Deutschland und die deutsche Politik müssen umdenken

Auf einer Seite wollte ich meinen Kommentar zur Folge „Infrastruktur“ abgeben, aber am Ende habe ich doch einen Vorschlag gemacht (aus Angst vor Stimmenzuwachs für die Rechtspopulisten).

Vorab:
a) ich lebe seit 10 Jahren in Deutschland. (studiert/arbeite jetzt/höre seit ca. 6 Jahren LdN/nicht nach Deutschland geflüchtet sondern meine selbst gewählte Schicksal)

b) Ich bin kein Rechtsradikaler und glaube an die Demokratie.

c) ich habe Familie und Freunde über die ganze Welt verstreut und wir tauschen uns über verschiedene Themen aus.

d) ich bin nicht so American-Style Ökonomisch liberal.

e) (natürlich) ich bin nicht direkt von der Erbschaftssteuer betroffen!

was ich sehe:

Die deutsche Politik kann nicht liefern, Bürokratie und ineffiziente Prozesse, Digitalisierungsloch, schlechte Infrastruktur und und und…
(Man soll Deutschland nur mit seinen nördlichen oder südlichen Nachbarn vergleichen)

Und die Einstellung „immer selbst das Rad neu erfinden“ kommt noch dazu.

Deutsche/Deutsche müssen akzeptieren, dass sie seit 40-50 Jahren in vielen Themen nicht mehr Vorreiter (in der Welt) sind und müssen schauen, welche best pratices in der Welt gelebt werden.

Es wird immer wieder versucht, neue Probleme mit alten ideologisch geprägten Lösungen anzugehen, das verhindert mehr Politik und man muss sich nicht wundern, wenn Populisten Stimmen bekommen (das macht mir als Nicht-Original-Deutscher Angst).

Die deutsche Politik muss umdenken, sonst ist die Demokratie in Gefahr (natürlich meine Meinung nach)

Als Beispiel:
Solange man mit Steuererhöhungen Geld in ineffiziente Prozesse (vom Staat) pumpt, werden notwendige Veränderungen verhindert!

Beispiel 2: vielleicht ein netter Versuch- Einwanderungsgesetzt
Ich bin an eurer Meinung interessiert.

Moin, danke für das Diskussionsangebot. Den Grundtenor des Beitrags teile ich, aber das ist ja noch sehr diffus. Könntest Du zum Beispiel etwas näher ausführen, was Du mit

genau meinst? Steuererhöhungen haben ja mit der Blockade von notwendigen Reformen oder fehlender Lernfähigkeit nach meinem Wissen nicht direkt etwas zu tun.

(Faktisch bin ich auch nicht sicher, dass wirklich in den letzten 40 Jahren die Steuern so sehr erhöht wurden. Aber das müssen wir nicht hier diskutieren, können uns auf das konzentrieren, was Du meintest.)

[in der Episode „Infrastruktur“]
Gude :wink:
Es wurde vorgeschlagen, dass man, um diese Lücke des fehlenden Geldes für Investitionen in die Infrastruktur zu schließen, Erbschaftssteuern erheben/erhöhen könnte (ich bin davon nicht betroffen).
Ich meine, wenn man sieht/denkt, dass der Staat nicht effizient mit dem Geld umgeht (ineffiziente und nicht digitalisierte Prozesse/Bericht des Rechnungshof usw.).
Fragt man sich, ob es wirklich eine gute Idee ist, dem Staat durch Schulden oder Erbschaftssteuern wieder Geld zur Verfügung zu stellen? Oder erst die Vorgehensweise verbessern/optimieren?

Ok, einigermaßen nachvollzogen.
Meinst Du denn, dass die Erhöhung von Steuern die effizientere Gestaltung von Staat und Verwaltung verhindert? Wie genau sieht diese Kausalbeziehung aus?

Man kann ja sonst das eine tun, ohne das andere zu lassen.

Konkret zur Infrastruktur würde ich sagen, dass der Verzicht auf Steuererhöhungen nach dem Motto „erst sparen, dann investieren“ im Einzelfall sogar dafür sorgen kann, dass es am Ende mehr kostet und ineffizienter ist. Denn wenn man die Infrastruktur zu lange nicht repariert und wartet, muss man sie komplett ersetzen und dann wird’s richtig teuer. Ich meine, das wurde im Podcast am Beispiel der Rahmedetalbrücke konkret aufgezeigt.
Auch bei der Digitalisierung ist es so, dass die erstmal viel Geld kostet - für technische Ausstattung, Prozesse und Personal - bevor sie Geld einsparen kann.

