Die nächste Taiwan-Krise steht in den Startlöchern

Mit dem geplanten Taiwan-Besuch von Nancy Pelosi (Speaker of the House) steht die nächste Taiwan Strait Crisis in den Startlöchern.

So warnte das Pentagon etwa davor, ihr Flugzeug könne abgeschossen werden und ihr offenbar von dieser Reise abgeraten. Selbst die Biden-Regierung hält den Besuch wohl nicht für eine sonderlich gute Idee, kann ihr die Reise aber freilich nicht untersagen (Stichwort Gewaltentrennung).

Um die Sicherheit Pelosis zu gewährleisten, könnten nun US-Kampfflugzeuge ihr Flugzeug eskortieren, darüber hinaus wird laut Berichten über die Verlegung einer Flugzeugträger-Kampfgruppe in die Region nachgedacht. In anderen Worten: Sollte die Luftwaffe der chinesischen Volksbefreiungsarmee versuchen, Pelosis Flugzeug abzufangen, könnte es zum Showdown kommen…

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Tja, Taiwan ist halt eine ganz schwere Diskussion, auch für den Westen.

Die Tatsache, dass nach internationalem Recht Taiwan Teil von China ist und seit jeher kein westliches Land Taiwan als Staat anerkennt, macht halt jede Einmischung hier schwierig, wenn der Westen glaubwürdig bleiben will.

Das Problem ist: Taiwan ist eine Demokratie und uns damit sehr sympathisch. Über China kann man beides nicht behaupten. Wenn wir uns nun aber über internationales Recht hinwegsetzen und Taiwan offiziell anerkennen (und der Besuch hochrangigster Politiker wie Pelosi ist ein Schritt dahin…) machen wir halt nichts anderes als das, was die Russen in der Ostukraine tun. Denn dort gilt das gleiche: Die Separatisten-Möchtegernstaaten sind Russland wesentlich sympathischer als die mittlerweile eher pro-westlich eingestellte Ukraine und deshalb tritt man das Völkerrecht mit Füßen und erfindet angebliche Genozide, um daraus die Berechtigung zur „Entnazifizierung“ der Ukraine zu konstruieren.

Nichts anderes wäre es, wenn die USA nun Taiwan militärisch unterstützen und - was sie durchaus in der Vergangenheit schon getan haben - hochrüsten.

Es ist ein großes Dilemma, dass das Völkerrecht hier eben auf der Seite Chinas ist. Aber wenn wir anfangen, im Völkerrecht Favoriten zu spielen („Demokratien haben immer Recht, Diktaturen nie!“) können wir das Völkerrecht auch gleich komplett beerdigen, denn dann werden sich zwei vollständig unterschiedliche Völkerrechtsordnungen bilden (eine westliche und eine östliche) und keine Seite wird die Interpretation der anderen Seite akzeptieren. Damit wäre das Völkerrecht im Konfliktfall zwischen Westen und Osten tot.

Es ist jetzt schon amüsant zu sehen, wie bemüht pro-westliche Juristen versuchen, irgendwie eine rechtsdogmatisch halbwegs sinnvolle Begründung dafür zu finden, warum für Taiwan nicht gilt, was für alle anderen Unabhängigkeitsbewegungen gelten soll. Und jedem dieser Versuche sieht man bei einer neutralen Betrachtung klar an, dass sie eben zweckgerichtet sind, dass versucht wird, das Völkerrecht so lange zu biegen, bis es irgendwie mit unserer westlichen Sichtweise übereinstimmt. Unnötig zu erwähnen, dass russische oder chinesische Juristen (und Politiker) diese Versuche nicht akzeptieren werden.

Doofe Situation, ähnlich wie mit Hong Kong. Langfristig gehören sowohl Taiwan als auch Hong Kong halt China - was bedeuten würde, dass die Demokratiebewegungen in diesen Staaten durch massive Repression unterdrückt werden. Aber die Frage ist halt: Haben wir (also der Westen) wirklich das Recht, unsere Moral und unser Gerechtigkeitsempfinden über das Völkerrecht zu stellen, wie es Russland in der Ostukraine und China in Hong Kong (durch die zu frühe Eingliederung) tut?

Und falls ja, was ist die Konsequenz? Dass es nun wegen dem russischen Angriffskrieg einen neuen Kalten Krieg auf absehbare Zeit mit Russland geben wird, ist kaum vermeidbar. Aber China ist für uns wirtschaftlich so viel wichtiger. Eine weitere Konfrontation bedeutet hier massive Nachteile für unseren Lebensstandard, und ich befürchte, dass das Volk da nicht mitspielen würde.

Persönlich denke ich, dass China Taiwan kaum sinnvoll einnehmen kann, wie ich es auch schon zu Russland im Hinblick auf die Ukraine gesagt habe. Taiwan ist ein Inselstaat und als solcher schon gut zu verteidigen, zudem ist es fast vollständig urban geprägt. Ein Besatzungskrieg durch China wäre ein Blutbad sondergleichen, China müsste auch hier quasi die gesamte Insel in Schutt und Asche bomben, um das Gebiet zu erobern. Und dann hat China ein millionenschweres Massegrab aus zerstörter Infrastruktur.

