DOGE und die Frage Demokratie/Bürokratie

Hi
gerade hab ich in FB einen Reel eingespielt bekommen, der das Video von Musk zeigt, in dem er DOGE rechtfertigt. Findet man auch hier
Doge in den USA - Elon Musk rechtfertigt sich: „Maximal transparent“ - Politik - SZ.de (ich weiss ja, wenn ich ohne Quelle poste, gibts gleich wieder ärger, wie in der Diplomarbeit :-))

Anyway, die Kernaussage von Musk ist ja, dass die gewählten Entscheider in der Demokratie gegen die Komplexität der Bürokratie gar keine Chance haben, sodass der Feind der Demokratie die Bürokratie ist. Zudem stellt er fest, dass die Bürokratie viel zu teuer ist.

Das Video hat mich irgendwie nicht mehr losgelassen. Auf der einen Seite denke ich „Bürokratie ist die Manifestation von Demokratie, unseren Gesetzen, etwas gutes“, auf der andere Seite hat jeder, der mit der Bürokratie in Kontakt kommt, bestimmt schonmal gedacht „Die machen mir das Leben nur schwer, und nutzen gar nichts“.

Und in DE im Wahlkampf kommt immer wieder „Bürokratieabbau“, nur damit es danach noch komplexer wird. Am Ende bin ich beim Gedanken rausgekommen, was ist denn gute und schlechte Bürokratie. Wo ist Nutzen, wo ist Selbstzweck, und wer entscheidet das?

Ein konkretes Beispiel bei mir: Die Bürger wollen Tempo30 in einer bestimmten Straße, der Bürgermeister auch. In diesem Fall muss aber das Landsratsamt mitmachen, dort ist das aber keine Prio. Nach vielen Iterationen geben alle Beteiligten auf, weil es einfach zu kompliziert ist.

Oder Bauämter, die trotz weniger Anträge mehr als 1 Jahr brauchen, um simple Bauanträge zu bewältigen.

Da ist ja niemand per se faul, sondern einfach ein Teil eines großen Ganzen, das so komplex ist. Und dann ist man ja auch Teil eines Systems, das sich nicht selbst abschaffen will, nicht nur im öffentlichen Dienst.

Die Methoden von Musk sind für mich undenkbar, aber der Gedanke dahinter lässt mich nihct mehr los. Natürlich sagen Kritiker, dass Musk wohl nicht das Volk von Bürokratie erleichtern will, sondern seine Unternehmen, dass sie schneller, höher, weiter kommen… aber nehmen wir mal Musk aus der Gleichung, Ist Bürokratie wirklich das Ende von Demokratie im Sinne von gewählter Veränderbarkeit?

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Zu dieser Frage gab es ja schon reichlich Diskussionen hier im Forum. Ich glaube, man kann das Phänomen Bürokratie am besten fassen, wenn man bedenkt:

  • Ein Teil ist entstanden, um Willkür entgegenzuwirken,
  • ein Teil ist „historisch gewachsen“ und nicht mehr zeitgemäß,
  • ein Teil mag auch sowas wie Bestandsschutz sein.

Deswegen kann ein pauschaler Aufruf „Nieder mit der Bürokratie“ zu nichts Sinnvollem führen.
Es gibt keine einfache Lösung. Man muss differenziert vorgehen: Zuständigkeiten klären, Doppelstrukturen abbauen, Digitalisierung vorantreiben und schauen, was in welchem Zusammenhang sinnvoll ist und was nicht.

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Um mal bei dem Beispiel zu bleiben: Das was Musk und DOGE gerade machen entspricht ja eher einer Schließung des Bauamtes und einer Entlassung der Hälfte der Leute im Landratsamt, mit der Folge, dass es de facto kaum noch geahndet wird, wenn Leute 80 statt 50 fahren und dass alle, die genug Geld haben, so bauen wie sie wollen. Ich weiß, das ist jetzt etwas überspitzt, aber ich hoffe die Tendenz wird klar.

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Ein Aspekt ist ja auch, dass ein guter Teil der Erfolge von Bürokratie, analog zu den „eben-da-kosten“, „eben-da-nutzen“ ist, den wir gar nicht aktiv warnehmen, geschweige denn würdigen.

Beispiele:

  • Führerscheine, Fahrschule und alles was da dran hängt, ohne würde der Straßenverkehr hier möglicherweise aussehen wir in Südostasien.
  • Baurecht, wann ist das letzte mal in Deutschland eine Schule über den Schülern zusammengebrochen, wann ist das letzte mal jemand wegen Asbest im Neubau gestorben?
  • Geschützte Berufe: Arzt, Anwalt, Ingenieur, …
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Ich würde noch ergänzen, das es eventuell auch sinnvoll sein könnte Dokumentationspflichten durch Kontrollen zu ersetzen.

Also anstatt, dass man alle dazu zwingt einen relevanten Teil ihrer Arbeitszeit (ich denke hier vor allem an die Pflege und ärztliche Versorgung) in die Dokumentation der Arbeit zu stecken, wäre ja möglicherweise allen (Patienten wie Arbeitenden) mehr damit gedient wenn diese Zeit in die eigentliche Arbeit gesteckt wird.

