236: Ukraine: Russland verlegt Truppen

Lieber Ulf & Philip!

Erlaubt mir ein kleines Feedback zu Eurem Ukraine Beitrag. Ich schätze Euren Podcast vor allem für Eure sehr faktische und abgewogene Darstellung der Dinge. Bei Eurem Ukraine Betrag ist mir allerdings eine gewisse Einseitigkeit aufgefallen, die ich sonst so nur von den sogenannten Mainstream Medien kenne.

Hier ein paar Daten:

  • Russland braucht die Krim aus strategischen Gründen zwecks Zugang zu seiner Flotte
  • ob es untern dem Strich eine Annexion und illegal war, scheint unter Völkerrechtler umstritten zu sein
  • Dieser Zugang war seit Jahrzehnten mittels eines Pachtvertrages geregelt, auch zum Zeitpunkt der sogenannten Annexion
  • Seit Ende des kalten Krieges hat die Nato entgegen anderslautender Zusagen den Ost-Ausbau massiv vorangetrieben und Russland unter Druck gesetzt
  • Mittlerweile ist gut dokumentiert, dass die USA den Ukraine-Konflikt aktiv befeuert haben, um zusätzlichen Druck aufzubauen.

Ich bin bei Leibe kein Putin Fan. Obiges vorangestellt, frage ich mich allerdings, welche anderen Optionen Russland angesichts der langjährigen und andauernden Provokationen des Westens bleiben. Man stelle sich vor, ein russisch getriebenes Militärbündnis würde derart massiv Richtung Zentral-Europa ausgebaut werden und der Zugang oder das Fortbestehen von US Militär-Standorten wäre dadurch gefährdet.

Persönlich sehe ich diese Entwicklung mit großer Sorge. Und so sehr wir alle froh sind, dass Donald Trump endlich hinter uns liegt, ist es schon sehr auffällig, dass der Ukraine Konflikt während der Trump Ära so gut wie kein Thema war. Kaum ist eine neue Administration am Start und das sogenannte Establishment kann wieder zu seiner alten Agenda zurückkehren, ist auch die Ukraine wieder in den Schlagzeilen.

Ich würde mir wünschen, dass Ihr auch an dieser Ecke ein wenig ausgeglichener/differenzierter berichten würdet und nicht blind in die generelle Russland Verteuflung einstimmen würdet. Historisch gesehen war es eher nicht der Westen, dem es zu verdanken ist, dass der kalte Krieg nicht eskaliert ist.

Nichtsdestotrotz bleibe ich ein großer LND Fan und freue mich auf neue Folgen.

Viele Grüße!
Dirk

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Was genau finden Sie denn „einseitig“ an der Darstellung der jüngsten Eskalation in der LdN236? Das geht aus Ihrem Beitrag leider nicht hervor. Sie nennen stattdessen eine Reihe von Punkten, die sich für mich lesen wie eine Legitimation für den Einsatz von Gewalt als Mittel der Außenpolitik.

  • was soll das denn genau heißen, dass Russland die Krim „braucht“? Und welche Rechte leiten Sie daraus ab dass ein Staat ein Gebiet eines anderen souveränen Staates „braucht“? Die Krim ist völkerrechtlich Teil der Ukraine. Punkt. Zudem hat Russland in mehreren internationalen Verträgen rechtsverbindlich die Wahrung territorialer Grenzen seiner Nachbarstaaten anerkannt.
  • Dass Russland die Krim de facto annektiert hat, ist absolut unumstritten. Die Legitimität dieser Annexion „umstritten“ zu nennen, ist ein Euphemismus, wenn man sich etwa die Abstimmungen auf UN-Ebene oder die Einschätzungen von OSZE und Europarat anschaut, deren Mitglied Russland ja (noch) ist.
  • Selbst wenn die NATO mündliche Zusagen verletzt und Russland „unter Druck gesetzt“ haben sollte (was auch immer das heißen mag). Russland hat rechtlich bindende Verträge gebrochen und geht mit seinem Militär gegen einen souveränen Staat vor. Finden Sie das etwa gleichwertig? Oder rechtfertigt das eine gar das andere?
  • Was meinen Sie damit, dass die USA den Ukraine-Konflikt „aktiv befeuert“ haben? Inwiefern ist das „gut dokumentiert“? Und nochmal: Warum führen Sie das an? Was ändert das an dem rechtlich, politisch und moralisch unzulässigen Agieren Russlands auf der Krim und im Donbas?

Welche „Provokationen“ meinen sie denn? Und was soll es heißen, Russland habe keine „anderen Optionen“? Wenn andere Staaten erfolgreicher darin sind, Einfluss auf einen Staat auszuüben, auf den ich auch gerne Einfluss hätte, darf ich es militärisch angreifen?!?
Wenn Russland ein Problem damit hat, keine Großmacht mehr zu sein und es nicht verträgt, dass die Ukraine als souveränder Staat selbst entscheidet, wie sie sich außenpolitisch orientiert, ist das ein Problem Russlands. Punkt.

Ansonsten hieße das ja, dass jeder Staat überall einmarschieren darf, wenn es der Meinung ist, dass es legitime Ansprüche auf einen anderen Staat hat und irgendwer oder irgendwas diesen vermeintlichen Ansprüchen im Weg steht.
Dass auch andere Staaten außer Russland teilweise so argumentieren, macht es übrigens nicht besser, sondern schlechter, ist also kein Argument.

