Kleine Korrektur. Bei dem Direktmandaten im Osten, die nicht an die AfD ging, habt ihr ausgerechnet Gregor Gysi unterschlagen.
Was ich bei den Debatten um die Skepsis des Ostens die etablierten Parteien zu wählen, immer ein bisschen unterbelichtet finde, dass ein nicht kleiner Teil deren Kader aus dem Westen kam oder kommt. Gerade am Anfang hat das den Aufbau von Parteistrukturen nicht gerade gefördert, da man dafür ein Zusammenwirken von Bevölkerung und Politikern braucht. Mittlerweile hat sich das spürbar gebessert.
Als Thema würde mich das trotzdem mal interessieren. Wieviele von den Mandatsträgern kommen eigentlich aus der Region für die sie verantwortlich sind.
Die geografische Herkunft zum Thema zu machen und in ihr sogar ein inhaltliches Argument zu sehen, ist m. E. eigentlich eher ein Topos der Rechten. Ich frage mich, welches Ziel damit verfolgt, zu schauen, welche Kandidaten wo geboren wurden - oder was genau ist mit „aus der Region kommen“ gemeint?
Mal ganz abgesehen davon, dass grosso modo die „Eingeborenen“ aus unterschiedlichen soziodemografischen Gründen eher bei der AfD zu finden sein dürften als bei den „klassischen“ Parteien. Konkret: Was gewinnt man, wenn man sich beispielsweise anschaut, dass drei der in Sachsen direkt gewählten prominenten AfD-Politiker (Alexander Gauland, Tino Chrupalla und Maximilian Krah) in Sachsen geboren wurden, aber der einzige in einem Ost-Bundesland direkt gewählte Nicht-AfD-Politiker in Osnabrück geboren wurde, später jahrelang in Hamburg regierte und dann nach Potsdam zog?
Es ging mir jetzt weniger um die aktuellen Abgeordneten und deren Bezug zu ihren Regionen durch die letzten Jahrzehnte hinweg. Welcher Prozess ist da abgelaufen. Natürlich kann man das als Rechte missbrauchen, aber dieses strukturelle Defizit bei der Wiedervereinigung einfach ab zu schmettern, finde ich auch nicht richtig. Sicherlich hätte man 1990 nicht einfach alle Positionen mit Ossis besetzen können, aber thematisieren können muss man das.
Ich würde schon sagen das Haseloffs Generation bei uns ins Sachsen-Anhalt mittlerweile einen Blick für die Lage hier im Land hat UND das auch vermitteln kann, aber das war nicht immer so.
Ich glaube auch nicht, dass der in Sachsen geboren Chrupalla 1989 als 14-Jähriger „auf die Straße“ gegangen ist. Dass es nichts weiter als ein Mythos - oder meinetwegen ein gut funktionierendes Narrativ - ist, dass die AfD irgendwie den „Geist der Revolution von 1989“ fortführt, kann man auch so deutlich machen. Dafür braucht es den Verweis auf geografische Herkünfte nicht. Ich finde es immer besser, inhaltlich bzw. politisch zu argumentieren.
Ich halte es auch für strategisch falsch die Talking-Points der Rechten zu bedienen, aber wenn man diese Diskursplätze meidet und das Thema umgeht überlässt man denen auch ein Stück weit das Feld.
Wenn man darauf hinweist, dass die geografische Herkunft kein inhatlliches Argument ist, „übergeht“ oder „überlässt“ man ja nichts, sondern positioniert sich zu einem Diskurs.
Analog dazu „überlässt“ man ja auch nicht den Rechten den Diskurs über Migration, nur weil man nicht den Mythos von der „illegalen Migration“ als „Mutter aller Probleme“ übernimmt, wie es inzwischen leider auch SPD und Grüne zumindest in abgeschwächter Form tun. Die Frage ist eher, welche Möglichkeit zur Kritik man eigentlich noch hat, wenn man sich entscheidet, ausschließlich innerhalb eines Diskurses zu agieren, anstatt diesen auch „von außen“ zu betrachten.
Absolut. Eine Aufarbeitung der Transformation und des Anschlusses der DDR an die BRD ist dringend geboten und auch eine Debatte über die anhaltend so unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bedingungen in West- und Ostdeutschland sollte weiter geführt werden. Aber auch da würde ich die Reduzieren auf Herkunft als „Argument“ kritisieren, zu der zum Beispiel Oschmann m. E. teilweise neigt.