Konkret bei der Erbschaftssteuer würde ich sagen, dass dafür auch andere Gründe als die Finanzierung des Staates sprechen, nämlich 1) dass die ungleiche Vermögensverteilung, die für die wirtschaftliche Dynamik und Innovation schädlich wirkt, begrenzt wird, 2) dass es sozialen Ausgleich gibt, der für ein Mindestmaß an empfundener Gerechtigkeit als Grundlage für sozialen Zusammenhalt sorgt, 3) dass man dann einkommensbezogene oder konsumbezogene Steuern im Gegenzug senken könnte, die für die wirtschaftliche Dynamik hemmend sein können (das Argument hängt natürlich an indirekt doch wieder mit der Finanzierung des Staates zusammen).

Daher meine ich, man muss ran an beide Baustellen der Nation - Bürokratie/Verwaltung UND Steuersystem volkswirtschaftlich sinnvoll aufstellen!

Das Einwanderungsrecht ist ein schönes Beispiel dafür, wie sinnvolle Reformen ideologisch blockiert werden, wir können hier auch weitere sammeln. Das Wahlrecht wäre auch so etwas, hier hat die aktuelle Regierung endlich eine ganz gute, wenn nicht perfekte Lösung gefunden. Leider hat das viele Jahre gebraucht.

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Das sieht man doch auch bei der Staatsfinanzierung. Die FDP blockt alle Steuererhöhungen aus ideologischen Gründen. Es gibt sicherlich auch Einsparpotentiale, aber wenn man die erst alle ausschöpfen muss, bevor man Steuern erhöht, bremst das nur unnötig.

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Das ist ein Totschlagargument gegen jeden Staat und entspricht der „starving the beast“ Rhetorik die im Podcast beschrieben wurde. Ineffizienz kann ich jedem Staat vorwerfen und wenn ich aufhöre ihn mit Geld zu versorgen, dann kollabiert er irgendwann.

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Es soll nicht amerikanisch extrem sein, aber wenn ich daran denke, dass eines der reichsten Länder der Welt so viele Probleme hat: Bahn, Straßenverkehr, Schulen, Kitas, Krankenhäuser, Fachkräftemangel, Ärztemangel, Pflegekräfte, Rentenpolitik und und und…
Was macht da eigentlich der Staat? Das ist genau der Punkt (auch im Podcast angesprochen), dass die Menschen das Vertrauen verlieren und dann die alternativen populistischen Parteien wählen, weil sie denken der Staat funktioniert nicht (das macht mir eigentlich Angst und Sorgen)
Überleg mal wie absurd es ist, dass du in Frankfurt wohnst und um die Ecke ist die Miete 25€/qm, ABER die Schule da ist verschimmelt!!!
Erklär das mal einer Person, die in einem Schwellenland lebt!

Sehr interessante und aufschlussreiche Erklärung aktueller Dynamik mit Hilfe eines Textes von Johannes Agnoli (Demokratiekritik).
Sehr empfehlenswert. Passt 100%
https://open.spotify.com/episode/4bgP6UDrNh6DimPyRUbuRK?si=WV5F8jjgTbWHPo7qnrfAfw

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Vieles davon wurde (teil-)privatisiert oder der Staat sollte und wollte sich raushalten (Energie, Abfall hast Du noch vergessen). Der freie Markt sollte das alles besser regeln. So, und nun sind wir da, und es wird mit dem Finger auf den Staat gezeigt.

Ich erlebe das auch gerade, zum 01.01. wurde bei uns die Wertstofftonne (gelber Sack und stoffgleiches) privat vergeben.
Resultat:

  • es wird 7,5% teurer
  • die Leerung erfolgte in vielen Straßen bisher überhaupt nicht.
  • eine versprochene ersatzabholung wurde verschleppt
  • telefonisch schlecht erreichbar
  • die Tonnen werden nicht mehr aus dem Hof geholt, sondern wir müssen sie (Mehrfamilienhaus in der Innenstadt) am Vorabend rausstellen.