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Hallo Dirk! Ich antworte mal direkt auf einzelne Punkte, die mich in Deinem Text beschäftigen.

Das rechtfertigt keine Anexion. Russland hatte mit der Ukraine langfristige Verträge.

In ein Land einzumarschieren und unter zehntausend bewaffeneten „Urlaubssoldaten“ mit neuesten russischen Waffen, aber ohne Hoheitskennzeichen eine Abstimmung zu erzwingen, deren Fragestellung zweifelhaft war und deren Durchführung innerhalb weniger Wochen und komplett ohne internationale Wahlbeobachter ablief ist ziemlich eindeutig eine Anexion.

Ein Zugang ist etwas anderes als eine Komplettübenahme.

Letzlich gibt es dazu nichts schriftlich fixiertes. Und die NATO-Osterweiterung geschah nicht unter zwang, sondern als freiwillige Entscheidung soveräner Staaten.
Putin hatte dies Anfangs sogar akzeptiert.

Das Problem ist sicherlich die schlechte Politik der Geroge W. Bush - Regierung, die nicht wirklich die Hand ausgestreckt hat.
Dennoch gibt es in den Punkten meines Erachtens keine Entschuldigung für den aggressiven russischen Akt der Landnahme.
Die Achtung der Souveränität der ukrainischen Grenzen wurde schließlich von Russland im Budapester Memorandum garantiert. Wenn hier jemand wortbrüchig wurde, dann war es Russland.

beste Grüße,
Markus

hat die mobilmachung auf russischer seite nicht am ehesten mit der ukrainischen ankündigung einer „De-Okkupation“ der krim anstreben zu wollen zu tun? also einer de facto aufkündigung von minsk II.

In Übereinstimmung mit den Bestimmungen des Artikels 4 des Gesetzes der Ukraine „Über den Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine“ hat der Rat für Nationale Sicherheit und Verteidigung der Ukraine nach Prüfung des Entwurfs der Strategie der De-Okkupation und Reintegration der vorübergehend besetzten Gebiete der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol beschlossen:

  1. Den Entwurf der Strategie der De-Okkupation und Reintegration der vorübergehend besetzten Gebiete der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol zu empfehlen.
  2. Den Präsidenten der Ukraine aufzufordern, die Strategie der De-Okkupation und Reintegration der vorübergehend besetzten Gebiete der Autonomen Republik Krim und der Stadt Sewastopol zu genehmigen.
  3. Das Ministerkabinett der Ukraine erarbeitet und genehmigt innerhalb von drei Monaten einen Maßnahmenplan zur Umsetzung der Strategie der De-Okkupation und Reintegration der vorübergehend besetzten Gebiete der Autonomen Republik Krim und Sewastopol.
    Sekretär des Ukrainischen Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates O.Danilov

УКАЗ ПРЕЗИДЕНТА УКРАЇНИ №117/2021 — Офіційне інтернет-представництво Президента України übersetzt mit DeepL

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Ich mag immer noch nicht so recht daran glauben, dass uns nun endgültig der „große Ukrainekrieg“ bevorsteht. Putin ist ja in der Vergangenheit sehr treffend als „Gelegenheitsdieb“ charakterisiert worden - also als jemand, der zwar militärische Aggression nicht scheut, aber nur dann zuschlägt, wenn andere wegschauen. So war es auf der Krim, aber auch in Syrien. Dieser Moment ist nun schon längst vorbei.

Warum ist Putin ein „Gelegenheitsdieb“? Weil Russland sich eine offene Aggression bei Tageslicht und gegen Widerstände schlicht nicht leisten kann. Die überfallartigen Aktionen auf der Krim und in Syrien waren in Wahrheit keine Demonstration von Stärke, sondern Ausdruck von asymmetrischer Kriegsführung.

Entscheidend dürfte für Russland ein Süßwasserzugang für die Krim sein. Der in der Sowjetukraine gebaute Nordkrimkanal zum Dnipro ist ein Infrastrukturprojekt der Mitte des 20. Jahrhunderts. Die Lösung von Wasserproblemen in Küstenregionen sind Anfang des 21. Jahrhunderts keine Kanäle mehr, sondern große Entsalzungsanlagen, deren es heute viele rund um die Welt gibt. Moskau hat die Entwicklung industrieller Desalinierung von Schwarzmeerwasser auf der okkupierten Krim sieben Jahre lang verschlafen.

https://www.tagesschau.de/ausland/europa/krim-wassermangel-101.html?fbclid=IwAR1CG05RIHYY12PD-Dos9hll2xsz8jaMEvIqcasGF-MvMqp8J-RI5LiwmNg

Es gibt für Putin keinen Grund, jetzt den Krieg anzufachen. Dafür läuft es für ihn aktuell innen- und außenpolitisch zu gut. Selbst wenn Putin irgendeine unbekannte Krankheit haben sollte und seine Tage gezählt wären - er ist jetzt in einer Position in der er in den Geschichtsbüchern Russlands trotz allem recht gut dastehen wird: Die Wirren der Jelzin-Ära überwunden, Tschetschenien befriedet, Georgien „befriedet“, die Krim „heimgeholt“, die Finanzkrise überstanden, Covid 19 (so gut wie) überstanden. Der Spaß fängt in Russland erst an, wenn die Sowjetgeneration wegstirbt und die Öleinnahmen merklich weniger werden, weil die Welt auf Elektromobilität umsteigt.

