"Alternative Fakten" im LK Calw - Corona-Inzidenz mal anders

Hallo,

ich bin ja - wie viele - schon sehr geschockt über das Ergebnis der letzten MPK und für „wie dumm“ das Volk da verkauft wurde. Vom nächsten „Schlag ins Kontor“ ala Brandenburg mit neuem „Grenzwert“ 200 mal ganz abgesehen.

Was mich aber „aus den Socken gehauen“ hat ist die Cuzpe, mit der unser Nachbar-Landkreis Calw (und ich hoffe, es ist die einzige unrühmliche Ausnahme (glaube aber fast nicht daran)) in feinster Trump-Manier „ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“ „alternative Fakten“ erzeugt: dort wurde - um Öffnungen im Einzelhandel wie auch in Nachbar-Landkreisen mit niedrigerer Inzidenz zu ermöglichen - die tatsächliche Inzidenz einfach „schön gerechnet“. Seit dem wird eine „bereinigte Inzidenz“ aus dem dortigen Landratsamt berichtet. So z.B. heute (Quelle: Homepage Landratsamt):

„Die bereinigte Inzidenz von Dienstag, 09.03.2021, des Landkreises Calw beträgt 43,4.“ Das RKI-Dashboard weist hingegen 64,7 aus.

Zur Begründung heißt es vom Landratsamt: „Gemäß § 20 Abs. 7 S. 2 der Corona-Verordnung BW kann das Gesundheitsamt die Diffusität des Infektionsgeschehens angemessen berücksichtigen. Bei der Feststellung der Inzidenz hat das Gesundheitsamt daher zu prüfen, inwieweit es sich um ein diffuses Geschehen oder um klar abgrenzbare Ausbrüche handelt. Hierbei kam das Gesundheitsamt zu dem Ergebnis, dass das Infektionsgeschehen im Landkreis in maßgeblichen Teilen eingrenzbar und somit nicht diffus ist. Insbesondere lassen sich eingrenzbare und nachvollziehbare Fallhäufungen in größeren Familien, Unternehmen sowie Einrichtungen als Ausbrüche werten.“.

Quelle: https://www.kreis-calw.de/Schnellnavigation/Startseite/18-weitere-Corona-F%C3%A4lle-im-Landkreis-Calw.php?object=tx,2442.14&ModID=7&FID=2442.13116.1

Ich bin entsetzt.

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Erwartbares Verhalten, wenn man Landkreise über ihre Inzidenz gegeneinander ausspielt. (Ich halte den Inzidenz-Wettbewerb trotzdem für eine gute Idee, anderes Thema.)

Das kann man ein paar Tage machen. Aber dank Exponentialfunktion werden solche Tricks schnell eingeholt. :wink: Sorry, das ist vermutlich weniger witzig, wenn man Gefahr läuft, dass die Welle in den eigenen Landkreis überschwappt.

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Interessanter Beitrag, ist mir in dieser Form noch nicht begegnet. Offenbar erlaubt die aktuelle Corona-Verordnung von Baden-Württemberg diese Möglichkeit, wobei das IfSG sich ausdrücklich auf die RKI-Werte bezieht. Hier sehe ich einen möglichen Konflikt in der Verordnung. Allerdings handelt es sich bei „Diffusität“ auch um einen unbestimmten Begriff, sodass nicht ersichtlich wird, was genau damit gemeint ist. Müsste man mal in die Begründung schauen… Das heißt aber auch, dass jedes Gesundheitsamt in BW diese Entscheidung so treffen kann. Soweit mir bekannt ist, beinhalten die jeweiligen Corona(schutz-)Verordnungen der Länder einen direkten Hinweis, auf welche Inzidenzwerte man sich bezieht, z. B. die des RKI, was die Regel sein müsste.

Für Sachsen kann man beispielsweise zeigen, dass die Inzidenz des RKI fast immer regelhaft geringer ist als die, die die Landkreise und kreisfreien Städte angeben (vgl. „Neuinfektionen der letzten 7 Tage (Inzidenz)“). Und das ist schon seit Monaten so…

Aus meiner Sicht ist es überhaupt keine gute Idee, den Inzidenzwert als alleinigen Indikator für die Entwicklung der Pandemie zu bewerten – es sei denn, man einigt sich auf ein Berechnungsverfahren und die dazugehörige Datengrundlage. Interessant ist auch, das nur nebenbei bemerkt, dass auf einmal gefühlt alle von ‚Inzidenz‘ sprechen, während es im letzten Jahr häufiger noch ‚Fallzahl(en)‘ war(en)… Bemerkenswerte Diskursverschiebung (die natürlich auch durch § 28a IfSG bedingt ist).

Die Gründe dafür, dass ‚Inzidenz‘ kein guter Indikator ist, in Kurzfassung:

  • Der Inzidenzwert ist zunächst nichts anderes als eine Standardisierung/Transformation (was den Vergleich einfacher machen soll) von Fällen auf eine bestimmte Anzahl von Einwohnern/-innen (üblich sind auch Angaben gerechnet auf eine Million) – Die Variablen, die ich beeinflussen kann, sind also: Anzahl der Einwohner/innen, Anzahl der Fälle

  • Es ist zunächst zu klären, woher ich die Daten beziehe, auf die sich die Anzahl der Einwohner/innen bezieht: Kommen diese eventuell aus dem Statistischen Landesämtern, aus dem Einwohnermelderegister, gar aus dem Zensus? In der Vergangenheit wurde sehr deutlich, dass schon diese Datengrundlage in den verschiedenen Ländern und Kreisen nicht einheitlich angewendet wird und es somit zwangsläufig große Schwankungen des Inzidenzwerts gibt und geben muss.

