Ausrichtung der Bundeswehr

In dieser Zeit, in der man tunlichst eine funktionierende Armee haben sollte, lese ich zwar Tag für Tag die verschiedensten Zahlen, wieviel Geld die Bundeswehr brauchen wird, um wieder schlagkräftig zu sein. Was ich aber vermissen ist eine Diskussion darüber, was diese Armee eigentlich für eine Ausrichtung haben soll. Und das wäre doch erst einmal eine Grundvoraussetzung für jegliche finanzielle Investition.

So wäre die Verteidigung unseres Landes mit Sicherheit die wichtigste Aufgabe. Daneben wäre eine Unterstützung in bestimmten Brennpunkten ( Marine im Mittelmeer zb ) denkbar. Da eine gemeinsame europäische Armee noch in den Sternen steht, könnte eine Eingreif-/Unterstützungstruppe, die im Krisenfall mit anderen europäischen Armeen zusammenarbeitet, sinnvoll sein. Fraglich wären solche Einsätze wie in Afghanistan oder Mali. Zum einen haben sie nicht wirklich irgendetwas bewirkt, zum zweiten war die Bundeswehr dafür auch nie ausgerüstet.

Ich denke also, eine solche Diskussion darüber, was die Bundeswehr leisten soll, ist absolute Grundvoraussetzung für jegliche Investition.

Danach müsste das Beschaffungsamt der Bundeswehr komplett erneuert werden. Dies könnte mit einer gleichzeitigen Digitalisierung einher gehen.

Nach all diesen Schritten hätte man dann eine Vorstellung, was für einen Finanzbedarf unsere Bundeswehr tatsächlich hat. In Zeiten, in denen das Geld knapp ist, kann man es sich nicht leisten, nur irgendwie Geld in ein nicht funktionierendes System zu pumpen.

Wie sehr Ihr das?

Das Verhalten der USA unter Trump macht einmal mehr deutlich, dass Deutschland und die ganze EU sich endlich so aufstellen müssen, dass sie ohne die USA einsatzfähig sind. Und das ist aktuell nicht der Fall, da wesentliche militärische Fähigkeiten der NATO aktuell einzig durch die USA gestellt werden. Das muss sich grundsätzlich ändern, wenn Europa mit Russland, China und den USA „mitreden“ möchte.

Eine europäische Armee ist leider wirklich noch ferne Zukunft, aber eine Spezialisierung verschiedener europäischer Armeen in der Form, dass sie sich ergänzen und zusammen alle notwendigen Fähigkeiten hat, ist durchaus denkbar und wichtig zur Sicherung sowohl der europäischen Unabhängigkeit als auch zur Sicherheit vor übereilten Einsätzen. Einige Länder haben ja schon Armeen, die nur sehr spezielle Fähigkeiten haben, die nur im Kontext der Kooperation mit anderen sinnvoll sind. Das ist okay so. Deutschland, Frankreich, Italien und co. brauchen nicht alle eine „Voll-Armee“, also eine Armee, die alle Fähigkeiten beherrscht, die auch die USA beherrschen. Aber zusammen sollte Europa (also Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien, Portugal, Benelux, Skandinavien, Polen) alle Fähigkeiten abdecken können - und da müssen sich die Staaten jetzt mal ernsthaft zusammen setzen, wie sie das erreichen können. Die politisch etwas unsicheren osteuropäischen Staaten (Ungarn, Slowakei usw.) können dabei gerne einbezogen werden, aber sollten eher Redundanzen stellen, daher: die Europäische Verteidigung sollte ohne diese Staaten funktionsfähig sein, damit es keine Abhängigkeit von russlandfreundlichen Autokraten gibt.

Erst wenn das geklärt ist, können wir sinnvoll sagen, in welchen Bereichen wir welche Anschaffungen (sowohl personell als auch materiell / technologisch) brauchen. Sonst droht, dass wir weiter ineffiziente Parallelstrukturen aufbauen. Denn das ist meines Erachtens das zentrale Problem: Die USA haben einen großen Wirtschaftsraum, der alle militärischen Fähigkeiten abdeckt und aufrecht erhält. In Europa haben wir einen vergleichbar großen Wirtschaftsraum, in dem es aber unzählige Parallelstrukturen gibt, sodass es uns nicht gelingt, auch nur im Ansatz alle Fähigkeiten abzudecken, selbst wenn wir so viel ausgeben würden, wie die USA (was bereits unmöglich erscheint), wären unsere Strukturen so viel ineffizienter, dass das Ergebnis zwangsläufig schlechter wäre. Das muss sich ändern.

Die Diskussion, was die Bundeswehr wirklich braucht und wie sie ausgerichtet sein muss, hängt daher davon ab, wie die europäische Planung ist. Wir können uns unmöglich eine Vollarmee wie die USA, China oder Russland leisten. Nicht, ohne eine völlige Militarisierung aller Bereiche der Wirtschaft und der Gesellschaft („Join the army“ schon im Kindergarten…). Und das wollen wir hoffentlich nicht.