Sowohl im Podcast als auch hier im Forum war ja beides schon ausführlich Thema, etwa hier:
PS: Ich habe Berlin ausgenommen, da eine genaue Zuordnung ins Schema Ost/West nicht ausreichend aufgelöst ist, ohne einzelne Wahlkreise zu analysieren.
Erg. Mod.: Dieser Beitrag bezieht sich auf den unten.
… Offensichtlich ist der Anteil der AfD in den Ostbundesländern deutlich höher.
Allerdings leben, wie im Interview mit Frau Reuschenbach angesprochen, deutlich weniger Wählende in Ostdeutschland. …
Bei Auswertung des vorläufigen Endergebnis (siehe Tabelle) fällt aber auf: Der Hauptteil der AfD-Wähler lebt in Westdeutschland. Deutlich wird dies auf an der zweitstärksten Kraft der Zweitstimmen (Bild von Tagesschau)
Die Wahlursachen sind höchstwahrscheinlich ähnlich: abgehängt, desinformiert, aber eben auch stramm rassistisch.
Natürlich ist der Anteil bei ostdeutschen Wählenden höher, aber das Problem als ostdeutsch zu besprechen, hilft aus meiner Sicht nicht weiter.
Für mich ist das nur wieder das mit dem Finger auf andere zeigen.
Wenn man sich aufregt, dass in Unternehmen die Führungspositionen mit lauter Wessis besetzt sind, obwohl 35 Jahre nach der Wende es auch gut ausgebildete Ossis geben sollte, ist das möglicherweise legitim, wenn tatsächlich die Wessis, die vor 35 Jahren da in Führungsposition gerutscht sind, gezielt Ossis bei Bewerbungen und Beförderungen diskriminiert haben und das auch von den Nachfolgern so übernommen wurde.
Aber wenn es um Politiker geht, kann ich das so nicht stehen lassen. Parteien haben einen Ortsverband, Kreisverband, Landesverband. Die Verbände bauen aufeinander auf. Es steht jedem frei, in die Partei einzutreten, sich vom Ortsverband in den Kreisverband entsenden zu lassen und von dort in den Landesverband.
Und im Landesverband kann man sich dann für die Landesliste zur Bundestagswahl aufstellen lassen. Wenn da also immer noch Wessis den Ton angeben dann deshalb, weil die Ossis sie lassen und das mit ihrer Stimme unterstützen.
Mittlerweile wo meine Wendekinder Generation 30+ ist, kann man durchaus so sagen, aber wir sind meiner Erfahrung nach auch viel politischer. Uns wurde das nicht vorgelebt. Wir haben das durch die eigene Auseinandersetzung erworben. Für meine Eltern waren die ersten aktiven Politiker aus dem Osten SED Kader und die anderen aus dem Westen kannte man nicht. Sie hatten gerade eine Familie gegründet und mussten sich beruflich neu orientieren.
Was hier wesentlich vergessen wird, dass die meisten angestammten Mitglieder der großen Parteien aus Milieus stammen. Der Zusammenhang zwischen Partei und Milieu bröckelt aber seit Jahrzehnten massiv. Die Parteien verlieren an der Basis massiv am Mitgliedern. In genau der Zeit als dieser Zusammenhang sich auflöste sollte der Osten aus der Diktaturerfahrung heraus eine Pateistruktur aufbauen? Das ist einfach nicht was passiert ist. Diesen Prozess zu verkennen, verstellt den Blick auf die politische Entwicklung.
Es ist ein Mythos, dass das im Westen viel besser wäre. https://de.statista.com/statistik/daten/studie/1339/umfrage/mitgliederzahlen-der-politischen-parteien-deutschlands/
Demnach sind wohl gerade mal 2 Millionen Deutsche Mitglied einer politischen Partei.
Als Mitglied einer Kleinstpartei wird mit der Aufnahme meist gleich der Antrag in den Vorstand einzutreten mitgereicht. Die meisten wollen das nämlich gar nicht machen. Ich bin also gleich zu Landes- und Bundesparteitagen gefahren, durfte Stellungen zu Vorschlägen abgeben und abstimmen. Es ist den meisten gar nicht bewusst, wie groß der Hebel in einem kleinen Verband ist, den man hat.
