AvP-Abrechnungsskandal - Apotheken bleiben auf Millionen-Schulden sitzen

Ein Thema, das in den Medien soweit keine bis kaum Beachtung gefunden hat, ist der Abrechnungsskandal inkl. Insolvenz der AvP.
Kurz zur Erklärung: Alle Apotheken in Deutschland sind verpflichtet, die Rezepte, die von den Krankenkassen bezahlt werden sollen, über sog. Abrechnungszentren laufen zu lassen. Diese sorgen dafür, dass das Geld der KK am Ende bei der Apo ankommt. Eins der größten Abrechnungszentren in Deutschland ist die AvP. Im September 2020 wurden, glaube ich, die ersten Zahlungsausfälle in AvP-Apotheken publik (vorher gab es aber bereits im Sommer Anzeichen dafür, dass dort etwas nicht koscher läuft), dem folgten einige weitere Negativschlagzeilen bis hin zum Insolvenzantrag der AvP, Fazit: über 3000 Apotheken in Deutschland, die auf mehreren Hundertmillionen Euro Schulden sitzen geblieben sind, keine nennenswerten Hilfen von Bund, Ländern u.ä. für dadurch in Bredouille geratene Apotheken (der Thüringer Apothekerverband hat wohl Anleitungen zur Beantragung der Insolvenz verteilt) und ebenfalls unklare bis eventl fragwürdige Reaktionen der BaFin.
Und das mitten im Corona-Jahr 2020, wo die Apotheken doch angeblich so wichtig für eine erfolgreiche Pandemie-Bewältigung sind.

Meine Lebenspartnerin arbeitet (glücklicherweise immer noch) in einer betroffenen Apotheke, die durch die ganze Geschichte knapp 1 Million Euro verloren hat, nur dadurch habe ich überhaupt davon erfahren. Ich würde mich wirklich freuen, das ganze mal gründlich recherchiert und redaktionell aufgearbeitet zu hören, wie gesagt, ein Thema, das in diesem Jahr viel zu wenig Resonanz erfahren hat.

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Hi Ron,
könntest Du kurz erklären wo diese Verpflichtung festgelegt ist? Ist das eine Vorgabe der Krankenkassen oder gar eine gesetzliche Vorgabe?
Ich war bislang davon ausgegangen, dass das keine Vorgabe sondern einfach ein unbürokratischerere Dienstleistung ist, die die Apotheken einkaufen um Verwaltungsoverhead zu reduzieren oder Geld zeitnaher zu bekommen.

Wie @AndreasK oben geschrieben hat, gesetzlich.
siehe: § 300 SGB V Abrechnung der Apotheken und weiterer Stellen

Tatsächlich gibt es auch einige Apotheken-BetreiberInnen (bspw. die Chefin meiner Partnerin und diverse ApothekerInnen aus deren Bekanntenkreis), die die Abrechnung mit den Krankenkassen lieber selbst übernehmen würden, trotz des höheren Aufwandes. Gründe dafür waren u.a. der von @AndreasK erwähnte Abschlag auf den Umsatz, aber auch eine zuverlässigere und vor allem zeitnahe Abrechnung, gerade bei besonders teuren Medikamenten, für die die Apotheken mitunter ohnehin schon in Vorkasse gehen müssen.
Ich kann mir vorstellen, dass die Abrechnung über die Rechenzentren vor allem für die Krankenkassen deutlich unkomplizierter ist, aber warum müssen dann die Apotheken dafür bezahlen? Bzw., das weiß ich selbst nicht, bezahlen die Krankenkassen einen Beitrag an die Rechenzentren?

@AndreasK: Was wären Ihnen da lieber, wenn Sie entscheiden dürften? Selbst abrechnen oder trotzdem Rechenzentrum beauftragen?

Also aktuell ist eine selbsständige Abrechnung ohne Rechenzentrum aus meiner Sicht unmöglich. Der Aufwand dafür ist durch sehr sehr viele Regelungen aus meiner Sicht nicht individuell darzustellen.
Sicher wäre es für die Krankenkassen deutlich aufwändiger, mit 19000 Apotheken abzurechnen, aber auch die Apotheken müssten ja mit knapp 100 verschiedenen Kassen abrechnen, teilweise vielleicht nur 1 Rezept pro Monat.
Und dann kommen noch andere Späße dazu. Z.B. erhalten die Kassen von vielen Arzneimittelherstellern sogenannte „Herstellerrabatte“.