  • Anzahl der Fälle: Hier ist eine der entscheidenden Fragen, auf welches Datum ich mich beziehe – Meldedatum, Übermittlungsdatum, Erkrankungsdatum? All diese Verfahren zur Fallermittlung werden in Deutschland angewendet! Durch die vielen Meldeketten (z. B. Gesundheitsamt > Landesuntersuchungsanstalten/Landesämter für Gesundheit > ggf. Landesministerium > RKI) kommt es natürlich ebenfalls zu Verzögerungen. Das Meldedatum ist ungleich dem Übermittlungsdatum. Eine sehr gute Beschreibung gibt es hier für Rheinland-Pfalz:
    Corona: Hinweise zur Berechnung der 7-Tage-Inzidenz

Anmerkung aus den Fallzahlen zu Sachsen (Link beim MDR): „Anmerkung zu abweichenden RKI-Werten: Während wir mit den Zahlen des Meldetages rechnen, berechnet das RKI den Inzidenzwert mit dem Erkrankungstag. Außerdem werden beim RKI die Zahlen der Neuinfektionen vom Vortag sieben Tage zurück gerechnet.“

  • Die Inzidenz (= Neuerkrankungsrate) gibt Auskunft über die Anzahl der Neuerkrankungen, die Prävalenz über bestehende Fälle. Konsequenterweise müsste man in die Berechnung des Inzidenzwerts alle Fälle abziehen, die nicht neu erkranken, also mutmaßlich die, die schon eine Infektion durchgemacht haben. Das ändert dann die Variable Einwohner/innen. Durch neuere Studien ist allerdings bekannt, dass die neu entdeckten Corona-Varianten (VOC) durchaus auch eine Mehrfachansteckung möglich machen. Insofern ist das Argument nicht ganz stichhaltig.

  • Einfaches Rechenbeispiel: Habe ich in einer Gemeinde oder einem Kreis, der 5.000 Einwohner/innen hat, 7 Fälle am Tag, also insgesamt 49 in einer Woche, habe ich eine 7-Tage-Inzidenz auf 100.000 Einwohner von 980. Das ist ein statistischer Effekt, der aber den Vergleich nahezu sinnlos macht. Aus diesem Grund waren auch im Dezember ganz viele Kamerateams auf einmal im Erzgebirge und wollten unbedingt wissen, wie es den Menschen denn da so geht in den kleinen Gemeinden mit diesen hohen Inzidenzwerten. Ein absoluter Fail!
    Dazu kann man sich hier die Werte mittlerweile auch aufgeschlüsselt auf Gemeindeebene anschauen (es führt nur nicht zu mehr Einsicht): Infektionsfälle in Sachsen - Coronavirus in Sachsen - sachsen.de

Aus diesen Gründen ist es total abwegig und überhaupt nicht zielführend, den Inzidenzwert in ein Gesetz zu schreiben und dazu noch Schwellenwerte zu definieren, an denen etwas passieren soll. Das würde schon eher gehen, wenn alle die gleiche Datengrundlage und das gleiche Berechnungsverfahren anwenden, dann lässt sich darüber diskutieren. Aber solange die Bundesländer nicht angehalten sind, sich an einem einheitlichen Standard zu orientieren und diesen in ihre Verordnungen zu schreiben, den ein Gesetz auf Bundesebene, etwa das IfSG, vorgibt, dann gute Nacht bzw. Augen zu und durch.

Ich würde mich freuen, wenn man mal in einer „Lage“ den Inzidenzwert problematisiert und auf diese Thematik auferksam macht, bzw. die jeweiligen Grundlagen der Berechnung und Datenerhebung erläutert. Das habe ich – bitte korrigiert mich – so noch nie in einer „Lage“ gehört, es wäre aus meiner Sicht allerdings sehr sinnvoll, um der teilweise sehr unreflektierten Verwendung (viel zu häufig leider auch in der Politik) des Inzidenzwerts mal etwas Differenziertes entgegenzustellen (@vieuxrenard/@philipbanse).

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Ich sehe hier keine Diskursverschiebung. Über „Fallzahlen“ zu sprechen, macht nur Sinn, wenn man sie in einen zeitlichen Bezug setzt. Natürlich muss ich meine Fallzahlen auch mit der Größe meiner Gruppe normieren. Die Gruppengröße ist jedoch nahezu konstant. Die Entwicklung der Pandemie ist deshalb äquivalent beschrieben.
(Klar, es mag Kreise geben, die die Bestimmungsmethode ihrer Einwohnerzahl verändert haben. Das ist aber ein einmaliger Effekt.)

Wie gesagt, die Einwohner kann ich nur einmal „bestimmen“, die Anzahl der Fälle kann ich natürlich immer manipulieren, wie es mir gefällt.

In deiner Beispiel-Gemeinde infizieren sich jede Woche 1% der Bevölkerung. Wenn das nächste Woche aufhört, ok, dann war’s ein Ausbruch im örtlichen Kindergarten. Wenn das über mehrere Wochen läuft, hat deine Gemeinde ein Problem, das durch die Inzidenz von 980 ziemlich gut beschrieben wird.

Zunächst nur ganz kurz: Mir ging es in der Beschreibung vor allem um die mediale Darstellung, die leider nicht immer differenziert ist (was vielfältige Ursachen hat).