Insofern hoffe ich, dass die Situation dort einfach weiter stagniert. Die USA mit ihrer strategischen Ambiguität (daher China im Unklaren lassen, ob ein Angriff auf Taiwan zu einem Krieg mit den USA führen würde) helfen dieser Stabilität aktuell, auch wenn das den Westen wie gesagt im Hinblick auf das Völkerrecht unglaubwürdig macht. Aber Stillstand ist halt aktuell das beste, was wir dort realistisch erwarten können. Und ehe das Problem „Russland“ nicht erledigt ist, sollte man den Taiwan-Konflikt mit China zumindest nicht weiter eskalieren. Zweifrontenkriege sind grundsätzlich keine gute Idee und würden China und Russland nur noch weiter zusammentreiben.

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China tritt Menschenrechte mit Füßen und hat keine Eigenschaften eines Rechtsstaates, warum sollte uns seine Interpretation des Völkerrechts interessieren? Zudem galt Taiwan bis in die 70er als China*. Da sieht man doch schon was das Völkerrecht im diesen Fragen wert ist.
Da interessiert mich die Freiheit von fast 25 Millionen Menschen auf dieser Insel deutlich mehr.

Ich finde den Vergleich von Taiwan mit irgendwelchen russischen Satellitenstaaten auch deplatziert. Taiwan ist zweifellos ein selbständiger Staat und kein künstliches, völlig abhängiges Gebilde.

Edit: *die betreffende UN Resolution 2758 von 1971 haben auch einige demokratische Staaten unterstützt, daher war es nicht nur eine Reihe von China freundlich gesonnenen Diktaturen, die diese Änderung herbei geführt haben.

Sorry, aber das ist genau der Punkt:
Das darf keinen Einfluss auf die Diskussion haben, auch wenn es schmerzt.

Das ist, als würde man einem Mörder das Recht absprechen, im Gefängnis menschenwürdig behandelt zu werden - oder einem Neonazi das Recht auf eine effektive Strafverteidigung absprechen. Wir können und dürfen keine Gesinnungsjustiz betreiben, daher Recht auf unterschiedliche Staaten unterschiedlich anwenden, je nachdem, ob uns diese Staaten gefallen oder nicht.

Taiwan ist nun einmal historisch ganz klar und unbestreitbar Teil Chinas - und zwar über viele, viele Jahrhunderte hinweg. Ebenso wie Hong Kong. Die Tatsache, dass sowohl Taiwan als auch Hong Kong später von europäischen Kolonialmächten erobert und als Kolonien verwaltet wurden - was heute ganz klar „Unrecht“ gegenüber China war - ändert daran nichts, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich im großen chinesischen Bürgerkrieg die Verliererseite des Krieges auf die Insel zurückgezogen und hier einen eigenen Staat ausgerufen hat.

Sorry, aber das muss man halt im historischen Kontext sehen. Es war auf der Höhe des Kalten Krieges, Taiwan ist entstanden im Konflikt zwischen den Kommunisten (die später ganz Festland-China unter ihrer Kontrolle hatten) und den Kuomintang (die sich nach der Niederlage im Bürgerkrieg auf die Insel Taiwan zurückziehen mussten). Fortan war das Land gespalten.

Natürlich hat der Westen versucht, die im Bürgerkrieg unterlegene Partei, daher Taiwan, als „richtiges China“ anzuerkennen und Festland-China als illegitimen Staat darzustellen - eben aus rein politischen Gründen (halt Kalter Krieg, daher war man natürlich bemüht, zu versuchen, die Kommunisten nicht anzuerkennen).

Aber fakt ist und bleibt, dass die Kommunisten über 99,6% der Bevölkerung (1949 waren es 540 Millionen in China, 2 Millionen in Taiwan) hinter sich hatten und den Bürgerkrieg mehr als eindeutig gewonnen haben. Sich vor dieser Situation hinzustellen und zu sagen: „Aber die unterlegene Partei ist die legitime, weil sie mit unseren westlichen Werten stärker übereinstimmt!“ ist im Kalten Krieg natürlich ein legitimes Manöver, aber juristisch absolut unhaltbar (daher außerhalb der relativ weiten Grenzen, was juristisch-logisch noch als vertretbar bezeichnet werden kann)

Taiwan war 1949 auch ein völlig abhängiges Gebilde und war bis in die 70er auch noch eine klare Autokratie mit Ein-Parteien-System. Der Grund, warum Taiwan sich so gut entwickelt hat, ist natürlich auch in der Unterstützung des Westens zu sehen. Hier gilt das gleiche wie für Südkorea: Es war ein Teil eines Stellvertreterkrieges und der Westen hatte ein großes Interesse daran, dass sich diese Staaten als Gegenentwürfe zu den „kommunistischen Schwesterstaaten“ positiv entwickeln - und dafür wurden diese Staaten massiv wirtschaftlich unterstützt, was sich der Westen dank wirtschaftlicher Überlegenheit auch leisten konnte.

Wie gesagt, wir dürfen nicht moralisch entscheiden, sonst sind wir kein Stück besser als China oder Russland. Wenn wir das Völkerrecht mit Füßen treten, weil das Völkerrecht nicht zu dem Ergebnis kommt, welches wir uns wünschen würden, müssten wir konsequenterweise auch aufhören, Russland und China Brüche des Völkerrechts vorzuwerfen.