Mal wieder ein schönes Beispiel, dass Beiträge in denen der Begriff „Mainstreammedien“ benutzt wird, eher fragwürdigen Inhalts sind. Zu den einzelnen Punkten haben andere schon genug gesagt, daher nur noch soviel: den kalten Krieg hätte es ohne die die sowjetische Expansion und die damit einhergehende Unterdrückung vieler Staaten und Völker gar nicht gegeben. Ich wunder mich eh sehr über die naive Russlandliebe vieler insbesondere ostdeutscher Mitbürger.

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Hallo ihr Lieben,

ja: Russland provoziert. Ja: Russland nahm die Krim ein. Ja: Russland ist immer noch die zweitgrößte Militärmacht nach der USA.
Nur schaut man sich die Militärbasen von Russland und der USA + NATO-Partner an, so lässt sich erkennen, dass die größte Militärmacht USA sich einmal um Russland herum einen halben Ring gebaut hat. Die Angst der USA, dass Russland näherkommt, liegt doch eher daran, dass die USA Russland immer näherkommt. Dies ist nach dem kalten Krieg aus russischer Sicht immer noch eine Provokation, auch die Ausweitung der NATO auf eurasisches Gebiet und ehemaligen Warschauer Pakt-Staaten, zählt zu dieser Provokation hinzu. Auch die kriegsähnlichen Übungen an den Grenzen vom Baltikum, sind nur zusätzliche Provokationen einer überbordenden Militärmacht, welche im nichts nachsteht.
Diese soll sicherlich Russland einschüchtern, führt aber doch eher dazu, dass Putin sich zu Gegenmaßnahmen gezwungen fühlt. Deshalb zeigt Russland der Ukraine, mit der Einnahme der Krim, dass die Nato ihnen nicht helfen wird, außer mit Worten, oder wie es im Kosovo passierte, wo die NATO zu spät eingegriffen hatte.
Sicherlich greift Russland in die Souveränität eines Staates ein, andererseits sind es die einzigen Möglichkeiten für Russland klauen und damit stärke zu zeigen, wie eine Katze, die in die Enge getrieben worden ist.

Gerade in der Betrachtung auf die aktuelle militärische Mobilisierung russischer Truppen (sofern diese nicht nur durch den Staatsfunk bestätigt) sollte dieser Blick nicht außer Acht gelassen werden. Die Frage ist doch auch, weshalb braucht es eine NATO vs. Russland, anstatt, dass hier Militärbündnisse neu sortiert werden und dieser wirklich schwellende neue kalte Krieg ein Ende hat.

Ich würde mich freuen, wenn hier noch mal einen genaueren Blick drauf werfen würde.

(Aussagen beruhen auf Informationen und Hintergründe, welche ich in einem Seminar zu Krieg und Krisen im Studium vor 4 Semestern besucht habe.)

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Entschuldigung, aber hast Du mal auf die Karte geschaut? Wo soll denn dieser „Ring“ sein? Im Polarmeer? In China und der Mongolei?

Es geht hier aber nicht um die Angst der USA, sondern um die Ukraine. Und die hat nicht nur Angst davor, dass Russland „näherkommt“, sondern davor, dass der Krieg, den Russland seit Jahren gegen das eigene Land führt, noch weiter verschärft wird.
Und ja, es mag aus russischer Sicht eine Provokation sein, dass Staaten, die einst nur UdSSR gehörten, nun in die NATO wollen. So what? UK knabbert auch seit Jahrzehnten daran, keine Weltmacht mehr zu sein, muss echt weh tun, aber fuckin’ deal with it! Das ist noch lange kein Grund, Krieg zu führen - das ist ein klitzekleines bisschen mehr als eine „Provokation“.
Dieses Gerede, dass Russland „gezwungen sei“ (sic!!!), dass die völlige Missachtung völkerrechtlicher Standards die „einzige Möglichkeit“ für Russland sei, ist aus meiner Sicht eine politische Kapitulationserklärung. Wenn sich nur an diese Standards halten soll, wer gerade Bock dazu hat und sich nicht grad zufällig von irgendwem „in die Ecke gedrängt“ fühlt, können wir sie auch gleich abschaffen.
Ich weiß auch nicht, was es mit „Ausgewogenheit“ oder einem „genaueren Blick“ zu tun haben soll, dieses Verhalten Russlands zu legitimieren.

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Hallo Dirk,
bei aller Kritik, die auf Deinen Post erfolgte, finde ich Deine Ergänzung dennoch wertvoll und habe zumindest eine kurze Erwähnung der Position Russlands im Podcast vermisst.
Die Nicht-NATO-Osterweiterung ist zwar nie schriftlich festgehalten worden, sie war aber damals (1990) so etwas wie common sense (z.B. auch vom damaligen Außenminister Genscher). Und dies sollte man wissen, um zu verstehen, warum Russland sich provoziert fühlt.
Was bei aller Diskussion auch nie vergessen werden darf, dass es in der Ukraine sehr sehr viele Verwandschaftsbeziehungen mit Russland gibt. Das ist und wird immer das Problem dort sein und erklärt z.B. im Donbas die dortige Zuneigung zu Russland.
Schade ist, dass die Ukraine nicht sowohl vom Westen als auch vom Osten unabhängig bleiben will, um z.B. zum großen Vermitter zwischen Europa und Russland zu werden. Das ist eine wirklich ungenutzte Chance…
Beste Grüße
Jörgy

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Bei den letzten verbliebenen Ortsansässigen im Donbass schwindet der Rückhalt für die russischen Besatzer immer mehr. Wurde am Anfang von den aus Russland zugewanderten „Separatisten“ noch beklagt, dass sich nur wenige der Ortsansässigen zum Kriegsdienst bereit erklären würden, berichteten später nach Russland zurückkehrende Freischärler, sie seien von der Bevölkerung als Okkupanten bezeichnet worden.