Wenn das über mehrere Wochen läuft, hat deine Gemeinde ein Problem, das durch die Inzidenz von 980 ziemlich gut beschrieben wird.

Genau das ist das Problem. „Mehrere Wochen läuft“ impliziert eine Betrachtung über einen längeren Zeitraum, eine – technisch gesprochen – längsschnittliche Betrachtungsweise (ein Verlauf wird betrachtet). Was aber oft gemacht wird, ist, dass zum Zeitpunkt X Inzidenzwerte verglichen werden. Das ist das, was man unter einer Querschnittsbetrachtung verstehen kann (viele Werte werden zu einem angegebenen Zeitpunkt verglichen). Aus der Berechnung folgt, dass eine querschnittliche Betrachtung nicht sinnvoll ist, wenn die Gemeinde oder was auch immer eine kritische Größe nicht besitzt. Und daraus politische Entscheidungen abzuleiten, ist überaus gewagt. Von den Darstellungen in Medien, die dann immer eine Deutschlandkarte oder eine Karte auf Ebene eines Bundeslands mit verschiedenen Werten zeigen, mal zu schweigen. Denn ich kann die Gemeinde mit einer Inzidenz von 980 eben nicht mit einem Landkreis oder einer Gemeinde mit einer Inzidenz von, sagen wir, 100 gleichsetzen (‚vergleichen‘ kann ich das natürlich schon).
Ja, man betrachtet zunehmend „stabile“ Werte der Inzidenz, die in einem Intervall einige Zeit liegen sollen, bevor andere bzw. neue Maßnahmen greifen. Aber ob drei oder fünf Tage ausreichen, damit der Wert ‚gefestigt‘ ist, bezweifle ich etwas. Da muss es nur an zwei oder drei aufeinanderfolgenden Tagen einen exponentiellen Anstieg der Fallzahlen geben (‚Ausreißer‘) und dahin ist die bis dahin ‚gute‘ Inzidenz.

Da ja fast immer von der 7-Tage-Inzidenz gesprochen wird, ist das mit den 3 oder 5 Tagen schonmal etwas abgeschwächt.

Wieso kann ich das nicht „gleichsetzen“? Genau dafür macht man ja die Normierung. In unserer lokalen Zeitung ist die Karte außerdem mit einem Schieberegler ausgestattet, so dass man sich den zeitlichen Verlauf ansehen kann. Einmalige Peaks in einzelnen Landkreisen findet man trotzdem nicht. Am ehesten noch vor Weihnachten im Vogtlandkreis - aber dort lag es eher an der Überforderung der Behörden, die mit den Zahlen zeitweise nicht hinterherkamen. Gerade für solche Auffälligkeiten ist die Darstellung sehr nützlich. Überhaupt, werden denn in der Debatte nennenswert Gemeinden miteinander verglichen? Ich nehme die Debatten eigentlich nur auf Landkreisebene wahr. Auch die Corona-Regeln (Stichwort Notbremse) beziehen sich doch auf den Landkreis, oder? Der kleinste Landkreis Deutchlands ist glaube Lüchow-Dannenberg mit knapp 50.000 Einwohnern. Für die 980-Inzidenz bräuchte man da schon ca. 480 Fälle.

So ganz kann ich die Aufregung nicht nachvollziehen. Letztlich zeigt das Vorgehen des LK Calw doch nur, dass die Meldeinzidenz eben kein objektiver Wert ist, der repräsentative Aussagen über das Ausmaß und die Qualität des Infketionsgeschehens zulässt (was schond er Begriff „Inzidenz“ suggeriert). Es ist nichts weiter als ein Qutient, errechnet auf Grundlage der offiziell registrierten positiven Testergebnisse. Gerade wenn so wenig und vor allem so wenig systematisch getestet wird, wie in Deutschland, ist diese Zahl extrem abhängig davon, wie und wie viel getestet wird. Sprich: testet man mehr, gehen auch die Zahlen hoch, wie wir es gerade bei Schüler:innen sehen. Das sagt aber nicht unbedingt etwas darüber aus, wie sich das Infektionsgeschehen entwickelt.
Auf der anderen Seite ist es eine klare Reaktion auf die Politik, die die Meldeinzidenz zum allein entscheidenden Wert erhebt. Wenn ich öffnen will, sorge ich eben dafür, dass ich die entsprechenden Werte erriche - die einen durch wenig testen und die anderen durch großzügige Auslegung der Regularien. Bei diesem „Wettbewerb“ dürfte Calw nicht alleine sein, wie ja auch das Beispiel Brandenburg zeigt.
TL/DR: Calw und Brandenburg sind und Symptome. Das Problem ist eher, dass die Inzidenzwerte nicht so aussagekräftig sind wie viele denken.

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Was den Inzidenzwert betrifft, will ich hier weitere Quellen offenlegen und diskutieren (ich betone ausdrücklich, dass ich mir davon nicht alle Aussagen zu eigen mache, aber für den Überblick schadet das sicher nicht):

Aus Sicht der empirischen Sozialforschung will ich aber auch die Idee von repräsentativen Stichproben verwerfen, wie sie z. B. Prof. Bosbach vorträgt. Es ist nicht möglich, diese zu ziehen. Theoretisch ein guter Gedanke und am Ende auch sehr nützlich, heißt aber zwangsläufig, dass ich Menschen verpflichten muss, sich einem Test zu unterziehen. Schwierig bis unmöglich in der Umsetzung und läuft am Ende wieder auf Freiwilligkeit hinaus. Dann haben wir aber keine Repräsentativität mehr gegeben, zumal ich vollständigen Zugriff auf einen Datensatz bräuchte. Das RKI will das demnächst durchführen, da bin ich sehr gespannt drauf. Die Aussage aus dem Interview zu den Prognosen bei Bundestagswahlen darf man aber bitte nicht zu ernst nehmen…
Ein anderes Problem ist die Anzahl der durchgeführten Tests, diese müssen zwingend in die Berechnung einbezogen werden, werden aktuell aber nicht berücksichtigt.

