Sorry, aber das ist genau der Punkt:
Das darf keinen Einfluss auf die Diskussion haben, auch wenn es schmerzt.
Das ist, als würde man einem Mörder das Recht absprechen, im Gefängnis menschenwürdig behandelt zu werden - oder einem Neonazi das Recht auf eine effektive Strafverteidigung absprechen. Wir können und dürfen keine Gesinnungsjustiz betreiben, daher Recht auf unterschiedliche Staaten unterschiedlich anwenden, je nachdem, ob uns diese Staaten gefallen oder nicht.
Taiwan ist nun einmal historisch ganz klar und unbestreitbar Teil Chinas - und zwar über viele, viele Jahrhunderte hinweg. Ebenso wie Hong Kong. Die Tatsache, dass sowohl Taiwan als auch Hong Kong später von europäischen Kolonialmächten erobert und als Kolonien verwaltet wurden - was heute ganz klar „Unrecht“ gegenüber China war - ändert daran nichts, ebenso wenig wie die Tatsache, dass sich im großen chinesischen Bürgerkrieg die Verliererseite des Krieges auf die Insel zurückgezogen und hier einen eigenen Staat ausgerufen hat.
Sorry, aber das muss man halt im historischen Kontext sehen. Es war auf der Höhe des Kalten Krieges, Taiwan ist entstanden im Konflikt zwischen den Kommunisten (die später ganz Festland-China unter ihrer Kontrolle hatten) und den Kuomintang (die sich nach der Niederlage im Bürgerkrieg auf die Insel Taiwan zurückziehen mussten). Fortan war das Land gespalten.
Natürlich hat der Westen versucht, die im Bürgerkrieg unterlegene Partei, daher Taiwan, als „richtiges China“ anzuerkennen und Festland-China als illegitimen Staat darzustellen - eben aus rein politischen Gründen (halt Kalter Krieg, daher war man natürlich bemüht, zu versuchen, die Kommunisten nicht anzuerkennen).
Aber fakt ist und bleibt, dass die Kommunisten über 99,6% der Bevölkerung (1949 waren es 540 Millionen in China, 2 Millionen in Taiwan) hinter sich hatten und den Bürgerkrieg mehr als eindeutig gewonnen haben. Sich vor dieser Situation hinzustellen und zu sagen: „Aber die unterlegene Partei ist die legitime, weil sie mit unseren westlichen Werten stärker übereinstimmt!“ ist im Kalten Krieg natürlich ein legitimes Manöver, aber juristisch absolut unhaltbar (daher außerhalb der relativ weiten Grenzen, was juristisch-logisch noch als vertretbar bezeichnet werden kann)
Taiwan war 1949 auch ein völlig abhängiges Gebilde und war bis in die 70er auch noch eine klare Autokratie mit Ein-Parteien-System. Der Grund, warum Taiwan sich so gut entwickelt hat, ist natürlich auch in der Unterstützung des Westens zu sehen. Hier gilt das gleiche wie für Südkorea: Es war ein Teil eines Stellvertreterkrieges und der Westen hatte ein großes Interesse daran, dass sich diese Staaten als Gegenentwürfe zu den „kommunistischen Schwesterstaaten“ positiv entwickeln - und dafür wurden diese Staaten massiv wirtschaftlich unterstützt, was sich der Westen dank wirtschaftlicher Überlegenheit auch leisten konnte.
Wie gesagt, wir dürfen nicht moralisch entscheiden, sonst sind wir kein Stück besser als China oder Russland. Wenn wir das Völkerrecht mit Füßen treten, weil das Völkerrecht nicht zu dem Ergebnis kommt, welches wir uns wünschen würden, müssten wir konsequenterweise auch aufhören, Russland und China Brüche des Völkerrechts vorzuwerfen.
Wenn wir uns das Recht herausnehmen, Völkerrecht zu brechen, wann immer es nicht mit unserer Auffassung davon, wie ein Staat zu funktionieren hat („Demokratie, Rechtstaat“), übereinstimmt, geben wir damit China und Russland das Recht, das Völkerrecht immer dann zu brechen, wenn es nicht mit deren Auffassung davon, wie ein Staat funktionieren sollte, übereinstimmt.
Wenn wir uns aberwitzige Rechtskonstrukte aus den Fingern saugen, um damit irgendwie juristisch die westliche Sichtweise durchzusetzen, müssen wir auch Russland und China das Recht zugestehen, mit aberwitzigen Rechtskonstrukten ihre Aktionen zu rechtfertigen.
Die Konsequenz ist eine vollständige Entwertung des Völkerrechts und damit eine deutlich größere Gefahr für weitere Eskalationen. Das Völkerrecht hat den Sinn, dass wir im Konfliktfall noch irgend einen Rahmen haben, innerhalb dessen sich die Akteure bewegen. Ja, der Rahmen wird oft überschritten und das ist unschön, aber ein völliger Wegfall des Rahmens wäre unter Umständen katastrophal.