Wenn dann in absehbarer Zeit alle Nichtrussen die betreffende Region verlassen haben, wird eine Volksabstimmung abgehalten und die Mehrheit der noch anwesenden und importierten Russen erklärt den Wunsch zum Anschluss an die Russische Förderation. Auf diese Weise kann man demokratische Prozesse natürlich auch ad absurdum führen. In diesem Falle diente sie der Legitimation von faktischer Enteignung und Vertreibung.

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Schaut man sich die Karte an und überlegt wie weit eine Rakete reicht, dann ist Ihr Argument eher nichtig, denn für die Raketen aus Japan braucht es keine Zwischenstaaten, so auch aus der Region um die Türkei herum. Dies ist jetzt leider ne Karte aus 2016. Aber zeigt den Halbkreis, von dem ich sprach. Sicher versucht die USA damit auch China militärisch zu kontrollieren, aber Hauptaugenmerk ist nun mal Russland.
Des Weiteren lassen Sie UK aus dem Spiel, dies ist ein anderes Thema und hat mit der aktuellen Diskussion nichts zu tun.
Sagen, dass Krieg geführt wird, es ist ein schwellender Konflikt, der der Ukraine die Macht von Russland und die Schwäche der NATO zeigen soll.
Dass Sie es als Legitimation lesen verstehe ich nicht, ich finde nur, dass man in der Betrachtung der Situation und dem Verhalten der Akteure nicht nur eine Sicht mit in Betracht ziehen muss.

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In einem Thread, in dem es eigentlich drum geht, dass angeblich nicht differenziert genug über den Krieg in der Ukraine berichtet wird, erzählen Sie etwas von angeblichen US-Militärbasen um Russland herum. Aber wenn ich in Reaktion darauf einen Vergleich zwischen den Lost Empire-Komplexen in Russland und UK ziehe, hat das angeblich „nichts mit der aktuellen Diskussion zu tun“ - sorry aber das ich nicht wirklich ernst nehmen. Falls Sie auf die zahlreichen von mir aufgeworfenen Fragen eingehen wollen, bitteschön, aber das hier ist mir zu albern.

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Danke, endlich mal jemand der Ahnung hat …

Der Ukraine-Konflikt wird grundsätzlich immer einseitig dargestellt - und zwar von beiden Konfliktparteien bzw. beiden „Blöcken“.

Gehen wir erst Mal einen Schritt zurück, wie es überhaupt zur Annexion der Ost-Ukraine und der Krim kommen konnte. Während der Zeit der Sowjetunion passierten zwei Dinge, die hier erheblich sind:

  1. Es kam zu massiven, gezielten Ansiedlungen russischer Bürger in der Ost-Ukraine. Das war ein übliches Vorgehen, um die Einheit im Land zu stärken - etwas ähnliches hat auch Mussolini in Südtirol gemacht. Das ganze funktioniert so: Es wird massive Industrie in einem vormals eher agrar geprägten Bereich aufgebaut und die dadurch entstehende Nachfrage nach Arbeitern wird aus dem Kernland gedeckt. Das passierte auch in der Ost-Ukraine und ist an sich nicht verwerflich - bei der Vereinigung von Staaten und Gebieten ist es halt ein legitimes Interesse der Politik, eine Vermischung der Völker herbeizuführen, um die Einheit zu stärken.

  2. Die Krim wurde von Russland 1954 an die Ukraine übergeben, davor war sie über 150 Jahre lang Teil Russlands (mit Unterbrechungen durch die Besetzung der Nazis im zweiten Weltkrieg und einer kurzen Phase der Unabhängigkeit nach der russischen Obtoberrevolution 1917, die aber nur bis 1918 hielt…)

Diese beiden Prozesse führten dazu, dass in der Ostukraine und auf der Krim viele Menschen lebten, die sich selbst kulturell und ethnisch als „Russen“ sehen - auch noch, als es zum Euro-Maidan kam. Der Westen der Ukraine hingegen ist historisch stark westlich geprägt. Vor dem Euro-Maidan war die Ukraine von Wiktor Janukowytsch regiert worden - dieser wurde durchaus legitim gewählt, wenngleich er auch massiv korrupt war.

Das Problem war nun:
Es gab große Teile der Bevölkerung, die u.a. wegen der Korruption Janukowytschs, aber auch wegen der allgemeinen Vorzüge, eine Annäherung der Ukraine an die EU wollten. Ein anderer Teil der Bevölkerung, nämlich jene, die sich weiterhin als „Russen in der Ukraine“ sahen, wollte hingegen eine Fortsetzung der starken Bindung an Russland. Der pro-westliche Teil hat nun Janukowytsch im Rahmen des Euro-Maidan aus dem Amt gedrängt (ob das juristisch korrekt war ist übrigens bis heute umstritten!).

