Hi,
ich bin mir nicht sicher ob das etwas für eine Lage wäre, aber u.U. ein spannendes Thema.
In einem Artikel in „theintercept“ vom 31.03.2025 wird berichtet, dass Berliner Behörden die Abschiebung von vier ausländischen Einwohnern wegen ihrer Teilnahme an Protesten gegen den Krieg in Gaza planen: https://theintercept.com/2025/03/31/germany-gaza-protesters-deport/
Ganz kurze Zusammenfassung von dem Artikel:
Obwohl keiner von ihnen strafrechtlich verurteilt wurde, erfolgte die Entscheidung unter politischem Druck. Drei der Betroffenen sind EU-Bürger, was die Maßnahme rechtlich fragwürdig mache. Kritiker sehen darin einen Angriff auf das Demonstrationsrecht und ziehen Parallelen zu repressiven Methoden in den USA. Juristen haben Einspruch eingelegt, da die rechtliche Begründung als unverhältnismäßig gilt.
Mir gehen da mehrere Fragen durch den Kopf:
Wie kann es sein, dass Menschen abgeschoben werden, obwohl sie nicht strafrechtlich verurteilt wurden? Ist das mit dem deutschen Rechtsstaat vereinbar?
Inwieweit erfüllt die Begründung der Behörden („Bedrohung der öffentlichen Sicherheit“) die rechtlichen Anforderungen an eine verhältnismäßige Abschiebung?
Welche Rolle spielt politische Einflussnahme bei diesen Entscheidungen, insbesondere im Hinblick auf die Berliner
Ist die Berufung auf Deutschlands „Staatsräson“ (die Verpflichtung, Israels Sicherheit zu garantieren) als Begründung für Abschiebungen rechtlich haltbar?
Und unabhängig vom Inhalt des Artikels:
Wie sollte ich als Leser solcher Artikel damit umgehen - wie glaubwürdig ist das geschriebene? Es fällt mir schwer zu glauben, dass das wirklich passiert. Kann mir aber auch nicht vorstellen warum solche artikel ausgedacht werden könnten.
Was mir auffällt: Ich finde keine seriösen deutschen Medien, die unabhängig vom „The Intercept“ über den Fall berichten.
Insbesondere nach antisemitischen Vorfällen und Pro-Palästina-Demonstrationen hat die Regierung im Januar 2024 die Abschiebepolitik mit dem Rückführungsverbesserungsgesetz verschärft. Danach ist allein der Verdacht oder die Einschätzung einer Bedrohung ausreichend, solange sie durch Tatsachen gestützt sind und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung erfolgt.
§ 58a des Aufenthaltsgesetzes erlaubt Abschiebungen bei einer “besonderen Gefahr für die Sicherheit Deutschlands oder einer terroristischen Gefahr” basierend auf einer Gefahrenprognose. Die Behörden müssen eine Gefahrenprognose erstellen, die auf konkreten Tatsachen basiert (§ 58a AufenthG). Die Verhältnismäßigkeit wird geprüft, indem das öffentliche Interesse gegen das persönliche Interesse des Betroffenen abgewogen wird.
Unter der Annahme, dass wir hier wirklich einen Fall haben, in dem 4 Ausländer, davon 3 EU-Bürger, mit offensichtlich vorgeschobenen Gründen aus Deutschland ausgewiesen werden, weil sie an einer Solidaritäts-Demo für Gaza teilgenommen hat (was ja per se erst einmal weder antisemitisch noch „pro Hamas“ ist), wünsche auch ich mir eine Einordnung durch Ulf @vieuxrenard.
Ich fürchte nur, diese Einordnung kann nicht anders ausgehen als: „Ich kenne die Fakten nicht, um die Gefährdungsprognose für eine Gefahr für die Sicherheit Deutschlands oder einer terroristischen Gefahr einschätzen zu können.“
Ich würde aber gerne wissen, ob und wenn ja, welche Rechtsmittel es gibt.
Im Tagesspiegel wird als Begründung, anders als im Threadtitel, nicht „Teilnahme an Demo gegen den Krieg in Gaza“ genannt. Es geht vielmehr um Strafverfahren im Zusammenhang mit u.a.
Ich würde sagen, dies mit Trumps Vorgehen zu vergleichen (Entzug der Aufenthaltstitel oder Visa von Studierenden wegen Teilnahme an Palästina-Protesten oder Boykottaktionen gegen Israel) ist zumindest nach aktuellem Wissensstand tendenziös.