Die Privatwirtschaft funktioniert offensichtlich kein Deut besser oder sogar schlechter an dieser Stelle.

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Die Problembeschreibung sehen hier glaube ich viele ähnlich. Die Frage, die Du aufwirfst, ist ja die des Weges zur Besserung. Da wurden jetzt viele Argumente genannt, warum „schlanker Staat“ nicht die Antwort ist - wie man ja gerade in den USA auch sehen kann. Prozesse verschlanken und effizienter gestalten ist immer eine gute Angelegenheit, aber sicher nicht dadurch erreichbar, dass man erstmal die finanziellen Mittel entzieht. Denn die bruacht man ja auch (u.a.), um diese Veränderungen anzugehen. So pauschal halte ich es daher nicht für zutreffend, dass ein „schlanker Staat“ ein besserer Staat sei. Vielleicht käme man einer Verbesserung näher, wenn man einen „effektiven Staat“ anstrebt, der seine Grundaufgaben gut und zuverlässig erfüllt, die Interessen aller Bürger:innen und Einwohner:innen im Blick hat und ausgleicht sowie sich zur Erfüllung wirtschaftlicher Ziele auch privatwirtschaftlicher Instrumente effektiv bedienen kann (Marktgestaltung). An Letzterem hapert es vielleicht in D aus kulturellen Gründen.

Anderer Punkt: gerade die nordischen Länder stehen m.M. nach in vieler Hinsicht besser da als Deutschland und das ist nicht durch einen schlanken Staat begründet.
Die baltischen Länder haben die Chance genutzt , nach dem Zusammenbruch der UdSSR vieles neu zu machen…

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Ich weiß nicht wo und wie ich mich falsch ausgedrückt habe :stuck_out_tongue:
Ich sehe nicht unbedingt einen schlanken Staat oder Privatisierung als Lösung.
Ich meinte
A) Smarter/kluger/effizienter/optimalere (Prozesse im) Staat
B) nicht immer das Rad neu erfinden, sondern von Best Practices lernen

Als Beispiel aus eigener Erfahrung (10 Jahre alt):
TU Darmstadt hat bzw. hatte damals 100% englischsprachige Studiengänge. D.h. internationale Studierende!
Ausländerbehörde in den 5 Jahren, die ich dort war, war nicht in der Lage einen Sachbearbeiter auszubilden/zufinden, der Englisch übernimmt (damals gab es noch keine Flüchtlingswelle), es musste immer jemand die Studenten begleiten (nicht smart/effozient).
Oder zumindest damals haben alle Studenten zuerst ein 3 Monatsvisum für die Einreise bekommen und erst nach dem Schreiben der Uni konnte man einen Termin bei der Behörde für die Verlängerung beantragen!
Man stelle sich vor, dass am Anfang jedes Semesters hunderte oder tausende gleichzeitig einen Termin brauchen! (Nicht smart)
Niemand antwortet auf E-Mails oder Anrufe!
Ähnliche Horrorgeschichten gab es auch in Stuttgart oder Frankfurt.
Meine Freunde in Finnland/Norwegen und Dänemark hatten diese Probleme nicht (was ich von ihnen gehört habe).
Ich habe das Einwanderungsgesetz nicht gelesen, wisst ihr, ob man sich Gedanken darüber gemacht hat, wie man Migranten bei der Integration helfen kann? Sprachkurse? Unterstützung bei der Arbeitssuche und Integration in die Arbeitswelt? Oder sollen die Gastarbeiter selbst herausfinden wie? (Nach dem Motto, das wird schon)

[Ihr kennt die Geschichte von der Autobahn, die im Stadtzentrum endet oder vom Radweg, der in einem Bach endet. Nicht smart/effizient. Man muss sich manchmal fragen, was ich gerade mache überhaupt Sinn macht, oder ich tue was mir gesagt wurde]

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Ich weiß nicht, ob es bei LdN war oder in einem anderen Podcast oder ggf. auch in LdN Buch:

  • in Dänemark sind angeblich die DSGVO Regeln für eine neues Verfahren auf 2 DIN A4 Seiten Formular erfasst, in Deutschland müssen dafür 200 Seiten Formular erfasst werden.
  • Auch im Bereich Windkraft passten wohl die ursprünglichen Genehmigungsunterlagen in einen Schnellhefter, inzwischen braucht es 30 Leitz-Ordner.