Und an diesem Punkt ist es wichtig, zu versuchen, neutral zu bleiben und das ganze nicht durch die übliche Freund-Feind-Brille zu betrachten.

Natürlich liegt es nahe, zu sagen: Janukowytsch war korrupt, die EU ist gut, Russland ist böse, ein relativ friedlicher Volksaufstand, der Janukowytsch aus dem Amt treibt und eine demokratischere Regierung in der Ukraine einsetzt ist doch toll! Und klar, aus Sicht vieler Maidan-Demonstranten ist das auch so.

Aber bitte versetzt euch doch mal in die Situation jener, die sich als ethnische Russen sehen. Deren aus ihrer Sicht legitim gewählter Präsident wurde gerade von einem pro-westlichen Mob aus dem Amt geputscht. die neu eingesetzte politische Führung plant eine Abkapselung von Russland und ein stärkeres Hinzuwenden nach Europa. Ist es nicht ein Stück weit nachvollziehbar, dass diese Bevölkerungsteile das eben nicht akzeptieren können, dass von diesen Bevölkerungsteilen natürliche Hilfeschreie nach Russland gesendet werden und eine „Konterrevolution“ gestartet wird?

War es nun gerechtfertigt, dass Russland diese Separatisten massiv militärisch unterstützt, schweres Kriegsgerät und Söldner entsendet? Natürlich nicht! War es nachvollziehbar, dass Putin, ein Opportunist vor dem Herren, so handeln wird? Absolut! Ohne die Unterstützung Russlands wäre der Aufstand in der Ostukraine und der Krim vermutlich schnell und sehr blutig niedergeschlagen worden. Ich würde daher behaupten, dass viele andere Staaten ähnlich gehandelt hätten wie Russland, wenn es darum geht, eine Revolution zu schützen, die im eigenen Interesse steht.

Es ist bis heute nicht klar, wie die Bevölkerung in den von Russland besetzten Gebieten wirklich in der Mehrheit zu dem Konflikt stehen. Die „Wahlen“ unter russischer Führung sind natürlich kein guter Indikator, weil sie von pro-westlichen Wählern wegen der Nichtanerkennung der Wahlen natürlich auch boykottiert wurden. Und das ist halt das traurige an der Sache: Was die Menschen dort wirklich wollen interessiert niemanden - vor allem, wenn sie wirklich mehrheitlich pro-russisch wären.

TL;DR:
Der Ukraine-Konflikt wird gerne einseitig als Angriff Russlands stilisiert, es handelt sich aber viel mehr um einen inner-ukrainischen Konflikt um die Frage, ob man sich dem Westen oder Russland zuwenden will - und eine Bevölkerung, die in dieser Frage tief zerstritten ist. Dass Russland die pro-russischen Teile der Bevölkerung unterstützt und die Absetzung Janukowytschs als illegitim betrachtet ist ebenso verständlich wie dass der Westen die pro-westlichen Teile der Bevölkerung unterstützt und die Militärhilfe Russlands für die pro-russische Seite als illegitim betrachtet.

Darauf aufbauend kann man nun über die neueren Entwicklungen diskutieren:

Wir haben hier also zwei Seiten, die den Status Quo rechtlich völlig anders bewerten und völlig andere Ziele haben. Russland hat das Ziel, die Abspaltung der Ostukraine und Krim dauerhaft zu gestalten und die Landesteile möglicherweise dauerhaft als Teil Russlands aufzunehmen. Die Ukraine hat das Ziel, diese Landesteile wieder zurückzuerobern.

Wenn die Ukraine nun konkrete Pläne fasst, die Ostukraine und die Krim zurückzuerobern, ist es doch absolut logisch, dass Russland natürlich in der Reaktion darauf massiv Truppen an die Grenze zieht. Was haben die Leute erwartet? Dass Russland einfach zuschaut, wie die Ukraine die Gebiete zurückerobert?

Wenn aus dieser Situation dann die Schlagzeile „Russland zieht Truppen an der Grenze zur Ukraine zusammen und will die Ukraine angreifen!“ gemacht wird, ist das einfach objektiv falsch. In diesem Teilaspekt ist Russland nicht der Aggressor, sondern die Partei, die den aktuellen Status Quo beibehalten will (dh. eine Rückeroberung der Gebiete verhindern will), während die Ukraine klar der Aggressor ist (ob man das gerechtfertigt findet, weil man der Meinung ist, dass die Ukraine das Recht zur Rückeroberung hat, ist natürlich dabei die Frage…). Fakt ist aber eben: Russlands Verhalten ist - wie auch schon vorher - eher eine Reaktion auf die Umstände als eine aggressive Aktion.

Man kann jetzt wie gesagt vortrefflich darüber streiten, wie der Konflikt am besten beigelegt werden könnte - aber man muss dabei eben bedenken, dass es nicht nur „ukrainisch-westliche“ und „russische“ Interessen gibt, sondern eben auch die Interessen der Menschen, die in den betroffenen Gebieten leben - die leider niemanden zu interessieren scheinen.