Es lohnt sich, mehr zu lesen als nur die Überschrift (selbst in dieser steht kein Kausalzusammenhang mit einer Demo!).
Edit: Entsprechend kann vorerst nicht die Rede davon sein, dass
, sondern es handelt sich vielmehr um eine irreführende Formulierung durch den/die TO.
An der Columbia gab es viele, die sich deswegen von den Demokraten abgewandt hatten. Heute will sich keiner mehr öffentlich äußern, so groß ist die Angst vor den Republikanern. Schlimmer geht eben immer.
Danke für die Ergänzung, dass dies Biden auch schon ähnlich gehandhabt hat. Ändert aber nichts daran, dass die von @Matder zitierte Quelle davon berichtet, dass die in Berlin beabsichtigte Abschiebung von manchen mit den Aktivitäten der Trump-Regierung verglichen wird:
Die Trump-Regierung entzieht derzeit Studierenden aus dem Ausland Aufenthaltstitel oder Visa und begründet dies mit Teilnahme an Palästina-Protesten oder Boykottaktionen gegen Israel. Bis jetzt soll es rund 300 betreffen. Einige sind bereits in Abschiebehaft, obwohl das nicht rechtmäßig ist.
Es gibt sicherlich noch weitere Vergleiche, die nicht passen
Da mein Festhalten an dem Wortlaut der Quellen inzwischen mehrfach kritisiert wurde, möchte ich klarstellen:
Ich finde Israels Vorgehen in Gaza auch schrecklich. Ich finde, dass Netanjahu ein kriminelles rechtsextremes A…loch ist (ein Kraftausdruck, den ich extrem selten verwende). Und ich bin prinzipiell gegen Abschiebungen.
Zugleich sehe ich keinen Grund, so zu tun, als würden deutsche Behörden jemanden allein wegen der Beteiligung an einer harmlosen Demo abschieben wollen, solange das nicht erwiesen ist. Hier geht es laut Quellen um Straftaten. – Das ist das, was wir aktuell wissen.
Ich sehe auch keinen Grund, so zu tun, als hätte Israel eine Chance, als Staat zu überleben, wenn es sich militärisch nicht wehren würde gegen die Terrororganisationen, die sich offen dazu bekennen, Israel vernichten zu wollen. (Womit ich wiederum keine Gräueltaten rechtfertige, s.o.)
Dass diese Standpunkte in der Kombination möglich sind, sollte man eigentlich nicht betonen müssen.
Es ist noch nicht bestätigt, dass die vier genannten tatsächlich Teil der Gruppe waren. Und selbst, wenn es sie gewesen wären, die mit Äxten in die FU gerannt waren, dann bleibt noch die Frage, wieso es keinen Prozess gibt? Wie kann das rechtstaatlich sein? Es klingt vielmehr nach eine übereiligen Anwendung der Staatsräson als rechtliches Mittel, was mehr als fragwürdig wäre.
Ich habe keine Insider-Informationen. Im von @Matder verlinkten Tagesspiegel-Artikel heißt es (wie jede*r nachlesen kann):
Alle vier sollen bei einer gewaltsamen Besetzung an der Freien Universität Berlin (FU) dabei gewesen sein und weitere Straftaten begangen haben.
Alle Personen seien, so der Vorwurf der Ausländerbehörde, Mitglieder einer gewaltbereiten Gruppe
Auch nach meinem Dafürhalten sollte es in diesem Fall ein Strafverfahren geben und keine Abschiebung.
Siehe wiederum den verlinkten Artikel:
Abschiebungen können nach deutschem Recht jedenfalls auch angeordnet werden, ohne dass der Betroffene strafrechtlich verurteilt wurde. Hier gilt ein Verhältnismäßigkeitsprinzip, es muss sich also um schwerwiegende Vorwürfe handeln.
Aber
Dem Anwalt zufolge ist dies nicht der Fall.
.
Des Weiteren wird berichtet:
Das Berliner Landesamt für Einwanderung (LEA) habe im März 2025 gegen vier ausländische Staatsangehörige deswegen aufenthaltsbeendende Bescheide erlassen. Der Verwaltung zufolge dauern die Strafverfahren an.
Als Kriterien für einen Entzug [der Aufenthaltserlaubnis – nehme ich an] nennt die Behörde neben einer strafrechtlichen Verurteilung auch „die von der Person ausgehende Gefahr, die soziale, berufliche und kulturelle Integration sowie der Aufenthaltszweck und dessen Dauer“.