Politisch bedeutet das aus meiner Sicht, dass es eine ganzheitliche Betrachtung (nicht Bewertung! Die liegt an anderer Stelle) der Pandemie geben muss. Die Fixierung auf einen Inzidenzwert, der mutmaßlich zu Grundrechtseinschränkungen führt oder anderweitige politische Maßnahmen nach sich zieht, kann nicht zielführend sein, sofern kein standardisiertes Verfahren angewandt wird.

Und was werden wir in ein paar Wochen sehen? Genau, nämlich, dass aufgrund eines gefühlten Drucks aus der Bevölkerung bezüglich der ‚Lockerungen‘ Berechnungen anders ausfallen (wie am Beispiel von Calw, wo die Corona-Verordnung genau diese Möglichkeit bietet), auf einmal andere und neue Daten hinzugezogen werden oder andere Indikatoren auf einmal eine Rolle spielen, weil das ja dann „das Infektionsgeschehen besser“ abbilden würde und „man der Situation damit besser gerecht wird, weil Cluster etc.“, damit sich ‚Öffnungen‘ rechtfertigen lassen Das passiert gerade in Brandenburg – und es würde mich nicht wundern, wenn Reiner Haseloff (oder Armin Laschet, da bin ich aber noch unsicher) der nächste ist, der die Axt an Beschlüsse legt, denen er selbst zugestimmt hat und sich in der nächsten Talkshow mal wieder um Kopf und Kragen redet. :roll_eyes:
Während der gesamten Pandemie ging es und geht es immer um Kommunikation – wie in jeder Krisensituation. Dahingehend ist leider wenig gelernt und verbessert worden.

Das Problem ist, dass es Landkreisen/Bundesländern wichtiger ist, „öffnen“ zu können (Schulen, Einzelhandel, Friseure), als die Pandemie in den Griff zu kriegen.
Eigentlich sollten Behörden ein Interesse daran haben, durch viele Tests möglichst alle Fälle zu finden.

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Völlig zutreffend beschrieben! Deshalb stört mich u. a., dass diesem Wert so eine hohe Bedeutung beigemessen wird – in der Politik, aber auch medial. Er ist u. a. von zu vielen Faktoren abhängig.

Aber ja, testet man mehr, gehen die Zahlen zwar hoch, allerdings wird sich hoffentlich auch das Feld der Dunkelziffer eingrenzen, sodass die Menschen, die positiv gestestet worden sind und nicht dachten, dass sie positiv sind, die Infektion nicht weitertragen. Das wäre die Hoffnung. In Österreich hat das teilweise funktioniert, etwa in den Schulen. Dafür muss aber gestestet werden, bevor man Schulen etc. auch öffnet. Sachsen hat genau das Gegenteil gemacht…

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Ich glaube nicht, dass sich die Verantwortlichen nur auf den Inzidenzwert konzentrieren (ganz sicher nicht Frau Merkel - bei anderen Politikern bin ich mir zugegeben nicht ganz so sicher). Aber es ist doch völlig unrealistisch eine einfach zu kommunizierende Regel zu fordern (wie es ja große Teile der öffentlichkeit tun - da fallen ja die jetzigen Regeln schon als zu kompiziert durch), gleichzeitig aber die Berücksichtigung mehrerer Faktoren (Impfquote, Belegung Krankenhäuser und ITS, R-Wert, Diffusivität, …) zu verlangen. Wie gut lässt sich wohl eine Regel verkaufen, bei der die Bevölkerung mit einer komplexen Formel und 10 Parametern ausrechnen darf, ob/wann sich Regeln ändern?

Genau. Leider fordern viele, eine differenzierte Betrachtung, bei gleichzeitig deutschlandweit einheitlichen Regeln, und das ganze bitte erklärt in einem Satz ohne Komma und Nebensatz und von allen Politikern im Gleichtakt ohne Widersprüche (ja, etwas übertrieben, aber nur unwesentlich). Ich finde es ok, wenn lokale Politiker (z.B. auf Landesebene oder Gemeinde) im Rahmen der Möglichkeiten Entscheidungen treffen (siehe Brandenburg oder Calw), die auch mal vom Mainstream abweichen. Dafür müssen sie dann halt ggf. auch den Kopf hinhalten.

Die Frage ist m. E., wie hoch man den Anspruch bei der Frage der Repräsentativität schraubt. Eine gut gemachte Kohortenstudie erlaubt auf jeden Fall schon mal deutlich mehr Aussagen über das Infektionsgeschehen. In Deutschland können wir ja nicht mal sagen, ob die Dunkelziffer 2, 4 oder 6 mal so hoch ist wie die gemeldeten Zahlen…

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Das Bedürfnis nach „Öffnung“ (man könnte auch sagen: nach Wiederherstellung des Lebens, das wir kennen) ist ja durchaus verständlich. Man könnte ja den Schuh auch umdrehen und sagen: Wie überzeugend ist es, so einschneidende Einschränkungen in zahlreichen Lebensbereichen allein mit einem Wert zu begründen, der so manipulierbar ist? Zudem ist die Frage was „Pandemie in den Griff kriegen“ heißt. Das Ziel hat sich ja während des Lockdowns mehrfach verschoben. Mal ging es um „Nachverfolgung gewährleisten“, mal um „das Gesundheitssystem vor Überlastung schützen“, mal um „die Mutationen“ und nun um „die dritte Welle“ - das sind ja alles keine exakt definierten Ziele, die zwangsläufig nur bei einem bestimmten Wert erreichbar sind.