Das war mein Versuch, diesen Konflikt neutral darzustellen. Das Problem ist natürlich, dass die Wahrnehmung dessen, ob etwas neutral ist, stark von eigenen Standpunkt abhängt…

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Der von Dir verlinkte Artikel sagt im Kern ja erst mal nicht viel mehr als die Kommentare hier. Er macht sich sehr dafür stark die Interessen des Kremls zu beschreiben. Das ist aus meiner Sicht auch durchaus legitim, wenn es darum geht, eine komplexe außenpolitische Gemengelage zu analysieren oder darum das Handeln bestimmter Akteur:innen besser nachvollziehbar zu machen. Und selbstverständlich betreiben „der Westen“ aka USA, NATO und EU auch Machtpolitik und verfolgen ihre strategischen Interessen. Auch darüber kann man gerne reden - die Frage ist nur wozu und in welchem Kontext.
Der konkrete Auslöser hier im Forum war doch die Kritik, die Darstellung des „Ukraine-Konflikts“ (m. E. eine Verharmlosung) sei nicht differenziert oder ausgewogen genug. Selbst auf meine mehrfache, detaillierte Nachfrage in zwei Threads wurde allerdings noch nicht beantwortet, was denn genau für ein solches „ausgewogenes“ Bild fehlt. Stattdessen wurden Argumente geäußert, die letztlich auf eine Legitimation der russischen Aggression hinauslaufen, etwa Formulierungen wie Russland „brauche“ nunmal die Krim… Tut mir leid, aber angesichts eines handfesten Krieges bzw. einer militärischen Eroberung vor allem Argumente dafür zu sammeln, warum der Aggressor nun mal leider nicht anders konnte hat für mich wenig mit Ausgeglichenheit zu tun.

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Ich finde super wie neutral Du diesen Konflikt dargestellt hast. Es sollte mehr Leute von Deiner Sorte geben, dann wäre die Welt ein besserer Ort. Leider gibt es zu viele Propagandisten mit vorgeblich hohen moralischen Werten - der Friedhof ist voll von deren Opfern … Danke nochmal !

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Dazu kommt, dass Russland der Ukraine 1994 vertraglich zugesichert hat, die zu dem Zeitpunkt bestehenden Grenzen und die territoriale Integrität der Ukraine unangetastet zu lassen. Im Gegenzug hat die Ukraine auf ihre atomare Bewaffnung verzichtet. Ukraine. Memorandum on Security Assurances - Wikisource, the free online library

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Dieser Satz zeigt wie weit es mit der angeblichen „Neutralität“ dieses Beitrags her ist. Wann hört denn Ihrer Meinung nach ein Staat, der völkerrechtswidrig einen Teil seines Nachbarstaates okkupiert hält, auf Aggressor zu sein? Wann und wodurch wird der zur „Partei“? Und warum soll es auf einmal keine Rolle mehr spielen, wie der „Status Quo“ zustandegekommen ist?

Das ist eben kein Fakt sondern eine Bewertung. Allein schon einen Widerspruch zu konstruieren zwischen (vermentlichen) Motiven Russlands und dem Begriff Aggression spricht Bände.

Noch ein Satz zum Maidan: Sie behaupten, es ginge vor allem um eine ethnische Frage („ethnische Russen“) und suggerieren, dass die Frage russisch oder nicht sich 1:1 in eine Unterstützung oder Ablehnung der Maidan-Bewegung 2014 übersetzen ließe. Die Realität war vielfach komplexer, wie u. a. das Beispiel Charkiv zeigt. Der Unterschied zwischen Charkiv und Donezk ist genau der zwischen einem „inner-ukrainischen Konflikt“ und einer maßgeblich durch den Kreml getragenen Aggression von außen.

Nein, das tut er nicht - denn jemand anders, der z.B. strikt auf der Seite Russlands steht, würde z.B. den folgenden Abschnitt zitieren und mir exakt das gleiche vorwerfen:

Es gab große Teile der Bevölkerung, die u.a. wegen der Korruption Janukowytschs, aber auch wegen der allgemeinen Vorzüge, eine Annäherung der Ukraine an die EU wollten.

Denn in diesem Beitrag mache ich relativ deutlich, was ich von der Regierung Janukowytschs halte - und dass ich auch absolut nachvollziehen kann, nein, ich es sogar unterstütze, dass die pro-westlichen Teile der Ukraine sich dem Westen und der EU annähern wollen.

Das ist halt der Punkt mit Neutralität - man kann natürlich neutral sein, indem man keine Meinung zu keiner Seite zeigt und versucht, komplett auf jede positive oder negative Darstellung verzichtet. Man kann aber auch neutral sein, indem man offen und ehrlich alles positive und negative beider Konfliktparteien auf den Tisch legt.

Und das ist das große Problem bei Diskussionen wie der über die Situation in der Ukraine (oder gar im Nahen Osten - uiuiui, da wird’s dann richtig harsch…). Differenzierte Sichtweisen, die versuchen, die Motivationen beider Seiten zu verstehen, werden diskreditiert („Russland-Versteher“), weil die Diskutierenden leider nicht in der Lage sind, ihre persönliche Meinung von ihrer rechtlichen oder politischen Bewertung zu trennen.

