Deutsche Islampolitik

Nach dem Anschlag letzte Woche in München gibt es schon wieder zwei Vorfälle mit (mutmaßlich) islamistischen Hintergrund. Alarmismus ist wohl nicht angebracht, aber die Entwicklung ist wirklich besorgniserregend. Die Konsequenzen für die Wahl in Brandenburg kann man sich denken.

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Es gibt jetzt allerdings auch sicher den Nachahmereffekt. Das ist eine bekannte Dynamik.

Das ist vielleicht der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen bringt und manch zögerlich Entschlossenem zum Auslöser dient.
Die Frage ist doch, welchen Radikalisierungsprozess diese Menschen in Deutschland vor der Tat durchlaufen haben. Welche Unterstützung es aus der Szene und im Internet gab, und wie auch moderat anmutende Islamische Szenen durch eine Ablehnung von westlichen Werten und Lebenswelten zum Entstehen von Attentätern beitragen.

Dieser Teil ist mit einem großen Fragezeichen zu versehen, weil das erst Mal eine sehr wackelige These ist. Die Unterstellung, dass moderate muslimische Gruppen automatisch die westlichen Werte und Lebenswelten ablehnen, ist kaum zu begründen. Ebenso könnte ich sagen, dass der Katholizismus mit seinem Schwulenhass und seiner Authoritätsgläubigkeit gegenüber dem Vatikan sowie anderen Problemen die „westlichen Werte und Lebenswelten“ ablehnen würde.

Wenn wir uns einige der islamistischen Attentäter der letzten Jahre anschauen fällt schon auf, dass es sich häufig um abgelehnte Asylbewerber handelt (Anis Amri sowie der Täter von Solingen). Das kann letztlich nicht wundern, wenn man sich in die Situation dieser Menschen hineinversetzt: Deine Familie opfert ihre Ersparnisse, damit du den mühsamen Weg nach Europa beschreiten kannst. Auf dir lasten die ganzen Erwartungen der Familie, hier Fuß zu fassen, vielleicht später Familienangehörige nachzuholen oder zumindest Geld zurück zu schicken. Und hier wird dir plötzlich gesagt: „War alles umsonst, du musst zurück!“. Willst du da zurück in die Heimat? Die Scham muss gewaltig sein.

Ein ähnlicher Erklärungsansatz wäre die Analogie zur Sektenforschung: Haupt-Risikofaktoren in der Frage, warum Menschen Sekten beitreten sind u.a. die Suche nach Einbindung in eine Gemeinschaft, die Suche nach Klarheit und Halt, der Wunsch nach persönlicher Aufwertung, etwas besonderes zu sein. All das trifft auch auf abgelehnte Asylbewerber dazu. Deutschland hat ihnen gerade gesagt: „Also zu uns gehörst du nicht!“, aus ihrer Heimat sind sie geflohen. Also suchen sie etwas anderes.

Und warum sollte es bei Islamisten anders sein als bei Reichsbürgern? Auch hier gilt, dass viele Reichsbürger vorher niederschmetternde persönliche Erlebnisse hatten, häufig welche, in denen der Staat involviert war (Insolvenz, Steuerschulden usw.) und dann plötzlich all die Frustration in Form von Hass auf den Staat projeziert wird. Exakt das Gleiche kann bei abgelehnten Asylbewerbern wohl auch auftreten, in selteneren Fällen auch bei geduldeten Asylbewerbern, die keine langfristige Perspektive bekommen.

„Nichts mehr zu verlieren zu haben“ ist meines Erachtens der mit großem Abstand kritischste Risikofaktor auf dem Weg zum Terroristen. Und leider haben viele abgelehnte Asylbewerber „nichts zu verlieren“. Wenn ich mich in die Situation eines abgelehnten, ausreisepflichtigen Asylbewerbers versetze fällt es mir jedenfalls nicht schwer, zu verstehen, warum sich da ein Hass auf den ablehnenden Staat entwickeln kann. Und nein, das ist natürlich nicht gerechtfertigt, aber die menschliche Psyche ist leider alles andere als „logisch“. Wenn wir über Terroristen sprechen sind wir tief im Bereich der irrationalen, selbstzerstörerischen Emotionen.

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Das habe ich so auch nicht geschrieben. Es geht um moderat anmutende Gruppen mit der Qualifzierung, dass sie westliche Werte und Lebenswelten ablehnen.