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In der Kurzfassung: Der Wert suggeriert etwas, was er in der Realität nicht adäquat abbildet bzw. abbilden kann, quasi schon eine Art Fetisch, wie auf einmal gefühlt alle nur noch von ‚Inzidenz‘ reden (und am besten ist Markus Söder, der den Plural offenbar von ‚Reagenz‘ übernimmt…). Dieser Wert suggeriert Objektivität, die es aber nicht gibt und einer Verdinglichung gleichkommt. Ich beziehe hier auch Überlegungen von bspw. Daniel Kahnemann (Thinking, Fast and Slow) oder Gerd Gigerenzer (dessen Aussagen ich auch nicht alle uneingeschränkt teile) ein. Menschen überschätzen z. B. die Größenordnung von Zahlen, es kommt zu kognitiven Verzerrungen. Wer kann sich denn vorstellen, was eine Inzidenz von 35, 60 oder 150 oder 200 gerechnet etwa auf Deutschland oder ein Bundesland genau bedeutet?

Mich hat etwa die Debatte (und die zugehörigen Schlagzeilen) geärgert, die es um die Kommunen/Gemeinden bzw. die Gemeindeebene in Sachsen gab. Ich gebe dir recht, dass dies mittlerweile nicht mehr so ein Problem ist bzw. aufgegriffen wird, weil die Kreisebene rechtlich relevanter ist, aber es kommt bestimmt wieder, wenn es den politischen Willen gibt, auf dieser Ebene zu öffnen. Ich frage mich bei diesen Überschriften vor allem, welche Aussagekraft sie haben und was das bei Menschen auslöst, die das nur lesen und nicht tiefer hinter diese Zahlen und deren Entstehung blicken (was kein Vorwurf sein soll). Das Wort „diffus“ werden wir in Zukunft noch sehr häufig hören und lesen. Ich gehe jede Wette ein.

https://www.mdr.de/nachrichten/panorama/corona-erzgebirge-inzidenz-daten-gemeinden-meldung-100.html

https://www.mdr.de/sachsen/chemnitz/annaberg-aue-schwarzenberg/corona-erzgebirgskreis-infektionen-kommunen-100.html

Hier geht es mir nicht um den Artikel, sondern nur um die Überschrift: Mehrere Orte in Sachsen mit Inzidenzwert über 1.000 | Sächsische.de

Mit dem Vorwurf der Manipulation, wie er auch bei @Martino zu lesen war, wäre ich sehr vorsichtig und würde ihn für mich nicht verwenden. ‚Opportunistisch‘ trifft es m. E. eher. Mein Problem ist: Es wird sehr oft der Anspruch betont, dass evidenzbasiert gehandelt werden soll; das kann der Inzidenzwert jedoch nicht leisten, da dafür mindestens der Prozess der Bestimmung/Berechnung und die Datengrundlage transparent sein müssen, woran sich dann auch alle halten.
Von der Evidenzbasierung hat sich ein großer Teil der Politik allerdings schon lange verabschiedet – und deswegen ist es auch ‚Politik‘ und nicht ‚Wissenschaft‘. Es sind halt zwei unterschiedliche Systeme, die unterschiedlichen Logiken folgen (müssen). Bei Merkel kann man dieses Spannungsverhältnis in den letzten 12 Monaten sehr gut nachvollziehen.

Hallo peeee,
ich habe im privaten Kontext auch schon intensiv über die Inzidienz, ihre Vorteile und Nachteile diskutiert, und würde versuchen das einmal niederzuschreiben, auch um nochmal zu testen was da als Reaktion von Dir /Euch hier kommt.

Meine Grundannahmen sind:

  • Die Pandemie ist vor allen Dingen darum gefährlich weil der Virus verhältnismäßig stark ansteckend ist und darum die Steigerungsrate der näherungsweise exponential wachsenden Neuinfektionenzahlen relativ groß ist was dazu führt dass die ungebremste Pandemie relativ zackig durch die Decke geht.
  • Die Infektion ist gefährlich genug, dass zu viele Infizierte gleichzeitig einen zu hohen Druck auf das Gesundheitssystem ausüben. Das zu verhindern (sei es durch gute Nachverfolgung, sei es bei Mutanten, sei es in einer dritten Welle) ist das Ziel der Gesellschaft im Umgang mit diesem Virus.