Das haben die Beamten des LEA laut Tagesspiegel offenbar anders gesehen:
Nachdem die Senatsinnenverwaltung im Dezember eine solche [Abschiebeanordnung] gefordert hatte, soll eine Abteilungsleiterin beim Landesamt für Einwanderung interveniert haben. […] Für den Entzug der Freizügigkeit der drei EU-Bürger reichten die Vorwürfe nicht aus, eine Abschiebung wäre dann rechtswidrig. Sie könne der Weisung der Innenverwaltung, den Verlust der Freizügigkeit festzustellen, daher nicht nachkommen.
Zwar könne eine mögliche Gefährdung der öffentlichen Ordnung durch die Betroffene naheliegen. Da aber keine rechtskräftigen Urteile vorlägen, fehle ein Grund für eine angebliche schwere und tatsächliche Gefährdung.
Das weisungsgebundene LEA muss sich allerdings trotz dieser Einschätzung der Berliner Senatsinnenverwaltung beugen. Aber damit würde ich das Ganze definitiv als politisch motiviert betrachten. Das passt auch zu folgendem Zitat vom Tagesspiegel-Artikel:
Das LEA nehme in den Bescheiden Bezug auf den Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und die deutsche Staatsräson im Verhältnis zu Israel.
Mit der Staatsräson kann man scheinbar so einiges rechtfertigen, was das deutsche Recht sonst (hier nach Einschätzung der LEA) nicht hergibt. Und auch wenn es hier nicht wirklich hingehört, aber wir reden über diesen Staat und sein Militär:
According to the article, Israeli soldiers routinely force Palestinian civilians to enter Gaza homes ahead of military operations to ensure that no explosives or combatants are there.
Ist eine solche Rechtsbeugung, wie sie hier scheinbar vorliegt, im Dienste eines solchen Staates wirklich angebracht?
Im Artikel steht: Die einen (LEA-Senatsinnenverwaltung) sagen so, die anderen (Anwalt, LEA-Abteilungsleiterin, LEA-Direktor) sagen so; die Abteilungsleiterin hat interveniert. Ausgang im Moment ungewiss.
Inwiefern ist die Aussage
gegenüber
im Sinne der Wahrheitsfindung ein Fortschritt?
Nützt es irgendjemandem in Gaza, in Berlin oder wo auch immer auf dieser Welt, wenn wir so tun, als wüssten wir bereits jetzt, vor Ausgang der Strafverfahren, dass wir es mit „Rechtsbeugung“ zu tun haben?
Gute Frage, aber ich fürchte, darum geht es überhaupt nicht - weder bei solchen Threads, noch wenn irgendwelche Halbstarken öffentliche Gebäude vollschmieren und verwüsten oder Uni-Mitarbeiter bedrohen… Eine Bestätigung des eigenen Weltbildes scheint mir da als Motiv schon näher zu liegen. Außerdem finde ich, dass man Ausweisungen oder Abschiebungen als de facto zusätzliches Mittel des Strafrechts entweder grundsätzlich ablehnen sollte oder gar nicht - aber nicht nur, wenn es einem gerade politisch in den Kram passt.
So weit würde ich nicht gehen, das ist mir zu pauschal. Ich denke, die Beweggründe sind heterogen.(Edit:) Ich bin mir sicher, dass viele tatsächlich etwas an den Zuständen ändern wollen.
Aber ich stimme dir zu: Die Bereitschaft, sich, seine Argumente und seine Urteile zu hinterfragen, ist bei sehr vielen nicht berauschend. (Das ist aus meiner Sicht aber etwas anderes, als aktiv eine Bestätigung des eigenen Weltbildes zu suchen – was bei einigen auch eine Rolle spielen mag, aber sicher nicht flächendeckend.)
Ja, sehe ich auch so.
Ich hoffe jedenfalls, dass die Behörden sauber arbeiten.
Ob das aktiv passiert oder überhaupt bewusst, ist ja noch mal die Frage. Aber ich wollte das auch gar nicht als alleiniges Motiv verstanden wissen, erst recht nicht bei allen. Aber von der Struktur bestimmter Empörungsdiskurse her würde ich doch vermuten, dass es durchaus eine Rolle spielt.
Den Anwalt in deiner Aufzählung mal ausgeklammert, ist die Sache hier doch klar: Die Senatsinnenverwaltung hat die Erteilung der Abschiebeanordnung gegen den rechtlichen Einwand des LEA angeordnet. Und diesen Fakt kann (und sollte) man politisch bewerten. Darum geht es zumindest mir hier.
