Demokratie vs Macht des Kapitals

Mir ist ein Gedanke gekommen, den ich gerne hier zur Diskussion stellen möchte.
In der Gestaltung wie die Ressourcen unserer Welt eingesetzt werden, gibt es zwei wichtige Arten von Macht.

  1. politische Macht: Gesetzgebung, Steuern und Haushalt
  2. finanzielle Macht: Investitionsentscheidungen
    Während die erste Form in ihren Grundsätzen demokratisch ist, entzieht sich die zweite weitgehend demokratischer Kontrolle. Beide haben aber Einfluss darauf was wann wo mit welchen Ressourcen getan wird.

Nun der Gedanke: Unternehmen könnte man analog zu Parteien sehen. Der Wähler informiert sich was die Parteien mit der der Regierung verliehenen Macht tun würden und gibt ihnen durch seine Stimme ggfs. den dafür notwendigen Einfluss.
Der Investor informiert sich, was das Unternehmen mit dem zur Verfügung gestellten Kapital anstellen würde, und stellt es ggfs zur Verfügung.

Während im demokratisch politischen Bereich alle mitbestimmen können, sind es im privatwirtschaftlichen nur die Kapitaleigner.
Investoren haben somit mehr und größere Stimmen als der Rest → eine demokratische Schieflage.

Der Gedanke ist nicht ganz neu. Soweit ich informiert bin, hat das ein gewisser Karl Marx zum ersten Mal formuliert :wink:

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Aber noch eine ernsthafte Antwort!

Ich stimme grundsätzlich zu. Allerdings kann man Unternehmen nicht direkt mit Parteien gleichsetzen. Beim investieren in ein Unternehmen geht es nicht primär darum, Einfluss auf die Gesellschaft auszuüben, sondern direkt um Return on Investment. Das ist ja eher so, als würden Parteien für jeden erhaltenen Sitz um Bundestag einen Euro an ihre Wähler:innen auszahlen.

Gleichzeitig ist die Kontrolle von Kapitalist:innen viel unmittelbarer. Im Kontext des demokratischen Systems ist das eher mit Räte-Demokratie als unserem repräsentativen System gleichzusetzen: Ein:e CEO kann leicht abgesägt werden, wenn nicht geliefert wird.

Beides zusammen führt dazu, dass Unternehmen nicht gemeinwohlorientiert arbeiten, wie es Parteien tun.

Das ist so im Kern die Idee der Rätedemokratie, wie die nach Ende des Ersten Weltkrieg auch in Deutschland massenhaft Anhänger fand. Was danach passiert, ist in jedem guten Geschichtsbuch nachzulesen. Die letzte Partei, die das in Deutschland gefordert hat, wurde 1956 verboten.

Leider hat sich daran seit gut 150 Jahren nicht viel geändert:

Warum kolonisierte König Leopold den Kongo nicht mittels des Staates, dessen Oberhaupt er immerhin war? Die Antwort ist ganz einfach: Die Form des Privatunternehmens gewährte ihm größere Freiheit als sein eigener Staat, in dem eine Verfassung, ein Parlament und eine gewählte Regierung seine Macht begrenzten. Sein persönliches Kolonialreich in Afrika hatte selbstredend nichts dergleichen. Er taufte es auf den Namen Kongo-Freistaat – sehr passend, zumal es Engels’ Definition eines freien Staates genau entspricht: ein Staat mit despotischer Regierung. [1]

Dabei fällt mir Benjamin Braun ein, welcher am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung zur politischen Rolle von Vermögensverwaltern und Zentralbanken forscht. Im Artikel „Titans“ [2] beschreibt er zusammen mit A. Buller, das Blackrock und Vanguard zusammen so viel Vermögen verwalten, dass sie jedes Unternehmen in Großbritannien drei mal besitzen könnten. Blackrock alleine verfügt über 10 Billionen US-Dollar [2], was dem gesamten Vermögen Lateinamerikas oder dem doppelten Vermögen Afrikas entspreche [3].
Gleichzeitig seien diese Unternahmen so diversifiziert, dass sie an nahezu jedem Börsennotierten unternehmen beteiligt seien.

BlackRock and Vanguard now collectively hold 10 percent of the total market capitalization of the FTSE 350 and, together with State Street, more than 20 percent of the average S&P 500 company. [2]

Wenn Blackrock und co also nicht mehr auf den Erfolg einzelner Unternehmen setzen, sondern vielmehr an allen Unternehmen innerhalb unterschiedlicher Sektoren beteiligt sind, frage ich mich schon, welche Interessen vertreten werden, bzw. in welche Richtung diese neue Art des Kapitalismus geht (Braun nennt diesen Asset Manager Capitalism). Berücksichtigung von langfristigen Klimafolgeschäden scheint es nicht zu sein (siehe [3]).

[1]

[2]

[3]

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Letztlich haben diese Investitionen aber natürlich auch Einfluss auf die Gesellschaft. Meines Wissens verdient Blackrock an den Gebühren für jeden verwalteten Dollar und nicht am Return on Investment. Wobei ihnen natürlich mehr Leute ihr Vermögen anvertrauen, wenn der Return on Investment stimmt.