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Das Argument verstehe ich nicht. Wieso können wir (Deutschland wie EU) uns keine Vollarmee leisten?
Wenn dem so wäre, könnte die EU einpacken. Die EU hat eine Grenze zu Russland, dass heißt man muss sich verteidigen. Dann benötigt die EU Rohstoffe und Energie aus dritten Staaten, wie zum Beispiel Namibia. Eine „Handelsware“ sind Sicherheitsgarantien für diese Staaten abzugeben und diese zu erfüllen. Das klingt nach Kolonialzeit wird jedoch von China, Russland und den USA genau so gespielt. Wenn wir da nicht mitspielen wollen, werden wir von diesen Rohstoffen abgekapselt werden… Wir haben aber wenig eigenen Rohstoffe.
Das Gleiche gilt für die Handelswege, besonders auf den Meeren. Wer diese unter Kontrolle hat, hat einen strategischen Vorteil.

Ich verstehe aber auch nicht, warum die EU sich nicht an dem Vorbild der NATO orientiert und die EU -NATO (give it a name) alle Nationalen Armeen unter sich vereint und zwar bzgl. Kommandostruktur, Beschaffung, Ausrüstungs- und Ausbildungsstandards und Standorte. Das kann jedoch nur im Sinne einer Voll-Armee geschehen.

Das ist zumindest seit 10 Jahren am laufen und da ist die Bundeswehr Vorreiter in vielen Punkten. Dazu das 2. Interview in der Podcastfolge, bei Interesse

#254 Sicherheitskonferenz: Der letzte Weckruf | MDR.DE

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Der Satz bezieht sich auf Deutschland. Deutschland als einzelnes Land kann sich keine Vollarmee leisten. Europa kann sich keine 20+ Vollarmeen leisten. Eine gemeinsame hingegen schon - das ist genau das, worauf ich hinaus will.

Da sind wir absolut einer Meinung. Wie ich in einem anderen Thread schon sagte, könnte ein Austritt der USA aus der NATO genau das sein, was wir brauchen, denn die verbleibende NATO wäre dann genau das: Europa (inkl. UK) + Kanada und Türkei. Aktuell ist die Dominanz der USA in der NATO so stark, dass es für alle anderen Länder ausgesprochen schwierig ist, der Bevölkerung zu erklären, warum man auch alle diese Fähigkeiten aufbauen muss, die über die USA in der NATO doch bereits zur Verfügung stehen.

Die Gründung eines europäischen Verteidigungsbündnisses nach dem Vorbild der NATO hat das Problem, dass es in weiten Teilen eine Parallelstruktur zur NATO wäre, und gerade weil die NATO in der Form existierte war es schwer vorstellbar, dass es dazu kommt. Jetzt, wo die USA sich zwar noch nicht formell, aber ganz klar ideologisch, aus der NATO zurückgezogen haben, ist Raum für genau das. Denn jetzt muss jedem klar sein, dass die USA unsere Sicherheit nur als Vasallenstaat gewährleisten - etwas, dass in der Vergangenheit nur von den politischen Rändern geäußert wurde, ist jetzt leider Realität geworden.

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Nachzulesen im Thread Die USA sind verloren

Das wäre ein wünschenswerter Ansatz.

Aber: Solange die europäischen Staaten sich so oft so uneinig sind, insbesondere in der Außen- und Sicherheitspolitik, bleibt das ein Wunschtraum. Kein EU-Land wird sich von einem anderen EU-Land militärisch abhängig machen, um seinen eigenen Grund und Boden verteidigen zu können. Niemand will gezwungen sein, an Militäreinsätze außerhalb der EU teilzunehmen, weil das die EU-Kommission, das -Parlament oder der -Rat beschlossen haben.

Umgekehrt (und ich glaube, das wiegt faktisch noch viel mehr) will niemand mit seiner (spezialisierten) Armee einem anderen EU-Land zu Hilfe eilen müssen, das autokratisch (Ungarn) oder faschistisch (Italien) geführt wird.

Wie wäre es, die NATO zu erhalten und die EU bündeln innerhalb der NATO so ihre Kräfte, dass sie unabhängig von der USA und der NATO-Strukturen handlungsfähig sind. Dann können wir wahlweise als NATO oder als EU militärisch agieren.

Heute ist man einfach abhängig von den USA. Glaube da wäre es für alle ein Upgrade zumindest in Europa eine Alternative zu haben.

Jedes Land verpflichtet sich ja jetzt schon bestimmte Fähigkeiten in der NATO einzubringen. Anders gefragt. Welche Fähigkeiten der NATO würden den Ländern der EU denn fehlen, um die USA zu kompensieren?

Mir fallen da ein:

  1. Masse
  2. strategische Atomwaffen, 2. Schlag Fähigkeit immer und überall aka glaubhafte Atomabschreckung
  3. taktische Mittel- und Langstreckenraketen zur aktiven Bekämpfung von Abschussrampen
    Im Rahmen der NATO vermute ich, dass Europa für 1 und vlt. 3 mehr tun muss, um 2 zu behalten. Damit die USA sich weiter im Indopazifik konzentrieren können und wir über die 5% Militärausgabenforderung noch die US Waffenproduktion beglücken. So geht der Deal für Trump im Militärbereich auf mEn

Meines Wissens vor allem auch Aufklärung.