Gleichzeitig erscheint es mir sinnvoller, wenn tatsächlich mehrmals im Jahr jemand vor Ort erscheint und sich die realen Abläufe ansieht, ggf. direkt Best-Practice Vorschläge mitbringt, und somit für ein direktes Feedback sorgt, und wenn es gar nicht mehr geht, einen Laden auch direkt schließt. Klar, das ist teuer, da man die „Kontrolleure“ haben muss, aber gleichzeitig spart man Zeit für Dokumentation um der Dokumentation willens.

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Was Musk macht ist KEIN Bürokratieabbau, sondern die Zerschlagung staatlicher Institutionen und die Abschaffung staatlicher Leistungen, ohne irgendeine gesetzliche Grundlage dafür.

z.B. hat er USAID (ungefähr das äquivalent zu unserem Entwicklungshilfeministerium) einfach dicht gemacht. Das ist illegal. Diese institution hat ein gesetzliches Mandat, gesetzlich festgelegte Aufgaben und ein vom Kongress beschlossenes Budget. Darüber setzt sich Musk einfach hinweg.

Natürlich ist es eine legitime Frage, wie eine Organisation ihr Budget effektiver nutzen kann. Um beim Beispiel USAID zu bleiben, kann man fragen, ob bei Projektanträgen und Berichten redundante Informationen abgefragt werden, ob man Aufgaben an lokale Hilfsorganisationen abgeben kann die (günstigere) lokale Kräfte beschäftigen anstatt (teure) in Washington, ob man komplexe Projekte z.B. durch die einfache Verteilung von Cash ersetzen kann. All das wäre Bürokratieabbau.

Aber einfach staatliche Leistungen einseitig zu streichen ist KEIN Bürokratieabbau, sondern schlicht eine illegale Machtergreifung.

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Zu USAID s. auch den Thread USAID abschaffen

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Da fallen mir als Erstes lauter Beispiele ein, die absolut für eine Dokumentation sprechen – dir offenbar diejenigen, die für Kontrolle und gegen Dokumentation sprechen :slight_smile: Das zeigt, wie vielschichtig das Problem ist.

Ja, das denke ich mir auch oft, wenn ich mit unterschiedlichen Auslegungen von Gesetzen zu tun habe. Ein HessHG, die eine Hochschule legt ein Gesetz maximal restriktiv aus, die Kollegin im Nachbarlandkreis maximal großzügig. Und immer neue Räder, die erfunden werden … – In manchen Fällen sind verschiedene Ansätze und Wege durchaus sinnvoll, aber sehr oft kann man sich nur wundern.

Das alles hat mit der Frage nach Bürokratieabbau zu tun, aber kaum etwas mit Musk. Warum? Weil es Musk ausschließlich um seinen Vorteil geht (maximale Autokratie).

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Dokumentation ist nicht grundsetzlich schlecht, man sollte nur genau überlegen, wann, wo, wieviel, von wem und vor allem wozu?

Nur habe ich das Gefühl das Dokumentationspflichten zu oft als einfache Lösung herhalten müssen. Die kosten unsere Politik erstmal wenig bis garnichts, und man kann damit wunderbar Interesse an einer Verbesserung/Lösung simulieren. Denn es wird ja erstmal überhaupt nichts besser, z.B. in der Pflege, wenn jetzt jeder Handschritt hinterher auch noch aufgeschrieben wird. Im Gegenteil, es bleibt erst einmal weniger Zeit für die eigentliche Arbeit. Theoretisch kann ich jetzt natürlich die Dokumentation kontrollieren und so Missstände aufdecken, aber das braucht wiederum 2. Dinge, 1. muss die Dokumentation der Realität überhaupt erstmal entsprechen (was ich eigentlich kontrollieren müsste) und 2. müsste auch diese Kontrolle überhaupt einmal (regelmäßig) stattfinden, das kostet aber wieder.

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Ich würde noch hinzufügen, dass die Sinnhaftigkeit von Bürokratie auch von eigenen Prioritäten und Wertesystemen abhängt.

Das LkSG (Gesetz über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten zur Vermeidung von Menschenrechtsverletzungen in Lieferketten / Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz) ist ein schönes Beispiel. Klar ist die Einhaltung von Menschenrechten bei Zulieferern und Subunternehmern wichtig und sollte für alle eine politische Priorität sein. Aber das Gesetz erzeugt notwendigerweise einen massiven Mehraufwand in Unternehmen und der Verwaltung, die die Einhaltung überwachen soll.

Ob es das Wert ist, ist am Ende eine politische und individuelle Frage - für die Bundesregierung war der erzeugte Zusatzschutz wichtiger als der bürokratische Mehraufwand, eine andere Regierung hätte vielleicht gesagt „Wir regeln das über außenpolitischen Druck auf Bangladesch aber nehmen nicht die Unternehmen in die Pflicht“.

Für Bürokratieabbau findet sich immer breite Zustimmung. Aber wenn es ums konkrete geht, findet sich auch immer jemand der profitiert und schreit.

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