Das ist ja in dem Bild auch interessant. Der Investor verleiht dem Unternehmen Gestaltungsmacht in Form seines Kapitals ohne sich dafür zu interessieren, was damit gemacht wird.
Das ist dann ja in etwa, wie eine Partei zu wählen, weil deren Farbe zur Inneneinrichtung passt.

Das scheint mir ein etwas anderes Phänomen als das von mir umrissene zu sein.
Bei mir ging es ja erstmal nur um das bereitstellen von Kapital. Durch das Stimmrecht wären die Asset Manager in meinem Bild eine dritte Kraft, die die politischen Programme aller Parteien beeinflussen kann.
Also vielleicht wie eine Wählervereinigung denen die gesammelten Stimmrechte der Mitglieder übertragen werden. Die könnten ja auch den Parteien Bedingungen diktieren unter denen sie den Stimmenanteil bekommen. Quasi eine Art Meta-Partei ohne politisches Programm.

Das Konstrukt fußt ja auch auf dem weiter oben festgestellten gestalterischen Desinteresse der Investoren, die eben nur an der Rendite interessiert sind.

Das verstehe ich nicht ganz. Kapital wird ja nicht in den luftleeren Raum bereitgestellt, sondern in der Regel für bestimmte Unternehmen und dessen Interessen. Vielleicht könntest du deinen Gedanken etwas ausführen, falls ich dich falsch verstanden habe.

Oder ging es dir grundsätzlich um die Analogie Parteien - Unternehmen?
In meinem Verständnis haben natürlich auch Unternehmen Macht. Das Problem hierbei ist, wie bereits beschrieben wurde, dass diese in der Regel nicht Gemeinwohlorientiert, sondern auf Profitmaximierung aus sind. Zu gewährleisten, dass nicht einzelne Unternehmen zu viel Macht erlangen, ist meines Erachtens u.A. Aufgabe der Politik (Demokratie, Parteien). In dem Sinne sehe ich nicht die Politik analog zur „Macht des Kapitals“, sondern vielmehr eine Schicht über der Wirtschaft, die dessen Rahmen und vor allem auch dessen Grenzen definieren sollte, nicht zuletzt, um den sozialen Frieden zu wahren.

Das Beispiel der Vermögensverwalter hatte ich zum einen eingebracht, da mich die Zahlen wirklich schockieren, und zum anderen, da ich mich frage, ob hier nicht die Politik schleunigst eingreifen sollte.
Blackrock nennt die 10 Billionen US-Dollar zwar nicht ihr Eigentum, dennoch verwalten sie es und nehmen so Einfluss nicht nur auf Unternehmen („Der US-Finanzdienstleister, der Vermögenswerte von rund zehn Billionen US-Dollar betreut und unter anderem an allen Konzernen im Deutschen Aktienindex (Dax) beteiligt ist […]“), sondern auch auf die Zentralbanken (Blackrock gibt EZB Anlagetipp). Und das alles ohne jegliche demokratische Kontrolle.

Ja mir geht es um die Analogie und wieweit sie trägt.

Inzwischen haben wir drei Aspekte zusammen.

  1. Jedes Unternehmen hat ein Programm, was es mit dem zur Verfügung gestellten anstellen wird. Als Investor kann ich entscheiden, welchem Unternehmen ich dabei helfe, dessen Programm umzusetzen. (Kapitalbereitstellung) (Zugespritzt: Windradhersteller oder Ölfirma)
  2. Wenn das eingesetzte Kapital mit Stimmrechten einher geht, kann der Investor darüber hinaus (mit-)bestimmen, wie das Programm ausgestaltet wird. (zB Umstellung von Ölfördertürmen auf Windradtürme)
  3. Die Politik kann Leitplanken für das Handeln der Unternehmen setzen.

Inwieweit Unternehmen gemeinwohlorientiert handeln, hängt also davon ab, mit welchen Vorhaben sie Kapital bekommen können, und wie sehr die gesetzlichen Leitplanken es in diese Richtung drängen.

Das Problem der Vermögensverwalter ist, das bei Ihnen die „Stimmen“ der Investoren bezüglich der Punkte 1 und 2 kanalisiert werden. Die Investoren geben also zugunsten einer Profitoptimierung ihre Macht über die Unternehmen an Blackrock ab. Und die setzten sie auch nur profitorientiert ein. Die Macht-Konzentration ist dort aber so groß, dass sie sogar die Leitplanken aus der Politik aushebeln können. Dadurch wird der Bock zum Gärtner.

Vermögensungleichheit gefährdet Demokratie
Interview mit Elitenforscher Michael Hartmann

Zitat Wikipedia " Die Abgehobenen. Wie die Eliten die Demokratie gefährden 2018
In seinem jüngsten Buch geht Hartmann dem Zusammenhang zwischen der neoliberalen Politik der Eliten und dem Aufstieg des Rechtspopulismus nach."

Und auf arte 42 Bedrohen Superreiche die Demokratie?

Was mich erschreckt hat, war die Aussage aus dem Wirtschaftsbriefing, dass Hartmann der letzte ist (und sein wird), der überhaupt zu dem Thema forscht.

Wir haben also nicht nur dicke Bretter zu bohren, wir wissen nicht mal mehr, wo diese Bretter zu finden sind.