Ich möchte eine Kritik beitragen, betreffend diesen Themas.
Am Ende des Themenkapitels heißt es nämlich:
"Mit anderen Worten: Sie habe jetzt genau diese Differenzierung beibehalten, die wir in der letzten Woche schon kritisiert haben. Nämlich die Differenzierung, dass die Cum-Ex Leute besser behandelt werden, als alle möglichen Straftäterinnen. Das versteht kein Mensch.
Warum ausgerechnet diese Leute ihre milliardenschwere Beute behalten dürfen, während alle anderen Straftäterinnen und Straftäter, durch die Änderungen der Abgabenordnung 297 a jetzt im Nachhinein verfolgt werden können. Das versteht kein Mensch."
Woran ich mich hier stoße ist die Formulierung „Das versteht kein Mensch.“
Als ich das gehört habe, da dachte ich mir spontan:
Ich verstehe das - und ich bin ein Mensch!
Schiebe mir nicht die Ahnungslosigkeit unter die du hier zu empfinden behauptest. Hier klüngeln die Machteliten genauso wie sie es schon seit hunderten Jahren ungebrochen tun. In den letzten knapp 100 Jahren wurde eine effiziente Fassade aufgebaut, die den Anschein von Demokratie (im Sinne von: Die Macht liegt beim gesamten Volk) verbreitet, welcher jedoch sich jedoch insbesondere seit den 70ern immer weiter von der Realität entfernt.
Als die Cum-Ex Sache aufgeflogen und sich vor der Judikative öffentlich rechtfertigen musste, da war die Abweichung nicht der Betrug an der Gesellschaft, sondern die Abweichung war, dass die Gesellschaft ausnahmsweise einen Blick hinter die Fassade erhaschen konnte.
Und mein darauf folgender Gedanke war:
Die Kontextualisierung der Informationen, nach einer Recherche, abzuschließen mit der Formulierung „Das versteht kein Mensch“, kultiviert eine öffentliche Ignoranz. Anstatt offen auszusprechen, dass hier eine oppressive Ungerechtigkeit offen ausagiert wird, wird hier nachdrücklich keine moralische Einordnung der systemischen Vorgänge vorgenommen.
Ganz im Sinne der Ideologie, individuelle Menschen im System können moralisch bewertet werden, aber das System an sich steht über der Moral.
Das waren die Dinge die mir automatisch in den Sinn gekommen sind. Ich fühle mich, als müsste ich eine Suspension of Disbelief beitragen, um nicht gegen die Aussage „Das versteht kein Mensch.“ zu stoßen, wie gegen eine Mauer. Und die Suspension of Disbelief ist, dass das System nicht fehlerhaft sein kann.
Es ist sehr gut möglich, dass ich diesen Eindruck nur habe, weil mir irgendwelche Informationen fehlen. Es gibt möglicherweise gute Gründe, dass man einen solchen Beitrag damit abschließt, dass man zwei mal erklärt: „Das versteht kein Mensch.“
Wenn es solche Informationen gibt, dann hielte ich es für wichtig, diese Informationen auch explizit auszuformulieren.
Meine Motivation dahinter, meinen Gedankengang so ausführlich nachzuerzählen ist der, zu demonstrieren, wie einfach man sich von so einer Formulierung als Abschlusses eines solche Themas zu einem Punkt hin Schlussfolgern kann, an dem man sich schon sehr nahe an den Aussagen von Verschwörungserzählern befindet. Ohne eine ordentliche Portion abstrakte Meta-Selbstreflexion, liegt es nahe zu dem Schluss zu kommen, dass diE MeDiEn doch die offensichtliche Wahrheit verschweigen, und die Eliten decken.
Die Verschwörungserzähler bauen zwar völlig abstruse Gedankenkonstrukte, basierend auf gefährlichen Prämissen, jedoch deckt sich deren Konklusion mit meinem Eindruck. Der Ankerpunkt, der die ganze Verschwörungserzählung in der Realität fixiert ist diese Konklusion. Die Konklusion, die sich diE MeDiEn nicht auszusprechen trauen. In anderen Worten: Die Konklusion ist das Fundament, von welchen rückwärts die Prämissen abgeleitet werden.
Zwar wirken die Gedankenkonstrukte der Verschwörungserzähler sehr an den Haaren herbei gezogen, jedoch ist es die einzige Erzählung, die die Konklusion, dass eine oppressive Elite ein anti-demokratisches System besetzt halten.
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Fazit: Ich glaube, wenn man sich selbst denkt „Das versteht kein Mensch.“, dann sollte man das für sich selbst als Red Flag betrachten. Möglicherweise ist es die Manifestation eines unbewusste innere Unwillens, sich öffentlich in solch grundlegend systemkritische Gefilde vorzuwagen. Und dann sollte man sich bewusst machen, was es für gesellschaftliche Folgen haben kann, wenn man diese Gefilde den rechten Verschwörungserzählern überlässt.
Ich hätte da auch gerade keine Lösung parat, diese Darstellung ist eher gemeint als Inspiration. Danke für’s Lesen. Und danke für den Podcast, ich feiere ihn sehr. Gerade die Offenheit für Kritik und die positive Fehlerkultur halte ich für das allergrößte Kapital des Projekts. Das macht dieses Projekt zu einem Leuchtturm der deutschsprachigen Medienlandschaft, imho.