Wenn wir uns das Recht herausnehmen, Völkerrecht zu brechen, wann immer es nicht mit unserer Auffassung davon, wie ein Staat zu funktionieren hat („Demokratie, Rechtstaat“), übereinstimmt, geben wir damit China und Russland das Recht, das Völkerrecht immer dann zu brechen, wenn es nicht mit deren Auffassung davon, wie ein Staat funktionieren sollte, übereinstimmt.

Wenn wir uns aberwitzige Rechtskonstrukte aus den Fingern saugen, um damit irgendwie juristisch die westliche Sichtweise durchzusetzen, müssen wir auch Russland und China das Recht zugestehen, mit aberwitzigen Rechtskonstrukten ihre Aktionen zu rechtfertigen.

Die Konsequenz ist eine vollständige Entwertung des Völkerrechts und damit eine deutlich größere Gefahr für weitere Eskalationen. Das Völkerrecht hat den Sinn, dass wir im Konfliktfall noch irgend einen Rahmen haben, innerhalb dessen sich die Akteure bewegen. Ja, der Rahmen wird oft überschritten und das ist unschön, aber ein völliger Wegfall des Rahmens wäre unter Umständen katastrophal.

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Geschichte ist aber nicht statisch. Territoriale Zugehörigkeit kann sich ändern. Ostpreußen war auch mal jahrhundertelang deutsch und ist es nun nicht mehr.

Das kann man so nicht behaupten. Die meisten Chinesen waren arme Bauern und hätten sich sicher auch mit einem anderen Ausgang des Krieges arrangieren können und müssen. Überzeugte Kommunisten waren sie sicher im der Mehrheit ebensowenig wie die Taiwanesen überzeugte Anhänger der Nationalisten.

Wir sind qua demokratischem System und Rechtsstaatlichkeit (nach innen) immer besser sein als Russland oder China (in derzeitiger Form).

Diktaturen werden sich nur so lange an rechtliche Regelungen halten, so lange sie davon einrn Vorteil haben. Ansonsten werden sie umgangen oder gebrochen. Wenn uns das Völkerrecht in Bezug auf Taiwan hindert, einem demokratischen Land zu helfen, seine Unabhängigkeit zu bewahren, wäre seine Befolgung nicht nur ein Fehler, sondern dumm.

Die Logik der Unveränderlichkeit von Grenzen, die sich mit dem Ende des zweiten Weltkriegs etabliert hat, dient nur einem einzigen Ziel:

Territorialgewinne durch Kriege oder (aus dem Ausland unterstützte) Unabhängigkeitsbewegungen sollen nicht möglich sein.

Willst du dieses Grundprinzip der Nachkriegsordnung wirklich über Bord werfen?

Wollen wir wirklich wieder zurück in eine Zeit, in der territoriale Zugehörigkeiten ständig wechseln, was zwangsläufig zu Kriegen führen wird. Wollen wir wieder, dass das Saarland und Elsaß-Lothringen alle paar Jahrzehnte die Seite wechseln und sich Deutsche und Franzosen darüber die Köpfe einschlagen?

Nein, das wollen wir nicht. Und das muss dann halt auch für China gelten.

Derartige Argumentationen sind klassisch für den Kalten Krieg und schlicht gefährlich.
Wir behaupten, alle Menschen auf der Welt wollen eigentlich in demokratischen Rechtstaaten leben.
China und Russland behaupten hingegen, alle Menschen wollen eigentlich von „starken Führern“ beherrscht werden.

Beides ist Bullshit. Menschen arrangieren sich mit dem System, das sie kennen.

Natürlich hätten sich die einfachen chinesischen Bauern auch mit einem anderen System arrangieren können. Aber es ist nun einmal ein unumstößlicher historischer Fakt, dass die Kommunisten einen viel, viel größeren Teil des Volkes hinter sich hatten als die Kuomintang. Das war nicht mal im Ansatz knapp. Auch die Zahlen der auf beiden Seiten beteiligten Soldaten und Todesopfer sprechen da eine klare Sprache.

Da nun zu argumentieren „Aber in Wirklichkeit wollten die Chinesen bestimmt Demokratie und keinen Kommunismus“ ist der gleiche, irrwitzige Fehler, den wir in Afghanistan gemacht haben. Nein, gottverdammt, nicht jeder Mensch auf der Welt teilt unsere Werte, auch wenn wir das gerne so hätten.

… und das exakt gleiche werden Russen und Chinesen von sich behaupten, nur mit anderen Argumenten. Das ist doch genau das Problem: Natürlich findet jede Seite sich selbst ganz toll. Überraschung.

Jeder Bruch des Völkerrechts ist ein Problem.
Was du aber nicht realisierst, ist das Eskalationsdilemma.
Ja, Russland und China brechen hin und wieder das Völkerrecht. Ebenso wie die USA (Stichwort „Regime Changes“, aber auch z.B. der Krieg im Irak und die Drohnen-Einsätze im nahen Osten). Desto mehr wir auf Brüche des Völkerrechts seitens Chinas und Russlands damit reagieren, selbst das Völkerrecht zu brechen, desto größer werden die nächsten Völkerrechtsbrüche sein.

Jeder Bruch des Völkerrechts destabilisiert es. Deshalb ist es auch so wichtig, dass wir zeigen, wie es richtig geht: Zum Beispiel dadurch, dass eine starke Zivilgesellschaft in unseren Staaten regelmäßig gegen die Regierung demonstriert, wenn es mit rechtswidrigen Kriegen (Irak) oder Drohnenangriffen das Völkerrecht bricht. Dazu aufzurufen, selbst das Völkerrecht zu brechen, ist nur in absoluten Ausnahmefällen vertretbar - z.B. wenn in Anbetracht eines sich anbahnenden Genozids eine Veto-Macht gegen einen Militäreinsatz stimmt. (siehe das Kosovo-Argument).

