Danke an Deep-Olli-Tisch-ID (kleiner Wortwitz, haha) für das Anlegen des Threads. Ich bin auch im Kleinparteienbereich aktiv (Klimalisten) und habe auch den Drang mich dazu zu äußern. Ich merke, dass ich da auch emotional bzw. etwas wütend werde, versuche aber sachlich zu bleiben. Bitte sehts mir nach, dass mein Post nicht superfreundlich wird, weil ich auch enttäuscht bin. Im Gegensatz zu großen Medien (inkl öffentlich-rechtliche) habe ich aber die Hoffnung, dass ihr euch mit Feedback ernsthaft beschäftigt. Ihr seid grundsätzlich ein guter Podcast und ich höre euch regelmäßig, wirklich. Dankeschön! Jetzt aber zur (konstruktiv gemeinten) Kritik:
Ich glaube, dass es uns nicht weiterbringt, sondern eher spaltet, wenn wir darüber diskutieren ob strategisches Wählen richtig oder falsch sei. Hätten die progressiveren Parteien die Thüringen-Krise verhindert, wenn sie garnicht erst angetreten wären? Andererseits: Jede Stimme an eine Kleinpartei ging hälftig an rot-rot-grün und zur anderen Hälfte an Kemmerich. Es ist ein Dilemma. Grund für dieses Dilemma ist das Wahlrecht. Wie ihr ja trefflich erklärt habt, gibt es die 5%-Hürde. Wie man beim Hören gemerkt habt, demotiviert diese stark die Lieblingspartei zu wählen (wenn es keine etablierte ist). Diese systematische Demotivation ist im Kern undemokratisch. Nun könnte man gegen die Sperrklausel anführen, dass sich kommunale Parlamente und das EU-Parlament auch nicht zur Regierungsunfähigkeit zersplittert. Letztlich ist das aber Diskussion, die man aktuell nicht gewinnen würde. Es gibt aber eine Möglichkeit die 5%-Hürde zu erhalten und die systematische Benachteiligung von Kleinparteien abzuschaffen: Die Einführung einer Ersatzstimme. Das funktioniert so: Ich wähle meine Lieblingspartei mit meiner Zweitstimme und kann optional eine weitere sog. Ersatzstimme angeben (sinnvollerweise an eine große Partei). Bei der Auszählung und für die Parteienfinanzierung werden nur die normalen Zweitstimmen gezählt. Nachdem klar ist, wer alles nicht reinkommt werden die Wahlzettel für die nicht erfolgreichen Kleinparteien erneut ausgewertet, nur dass jetzt die Ersatzstimmen gezählt werden.
Das ganze kann natürlich auch analog auf die Erststimmen angewendet werden. Auf Kommunalebene gibts das schon, nur dass es dafür einen zweiten Wahlgang (krasser vermeidbarer Mehraufwand) gibt: nennt sich „Stichwahl“.
Die Ersatzstimme hat den großen Vorteil, dass man idealistisch UND strategisch zugleich wählen kann und dass sich die selbsterfüllende Prophezeihung, dass Kleinpartei xy es sowieso nicht schafft, nicht mehr tragfähig wäre. Und jetzt kommts: Die Piraten hatten das in Schleswig-Holstein und Saarland damals vorgeschlagen. Es wurde in beiden Landtagen abgelehnt. In beiden Regierungen waren SPD und Grüne (inkl. Robert Habeck) dabei. Nach der Wahl in Baden-Württemberg hieß es (u.a. auch sehr stark von Habeck), dass die Klimaliste rot-grün verhindert hätte (was schonmal Quatsch ist, weil die Linken viel mehr Stimmen hatten, aber <5% waren und es auch andere Kleinparteien gab). Grün-Schwarz hätte ja aber die Möglichkeit gehabt eine Ersatzstimme einzuführen. Berlin das gleich, nur mit rot-rot-grün. Eine Klimaliste tritt an und die TAZ schreibt, wie unverantwortlich das ist und vergleicht das mit dem Präsidentschaftswahlkampf in den USA 2000, bei der es einen dritten Kandidat (Green Party) gegeben hatte, der möglicherweise Al Gore entscheidende Stimmen gegen Bush weggenommen hätte…, aber auch hier: Die Kleinparteien und die Wählerschaft ist nicht das Problem, sondern das Wahlsystem, wovon nur die großen Parteien profitieren, die ironischerweise oft ein D für demokratisch im Namen haben. Ich möchte hier aber garkein explizites Grünen-Bashing betreiben. Die AfD würde auch nicht dafür sein, weil sie Angst vor anderen rechten Splitterparteien hätte. Alle anderen Großen genauso (bei der Union die Freien Wähler, bei der Linken KPD und MLPD, …). Die sonstigen Stimmen würden sich im Großen und Ganzen relativ gleichmäßig auf das gesamte Spektrum vergleichen und die Fraktionsproportionsunterschiede wäre marginal. Es kann doch nicht sein, dass ein paar 30 Stimmen (wie in Thüringen) mehr oder weniger eine Regierungskonstellation (rotrotgrün) möglich oder unmöglich machen. Dann wäre die FDP Stimmen halt zu großen Teilen zur CDU gegangen. Nicht dass ich das schön gefunden hätte, aber demokratisch wäre es.
Mich motiviert diese Machtpolitik erst recht mich in einer Kleinpartei zu engagieren.
Mein Wunsch ist, dass ihr das Wahlsystem nicht nur darstellt, sondern auch kritisch betrachtet. Das könnt ihr doch sonst auch.
Holger Klein äußerte neulich in dem übrigens auch sehr empfehlenswerten wöchentlichen Nachrichtenpodcast „Die Wochendämmerung“, dass es auch ein Medienproblem sei: Als die FDP 2013 aus dem Bundestag geflogen ist, war Lindner trotzdem noch sehr präsent. Ich ergänze, dass der Einzug der Freien Wähler in den Landtag von Rheinland-Pfalz unverhältnismäßig geringes mediales Echo erfuhr. „Bei der Bundestagswahl 2013 blieben 6,8 Millionen Zweitstimmen (15,7 Prozent) unberücksichtigt.“ (Wikipedia: Fünf-Prozent-Hürde in Deutschland). 2017 waren es 5%. In aktuellen Umfragen sind es i.d.R. 5% bis 10%. Demzufolge müsste in der Wahlkampfberichterstattung über Parteien ca. 5-10% Kleinparteien Thema der Fall sein. Das ist aber überhaupt garnicht der Fall!! Auch bei euch nicht. Kritik an aktuellen Themen gibts nicht nur von Zeitungen, Vereinen (wie der GFF), Oppositionsparteien, öffentlichen Personen, sondern auch von Kleinparteien. Ich würde mich freuen, wenn ihr darauf achtet, das in die Diskurse mit einzubauen. Z.B. gab es doch bei dem Tönniesfleischskandal (der seltsamerweise kein Thema mehr ist, auch bei euch nicht) sicher auch Stellungsnahmen von diversen Tierschutzparteien. Da hätte man mal auf deren Konzepte eingehen können. Da würdet ihr gegenüber anderen News vorangehen. Das wäre doch toll! Als Quickfix vor der Bundestag ist mein Vorschlag eine Sonderfolge über Kleinparteien machen. Für spätestens nach der Wahl wünsche ich mir, dass ihr auch kleinere Parteien mit die Berichterstattung mit einbezieht. Ich weiß natürlich, dass es am Ende allein eure Entscheidung ist und habe keine Erwartung.
So, schon fertig