Die Erdgaskrise

Hallo zusammen,

weitgehend unbemerkt von den deutschen Medien braut sich gerade etwas zusammen: Bloomberg - Are you a robot??

Der globale Anstieg der Nachfrage nach Erdgas gepaart mit der zunehmenden Erschöpfung der europäischen Gasvorkommen könnte sehr bald zu einer echten Energieknappheit führen. Ist diese eingetreten, gibt es zwei Auswege: der leichtere führt zurück zur Kohle, die noch für Jahrhunderte in großen Mengen verfügbar wäre. Der schwierigere ist der massive Einstieg in Erneuerbare Energien.

Könnte sein, dass die Bombe mitten in den anstehenden Koalitionsverhandlungen platzt, falls diese sich bis in den Winter hinziehen.

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Als weitgehend unbemerkt würde ich das Thema nicht bezeichnen. Aber ein wichtiges ist es allemal. Definitiv ein Thema für die Lage!

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Wer auf dem Laufenden bleiben will, kann hier mal reinschauen: https://mobile.twitter.com/JavierBlas

Wie elastisch (auf Sicht von Monaten) ist die Nachfrage nach Erdgas? Antwort: gar nicht.

https://pbs.twimg.com/media/FEgw0umXsAk8YsC?format=png&name=900x900

Der Gasverbrauch in Europa geht dieses Jahr nicht sichtbar zurück, obwohl der Preis seit ein paar Monaten um ein Vielfaches über dem Niveau der letzten Jahre liegt.

Was bedeutet das für die CO2-Bepreisung und die Energiewende?

Und weiter geht’s: der anhaltend hohe (extrem hohe!) Gaspreis führt dazu, dass das Verbrennung von Kohle trotz steigender Kosten für CO2-Zertifikate wieder profitabel wird.

Bloomberg - Are you a robot?

In dem Chart ist die Profitabilität eines typischen Gaskraftwerks sowie eines typischen Kohlekraftwerks in Abhängigkeit von den jeweiligen Brennstoffkosten gezeigt. Auf die Kohle kommt relativ zum Gas nochmal ungefähr der halbe Zertifikatspreis oben drauf (weil Kohle grob doppelt soviel CO2 emittiert wie Erdgas beim Verbrennen), aktuell also ca. 35 Euro pro MWh. Der Kostenvorteil der Kohle gegenüber Erdgas liegt aktuell aber bei um die 80 Euro pro MWh.

Dazu muss gesagt werden, dass das aktuelle Preisniveau von Erdgas insane ist. Würde das dauerhaft anhalten, hätten wir noch ganz andere, viel kurzfristigere Probleme als den Klimawandel. Nämlich eine Energiekrise.

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Das wurde doch aber relativ ausführlich in einer der letzten Lagen besprochen, oder? Auch die Auswirkung auf die Profitabilität von Kohleverstromung.

Ich habe nicht den Eindruck, dass dieses Thema seiner Bedeutung entsprechend behandelt wird.

Man schaue sich einmal den Großhandelspreis für Erdgas in Europa an: https://twitter.com/JavierBlas/status/1470459005390798849/photo/1

Wir sehen hier eine Vervierfachung gegenüber dem typischen Preisniveau des letzten Jahrzehnts, mit Preisspitzen bis zu einem Faktor 6. Und dies für den Energieträger, der die Brücke hin zu den Erneuerbaren Energien sein soll.

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Eine Reihe von europäischen Industrieverbänden ruft nun um Hilfe: Industrial energy consumers urge EU leaders to swiftly act against unbearably high energy prices | Euromines

Und die Niederländer reagieren auch: Sie lassen die bestehenden AKWs am Netz und planen sogar zwei neue Meiler um sich unabhängiger vom Gas zu machen.

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Und weiter geht’s:

  • Die Niederlande werden dieses Jahr aus dem eigentlich im Runterfahren begriffenen Erdgasfeld unter Groningen doppelt soviel Erdgas fördern wie ursprünglich geplant. Und das obwohl dies nachweislich zu Erdbeben in der Region führt.