Schlechte, komplizierte Prozesse zu automatisieren, macht diese nicht weniger schlecht und die Umsetzung dauert natürlich auch länger.

Ich weiß auch nicht genau, woher diese Anforderungen immer kommen, der Software Beschaffungsprozess in der Firma für die ich arbeite, funktionierte ursprünglich mit einer Email-Antwort, inzwischen sind erst mal 2 Tage Excel-Listen mit 40 Fragen zu beantworten, davon ca. 1h Befragung durch den Datenschutz Beauftragten.

Die Excel-Dateien werden dann in einem Jira-Ticket als Anhang versenkt, danach müssen dort 5 Personenkreise ihr Okay geben,
Der Einkaufsprozess danach umfasst dann, je nach Preis, weitere 4-10 Genehmigungsstufen. Das alles dauert i.d.R. 2 Monate.

Also: die deutsche Privatwirtschaft kann sowas auch.

Niemand will mehr ein Risiko übernehmen, Fehler werden offensichtlich gnadenlos bestraft.
Bei allem, was der Staat macht, muss er mit heftiger Gegenwehr durch die Bürger rechnen.

Ein System wie in China, wo du keine Rechtsmittel gegen eine Autobahn durch dein Wohnzimmer einlegen kannst, sind natürlich auch Mist. Es ist schwierig.
Von anderen Ländern zu lernen ist aber definitiv eine gute Idee :+1:

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Der schlanke Staat war eine griffige und leicht übertriebene Formulierung von mir, hatte es auch nicht so verstanden, dass das der Schwerpunkt deines Anliegens war. Ich fand die Verbindung (ich verkürze) „Prozesse effizienter gestalten statt/vor mehr Geld für staatliche Aufgaben fordern“ nicht überzeugend und sie kann auch so verstanden werden, dass man im Endeffekt den Staat „aushungert“ statt Mittel für die Verbesserung der Prozesse bereitzustellen. Aber dann haben wir das Missverständnis wohl geklärt!

Deinen Punkten A) und B) stimme ich total zu, auch wenn die konkrete Umsetzung natürlich das ist, worauf es dann ankommt. Bei Punkt B) scheint mir nicht nur „deutscher“ Perfektionismus ein Problem zu sein, sondern auch das seltsame Bild von anderen Ländern, auch wegen schlechter Auslandsberichterstattung der Medien. Da wird viel mit Stereotypen gearbeitet statt aufzuzeigen, was anderswo aus welchen Gründen funktioniert. Vielleicht spielt auch eine Rolle, dass Deutschland so groß ist, dass es bislang trotz viel Außenhandel nicht so dazu gezwungen war, kulturelle und rechtliche Errungenschaften anderer Länder zu übernehmen. Alle anderen haben sich im Zweifel eben Deutschland oder der EU angepasst - aber die Zeiten sind, auch dem wirtschaftlichen Aufstieg vieler früher ärmerer Länder sei Dank, vorbei.

Weiß ich konkret auch nicht. Aber solange sich die Ausländerbehörden teilweise mehr als "Abwehr"behörden denn als Integrationsbehörden verstehen (war vor einiger Zeit mal der O-Ton einer Interviewpartnerin in der Lage), wird das auch praktisch viel an privater Initiative hängen bleiben… Ich persönlich verstehe auch nicht, warum für das Thema Migration und Asyl immer das Innenministerium zuständig sein muss, in dem es eben sonst hauptsächlich um die Abwehr von Gefahren geht (und dementsprechend auch in dieser Art und Weise gedacht und gehandelt wird). Das wäre für mich ein sehr wichtiger Schritt, dafür ein eigenes Ministerium zu schaffen oder so viele Kompetenzen wie möglich ins Arbeits- und Sozialministerium und die nachgeordneten Behörden zu bringen.

Danke @tacuissem für deine Zeit und den Austausch. :pray:

Niemand will mehr ein Risiko übernehmen, Fehler werden offensichtlich gnadenlos bestraft.
Bei allem, was der Staat macht, muss er mit heftiger Gegenwehr durch die Bürger rechnen.