Die LEA (auf Weisung der Senatsinnenverwaltung) spricht hier von einer erhöhten Gefahr (aufgrund der vermeintlichen Teilnahme an der Demo), die von diesen Leuten ausgehen würde. Ich finde aber eher, dass von diesen Leuten sogar eine geringere Gefahr ausgehen würde, sollten sie überhaupt bei der Demo gewesen sein. Denn sie ja eben nicht einfach grundlos randaliert haben, sondern hätten gegen einen Staat demonstriert, der völkerrechtswidrig handelt.
Stattdessen hat die die Senatsverwaltung (durch die LEA), mit Verweis auf die Staatsräson sogar ein höheres Gefahrenpotential angenommen. Das wollte ich mit meinem Hinweis auf das Verhalten der israelischen Soldaten oben kritisieren.
Ich lese die Aussagen der LEA-Angestellten so, dass eine Abschiebeanordnung zum jetzigen Zeitpunkt, rechtswidrig wäre, denn (aus dem Tagesspiegel):
Nach Auskunft Gorskis gibt es zwar strafrechtliche Ermittlungen gegen sie, aber keine Verurteilungen, in einem Fall sogar einen Freispruch.
Falls es also zu Verurteilungen kommen würde, dann wäre das etwas anderes. In Deutschland gilt aber die Unschuldsvermutung. Zumindest hoffe ich das noch.
Das heißt du bist auch der Meinung, die vier vermeintlichen Demonstranten sollten nicht aus politischen Gründen (Staatsräson) abgeschoben werden? Das freut mich zu hören.
„Ich finde aber eher“ – deswegen meine ich, dass diese Diskussion auf Sand gebaut ist; wir haben nur spärliche Quellen und keine weiteren Kenntnisse.
Aber erstens ging es nicht zentral um eine „Demo“ – das stand zwar hier ursprünglich im Threadtitel, aber das wird in den Quellen nicht als Grund genannt, sondern eben „handfeste“ Protestaktionen –, zweitens steht gar nichts davon im Artikel, dass die vier es leugnen würden, an Protesten teilgenommen zu haben. Beim Freispruch ging es um die Anschuldigung, der oder die Angeklagte hätte „einen Polizisten als »Faschist« bezeichnet“. Und es gibt ja noch Unterschiede zwischen einer berechtigten Demo und Randalieren in der beschriebenen Weise.
Ja, andererseits heißt es:
Die Juristen in seiner Abteilung sollen die Fälle intensiv geprüft haben.
Also, aus meiner Sicht ist das letzte Wort bezüglich „Rechtsbeugung“ noch nicht gesprochen.
Nochmal: Es geht hier nicht um irgendeine „Demo“, sondern um die gewaltsame Besetzung eines Universitätsgebäudes, bei der es zu schweren Straftaten kam.
Dass der Intercept-Artikel das m. E. etwas bagatellisiert und suggeriert, es ginge um die reine Teilnahme an harmlosen „Protesten“ und um eine bösartige Kriminalisierung Unschuldiger, ist m. E. Teil des Problems. Und es sagt m. E. viel aus, dass du in einem schwebenden juristischen Verfahren bezogen auf eine mögliche Rechtsbeugung fest davon ausgehst, dass es diese gegeben haben wird, aber bezogen auf die Beteiligung der erwähnten Personen an Straftaten auf die Unschuldsvermutung verweist, während du gleichzeitig die begangenen Straftaten begründest und damit m. E. legitimierst. Der erwähnte Freispruch bezieht sich übrigens auf einen komplett anderen Tatvorwurf. Auch hier scheinst du es auf einmal gar nicht mehr so genau zu nehmen.
Ich habe mich schon immer klar dagegen ausgesprochen, Abschiebungen anstelle „normaler“ strafrechtlicher Konsequenzen zu nutzen - und zwar unabhängig davon, ob ich im konkreten Fall mit den (mutmaßlichen) Tätern politisch sympathisiere oder ob ich ihre Taten gutheiße. Das habe ich auch schon in Threads getan, an denen du aktiv beteiligt warst. Ich werde mir wegen meiner grundsätzlichen Haltung in dieser Frage bestimmt nicht im konkreten Fall deine Argumentation zu eigen machen. Insofern kannst du auf diese Art von Suggestivfragen gerne verzichten, denn sie sind inhaltlich anmaßend und vom Diskussionsverhalten her einfach nur schlechter Stil.