  • Der Erdgasverbrauch der Industrie in UK brach im vierten Quartal 2021 um sagenhafte 50% ein. Solche Zahlen kennt man sonst nur vom Zusammenbruch der Wirtschaft im Ostblock.

Wenn dies so weitergeht, wird Energieknappheit in Europa das Thema der nächsten Jahre werden.

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Bruno LeMaire (Finanzminister France) sprach gestern von einem dringend in den nächsten Tagen zu lösenden Problem.
Auch kurzfristig bleibt das Energiethema spannend - und ein weiteres Beispiel, wo die Politik nicht präventiv gehandelt hat.

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Die europäischen Gasspeicher sind trotz Einbrüche beim Verbrauch durch die Industrie nun unter 50% der Kapazität gefallen. Dies sollte, nimmt man das Mittel der letzten Jahre zum Maßstab, erst in ungefähr einem Monat passieren: https://pbs.twimg.com/media/FJAgQPkXIAIpuKl?format=png&name=small

Ein kalter, den wir momentan zum Glück nicht haben, würde die Speicher in den nächsten Monaten bis nahe 0% Füllstand leeren.

Privatverbraucher müssen sich keine Sorgen machen, die sind besonders geschützt.
Für die Industrie wird es aber wieder einmal teuer oder es gibt sogar Lieferstops.

Damit werden natürlich auch Produkte wieder schlechter lieferbar und teurer.
Die Amerikaner haben gerade eine Kaltfront durchziehend und werden auch weniger LNG-Tanker senden.

Scheint so als ob man sich zu früh zu viel vorgenommen hat in Bezug auf die Energiewende.
NorthStream2 politisch zu blockieren, eigene Energieproduktion zu beschneiden und gleichzeitig auf teures amerikanisches Frackinggas zu setzen kommt die Deutschen noch sehr sehr teuer zu stehen.

Allein heute ist der Gaspreis schon um nahezu 10% an einem Tag gestiegen und steht wieder bei 90+€.
Moralisches Handeln ist halt teuer - ich würde mir nur wünschen dass die Politik dies auch so ehrlich kommunizieren würde: Ihr heizt diesen Winter mit amerikanischem Frackinggas, aber dafür ist es sechsmal so teuer wie vor Corona. Aber immerhin haben wir es dem Putin damit so richtig gezeigt! Ach ja - alle Produkte die Gas benötigen (also quasi alle Chemieprodukte und über Dünger auch Lebensmittel sowie die meisten Industrieprodukte) werden entsprechend auch teurer.

Kritisch sehe ich vor allem, dass die Düngemittelindustrie in ganz Europa bereits im Dezember die Produktion gedrosselt hat. Die Inflation der Lebensmittelpreise ist also schon sicher, denn der Dünger der aktuell nicht aufgebracht wird kann nicht nachgeholt werden.

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Das gehört in eine andere Diskussion, aber ich sehe es genau umgekehrt: wir müssten schon viel weiter sein in Sachen PV und Windkraft sowie der energetischen Ertüchtigung des Gebäudebestands. Dann bräuchten wir heute deutlich weniger Gas, trotz des Ausstiegs aus der Kernkraft und dem Runterfahren der Kohleverstromung.

Hätte man 2013 mal lieber RRG gemacht, als die Mehrheit rechnerisch da war, anstatt den auf tönernen Füßen stehenden Status quo noch fast ein Jahrzehnt zu konservieren. Vergossene Milch …