Eine Analogie lässt sich zum Umgang mit Femiziden herstellen. Niemand, denn ich kenne befürwortet diese. An keinem Stammtisch und in keiner Umkleidekabine wird jemand für die Ankündigung Applaus erhalten, seine Ex-Freundin abzustechen. Dennoch dreht sich die Debatte nicht um die 100 gewalttätigen Straftäter, sondern um die toxische Maskulinität in der Gesellschaft, in dessen Klima diese Taten begangen werden. Manspreading und mansplaining kann man als woken Unsinn abtun, aber ein Körnchen Wahrheit steckt schon dahinter.

Das Täterprofil dass du im weiteren Verlauf beschreibst ist sicher treffend um einen Teil der Szene zu beschreiben. Dennoch finde ich die Fokusierung auf das Topos des abgelehnten Asylbewerbers in diesem Zusammenhang schwierig. Islamisten die der zweiten oder dritten Migrantengeneration entstammen und eigentlich Teil der Gesellschaft sind, können so nicht erklärt werden.

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Naja, das ist zumindest missverständlich ausgedrückt. „moderat anmutend“ kann sowohl bedeuten, dass man allen Gruppen unterstellt, nur so zu tun, als seien sie moderat, es kann sich aber auch auf eine Sub-Gruppierung beziehen.

Was du im Folgenden beschreibst ist durchaus korrekt, können wir aber in allen Ideologien beobachten, ist daher kein explizites Problem des Islamismus. Es ist das klassische Phänomen der Beißhemmung gegen schwarze Schafe in den eigenen oder verwandten Reihen kombiniert mit dem Phänomen, dass man, wenn man eine gemäßigte Ideologie vertritt, natürlich immer einige Leute diese Ideologie auf die Spitze treiben werden, sich dabei aber von der gemäßigten Ideologie bestätigt fühlen.

Nee, die können anders erklärt werden, im Prinzip so wie jeder Amokläufer. Schau dir die Steinhäusers, Kretschmers, Harris’, Klebolds und co. an. Alle diese Leute waren „ausgegrenzte“ Mobbingopfer, Leute, die einfach keinen Halt in der Gesellschaft gefunden haben und sich dann in ihren Hass auf die Gesellschaft gesteigert haben. Das ist auch typisch für „Homegrown Terrorists“. Sie stehen zwischen den Welten, haben keinen starken Bezug zur Gesellschaft im Land, in dem sie aufgewachsen sind, aber auch nicht zur Gesellschaft, aus der ihre Eltern eingewandert sind. Es sind so gut wie nie Menschen, die man als „erfolgreich“ bezeichnen würde, sondern ganz im Gegenteil meist Menschen mit einem Hintergrund von psychischen und vor allem sozialen Problemen.

„Religion“ hat bei diesen Home Grown Terrorists mMn in etwa die gleiche Bedeutung wie „Killerspiele“ beim Amokläufer. Es ist das Medium, in das sich die Menschen stürzen, um ihrem Frust Ausdruck zu verleihen. Es ist nicht die Wurzel des Problems, sondern eine schlichte Konsequenz der sozialen und oft auch psychischen Probleme. Bei vielen dieser Home Grown Terrorists gehe ich stark davon aus, dass wenn sie keinen Anschluss an islamistische Gruppierungen finden würden, sie eine andere Begründung für ihre Taten finden würden, dann würde es halt ein „unpolitischer“ Amoklauf werden. Wobei natürlich die Tatsache, dass islamistische Organisationen sie unterstützen, auch dazu führen kann, dass es zu Taten kommt, die sonst vermeidbar gewesen oder im Sand verlaufen wären - insofern ist der Kampf gegen Islamismus dennoch wichtig.

Aber wenn wir über Home Grown Terrorists reden, reden wir in der Regel nicht von „Religionsexperten“, sondern von sehr anfälligen jungen Menschen, die nur sehr fragmentarische Kenntnisse ihrer eigenen Religion haben und von terroristischen Ideologen instrumentalisiert werden.

Sinnvoll ist es, sowohl gegen islamistische Scharfmacher (Hassprediger usw.) vorzugehen als auch mehr Prävention zu betreiben. Wann immer ein junger Mensch sich unbemerkt derart radikalisieren kann, dass er einen Terroranschlag ausübt, hat die Gesellschaft als Ganzes versagt.