Wie gesagt, persönlich stehe ich absolut auf der Seite der West-Ukrainer. Ich halte es für die Ukraine für absolut sinnvoll, sich von Russland abzuwenden und sich in Richtung EU zu orientieren, ich bewundere jeden, der im Rahmen des Euro-Maidan für die Demokratie und den Systemwechsel gekämpft und gelitten hat. Aber ich kann mich eben auch unabhängig von meiner persönlichen Meinung in den Janukowitsch-Wähler hineinversetzen, aus dessen Sicht sein legitimer Präsident gestürzt und durch eine pro-westliche, seinen politischen Idealen also 100% widersprechende, neue Regierung an dessen Stelle eingesetzt wurde. Ich verstehe, warum diese Leute auf die Barrikaden gegangen sind - und ich verstehe auch, warum Russland unter dem Opportunisten Putin sich diese Gelegenheit nicht entgehen lassen konnte.

Die Situation in der Ukraine ist wie auch die Situation im Nahen Osten ein klassisches Dilemma. Es gibt kein „schwarz“ und „weiß“, sondern nur unterschiedliche Grautöne - und je nachdem, wie weit man historisch zurückgehen will, kann man die eine oder andere Seite als Schuldige ausmachen, wenn man das möchte. Den Konflikt lösen wird man so jedoch nicht.

Bitte beschäftigen Sie sich doch mal mit der Verfassungsmäßigkeit der Absetzung Janukowitschs, die den ganzen Prozess erst in Gang gesetzt hat. Rein rechtlich ist es leider so, dass die Absetzung Janukowitschs mit der Verfassung der Ukraine nicht zu vereinbaren war. Ich könnte also die Gegenfrage stellen: Ab wann darf ein Präsident vom Volk auf der Straße durch Demonstrationen, die letztlich gewaltsam endeten, abgelöst werden? Wie korrupt muss ein Präsident sein, um hier eine Rechtfertigung zu haben? Warum konnte das Volk nicht bis zur nächsten Wahl warten? Die Wahlen 2012 waren zwar an westlichen Standards gemessen nicht optimal, aber eben auch kein großflächiger Wahlbetrug oder ähnliches (was schon dadurch deutlich wird, dass die stärkste Partei „nur“ 30% der Stimmen bekam und 4,37 Prozentpunkte der Stimmen im Vergleich zur letzten Wahl verlor…). Das Wahlsystem war daher keinesfalls so korrumpiert, dass eine demokratische Veränderung ausgeschlossen gewesen wäre.

Wie gesagt, Sie sollten sich mal in die Situation der jeweils anderen Beteiligten hineinversetzen. Aus russischer Sicht war der Euromaidan ein illegaler Sturz einer „befreundeten“ Regierung und ein Teil der Bevölkerung, der diesen Sturz nicht mittragen wollte, reagiert mit einer eigenen Separatismus-Bewegung. Ist es aus dieser russischen Sicht wirklich so verwerflich zu sagen: „Okay, wir unterstützen diese uns wohlgesonnenen Separatisten, bevor die Ukraine dort einfällt und die separatistischen Bewegungen im Keim erstickt!“.

Es ist eben nicht so schwarz-weiß. Ich würde mir einfach wünschen, dass mehr Leute in der Lage wären, sich einmal in des Teufels Advokat hineinzuversetzen und deshalb nachvollziehen zu können, warum es mit „Recht“ und „Unrecht“ eben nicht so eindeutig ist, wie es gerne dargestellt wird.

TL;DR:
Aus Sicht des Westens war der Euromaidan legitim und der Separatismus gegen die Neuausrichtung gen Europa illegitim, eine Unterstützung der Separatisten durch Russland damit ebenfalls.
Aus russischer Sicht war der Euromaidan illegitim und der Separatismus jener, die diesen illegitimen Machtwechsel bekämpft haben, folglich legitim.

Welche Seite hier völkerrechtswidrig handelt hängt schlicht davon ab, welche Seite man befragt: Fragt man die meisten westlichen Länder handelt Russland völkerrechtswidrig, fragt man Russland oder China sieht die Sache wieder anders aus (China war erst um Neutralität bemüht, hat sich letztlich aber auf die Seite Russlands geschlagen…). Dazu muss man halt wissen, dass Völkerrecht grundsätzlich sehr interpretationsoffen und hochpolitisch ist. Es ist leider keine Seltenheit, dass die Meinung darüber, ob etwas völkerrechtlich verboten ist, entlang der politischen Machtblöcke verläuft. Der Grund dafür ist relativ simpel: Es gibt nur wenige Rechtsgrundlagen (ein paar Grundsätze und viele, viele Verträge) und keine ernsthafte Rechtsprechung. Die einzige Form der Rechtsprechung passiert quasi über UN-Resolutionen - und die sind eben extrem politisch. Das Argument, etwas sei „völkerrechtswidrig“, ist daher in den meisten Fällen leider ein rein politisches. Während im normalen Recht schon gilt: „Frag 2 Anwälte, bekomme 5 Meinungen zu einem komplexen Rechtsstreit“, gilt dies im Völkerrecht eben noch mehr. Und da die Meinungen wie gesagt entlang der politischen Machtblöcke verlaufen kann man es sich natürlich leicht machen und nur Meinungen des eigenen Blocks akzeptieren - aber nochmal: Damit löst man kein Problem, vor allem nicht, wenn beide Seiten so verfahren, was fast immer der Fall ist.