Und einen Völkermord sehe ich in Taiwan nicht. China ist weiterhin primär bemüht, in Taiwan durch politische Maßnahmen und Propaganda Einfluss zu gewinnen, um irgendwann eine hinreichend große pro-chinesische Minderheit in der Bevölkerung zu erzeugen, auf deren Grundlage man militärische Optionen erwägen kann. Laut der letzten Umfrage hatten 35% der Taiwanesen eine positive Einstellung gegenüber China und 61% lehnten China ab. Diese Zahlen will China verbessern, denn China will kein 25-Millionen-Massengrab aus zerstörter Infrastruktur gewinnen, sondern es will sich die massive, stark westliche Infrastruktur dort einverleiben. Und das geht nur über Propaganda, nicht über Krieg.

Das würde ich so teilen, aber im Falle Taiwans haben wir es doch schon mit einem ziemlichen Sonderfall zu tun — nicht offiziell (de jure) als Staat anerkannt, aber in der Praxis (de facto) erfüllt Taiwan alle gängigen Anforderungen an einen Staat und wird auch inoffiziell von vielen anderen Ländern als Staat betrachtet.

Wenn man nun konsequent so wie du sagt, wir dürfen Völkerrecht nicht brechen und Taiwan gehört eben zu China, dann geben wir der Volksrepublik letztendlich einen Blanko-Scheck für die Invasion (oder, in diesem Fall, innerstaatliche Militäroperation zur Wiedervereinigung oder wie auch immer die kommunistische Partei das bezeichnen würde).

Das wäre dann ja aber ein Territorialgewinn durch einen Krieg, oder? Nicht zuletzt könnte Russland ja mit der gleichen Argumentation kommen und sagen, die Ukraine hat historisch immer schon zu Russland gehört (tut Putin ja auch). Der Unterschied wäre dann vereinfacht gesagt, dass die Ukraine als Staat anerkannt ist und Taiwan nicht.

Wie würdest du die Situation interpretieren, wenn Taiwan innerhalb der nächsten Monate von allen westlichen Staaten als Staat anerkannt wird? Ändert das die Situation?

Ich verstehe die in meinen Augen grundsätzlich richtigen Bemühungen, das Völkerrecht hoch zu halten. Aber in diesem Sonderfall gibt es meines Erachtens keine guten Lösungen, sondern wir stecken in einem richtigen Dilemma. Und da werden wir nicht unversehrt rauskommen. Das Völkerrecht wird im Falle eines chinesischen Angriffs auf jeden Fall leiden — eventuell wäre es eine Krise wie damals die des Völkerbundes, der nichts gegen die Aggression zahlreicher Staaten in den 1930ern unternahm.

Insofern ist der Status Quo aus westlicher Sicht die beste Option. Nur: Teilt die kommunistische Partei diese Ansicht? Ich fürchte, die Antwort lautet nein.

Hier noch zwei interessante Artikel dazu:

Nein. Auch deswegen bin ich ja dagegen, dass China sich Taiwan einverleibt. Denn die Insel ist seit 70 Jahren kein Teil Festlandchinas mehr.

Ich hab nicht behauptet, dass jede/r lieber in einem demokratischen Rechtsstaat leben will. Das stimmt tatsächlich nicht. Ich möchte aber nicht, dass Menschen zwangsweise in eine Diktatur eingegliedert werden, wenn sie mehrheitlich lieber in einer Demokratie leben wollen.

Nur sind die „Argumente“ von Russland und China selten mehr als Propaganda und Lügen.

Hast du die Internierungs- und Zwangsarbeitslager für die Uiguren denn gesehen? Wie China mit Widerstand, eventuell bewaffnet, auf Taiwan umgehen würde, möchte ich nicht herausfinden.

Nicht zwangsläufig.

Die Frage ist, welche legitimen Mittel einem Staat für den Fall einer Unabhängigkeitsbewegung zur Verfügung stehen. Das ist völkerrechtlich tatsächlich noch ziemlich umstritten.

Beispiel:
Angenommen, Katalonien würde sich nun von Spanien tatsächlich unabhängig erklären (Referenden wurden ja schon mehrfach angesetzt, aber dann von Spanien unterbunden). Dürfte Spanien nun mit dem Militär dort einmarschieren und das Gebiet kriegerisch zurückerobern? Polizei und Sicherheitsbehörden reinzuschicken, um die Aufständischen festzunehmen - klar. Aber wenn das an massiver Gegenwehr scheitert mit schwerem militärischen Gerät das Gebiet wegbomben? Schwierig, einfach weil die Kollateralschäden zwangsläufig zu hoch wären. Das gilt auch für Taiwan.

Meine ganz ehrliche Antwort auf die Frage ist zudem:
Ich wage ernsthaft zu bezweifeln, dass China die Möglichkeit hätte, eine Insel mit 25 Millionen Einwohnern in überwiegend urbanen Setting einzunehmen. Zumindest nicht zu einem Preis, den die Aktion wert wäre. Gut, gleiches galt auch für Russland im Hinblick auf die Ukraine und der Verrückte aus Moskau hat’s trotzdem getan, aber Taiwan ist noch mal eine ganz andere Hausnummer. Wie gesagt, es ist eine dicht besiedelte Insel. Es gibt kein größeres Alptraum-Szenario für Militärstrategen.