[Exkurs] Dies ist gesetzlich geregelt, ich würde mal behaupten um den deutschen Listenpreis aus Herstellersicht hoch zu halten, da sich andere europäische Länder an Deutschland orientieren, aber eben den Krankenkassen niedrigere Preise zu ermöglichen. [/Exkurs]

Diese Rabatte müssen die Apotheken den Krankenkassen gewähren und anschließend beim Hersteller zurück fordern. Wirklich, nicht darstellbar ohne Rechenzentrum.

Das ganze kann sich ändern, wenn das e-Rezept da ist, aber stand jetzt brauchen wir die Rechenzentren.

Aber: Die Apothekenvergütung setzt sich aus einer fixen Summe (ca. 6,50€ nach Rabatten) und einem „Risikoausgleich“ von 3% des Warenwertes zusammen. Diese 3% sind für Risiken wie Lagerwertverlust, Bruch, Verfall etc. gedacht. Hier eigentlich schon, insbesondere bei sehr teuren Medikamenten zu wenig.
Was nicht eingepreist ist, ist ein Zahlungsausfall. Denn dieses Risiko bestand bisher objektiv nicht. Die gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland zahlen prinzipiell, und ein Rechenzentrum reicht diese Zahlung eigentlich nur durch. Eigentlich…

Aus meiner Sicht müsste die Vergütung dem nun bekannten Risiko angemessen angepasst werden.

Statistik | ABDA → Aufstellung vieler interessanter Statistiken zu Apotheken

file:///C:/Users/USER144/AppData/Local/Temp/ZDF_20_67_Entwicklung_der_Apothekenverguetung.pdf → Entwicklung der Apothekenvergütung

file:///C:/Users/USER144/AppData/Local/Temp/ZDF_20_28_Preisbildung_bei_Fertigarzneimittel.pdf -->Preisbildung bei verschreibungspflichtigen Arzneimitteln

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Großes Danke für die detaillierten Ausführungen!

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Hallo AndreasK,

danke für die Ausführung.
Super spannendes Thema, in sonem stark regulierten Markt mit irgendwie privatwirtschaftlichen Akteuren drüber nachzudenken.
Die „einfache“ Lösung um das zukünftig zu lösen wäre, wenn ich Dich richtig verstehe, eine leichte Erhöhung der Apothekenvergütung mit der dann die Apotheken eine Versicherung gegen Ausfall des Abrechnungsdienstleisters finanzieren, nicht war?
Weil ohne Versicherung macht eine erhöhte Vergütung vermutlich keinen Sinn, weil wenn das Risiko schlagend wird dann hilft der einzelnen Apotheke natürlich die leicht erhöhte Vergütung nicht.

Und dann sind wir wieder mitten in der alten Frage drin, ob und wie in einem so regulierten und Wohlergehensrelevanten Feld wie der medizinischen Grundversorgung wir noch nen weiteren Player reinholen wollen, der mit etwas Geld verdient, was eigentlich einfach eine Aufgabe der KV sein könnte.

Weil im wesentlichen braucht es ja ‚nur‘ ein stück Software, zwei Schnittstellen und ne Handvoll Verrechnungskonten, das könnte man m.E. schon den Kassen, oder eben den Kassenärtztlichen Vereinigungen zumuten, und müsste da nicht unbedingt da privatwirtschaftliche Player mit Gewinnerziehlungsabsicht zwischenschalten.

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Hmm.
Ich glaube, dass ist komplizierter, als es hier auf die Schnelle darstellbar ist.
Apothekenvergütung ist ein komplexes Thema, auch in dem Spannungsfeld Preisbindung, Selbstständige, die Heilberufler und Kaufleute gleichzeitig sind und mit ihrem privaten Vermögen voll haften.
Und auf der anderen Seite eben Finanzierung aus Krankenkassenbeiträgen…

Die Apothekenzahl ist in den letzten Jahren von 22.000 auf unter 19000 gesunken, der Trend ist weiterhin bei ca 300 Schließungen pro Jahr. Das spricht nicht für eine generell auskömmliche Vergütung. Zumal, wie in sehr vielen Gesundheitsberufen, die Gehälter der Angestellten gegenüber anderen berufen mit vergleichbaren Ausbldigungs-/Studiumszeiten, deutlich unterdurchschnittlich sind.

Oh Gott, lasst uns bloß nicht mit dem Thema Gehalt beginnen.
In Sachsen gibt es (als einzigem Bundesland) weiterhin keinen Tarifvertrag, da sich der Apothekerverband (der auch in der ganzen AvP-Sache und der Corona-Krise nicht gerade geglänzt hat) voll dagegenstemmt…
Aber naja, anderes Thema…