Um jetzt als Gesellschaft, als Menschen, als Politiker:innen darauf reagieren zu können müssen wir vor allen Dingen verstehen, wie sich die Dynamik der Neuinfektionen entwickelt. Wird es gerade schlimmer oder besser? Wie viel schlimmer, wie viel besser? Das ist die zentrale Information im Umgang mit der Pandemie.
Wir können uns auf den Kopf stellen: Diese Info bekommen wir nicht.
Ein den wir dafür bekommen können, ist die Anzahl an positiv Getesteten, zB gemittelt über 7Tage um Meldeschwankungen raus zu bekommen, zB normiert auf 100.000 Einwohner, um die Zahlen überregional vergleichbarer zu machen (letzeres aber nicht so super wichtig, für mein Argument).
Jetzt ist das erstmal nur ein Proxy, und man könnte sich verschiedene Dinge überlegen wie man den noch modifizieren kann, oder ergänzen.
Ich glaube aber, dass er auch schon so auch der beste Proxy ist, von dem ich bislang gehört habe (ich habe auch hier im Faden nichts gefunden was mich überzeugt hat), weil er leicht zu verstehen und zu kommunzieren ist, die geringste Latenz hat, irgendwelche Korreturrechnungen (bzgl. Anzahl der Tests, etc.) die Unsicherheit höher und die Verständlichkeit niedriger machen.
Klar: Auch viele andere Infos sind wichtig und klar: der 7 tages Durchschnitt der positiv PCR-getesteten pro 100.000 Einwohner hat auch seine Nachteile und Tücken.

Aber wenn ich eine Managment-Summary schreiben müsste, die an Vorstand und Shareholder geht, mit ner Ampelsystematik: Ich würde mich entscheiden eine (nämlich diese) Kennzahl reinzuschreiben und nicht mehr, ich würde eine einfache Ampellogik rein machen (unter 10Grün, über 10 und fallend: gelb, über 10 und steigend: rot) und würde sagen: Das transportiert die wichtigsten Informationen, damit halte ich Euch täglich auf dem laufenden. Wenn Ihr mehr wissen wollt, bitte schaut in meinen wöchentlich erscheinenden Bericht.

Vollkommen d’accord. Ich meinte miit „manipulierbar“ übrigens keine intentionale Manipulation zu einem bestimmten Zweck, sondern einfach im Sinne von beeinflussbar.

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Deine Grundannahmen sehe ich genauso, @Hasenkoettel! Gut beschrieben.
Ich würde sogar noch etwas hinzufügen: Wir wissen inzwischen, dass viele Infizierte asymptomatisch sind und sich daher bspw. auch nicht isolieren, weil sie eben keine Symptome haben. Trotzdem tragen sie die Infektion unwissend weiter, was zu einer Verbreitung und einem exponentiellen Wachstum führen kann. Zu Beginn der Pandemie dachten dann viele, dass sie eine Grippe haben, weil die Symptomatik ähnlich ist und das zeitlich ja auch gepasst hat, oder weil es nur milde Symptome gab. Erst allmählich sind weitere hinzugekommen und beschrieben worden (Geruchs-/Geschmacksverlust usw).

Genau, wir müssen verstehen, wie sich die Dynamik entwickelt (dafür gibts ja eigentlich auch schöne Modelle…). Für ein Management Summary, das am Ende einen Entscheidungsvorschlag beinhalten sollte, halte ich diese eine Zahl aber für viel zu wenig. Am Ende steht und fällt es mit den Zielen, die ich verfolge/mir setze, etwa: Möglichst viele Infektionen vermeiden, keine Todesfälle haben, mögliche Langzeitfolgen (durch wenige Infektionen) gering halten, Infektionen in bestimmten Teilen, die besonders mobil sind, gering halten (was dazu führen würde, dass wir beim Impfen anders priorisieren) etc.
Berlin hat relativ früh im letzten Jahr ein Monitoring- und Ampelsystem mit drei wesentlichen Indikatoren aufgebaut und zugehörige Schwellenwerte definiert. Das fand und finde ich immer noch sehr plausibel (wobei davon auch keine konkreten Entscheidungen ausgingen, wenn etwa zwei Ampeln rot sind, glaube ich). Von Virologen (z. B. Herrn Streeck) kam dann etwa der Hinweis, dass dies zu sehr auf die Farben fixiere und für die Menschen schwierig zu verstehen sei und zu Ermüdungserscheinungen führen könne. Das sehe ich nicht so. Die Pandemie ist komplex (das ist ein Merkmal einer Krise), aber deswegen kann ich doch nicht ‚unterkomplex‘ darauf reagieren. Zu den Aussagen zu Herrn Streeck, die er im Laufe der Krise so getätigt hat, gibt es übrigens eine schöne Podcast-Folge bei „Übermedien“ (wurde in der „Lage“ auch mal erwähnt)…

Um aber die Dynamik und die Zahl der Neuinfektionen verstehen will, sollte ich doch z. B. auch darauf schauen, wie viele Menschen auf eine bestimmte Anzahl von Tests gerechnet positiv getestet werden (ich glaube, das war auch deine Anmerkung?). Denn eines hat man ganz wunderbar in der Vergangenheit sehen können: Es werden PCR-Tests durchgeführt, es gibt eine Anzahl von Menschen, die positiv getestet werden. Auf einmal ändert das RKI seine Testkriterien und die Labore führen weniger Tests durch, gleichzeitig steigt aber die Rate der positiv getesteten Menschen bei weniger Tests. Das sollte mir doch zeigen, dass da was nicht stimmt aka die Infektionsdynamik zunimmt.