Ja hazte ich auch überlegt. Ggf. ist GB da gut aufgestellt, aber von mir aus auch das.

Aufklärung.

Ohne die USA ist die NATO nahezu blind und taub, wie eine Analyse aus dem Verteidigungsministerium zeigt, die WDR und NDR vorliegt.

Es handelt sich um eine Analyse zur NATO aus dem Jahr 2023. Sie beschreibt, wie hoch der Anteil der jeweiligen Mitgliedsstaaten an den gemeinsamen Nachrichten-, Überwachungs- und Aufklärungsaktivitäten (Joint Intelligence, Surveillance and Reconnaissance - JISR) der Militärallianz war. Es geht also um die unterschiedlichen Formen der militärischen Informationsgewinnung mit Aufklärungsflugzeugen, Drohnen, Satelliten, technischer Überwachung und menschlichen Quellen vom Meeresboden bis zum Weltall.

Der Anteil der USA an diesen JISR-Aktivitäten der NATO im Jahr 2023 betrug demnach 76 Prozent, der deutsche Anteil lediglich ein Prozent des militärischen Nachrichtenwesens innerhalb der Allianz. Der Anspruch der Bundeswehr in diesem Bereich, so ist es in der Auswertung des Verteidigungsministeriums vermerkt, stehe im Widerspruch zur Wirklichkeit. Deutschland leistet dem Vermerk zufolge auch einen geringeren Beitrag als einige andere europäische Staaten. So leisten Norwegen und Großbritannien jeweils sechs Prozent der Aufklärungsarbeit.

Wie kooperativ werden die USA noch sein?

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Der Witz an der Sache ist aber - und das müssen die Staaten langsam einsehen - dass die einzige Alternative eine komplett auf das Militär ausgerichtete Gesellschaft ist, wie wir sie in Russland und den USA haben. Das will auch keiner der Staaten.

Es muss doch Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und co. klar sein, dass sie alleine keinerlei Chance gegen die USA, China oder sogar Russland hätten, und das sind die potenziellen Gegner, gegen die man sich verteidigen können muss (dass die USA nun in dieser Liste zu finden sind ist alleine durch Trumps Grönland-Bestrebungen schon zu begründen, eigentlich aber schon durch den American Service-Members’ Protection Act von 2002, nachdem mit der Regierung Trump nun offiziell eine Regierung an der Macht ist, der eine solche Torheit auch zuzutrauen wäre…).

Den europäischen Staaten muss klar sein, dass keiner von ihnen seine Grenzen in einem Worst Case-Szenario gegen einen der mächtigen Aggressoren selbst sinnvoll halten könnte. Auch die Ukraine schafft das nur halbwegs, weil sie von der westlichen Welt massiv unterstützt wird, insbesondere auch im Hinblick auf die Aufklärung aus den USA. Alleine wäre die Ukraine schon lange gefallen. Kooperation muss daher in die Köpfe dieser nationalistischen Vollidioten gehämmert werden, die ernsthaft anders denken. Das einzige europäische Land, dass sich vermutlich tatsächlich halbwegs selbst verteidigen könnte, ist Großbritannien, schlicht wegen der Kombination aus Insellage und Atomwaffen. Alle anderen Staaten müssen kooperieren lernen - und den Gedanken, dass es nochmal einen großen Krieg zwischen westeuropäischen Staaten geben könnte, tunlichst vergessen. Die Art, wie heute Kriege geführt werden, verlangt nach einer Militärstruktur, die nur Länder mit mehreren hundert Millionen Einwohnern sinnvoll bereitstellen können. Alle anderen Länder müssen sich zusammenschließen - oder sie werden zum Spielball besagter Großmächte, was exakt die Rolle Europas aktuell ist. Eben wegen diesem bescheuerten nationalistischen Denken.

Und ganz im Ernst: Die GPS-Alternative Galileo zeigt doch schon, dass wir da auf einem Weg sind. Hier wurde jedem Staat klar, dass wir einerseits nicht auf das amerikanische GPS angewiesen sein wollen und andererseits auch nicht jeder europäische Staat sein eigenes GPS-System in den Himmel schießen kann. Und siehe da, es funktioniert, ein gemeinsames Projekt von großer militärischer Bedeutung wird gestartet und umgesetzt. Hier sitzen wir bereits schon alle im selben Boot. Und genau so müssen wir Militär auch in anderen Bereichen begreifen. Wenn weiterhin jedes europäische Land meint, eine Vollarmee zu brauchen, werden wir nie konkurrenzfähig zu den USA, China und Russland werden. Und die aktuellen politischen Geschehnisse machen hoffentlich deutlich, dass das kein gangbarer Weg für die Zukunft ist. Wir können uns nicht mehr auf die USA verlassen, wie wir es die letzten 80 Jahre getan haben. Das ist jetzt die wirkliche Zeitenwende - und das muss in den Köpfen derjenigen ankommen, die immer noch darauf beharren, dass jedes Land seine eigene, unabhängig funktionierende Armee braucht.

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