es ist mit nichts garantiert, dass diese Bedingungen auch in der Zukunft gelten (gerade aktuell warten alle Ökonomen sehr gespannt darauf, ob wir nur eine post-corona-transitorische Inflation erleben oder ob sich nicht doch wieder mal eine Inflation einstellt). Und ein Schlaraffenland bietet MMT auch nicht: Mit den Staatsschulden muss der Staat halt auch gesellschaftliche Werte schaffen, die die arbeitende Bevölkerung in die Lage versetzt, das Volkseinkommen zu generieren, mit dem wenigstens die Zinsen finanziert werden können. Mein Eindruck: Aus der MMT wird hier im Forum von einigen völlig simplifiziert Rosinen herausgepickt.

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Sorry für meine verzögerte Rückmeldung!
Schön das du dich dem Thema etwas angenommen hast. Ich dem Zuge kann ich nur Dirk Ehnts empfehlen, der hat immer schöne Nachvollziehbares aus der aktuellen Wirtschaft zu MMT.

Nur damit wir uns nicht falsch verstehen. Ich persönlich gehe nicht 1:1 dacor mit der MMT. Zum Beispiel finde ich den Ansatz der Jobgarantie eine unschöne Vorstellung, wenn sie auch für einige gut klingen mag.
Was man aus der MMT meine Meinung nach mitnehmen sollte ist der Ansatz das wir Staatseinnahmen und Steuern sowie Staatsschulden neu denken müssen weil das System seit Jahren im Wandel ist und sich weiter entwickelt. Die alten Ankerpunkte gelten nicht mehr. Finanzmarkt und Realwirtschaft sind schon entkoppelt, wir werden kein großes Wachstum mehr erleben, eher das Gegenteil (zumindest wie wir es messen). Daher wird eine der großen ökonomischen Fragen der kommenden Jahre sein, wie man den Staat Zahlungsfähig hält und dabei die Preise stabil, ohne die derzeitigen Hebel noch weiter nutzen zu können.

Kannst Du auf ein paar Quellen verlinken?

Ist der nicht auch in dem BR-Podcast zu wort gekommen, auf den verwiesen hatte?

Ist das der gleiche Dirk Ehnts, der KenFM ein Interview gegeben hat?