@mifr
Ja, das kann ich verstehen und nachvollziehen.
ABER
Wenn man nicht bereit ist, ein gewisses Risiko einzugehen, kann es langfristig zu größeren Risiken kommen (immer risikodiversifiziert ist auch nicht die richtige Lösung).
Ein Beispiel:
Als Student habe ich in der Industrie gearbeitet (Maschinenbau), wir waren auf einer Messe und dann habe ich vorgeschlagen, dass wir die Maschinen mit dem Internet verbinden und bla bla bla!
Was für ein Drama!
Ich habe den Vorschlag nicht gemacht, weil ich schlau bin, ich habe einfach gesehen, dass die internationale Konkurrenz in diese Richtung geht!
Natürlich verstehe ich, dass die Idee riskant ist, aber die Gegenargumente waren
a) kein Risiko eingehen
b) solange die Kunden zufrieden sind (nicht meckern), brauchen wir nichts zu tun.
Anscheinend hat die Autoindustrie auch so gedacht (schade) und nach ein paar Jahren produzieren einige chinesische Autohersteller bei weitem bessere Autos (meine Meinung nach natürlich; zumindest kann man sagen, dass sie besser verkaufen).
Versteht mich nicht falsch, es geht nicht darum, zwischen den Extremen (USA oder China) zu pendeln oder alles (nach unseren Werten) Schlechte vom anderen zu lernen (z.B. Angriff auf das Privatrecht in China).
Aber als Beispiel kann man sehen/lernen, wie die kanadische Einwanderungspolitik funktioniert, dass sich nicht nur die zweite, sondern auch die erste Generation als Kanadier fühlt. Kanada macht das seit 100 Jahren und natürlich haben sie nicht alles 100% richtig nach heutigen Werten gemacht.
Deswegen habe ich umdenken/neudenken benutzt.
Ich bedanke mich für den Austausch. :pray:

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Mal ganz einfach gedacht finde ich die Kritik doch sehr berechtigt.

Anders als andere User habe ich auch nie die Forderung nach einem schlanken Staat herausgelesen sondern vielmehr die Kritik daran, dass vieles was nicht gut läuft in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zum schlechteren „verbessert“ wurde.
Viele Prozesse stammen aus einer Zeit in der die Anforderungen ganz andere waren und wurden in ihrer Grundstruktur nie überdacht sondern es wurden immer nur neue Anforderungen zusätzlich mit integriert. Auch wenn man sich mit Beamten unterhält höre ich da wenig von konkreten Maßnahmen zumindest schrittweise diese Prozesse von Grund auf neu aufzusetzen.

Oder nehmen wir das Thema Förderungen für Gemeinden. Aktuell ist es so, dass viele Gemeinden, gerade solche mit Geldnot, nicht die Dinge umsetzen die wichtig wären, sondern die für die irgendwo Förderungen mit wenig Eigenmitteln möglich sind.
In der Stadt in der ich geboren bin und 30 Jahre gelebt habe z.B. wurden viele unwichtige Dinge dank Förderungen umgesetzt, wichtigere Dinge dagegen werden weiter nicht angegangen.
Radwege zu den Dörfern, bei denen aktuell auf einer schmalen, kurvigen, schwer einsehbaren Landstraße gefahren werden muss sind aber weiter nicht in konkreter Planung. Ebenso viele andere kleine und große Probleme mangels Geld nicht angegangen werden.
ÖPNV weiter nur im Stundentakt im Ort und sporadisch in die Dörfer.

Die Stadtkasse wird dabei jährlich mit enorm hohem Defizit (2,5-3 Mio € pro Jahr) des Ganzjahresbades belastet. Ein Bad bei dem schon viele bei der Planung sagten, dass dies am Bedarf vorbei geht und zu teuer für rein kommunale Nutzung ist und zu klein um überregional Kunden zu ziehen.
Und ich bin mir sicher, dass das auch in ganz vielen anderen Gemeinden nicht anders ist. Wenn da Millionen versenkt werden, dann summiert sich das auch auf Milliarden.
Und dann sehe ich auf Kreisebene ja auch vieles Fragwürdiges.