Naja, hier gibt’s schon diverse Unterschiede. Die Ukraine gehörte zur Sowjetunion, aber historisch immer nur für kurze Zeiten - gegen ihren Willen - zu Russland. Die Ukraine hat dabei durchaus eine eigene Kultur gehabt. Taiwan hingegen war ein klassischer Teil Chinas, der lediglich der strategisch sinnvollste Rückzugsort für die Kuomintang war. Halt eine Insel, auf der man seine Kräfte sammeln und die man gegen die kommunistische Übermacht verteidigen konnte. Es gab keine kulturellen Unterschiede zwischen Festland-China und den Kuomintang, lediglich ideologische, die sich in einem Bürgerkrieg entluden. Das ist halt eine ganz andere Situation.

Und nach dem Zerfall der Sowjetunion war es in der Tat völkerrechtlich eine Mammut-Aufgabe, die nun neu entstehenden Staaten juristisch klar zu regeln. Und das wurde getan - auch unter Einwilligung Russlands. Im Budapester Memorandum von 1994 wurde auch seitens Russlands der Ukraine ihre territoriale Unversehrtheit völkerrechtlich bindend zugesichert. Spätestens hier wurde die Ukraine zu einem legitimen, international vollumfänglich anerkannten Staat.

Es ist China, dass Taiwan anerkennen muss, ebenso wie es Russland war, das 1994 die Ukraine anerkennen musste. Nur durch einen Verzicht Chinas kann nach geltendem Völkerrecht Taiwan international anerkannt werden.

Ohne einen solchen Verzicht wäre die Anerkennung Taiwans durch die westliche Welt sinnlos - die anderen Staaten haben schlicht nicht das Recht, über die territoriale Integrität Chinas zu verfügen.

So weit sind wir uns denke ich einig, das sollte allen klar geworden sein. Es ist ein klassisches Dilemma und für die Bevölkerung Taiwans natürlich schrecklich.

Der einzige saubere Weg, die Unabhängigkeit Taiwans anzuerkennen, wäre es, grundsätzlich die völkerrechtlichen Regelungen für die Unabhängigkeit von Staaten zu ändern. Aktuell ist eine Unabhängigkeit nur dann legitim, wenn sie quasi aus Notwehr gegen massive staatliche Gewalt erfolgt. Ich hätte grundsätzlich nichts dagegen einzuwenden, Unabhängigkeiten grundsätzlich nach ordnungsgemäßen Referenden zu erlauben. Dummerweise will das weder China, noch die westliche Welt. Denn letztlich hat jeder Staat Angst vor Sezessionsbewegungen - Deutschland in Bayern, die Spanier u.a. in Katalonien, die USA in Texas und Kalifornien usw.

Das ist letztlich der Grund, warum Taiwans Unabhängigkeitsbestrebungen nicht anerkannt werden können. Denn um dies zu tun, müsste man die juristische Dogmatik des Unabhängigkeitsberechtigung erweitern - und das will der Westen ebenso wenig wie China. Denn wir können halt nicht sagen: „Eigentlich ist eine Unabhängigkeit Taiwans rechtsdogmatisch nicht begründbar, aber wir machen mal ne Ausnahme. Weil: F**k China!“

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Das darf aber eben nicht zur Heilung völkerrechtswidriger Zustände führen.
Sonst kommen wir in einer Situation, in der alle Staaten wissen:
„Wenn wir die illegale Besetzung lange genug durchhalten, wird sie irgendwann von allen akzeptiert und wir kriegen unseren Willen“
Siehe z.B. Israel/Syrien im Hinblick auf die Golan-Höhen. Auch hier ist es wichtig, diesen völkerrechtlichen Mangel nicht durch die Zeit heilen zu lassen, weil das einfach ganz schlechte Präzedenzfälle für die Zukunft schaffen würde.

Das möchte ich auch nicht - das will wohl keiner von uns.
Ich möchte auch nicht, dass Menschen, die in einer Demokratie leben wollen, überhaupt in einer Diktatur leben müssen. Aber mehr als den Dissidenten Asyl anzubieten können wir da halt nicht tun, wenn wir uns an unsere eigenen Regeln halten wollen.

Das ist genau, weshalb wir hier ständig von einem Dilemma sprechen. Es gibt keine einfache Lösung, die zu einem zufriedenstellenden Ergebnis führen würde. Egal wie man den Fall dreht und wendet, die Frage ist allenfalls, welches denkbare Szenario das Schlimmste ist.

Und hier wäre die konkrete Abwägung, ob uns die Freiheit der Menschen von Taiwan und Hong Kong so wichtig ist, dass wir bereit sind, dafür zu riskieren, dass die gesamte völkerrechtliche Nachkriegsordnung irreparable Schäden nimmt oder gar zusammenbricht, was im schlimmsten Fall ganz schnell zu einem dritten Weltkrieg führen könnte.