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exakt. Die Vergangenheit kann man nicht ändern. Und ich muss auch sagen es trifft ja zu einem großen Teil nicht die falschen, deren Lebensstandard jetzt aufgrund von Fehlern in der Vergangenheit sinkt.
Schade ist’s nur für die Jüngeren und gebildeten - also genau der Gruppe die Deutschland bräuchte aber die den größten Teil der deutschen Auswanderer ausmachen.
Ich finde es richtig, dass man jetzt in Deutschland auf die Tube drückt. Man hat nur vorschnell die Übergangstechnologien für unnötig erklärt. Hoffentlich bleibt noch genug (finanzieller und politischer) Atem durch diese Übergangszeit damit es wirklich eine Zeit nach dem Übergang gibt. Aktuell sehe ich eher Fälle davonschwimmen und die Wut der Unter- und Mittelschicht auf sinkende Reallöhne gepaart mit steigenden Preisen ist genausowenig zu unterschätzen wie die Dummheit der politischen Klasse, die aktuell wieder den nie funktionierenden Preiskontrollenhammer verliebt anschaut. Etwas gelernt hat man aus der Vergangenheit wohl nicht.

Ein Dreivierteljahr nach dem Eröffnungsbeitrag: Europa muss sich auf eine Chronifizierung der Energieknappheit einstellen.

Dazu ein Kommentar von Bloomberg: Bloomberg - Are you a robot?

Zitat: Europe needs a continent-wide campaign to save energy and reduce demand. Start now; don’t wait for winter. We’re reaching the point of ‘no idea is too crazy’ …

Anders sieht das … Olaf Scholz. Zitat aus [1]:

Auf die Frage, ob er Energiespartipps wie kürzeres Duschen oder eine geringere Raumtemperatur habe, sagte der Kanzler nur: „Nö“. Er fügte hinzu: „Wir werden uns alle mit diesen Fragen beschäftigen müssen, wenn es so ist, dass wir ein Problem haben, dass nicht genug Energie zur Verfügung steht. Gegenwärtig haben wir genug, das gehört ja auch dazu.“

Und das während der Bundesnetzagentur Chef eindringlich zum Sparen aufruft. Schwer zu verstehen.

[1]

Und er hat recht damit. Wenn er richtige Einsparungen vorschlagen würde, wie zum Beispiel das Auto stehen lassen, würde man ihn in der Luft zerreißen. Kalt duschen spart vielleicht 100 kWh das entspricht 100 km mit dem Auto ist gleich für viele Pendler ein einziges Mal mit der Bahn statt mit dem Auto fahren

Darum geht’s nicht, sondern um diesen Teil:

Der Preisanstieg von Erdgas geht in Europa ungebrochen weiter:


Der monatliche Durchschnittspreis an dem großen Gasnetz-Knotenpunkt in Holland beträgt nun fast 200 Euro pro MWh. Ein sehr effizienties Gaskraftwerk kann aus MWh Erdgas (Brennwert) ungefähr 0,5 MWh Strom bereitstellen. Die reinen Brennstoffkosten liegen also für Gaskraftwerke schon bei fast 40 ct/kWh (da sind noch keine Betriebskosten des Kraftwerks drin, keine Netzgebühren, keine Steuern und Abgaben, kein Profit der ganzen beteiligten Unternehmen). Jede/r möge mal in seine letzte Stromrechnung schauen, was er/sie gerade für eine kWh bezahlt. Und dann mit den Ohren schlackern ob der zu erwartenden Preissteigerung.

Gleiches mal für die Gasrechnung machen, sofern ein Gasanschluss vorhanden. Da kommen für ein mittelmäßig isoliertes EFH mit ein paar Stromfressern viele tausend Euro an Energiekosten zusammen.

Ich weiß, dass inzwischen nahezu jeder darüber redet, dass die Energie knapp und damit teuer wird. Aber mir fehlt dabei immernoch die Dringlichkeit. Es wird Millionen von Menschen geben, die demnächst Rechnungen in einer Höhe erhalten, die für sie bisher unvorstellbar war. Der Anstieg von gerade mal so ~1/3 bei Benzin und Diesel ist nichts dagegen, was bei Gasheizungen droht. Da laufen wir auf eine Vervierfachung der Kosten zu. Und noch haben wir gar keine physiche Knappheit, sondern lediglich die Erwartung einer solchen im Winter.

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