Dazu auch noch eine kurze Überlegung: Mein Eindruck ist, dass wir in Deutschland uns teilweise viel zu viel auf uns selbst fixieren. Wenn wir schon sagen, dass es sich um eine ‚Pandemie‘ handelt, dann sollte ich ggf. mal über den deutschen und möglicherweise auch europäischen Tellerrand hinausschauen und vergleichen und bestenfalls lernen – und damit meine ich nicht die unsäglichen CDU-Vergleiche a la „Taiwan und Neuseeland sind aber Inseln, wir nicht, dafür haben wir die Pandemie ziemlich gut im Griff/in den Griff bekommen!“ – Nope, haben wir nicht. Spätestens als klar war, dass es in Großbritannien eine Variante gibt, die ansteckender ist als der Wildtyp (sich unter Kindern und Jugendlichen schnell verbreitet etc.), hätte gehandelt werden müssen, und nicht diskutiert, was wir denn alles so als nächstes öffnen können. Wieso sollte ausgerechnet Deutschland von dieser Entwicklung verschont bleiben?
Das hat etwas mit proaktivem Handeln zu tun, leider agiert die Politik seit über einem Jahr nur reaktiv, wenn überhaupt („There is no glory in prevention“, leider wahr). Und doch, man hätte voraussehen können, dass es mal so etwas wie eine Pandemie gibt. Die Pläne waren da. Und btw: Im Rahmen von Krisen(stabs)übungen ist das Szenario ‚Pandemie‘ eines der gängigsten überhaupt, schon immer gewesen!

Meine Kritik ist auch rechtlicher Natur: Der Wert zieht bestimmte Konsequenzen und Maßnahmen nach sich, wenn 35 oder 50 erreicht oder überschritten ist. Dafür muss aber klar sein, auf welche Daten er sich bezieht und wie er berechnet wird. Das hat etwas mit Transparenz zu tun, eigentlich sogar mit Normenklarheit. Man schaue sich bspw. mal die Kapazitätsverordnungen der Länder für die Hochschulen an, da sind ganze Berechnungsformeln seitenweise ausgeführt. Klar, ich kann auf den Wert des RKI als ausschlaggebend verweisen, wie es im aktuellen IfSG gemacht wird. Dazu verweise ich aber auf meine Ausführungen und Quellen weiter oben (v. a. den wirklich lesenswerten Artikel aus der SZ). Denn, um nur einen Punkt zu nennen: Wenn der RKI-Inzidenzwert regelhaft niedriger ist als der, den Kreise oder Bundesländer selbst berechnen (warum machen sie das überhaupt?), dann ist die Lage der Pandemie/das Infektionsgeschehen ein ganz anderes, als der Wert aussagt, nämlich offenbar ‚schlimmer‘. Dann wird etwa ‚gelockert‘, weil es in rechtlicher Hinsicht diese Möglichkeit gibt, und alle wundern sich zwei Wochen später, warum auf einmal die Fallzahlen und damit die Inzidenz wieder so stark ansteigt. Diese Lockerungen wären aber gar nicht erst gekommen, wenn der ‚wahre‘ Wert höher gewesen wäre. In epidemiologischen Lehrbüchern scheint die Inzidenz definitorisch oft mit repräsentativen Stichproben berechnet zu werden (habe ich zumindest gelesen), kann ich nicht nachprüfen bzw. habe ich nicht gemacht. Die Inzidenz momentan wird nur anlassbezogen ermittelt.

Wenn es der beste Proxy ist, wie du schreibst, warum gibt es dann verschiedene Inzidenzwerte? Warum veröffentlichen untergeordnete Ebenen auch andere Werte? Eigentlich führt das nur zu mehr Verwirrung in der Bevölkerung. Verständlicherweise. Die Beispiele Calw und Brandenburg zeigen aus meiner Sicht, dass es inzwischen ein politischer Wert, eigentlich ein opportuner Wert ist, aber sicherlich keiner (mehr), der wissenschaftlich begründet wird. Die Inzidenz hat sich (leider) verselbstständigt. (Man muss unterscheiden zwischen der Aussagekraft des Werts an sich und dem Umgang damit, klar).
Das Thema ‚Kommunikation‘ habe ich da noch gar nicht mal erwähnt, aber da reicht eigentlich auch der Vergleich von vorletzter und letzter MPK („50 ist die neue 35“)… Offenbar ist der Wert eben nicht „leicht zu kommunizieren“. Und nur weil etwas vermeintlich leicht zu kommunizieren ist, ist es noch lange nicht angemessen und sollte doch nicht der ausschlaggebende Grund dafür sein, nur einen einzigen Indikator zu verwenden, weil das der Komplexität des Geschehens m. E. nicht gerecht wird.

