Umm, also das Verteidigen von Werten „um jeden Preis“ ist der Inbegriff dessen, was man als Ideologie oder auch Idealismus bezeichnen würde - und das ist das exakte Gegenteil von Realpolitik, denn diese sagt ja gerade, dass man die eigenen moralischen Ideale zu Gunsten einer tragfähigen, wenn auch schmerzhaften, Kompromisslösung zurückstellt.
Es geht Norbert um das völkerrechtliche Faktum, dass neue Staaten, die das Territorium alter Staaten übernehmen, als rechtliche Nachfolgerstaaten in deren Rechte und Pflichten eintreten - wie ich auch oben schon schrieb.
Und das ist genau das Problem in der Taiwan-Situation:
Nach dem Bürgerkrieg gab es zwei Nachfolgestaaten, die beide für sich in Anspruch genommen haben, Rechtsnachfolger der „Republik China“ zu sein - zum einen die Volksrepublik China, die das „Volks-“ im Hinblick auf ihre politische Ideologie an den Namen gehängt haben (was keinesfalls bedeutet, dass deren Anspruch geringwertiger ist) und auf der anderen Seite Taiwan, die weiter den Namen „Republik China“, also den Namen des Vorgängerstaates, beanspruchen.
Und hier hat sich die UN - und damit die höchster völkerrechtliche Instanz - nun einmal darauf verständigt, dass die „Volksrepublik China“ die Rechtsnachfolge der alten „Republik China“ antritt - eben weil die Volksrepublik über 99% der Chinesen repräsentiert und Taiwan unter 1%.
Wie gesagt, es wäre schöner gewesen, wenn man hier schlicht beide Staaten mit als partielle Nachfolgerstaaten auf ihrem jeweiligen Territorium akzeptiert hätte, aber das wollten damals weder Taiwan noch China.
Das Argument, dass man hier immer wieder hört, dass „die Insel Taiwan ja nie Teil der Volksrepublik China“ gewesen sei, ist ein rein propagandistisch-politisches, denn dieses Argument ist juristisch beim besten Willen nicht haltbar, ohne die gesamte völkerrechtliche Rechtsdogmatik zum Thema „Rechtsnachfolge von Staaten“ über den Haufen zu werfen.
Ja, pessimistisch betrachtet läuft es in diesem Fall darauf hinaus, dass sich nur die Frage stellt, wer den Konsens des Völkerrechts zuerst vollständig aufkündigt: Der Westen oder China. Und wenn das passiert sind die Auswirkungen des Ukraine-Krieges eine absolute Kleinigkeit. Die Auswirkungen eines (Wirtschafts-)Krieges mit China sind für die Volkswirtschaften beide Seiten, den Westen sowie China, absolut vernichtend. Und das weiß sowohl China als auch der Westen.
Und genau deshalb bleibe ich bei einer optimistischen Betrachtungsweise, daher: Ich will nicht, dass wir den Konsens des Völkerrechts aufkündigen und ich will China jede Brücke bauen, die zu mehr internationaler Kooperation führt. Und das ist eben Realpolitik: Zu akzeptieren, dass Chinas Werte (siehe Uiguren, Freiheitsrechte der Bevölkerung allgemein) unseren diametral gegenüberstehen, aber dennoch versuchen zu wollen, eine friedliche Koexistenz zu ermöglichen. Eben weil die Alternative - das Kämpfen für Demokratie und Menschenrechte überall auf der Welt (einschließlich China) - zwar moralisch aus unserer Sicht besser wäre, aber realistisch betrachtet der Preis dafür viel, viel zu hoch ist.
Daher plädiere ich dafür, dass wir uns weitestgehend unabhängig von China machen müssen, damit die potentiellen Schäden im Falle einer Eskalation akzeptabel werden. Denn uns darf nicht wieder das gleiche passieren, wie mit Russland: Dass der Konflikt eskaliert, während wir abhängig und damit nicht vorbereitet sind.
Daher bin ich dafür, die Taiwan-Politik so wie die letzten Jahrzehnte zu belassen: Wir (vor allem die USA) rüsten Taiwan weiter maßgeblich auf (Taiwan hat jetzt schon eine absolute High-Tech-Armee) und unterstützen Taiwan ökonomisch, damit Taiwan sich gegen China behaupten kann. Damit versuchen wir, einer Eskalation entgegenzuwirken. Eine Anerkennung Taiwans würde das Gegenteil bewirken, es würde China unter Zeitdruck für eine Eskalation setzen.