Hallo zusammen,
seit ihrem Beginn ist die LdN fester Bestandteil meiner samstäglichen Hausarbeit und ich freue mich jedesmal über die Mail „die neue Lage ist draußen“
Zur letzten Lage möchte ich einen Kommentar loswerden, weil ich finde daß sich beim Thema „Corona und Wirtschaft“ ein problematischer Zungenschlag eingestellt hat, kulminiert in dem - sicher flapsig gemeinten - Kommentar: „Coronaparty im Büro“.
Ich bin Geschäftsführer einer kleinen Firma und wir nehmen das Thema bei uns sehr ernst. Homeoffice, Hygienekonzept, Tests, flexibile Angebote für von Schlulschließungen betroffenen Eltern usw. sind für uns selbstverständlich. Ich halte mich also weder ein Corona-Leugner noch für einen ignoranten Kapitalisten, der seine Mitarbeiter ungeniert einem Risiko aussetzt, um seinen Profit zu maximieren.
In meinem Job habe ich viele Kunden- und Lieferantenkontakte und bei allen ist das genauso. Vielleicht habe ich ja zufälligerweise nur mit Vorzeigefirmen Kontakt (was ich bezweifle), aber mir fällt beim besten Willen keine Firma ein, in der den Mitarbeitern Homeoffice verweigert wird.
Da ihr explizit Porsche erwähnt habt: dort ist Homeoffice seit einem Jahr möglich und wird sehr rege angenommen. Auch Tests für Mitarbeiter werden dort angeboten. Ich finde es deshalb polemisch und unsachlich, mangels Kenntnis vor Ort solche Aussagen zu machen.
Ein paar Beispiele aus dem Alltag:
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Wir bieten unseren Mitarbeitern Homeoffice an und haben viel Geld in Digitalisierung mit VPN, Telefon usw. investiert. Die Mitarbeiter nutzen das auch, wo möglich. Trotzdem kommen viele freiwillig ins Büro, weil sie es nach einem Jahr Lockdown zu Hause nicht mehr aushalten. Oft höre ich Sätze wie „ich bin so froh, mal für ein paar Stunden ins Büro zu können“. Soll ich diesen Mitarbeitern verbieten, zu kommen? Selbst wenn ich das wollte, dürfte ich es nicht.
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Einer unserer Kunden, ein großer Automobilist, stellt jedem Mitarbeiter zwei Tests zur Verfügung. Wenn man die Mitarbeiter fragt, liegen bei vielen die Tests ungenutzt zu Hause herum oder wandern direkt in die Mülltonne.
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Um unsere Belegschaft zu schützen, würden wir gerne die Mitarbeiter in der Produktion, bei denen kein Homeoffice möglich ist, vor Arbeitsbeginn testen. Dürfen wir aber aus Datenschutzgründen nicht. Dokumentieren dürfen wir die Tests auch nicht. Weder können wir die Tests verpflichtend machen, noch dürfen wir nach dem Ergebnis fragen, noch bei einem positiven Test irgendwie aktiv werden. Was haben diese Tests dann für einen Sinn?
Es zieht sich ein roter Faden durch die Entscheidungen: Unternehmen werden zu teils schwer nachvollziehbaren und umsetzbaren Dingen verpflichtet, für die Mitarbeiter ist aber alles unverbindlich und bleibt bei Angeboten. Argumentiert wird dann mit „erheblichen Grundrechtseingriffen“. Wo die z.B. bei verpflichtenden Tests sein sollten, erschließt sich mir nicht, insbesondere da es unseren Schülern anscheinend bedenkenlos zuzumuten ist (komischwerweise aber nicht den Lehrer*innen).
Ich verstehe die beschlossenen Maßnahmen immer weniger, kann sie meinen Mitarbeitern immer weniger erklären und spüre deshalb, wie die Bereitschaft, sich daran zu halten, abnimmt. Zunehmend habe ich das Gefühl, daß es bei dieser Diskussion weniger um Pandemiebkämpfung geht, sondern um Bundestagswahlkampt und „wir“ gegen „die“. Das Thema ist dazu viel zu komplex und zu vielschichtig.
Ich schätze die LdN so, weil sie genau diesen Anspruch hat. „Coronaparty im Büro“ ist für mich das Gegenteil: eine polemische, unsachliche Zuspitzung, die nichts zur Lösung beiträgt und den Mitarbeitern und Unternehmern, die verantwortungsbewußt und z.T. freiwillig, aber in jedem Fall unter Einhaltung aller Hygienestandards zur Arbeit gehen, nicht gerecht wird.
Ich bin gespannt, wie andere das empfinden und freue mich auf den Austausch hier im Forum!