Wie gesagt, davor müsste China erstmal in der Lage sein, Taiwan einzunehmen. Nochmal: Es ist eine Insel mit 25 Mio Einwohnern in einem urbanen Setting. Taiwan ist nahezu uneinnehmbar - und das ist genau der Grund, warum die Kuomintang sich damals nach dem verlorenen Bürgerkrieg auf diese Insel zurückgezogen haben. China konnte sie damals trotz massiver Übermacht nicht erobern und heute sieht das kaum anders aus.

Taiwan importiert ungefähr 2/3 der Nahrungsmittel. Bei unzähligen weiteren wichtigen Gütern dürfte es ähnlich aussehen.

Wenn (Festland-)China eine Blockade von Taiwan verhängen könnte, wäre es nur eine Frage der Zeit, bis die Insel kapitulieren müsste. (Man stelle sich Kuba vor, aber mit einer sechsmal höheren Bevölkerungsdichte und 2/3 der Landesfläche von Hügeln und Bergen bedeckt.)

Israel hat die Golan Höhen in einem Krieg gewonnen, den Syrien mitbegonnen hatte. Ein historisch völlig normaler und für mich auch legitimer Schritt.

Dann sollten wir unsere Regeln überdenken, wenn sie letztlich nur negative Folgen haben.

Ich bin sehr sicher, dass viele Militärs der chinesischen Armee dir in dem Punkt widersprechen würden. Die militärischen Möglichkeiten Chinas haben sich in den vergangenen 70 Jahren auch massiv verbessert. Daneben wird China ähnlich wie Russland in der Ukraine darauf bauen, dass Taiwans Widerstand nicht lange andauern wird.

Wir (als Westen) sollten Taiwan bestmöglich militärisch, ökonomisch und politisch unterstützen, damit Chinas Kosten-Nutzen Rechnung für einen Angriff möglichst negativ ausfällt.
Ganz sicher sollten wir nicht den Eindruck erwecken, dass wir uns Chinas völkerrechtliche Interpretation der Lage zu eigen machen und uns dadurch lähmen lassen.

Ich will dir da nicht völlig widersprechen, die Insellage von Taiwan macht die Eroberung des Landes durchaus sehr schwierig. Aber:

  1. Wie @Guenter schon sagt, sind Inseln auch immer anfällig für Seeblockaden, insbondere da China einen Blockadering um Taiwan eventuell sogar so weit ziehen kann, dass Taiwan dann auch keine Anti-Schiffs-Raketen mehr helfen.
  2. China ist seit 2019 im Besitz hochmoderner MLRS-Systeme, deren Reichweite so groß ist, dass sie die Straße von Taiwan locker überschießen können. Und wir alle sehen ja gerade in der Ukraine, was der rücksichtslose Einsatz von Artillerie bewirken kann.

btw:
Zum Thema Nahrungsmittelversorgung in Taiwan gibt es hier einen interessanten Artikel:

Der Tenor ist:
Das Taiwan so viel importiert, liegt vor allem an den Essgewohnheiten und am Welthandel.

Der Reis, der auf Taiwan wächst, ist im Vergleich zum Weltmarkt teuer und damit unrentabel und außerdem isst die taiwanesische Bevölkerung gerne Weizenprodukte und die wachsen auf der Insel überhaupt nicht.

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Sorry, aber Dein Beitrag kann so nicht unwidersprochen bleiben:

  1. Es stimmt schon nicht, dass Taiwan „seit jeher“ von keinem westlichen Land anerkannt wurde. Von 1949 bis in die 70er Jahre wurde China von Taiwan!! in der UNO vertreten. Die Hinwendung der Staatengemeinschaft zur Volksrepublik China hatte rein machtpolitsche, wirtschaftliche und realpolitische Gründe, aber keine rechtlichen.
    Die völkerrechtliche Lage ist umstritten und völlig ungeklärt. Das fängt schon damit an, dass man durchaus vertreten kann, dass die „Inselchinesen“ gegenüber den „Festlandchinesen“ ein eigenes „Volk“ sind und in Fällen massiver Menschenrechtsverstöße ein Recht auf Sezession haben. Das wurde für die Krim! und katalonien diskutiert, aber mangels schwerer Menschenrechtsverletzungen abgelehnt.
    Aus den genannten Gründen ist es schlicht falsch, dass das Völkerrecht auf der Seite Chinas ist! Das ist ungeklärt und wir müssen uns da nicht klein machen gegenüber einer menschenverachtenden Diktatur!

  2. Auf Taiwan war zwar mal eine holländische Kolonie, aber „von europäischen Kolonialmächten erobert“ war es nie (weil viel zu unbedeutend) Irgendwann in der Neuzeit haben es sich dann die Festlandchinesen unter den Nagel gerissen, bis es nach dem chinesisch-japanischen Krieg unter japanische Herrschaft kam.

  3. Wie Du richtig schreibst, haben sich die Verlierer des chinesischen Bürgerkrieges auf die Insel zurück gezogen und dort einen eigenen Staat ausgerufen! Ja wie bitte entstehen denn Staaten sonst? Wie sind etwa die USA entstanden?