1990 war die Anzahl der Mitglieder in der SPD noch mehr als doppelt so hoch. Das ist dramatisch. Natürlich sind Mitglieder %ual auf die Bevölkerung gesehen nicht vergleichbar mit Fußballverein oder ähnlichem, aber als Multiplikatoren und als Anker in ihre jeweiligen Milieus waren sie doch bei mehr als doppelt so großer Anzahl ein ganz anderer Einfluß auf die Debatten, auf die Mobilisierung und aus den Ausgleich.
Von 1990 bis heute halbiert sich, aus vielerlei Gründen, die Anzahl der Parteimitglieder und der Osten sollte entgegen diesen Trend eine neue Struktur aufbauen?
Politik hat sich gesamtdeutsch in dieser Zeit eher von der Bodenhaftung gelöst. Und damit will ich nicht sagen, dass angehobene Politiker schuld sind. Aber die Feedback-Zirkel laufen doch heute leer, in die eine und in die andere Richtung. Ganz besonders dort wo die Urbane Lebenswelt weit weg ist, kommen den Leuten die, durchaus nötigen, Debatten beispielsweise in Berlin vollkommen fremd vor.
Das hat mehr als einen Grund, aber das würde ich auch nicht als Ursache untersuchen sondern als Symptom.
Heute ist das Bild auch ein ganz anderes. Wir haben immernoch einige Politiker aus dem Westen, aber bei weitem nicht mehr so viele und viele von denen sind seit Jahrzehnten hier.
Es geht um die Frage warum politische Diskurse im gesamten Land heute aus dem Ruder laufen und warum das im Osten besonders stark ausgeprägt ist.
Meine Meinung: die gesellschaftlichen Institutionen über die Politik im Volk abgewickelt und abgearbeitet wird, sind erodiert und zwar auf der untersten Ebene. Die Parteien haben weniger Mitglieder, die klassischen Zeitungen schrumpfen (gerade auch die regionalen), die Demographie verschiebt die Schwerpunkte und führt zu einem Ungleichgewicht zwischen alt und jung, Stadt und Land.
Wenn man das annimmt, wird sofort klar warum der Osten das Laboratorium für die Zukunft ist. Die Landschaft von Institutionen, die im ganzen Land schwächer wird, war hier nie so ausgeprägt.
Heißt aber auch, man kann gleichzeitig auch Lösungsansätze untersuchen. Dazu muss man aber erstmal die Ursachen verstehen. Die Frage nach den Biografien der Politiker ist da nicht ganz abwegig. Wie sind die überhaupt in die Politik gekommen und wie war das ganz am Anfang? Welchen Ruf haben sie etc.
Die Parteibindung hat im Westen bei jungen Leuten abgenommen. Sie engagieren sich lieber in NGOs.
Die Parteien zeigen halt auch, wo bei ihnen Jugend aufhört und Erwachsene beginnt: bei 35, bis dahin ist man Mitglied der Jugendorganisation.
Es fehlt also ein grundsätzliches Verständnis in den Parteien für junge Leute.
Im Osten nehme ich an, dass die Vorwende-Generation damit aufgewachsen ist, den Staat als Feind zu sehen, den man möglichst geschickt austricksen muss und mitnehmen, was man mitnehmen kann und das an die nächste Generation weiter gegeben hat. Vielleicht ist auch ein grundsätzliches Misstrauen gegen den Mitmenschen da. So kenne ich es jedenfalls als die Naziherrschaft vorbei war und immer noch in den Köpfen war, wie Mitmenschen von Nachbarn verraten wurden. In den 80ern gab es im Raum München noch den Ausdruck „das ist dachaulastig“, sinngemäß „damit kommst du ins KZ“. Aber da wäre natürlich die objektive Sicht eines Betroffenen mal interessant. Ich kann nur mutmaßen.
Ich denke aber, dass der entscheidende Punkt wäre, Politikinteresse zu wecken. Denn das würde bedeuten, dass man selbst gestalten und selbst Verantwortung übernehmen kann - die Frage ist halt, ob man das im Osten wirklich will oder halt auch gewohnt ist, dass sich um die Politik die anderen kümmern. Auf die man dann schimpfen kann - und seit 1990 auch dagegen stimmen.