Hallo peee, ich versuche meine Antwort etwas schlank zu halten, ich hoffe das ist okay:)
Ich würde gerne 4 Dinge betonen
a) Meine Aussage zum Thema: Proxy um die Dynamik der Pandemie lokal zu verstehen ist erstmal völlig losgelöst von Festgelegten Schwellenwerten für gewisse Maßnahmen. Das ist eine Ebene darauf, der Versuch Dinge die man aus der Entwicklung der Dynamik herausliest zu operationalisieren/ automatische Antworten zu generieren. Da kann man sich dann auch drüber nachdenken ob man das für sinnvoll hält, das ist aber schon eine Ebene weiter als das was ich betonen wollte.
b) Die Sache in Calw ist einfach nur dämlich, weil da mit einem Einmaleffekt kurzfristig die Kennzahl verändert wird um die in a) erwähnten Operationalisierung zu umgehen. Das liegt jetzt vor allen daran, dass hier verschiedene politische Akteure auf verschiedenen Ebenen verschiedene Meinungen dazu haben wie mit der Pandemie umgegangen werden soll. Wie gesagt:Dämlich und Ärgerlich, und die von Calw gewählte Kennzahl sehe ich auch als deutlich schlechter an um die Dynamik der Pandemie zu verstehen
c) Jau: Klar, die Anzahl der PCR positiv getesteten hat mega viele Störfaktoren drin, du zählst sie auf: Laborkapazität, Teststategieänderungen, verwendeterTest. Die sollte man sich genau anschauen und im Auge halten, gerade wenn man gerade konkrete Entscheidungen treffen möchte (sei es als Privatperson oder als Politiker:in). Was ich aber glaube - und da kann amn sicherlich anderer Meinung sein: Ja, man kann auch zusätzliche Infos tracken (wie Laborkapazität und anzahl der positiv getesteten, ist ja auch immer im RKI Bericht drin), aber ich glaube das trotz solchen wieder kehrenden Einmaleffekten, wenn man nicht im Niedriginzidentbusiness ist, der Mehrwert im vergleich zur Änderung der Anzahl der positiv PCR getesteten einfach relativ gering ist. Da kann man sagen: Ja, okay, fällt vielleicht gerade weil wir gerade auch etwas weniger testen, dann stabilisert sich das aber nach 1-2 Wochen wieder und Du verstehst die Dynamik wieder durch Deine Altbekannte Lieblingskennzahl.
d) Berliner Ampel hat ja neben Inzidenz die Positivenrate und die Krankenhausbelegung, glaub ich? Beides spannend, aber halt einfach nicht so spannend. Krankenhausbelegung schleppt halt einfach nach, und ist scheiße zum steuern weil zu träge. Positenrate ist sicher auch ne gute Info, ich würd sie halt jetzt nciht als so zentral ansehen das ich sie gleichbereichtigt neben die Inzidenz stellen wrüde. Aber von mir aus, wenn man glaubt es damit besser verstehen zu könen,…
e) Ich verstehe leider wirklich nicht, (nicht böse gemeint, sondern neugierig) was Du in dem Absatz unter dem Zitat von mir im Zusammenhang mit diesem Zitat sagen möchtest. Natürlich sollte versucht werden aus dem Handeln verschiedener anderer Staaten gelernt werden und niemand kann glauben dass gewisse Dinge bei uns auf magische Weise nicht passieren würden.
Aber ich finde es auch relativ verständlich, dass Politiker:innen nicht die ‚Grenzen abriegeln bis alle durchgeimpft sind‘ (d.h. für …März 2020 bis mind Juli 2021 (und das wäre imMärz 2020 ne sehr optimistsche Schätzung gewesen)) Strategie gefahren sind. Ich bin (siehe anderer Faden) daher auch der Meinung dass es kein ‚einfaches‘ set an Massnahmen gibt, dass uns NoCovid für billig gegeben hätte. Darum finde ich es sehr verständlich zu sagen, okay, natürlich wir beobachten was in den anderen Ländern passiert, und wenn wir merken, dass bei uns die Dynamik der Pandemie startet, dann reagieren wir entsprechend darauf.
Das zu den Zeitpunkten gelockert wurde wo gelockert wurde liegt jetzt nicht daran, dass die Zahl der PCR positiv getesteten (insb. seit Janaur die Zahl der PCR -positv auf B31 getesteten [Ok, ich gebe zu, in dem Mutation-Kontext brauchte man natürlich diese zweite Kennzahl um zu sehen, dass die Ampel da rot ist während die Wildtyp ampel noch gelb war, aber das war ja jetzt auch keine unbekannte Info]) so unfassbar gut ausgesehen hat, sondern weil Politiker:innen es für politisch angebracht gehalten haben.
Das kann man jetzt gerne politisch falsch finden - ich finde es auch - aber ich finde nicht dass das daran liegt das die Inzidenzzahl als zentrale Steuerungsgröße genutzt wird.

Ok, „kurz“ hat nicht geklappt :stuck_out_tongue:

Dann ist doch aber die zentrale Frage: Kann diese Information nicht beschafft werden oder wird sie nur nicht beschafft? Nur drei Beispiele:

  • Warum gab/gibt es z.B. keine wissenschaftlich begleiteten Maßnahmen und Öffnungen, um festzustellen wie sich das Infektionsgeschehen in ganz bestimmten Settings unter ganz bestimmten Bedingungen verändert?
  • Warum gibt es in D. noch immer keine ernstzunehmenden Bemühungen, einen wirklichen Indizenzwert (der repräsentativ ist für die Gesamtbevölkerung) zu ermitteln?
  • Warum ist nach einem Jahr Pandemie immer noch so wenig darüber bekannt, welche Rolle asymptomatisch Erkrankte in welchen Settings spielen?

Dass die Zahl der Positiv Getesteten der einzige Wert ist, der sich ermitteln lässt, stimmt ja nicht. Dass es der beste Wert ist, stimmt aus den in diesem Thread genannten Gründen erst recht nicht. Und dass ein einzelner Wert ein Infektionsgeschehen, das von zahlreichen Faktoren beeinflusst wird, adäquat beschreiben kann - ob nun proxy oder nicht - ist aus meiner Sicht einfach nicht überzeugend.
Ich würde mich eher @peeee anschließen, dass Meldeinzidenzen (ob nun 35, 50 oder 200) vor allein politisch definiert sind. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass es den vielfachen Wunsch gibt, die Komplexität der Pandemie in einen Wert zu pressen, den man dann stündlich in den Nachrichten verkünden kann. Das suggeriert Exaktheit, Objektivität und Kontrollierbarkeit - aber bei genauerem Blick ist es damit m. E. nicht sehr weit her. Und politische Entscheidungen sollten erst recht nicht auf so einer dünnen Grundlage getroffen werden.

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