Grüß’ Dich, Dave!
Ulf und Philip sind es vermutlich gewohnt, „diese Begriffe“ zu nutzen, schreibst Du. Nun, zum einen ist es Philip deutlich weniger als Ulf; man erkennt nicht nur beim Thema Geschlechtergerechtigkeit deutliche sprachliche Unterschiede zwischen den beiden. Zum anderen müssen sie sich irgendwann daran gewöhnt haben. In ihrer Kindheit und Jugend haben sie sich aber sicher an keinen der drei Anglizismen gewöhnt, die in meinem Ausgangsbeitrag stehen, da gab es die nämlich – Ich bin mir zumindest recht sicher! - noch nicht. Es gab aber schon Wörter im Deutschen, die – wiederum meiner Ansicht nach – dasselbe ausdrücken können. Somit muß eine Umgewöhnung stattgefunden haben. Und hier liegt eben des Pudels Kern! Warum legt man die vorhandenen Wörter ab und sucht dafür neue und das nahezu ausnahmslos im (amerikanischen) Englischen?
Das mit den „Fachbegriffen“ ist auch so ein Thema. Gab es für „Bias“ und „Level Playing Field“ tatsächlich keinen Begriff, bevor diese beiden aus den USA eingewandert sind? Hat die deutschsprachige Wissenschaft die Problematiken wirklich erst erkannt, nachdem Amerikaner sie darauf gestoßen haben? Oder wurden auch hier vorhandene Begriffe ersetzt? Wenn die Themen neu sind, wie wird dann entschieden, welchen Teil der Literatur man übersetzt und welchen nicht? Auch z.B. das Bruttoinlandsprodukt ist ein aus dem angelsächsischen Sprachraum stammendes Konzept, trotzdem spricht man hierzulande (noch) nicht vom „Gross Domestic Product“.
Ich kann mich nicht erinnern, die geschlechtergerechte Sprache gelobt zu haben. Vielmehr bin ich bereits aus einem Verein ausgetreten, als er angefangen hat, für meinen Geschmack zu penetrant auf diesen „holperigen“ Formulierungen zu bestehen.
Andererseits kaufe ich auch ganz bewußt keine Produkte der Netto-Eigenmarke „Santa Claus is Coming to Town“. Das mögen viele kleinkariert bis idiotisch finden, ich halte es für konsequent. (Ich habe Netto selbstverständlich auch gebeten, sich diese Namenswahl nochmals zu überlegen, und darauf eine ähnliche Reaktion wie von manchem hier erhalten. Überspitzt formuliert: „Was will der rückständige Nationalist eigentlich?“)
Beide Beispiele reißen ein weiteres Feld an: Würde sich irgendjemand gestört gefühlt haben, wenn statt „a.k.a.“ (und der nachfolgenden ausgeschriebenen Variante) „alias“ gesagt worden wäre? Ich glaube, es hätte keiner gemerkt. Von „a.k.a.“ habe nachweislich mindestens ich mich schon gestört gefühlt. Dieses Störgefühl kann man natürlich für hirnverbrannt halten, trotzdem ist es aber vorhanden. (Ja, ich weiß, daß „alias“ ein Fremdwort ist, es ist aber eben kein moderner Anglizismus, was für mich einen signifikanten Unterschied ausmacht.)
Ich versuche auch hier, nochmals klarzumachen, daß ich keinen bestimmten Sprachstand einfrieren möchte. Ich möchte allerdings (unter anderem) weder, daß immer mehr vorhandene Wörter dem Vergessen anheimfallen, weil ihr englisches Gegenstück als irgendwie „knackiger“ oder was auch immer empfunden wird, noch, daß alle neuen Phänomene „zwangsweise“ eine englische Bezeichnung bekommen.
Man nehme zum Beispiel folgenden Fall: Ein gewisser Gary Fisher erfindet in den USA das Mountainbike. Wir hier übernehmen nicht nur die Idee, sondern auch gleich den Begriff. Macht das die ganze restliche Welt auch so? Nein, ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Nachbarland erkennt, daß man diese stabilen Räder nicht nur am Berg, sondern viel breiter einsetzen kann: Ein Fahrrad für alle Geländetypen! Bis heute sprechen die – zugegebenermaßen nicht wahnsinnig zahlreichen – Franzosen, die ich kenne, vom „vélo tout terrain“ oder „VTT“. Inzwischen hat Frankreich sogar das „Loi Toubon“ zum Schutz der französischen Sprache in der Öffentlich eingeführt. Und tatsächlich haben sich viele der zwangsverordneten Übersetzungen im ganz normalen Sprachgebrauch eingebürgert. Vermutlich ein Symptom des traditionell engstirnigen Lebensstils dort, während wir Deutschen viel weltoffener und toleranter daherkommen. Aber jedenfalls gibt es Alternativen dazu, alles Neue mit englischen Begriffen zu versehen bzw. diese einfach zu übernehmen.
Ich war auch einmal jung und damals war es gerade so, daß das Wort „lässig“ durch „cool“ ersetzt wurde und die regionalen Abschiedsgrüße, insbesondere „Pfiadi“/„Pfiad Eana“/„Pfiagod“ (Ja, Bayerisch kann man nicht „vernünftig“ schreiben.), durch „Tschüß“. Da habe ich damals mitgemacht und mich vermutlich für „cool“ und „up to date“ gehalten. Inzwischen habe ich mich aus meiner Sicht eines Besseren, aus Deiner möglicherweise eines Schlechteren besonnen: Ich habe erkannt, daß „lässig“ mindestens so schön und aussagekräftig wie „cool“ ist und versucht, meine Wortwahl bewußt wieder umzustellen. Außerdem habe ich festgestellt, daß ein seelenloses „Tschüß“ nicht einmal ansatzweise gegen die guten Wünsche eines „Behüte Dich/Sie (Gott)“ ankommen kann. (Meiner Meinung nach kann nicht einmal ein eingefleischter Atheist die gute Absicht dahinter verkennen.)
Also pfiadi und ein schönes Wochenende!
Peter