  4. Taiwan war 1949 kein „völlig abhängiges Gebilde“. Taiwan war viel höher entwickelt als Festlandchina nach den verheerenden Kriegen und war auch ohne die Unterstützung des Westens viel weiter entwickelt als die Volksrepublik. Kein Taiwanese mit Verstand hätte sich 1949 Festlandchina angeschlossen, zumal dann ja alle Kuomintang massakriert worden wären… Der Vergleich mit Südkorea ist völlig absurd!! Es hat auch keinen "Stellvertreterkireg gegeben. Taiwan hat sich von innen heraus demokratisiert, eben „selbstbestimmt“. Allein dieser Demokratisierungsprozess verschafft schon eine eigene völkerrechtliche Legitimation!
    Wenn Du da von „aberwitzigen Rechtskonstrukten“ sprichst, leuchtet bei mir - Entschuldigung - wirklich schon die Peking-Troll-Lampe, das wäre hier im Forum wahrscheinlich ein Novum!
    Summa: es kann doch unter Menschrechte hochhaltenden Demokraten nicht enrsthaft zweifelhaft sein, dass Taiwan eine eigene staatliche Legitimität hat, die es zu schützen gilt!

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Wie ist es eigentlich mit der Vorbereitung auf die Krise in Europa und USA?
Haben wir mehr geplant als uns durch den CHIPS Akt um uns von China zu lösen und der relativ zentralisierten Produktion von Halbleitern, Batterien, Handys, Fernsehern und anderen Produkten wie Obst in China und Taiwan?

Allerdings würden die Amerikaner alles daran setzen, sowohl die Versorgung über See als auch im Zweifel über eine Luftbrücke sicherzustellen.

Nein, ist es nicht. Das Problem an dieser Logik ist, dass der Gewinner immer die Geschichte schreibt. Und selbst der Verlierer es gerne versucht (Ich sage nur „Um 5:45 Uhr wird zurückgeschossen!“).

Kurzum: Wenn wir Territorialgewinne in Folge der Abwehr eines Angriffskrieges erlauben, wird im Zweifel von der überlegenen Partei ein angeblicher Angriff konstruiert. Und das passiert heute schon zu Hauf, selbst im Ukraine-Krieg hat Russland letztlich mehrfach versucht, angebliche ukrainische Angriffe als Vorwand für einen „legitimen“ Krieg zu verwenden (was von den amerikanischen Geheimdiensten publik gemacht wurde, um die Strategie zu durchkreuzen).

Ja, vermutlich die gleichen verblendeten Militärs, die Putin den Marsch auf Kiew empfohlen haben… das macht es nicht realistischer. Wenn überhaupt, haben die Chinesen aus Russlands Ukraine-Feldzug gelernt, nicht die eigene Propaganda zu glauben und zu meinen, man würde mit offenen Armen empfangen werden.

Hier stimmen wir durchaus überein. Wir müssen langfristig erreichen, dass der Status Quo erhalten bleibt und China irgendwann auf den Anspruch über Taiwan verzichtet.

Wie schon gesagt, es ist nicht die Insel Taiwan, die China gerne haben würde, sondern die dortige, hoch ausgebildete Bevölkerung und die moderne Infrastruktur. Natürlich könnte China Taiwan in einen großen Krater verwandeln, aber das nützt China halt mal so gar nichts - und die (politischen) Konsequenzen würden die Weltwirtschaft komplett in die Knie zwingen, was weder in Chinas noch in irgendeinem anderen Interesse wäre.

Das wiederum bedeutet auch, dass Taiwan nicht so anfällig für eine Seeblockade ist. Denn im Krieg wird natürlich das angebaut und gegessen, was effektiv ist. Abgesehen davon gehe ich wie gesagt davon aus, dass die USA - wenn sie nicht sogar direkt Kriegspartei werden - zumindest die Versorgung Taiwans über eine Luftbrücke und die Sicherung der internationalen Gewässer sicherstellen würde. Und China ist noch nicht annähernd in der Lage, einen Krieg gegen die USA (und die NATO) zu gewinnen.

Man kann machtpolitische, wirtschaftliche, realpolitische und rechtliche Gründe im Völkerrecht nicht trennen. Fakt ist, dass man sich international verständigt hat, dass es nur ein China gibt. Dass man bis in die 70er absurderweise dem winzigen Taiwan erlaubt hat, alle 500+ Millionen Chinesen zu vertreten, obwohl es die Verliererpartei des Bürgerkrieges war, war schon mehr als unüblich - und wie gesagt primär durch den Kalten Krieg beeinflusst.

Nein, deine Aussage ist schlicht juristisch falsch.
Die Lage des Völkerrechts geht aus der verbindlichen Resolution 2758 der UN-Generalversammlung hervor. Diese regelt, dass Festland-China (und nicht Taiwan) die Vertretungsbefugnis für ganz China (einschließlich Taiwan) hat. Das ist ein völkerrechtlich bindender Vertrag, auf den sich China juristisch absolut nachvollziehbar berufen kann.

Natürlich kann man nun argumentieren, dass die Zustimmung von fast allen europäischen Staaten eher wirtschaftlich begründet war, aber das ändert nichts daran, dass die Resolution so abgestimmt wurde. Auch hätten die USA hier ein Veto einlegen können, was sie nicht taten. Jetzt ist die Lage halt so, wie sie ist.

Man kann den Vertrag doof finden, aber es ist ein zweifellos gültiger internationaler Vertrag und damit die Grundlage des Völkerrechts.

Wie gesagt, seit dem Ende des zweiten Weltkriegs gilt die völkerrechtliche Übereinkunft, dass die territoriale Integrität eines Staates nur im Rahmen einer Notwehr gegen genozidale Bestrebungen erlaubt ist. Das war zu Zeiten der Gründung der USA noch anders. Und wie zuvor schon gesagt:
Es ist der Westen, der auch auf diese Regel pocht, weil auch im Westen fast jeder größere Staat Angst vor Sezessionsbewegungen hat. Es ist also nicht so, dass das eine Regel wäre, die nur China nutzen würde.