Ich finde auch, dass wir nicht einfach nur „Weiter so“ aber mit mehr Einnahmen durch weitere Steuern akzeptieren sollten.
Das heißt nicht, dass es nicht ok sein kann weitere Steuern zu erheben um die Transformation zu schaffen und anschließend verschiedene Steuern senken zu können.

Wenn wir insgesamt in 10 Jahren gut dastehen wollen wäre allein ein Blick auf Steuereinnahmen für zusätzliche Ausgaben ein Fehler. Ein Blick in andere Länder lohnt sich da sicherlich. Sei es Skandinavien, wo der Staat viel bekommt, aber auch viel leistet oder andere Länder wo der Staat wenig bekommt, aber auch weniger leistet. Wohin wir wollen müssen wir aushandeln, ich wäre da eher für einen Skandinavischen Weg.

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Sehr treffender Satz! Ich befürchte, schon aufgrund der demographischen Lage werden wir in der Hinsicht aber viel Frustrationstoleranz brauchen, denn die Renten, Pensionen und Gesundheitskosten (finanziell wie personell) werden enorm - und damit ist noch kein Prozess verbessert oder Geld investiert. Ich fühl mich eigentlich gar nicht so wohl in der Position, hier die Politik und die „gewachsenen“ Strukturen zu verteidigen, aber habe irgendwie den Eindruck, Erwartungsmanagement betreiben zu müssen.^^

Trotzdem steht die Politik in der Verantwortung, das schon vorhandene Demographie-Problem so gut wie möglich zu managen und an anderen Baustellen die ausgetretenen Pfade zu verlassen (Förderprogramme als Mittel der Geldverteilung, Renten und Pensionen sowie Migration sind da passende Beispiele).
Nur wird die Überwindung von Pfadabhängigkeiten zunächst auch viel Geld, Geduld und Veränderungswillen kosten. Und wenn ich mir anschaue, was beim GEG los war, scheint mir letzteres die knappste Ressource zu sein. :smiley: Dafür ist dieses Forum hier aber immerhin ganz gute Werbung, find ich.

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Wenn wir uns über die grundlegende Richtung einig sind: Was für Handlungsmöglichkeiten lassen sich denn daraus ableiten?

Zu „das Rad nicht neu erfinden“ und best practices von anderen adaptieren fiel mir als Grundbedingung die Auslandsberichterstattung der Medien ein. Wir können alle Medien unterstützen, die konstruktiv einen Blick über den Tellerrand werfen, mit dem Ziel etwas zu lernen.

Aber unmittelbarer? Bräuchte es dafür spezielle Gremien/Einrichtungen oder Berufsbilder (quasi „Best-Practice-Scouts“)? (Edit: In Unternehmen gibt es ja bereits Menschen, deren Aufgabe die Beobachtung der Konkurrenz ist - sollen sich Behörden daran ein Beispiel nehmen?)

Es gibt ja zB innerstaatlich die Ministerkonferenzen, die Länder schauen sich häufig Lösungen voneinander ab. Und sonst gibt es ja in vielen Bereichen internationale Gremien und Foren, wo sich Menschen einer Branche o.ä. austauschen. Wo hapert es da, dass man nicht schnell versucht, gute Lösungen zu adaptieren?

Wer selbst schonmal in einem Verein oder eine Firma an grundlegenden Veränderungen beteiligt war weiß das. Veränderung tut immer irgendwem weh. Und wenn es nur ist, weil jahrelang gewohntes plötzlich anders ist.
Man kann Veränderung aber auch so gestalten, dass schon nach kurzer Zeit die Kritik verstummt. Das geht nicht bei allen Dingen, aber bei Dingen bei denen es nur an die Gewohnheit geht ist das oft möglich.

Gerade bei Prozessen im Hintergrund die viel Ressourcen kosten wäre wohl kaum mit viel Gegenwind von außerhalb der jeweiligen Behörde zu rechnen.
Beim Abbau von Förderungen für recht sinnlose Dinge zugunsten einer allgemein besseren Finanziellen Ausstattung von Kommunen wäre wohl auch mit wenig Gegenwind zu rechnen. Das Geld würde nicht überall sinnvoller investiert werden, aber vielerorts. Weniger Luxus der nur gemacht wird weil es 70% oder mehr Förderung gibt und dafür mehr von dem was wirklich nötig ist.