Okay, rekapitulieren wir, was du in deinem Beitrag sagtest:

  • Taiwan als Insel war zu unbedeutend selbst für Europäische Kolonialmächte.
  • Taiwan als Staat ist spontan durch die Flucht von 2 Mio Kuomintang entstanden.

Unter diesen Voraussetzungen kommst du ernsthaft zu dem Schluss, dass „Taiwan viel höher entwickelt war als Festlandchina“?!? Taiwan ist erst durch die westliche Unterstützung überhaupt Überlebens- und Entwicklungsfähig geworden…

Und da sind wir wieder beim Thema „Gesinnungsjustiz“.
Nein, die Ausrichtung nach der von uns bevorzugten Regierungsform gibt gerade keine völkerrechtliche Legitimation. Es gibt eine aus unserer Sicht moralische Legitimation, aber keine völkerrechtliche.

Hier herrscht ein ganz zentrales Missverständnis:
Das Völkerrecht regelt die Verhältnisse zwischen Staaten, nicht die Verhältnisse zwischen Staaten und deren Bürgern. Es gibt keinen völkerrechtlichen Vorrang bestimmter Regierungsformen, eben weil das Völkerrecht quasi ein Minimalkonsens ist, dem sich - im Idealfall - sowohl Demokratien als auch Autokratien verpflichtet fühlen.

Deshalb kann es völkerrechtlich auch keinen Vorrang von Demokratie geben, weil die Staaten, die diesen Vorrang ablehnen, dann sofort sagen würden: „Wir sind Raus aus der Sache!“. Und der Sinn des Völkerrechts sind halt gerade diese Minimalkompromisse!

Leider wird hier noch viel zu wenig getan.
Zwar ist geplant, dass bis 2030 20% der weltweiten Halbleiter-Produktion in Europa stattfinden soll, aber es darf bezweifelt werden, ob wir das auch nur annähernd erreichen (und ob es genug wäre, wenn wir es erreichen würden). Hier müsste noch viel mehr in Infrastruktur, aber auch Forschung investiert werden.

Dazu kommt natürlich die Rohstoff-Frage. Europa und die USA haben in Afrika wegen Kolonialzeit und Sklaverei leider alles andere als einen guten Ruf. China und Russland sind aktuell hier wesentlich dominanter unterwegs.

Dazu kommen die seltenen Erden, die vor allem in Russland und China selbst liegen. China hat hier 2018 ganze 71% der weltweiten Fördermenge ausgebeutet und hat mit 37% auch die weltweit größten Reserven, vor allem wenn es um halbwegs günstig auszubeutende Vorkommen geht. Brasilien und Vietnam haben mit jeweils 18% die zweitgrößten Reserven, wobei beide Staaten zwischen dem Westen und Russland/China schwanken. Dann folgt Russland mit 10% der Reserven.

Kurzum:
Wenn China und Russland keine seltenen Erden exportieren, Vietnam stark von China abhängig ist und Brasilien sich auch quer stellt, hätten wir ein richtig großes Problem.

Die Halbleiter-Abhängigkeit ist genau so ein verschlafenes Problem wie die Öl-Abhängigkeit. Es lief halt nach dem Kalten Krieg alles so gut, einfach just-in-time aus China und Taiwan liefern lassen und gut ist. Man hat völlig vernachlässigt, in was für eine Abhängigkeit man hier gerät, denn ohne Halbleiter ist der Großteil unserer modernen Technik nicht möglich.

Umso wichtiger ist es, dass wir gerade in Europa jetzt richtig dick investieren und hier keine Kosten und Mühen scheuen, um möglichst zeitnah unseren Halbleiter-Bedarf selbst zu decken. Das gleiche gilt für Batterien, hier sind die Rohstoffe vor allem in Afrika (z.B. Kobalt im Kongo, fast 50% der Weltreserven). Umso wichtiger ist es, Afrika nicht völlig Russland und China zu überlassen.

Das ist ein guter Punkt, denn am Beispiel seltene Erden sieht man das Grundproblem der China-Abhängigkeit. Seltene Erden gibt es nämlich auch anderswo in größeren Mengen (Quelle):

Anders als der Name vermuten lässt, sind die Seltenen Erden gar nicht so selten, doch ist ihr Abbau sehr aufwendig und umweltschädlich.

Daher lassen „wir“ das lieber China machen.

Und so ähnlich sieht es in vielen anderen Bereichen aus: Ja, wir könnten unsere Fernseher wieder in Europa und unsere Arzneimittel wieder in Deutschland produzieren, aber dann würden sie deutlich mehr kosten und wir würden an gefühltem Wohlstand einbüßen.

Das heißt, solange China sich ethisch und politisch nicht so derart „daneben benimmt“, dass wir Konsumenten im Westen sagen: „Nee, Produkte aus dem Land kauf ich nicht mehr, auch wenn die Alternativen teurer sind.“, dann werden wir von China aus ökonomischen Gründen nicht wegkommen.

Wenn ich mir ansehe wie gut Akkus wieder in Rohstoffe zerlegt werden können, kann ich mir gut vorstellen dass wir das seltene Erden Problem lösen können.