So leicht ist es halt auch wieder nicht.
Man könnte auch auf Odessa verweisen. Auch dort spricht die Mehrheit der Bevölkerung bis Heute russisch, auch dort gab es folglich eine separatistische Bewegung wie in der Ostukraine. In Odessa ist aber halt genau das passiert, was auch in der Ostukraine passiert wäre, wenn Russland die dortigen Separatisten nicht unterstützt hätte: Sie wurden niedergeschlagen, und das ziemlich blutig (46 tote pro-russische Separatisten, 2 tote Euromaidan-Anhänger). Ich empfehle hier mal den englischen Wikipedia-Artikel zu den 2014 Odessa Clashes. Ich war selbst 2018 in Odessa und habe dort mit Leuten gesprochen, die das ganze miterleben mussten. Im Gegensatz zur Krim und zur Ostukraine hat Russland in Odessa eben keine Unterstützung bieten können - letztlich hat die ukrainische Armee den Konflikt dann „befriedet“.

Wie gesagt, die Frage, wie man zu dem ganzen Konflikt steht, hängt fast einzig davon ab, ob man den Euromaidan für legitim oder illegitim hält. Der Westen hält ihn für legitim, der Osten nicht. Alles, was danach kam, hängt in seiner Bewertung davon ab, ob der Euromaidan als demokratischer Volksaufstand wider einer Diktatur oder als nicht verfassungsmäßigen Sturz einer legitim gewählten Regierung durch die Opposition bewertet wird. Und auch wenn ich - ich betone es nochmal - inhaltlich völlig auf der Seite der Euromaidan-Aktivisten bin, ich Janukowitsch und Putin / Russland absolut nichts abgewinnen kann, komme ich bei einer rechtlichen Bewertung zu keinem so klaren Ergebnis, dass ich sagen könnte, dass der Euromaidan rechtlich total okay war und folglich Russland hätte zusehen müssen, wie die Aufstände gegen den Euromaidan niedergeschlagen werden. Eben weil es mir wichtig ist, meine persönliche Meinung strikt von der politischen und juristischen Bewertung zu trennen.

TL;DR:
Die Situation in der Ukraine nach dem Euromaidan war ein hochkomplexes Dilemma. Die gewählte, korrupte politische Führung wurde abgelöst und von diesem Punkt an gab es keine Möglichkeit mehr, diesen Konflikt in einer Art zu lösen, die für alle Beteiligten (pro-Euro-Ukrainer, pro-Russland-Ukrainer, Russland) tragfähig war. Von Russland zu erwarten, den Sturz der Regierung Janukowitsch anzuerkennen und zuzuschauen, wie die pro-russischen Separatisten in den primär russischsprachigen Gebieten der Ostukraine und der Krim von der Ukraine blutig niedergeschlagen werden, wie es in Odessa geschah, war aus russischer Sicht - und das sollte eigentlich durchaus nachvollziehbar sein - auch keine Option, wenngleich es natürlich wünschenswert gewesen wäre. Ebenso wenig ist es für die Westukraine eine Option, es zuzulassen, dass das Land geteilt wird und der Osten und die Krim sich Russland anschließen - auch das ist absolut verständlich. Das Resultat ist das Dilemma, welches wir nun haben. Die Situation ist in eine ähnliche Sackgasse gelaufen wie der Korea-Konflikt - eine Wiedervereinigung ist nicht möglich, weil im Kern ein Systemstreit (als kleinere Form des Stellvertreterkrieges) zu Grunde liegt und keine beteiligte Seite sich dem System der Anderen unterordnen will, ein Kompromiss der Systeme aber auch aktuell unmöglich ist.

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Sorry, aber was hat das mit der Frage zu tun, die ich gestellt habe? Das ist nichts weiter als Whataboutism.

Mag sein. Es gab noch 2014 in der Ukraine Parlaments- und Präsidentschaftswahlen. Ist Russland danach von der Krim und aus dem Donbas abgezogen? Nein. Also: wofür soll das ein Argument sein?

Warum genau „sollte“ ich das? Natürlich kann man sich ein Leben lang damit beschäftigen, was für Interessen Russland in und mit der Ukraine hat. Dass Russland am liebsten bestimmen würde, was in der Ukraine passiert ist mir auch nach 5 Minuten klar. Die entscheidende Frage ist aber, ob das zu einer grundsätzlch anderen Bewertung des russischen Vorgehens in der Ukraine führt. Und diese Frage beantworte ich klar mit nein. Also: wenn es Ihrer Meinung nach einen Zusammenhang zwischen den beiden Fragen gibt, warum stellen Sie den dann nicht mal argumentativ her?

Nochmal: meine Frage ist nicht, wie das „aus russischer Sicht“ zu bewerten ist - sondern wie ich es politisch, rechtlich und meinetwegen auch ethisch bewerte. Auch wenn der größere Junge gerne die Schaufel des kleineren hätte, ist das kein gutes Argument, warum er sie ihm wegnehmen darf.

Fragt man Russland, dann ist auch die Ukraine Schuld am Absturz von MH 17 und Nawalny wurde niemals vergiftet. Vermutlich ist es auch nur westliche Gräuelpropaganda, dass er direkt nach seiner Rückkehr nach Russland verhaftet wurde. Wenn Sie in dieser Frage ernsthaft behaupten, es gäbe kein verbindliches Völkerrecht, haben Sie einfach zentrale Dokumente nicht gelesen. Sollte ich da falsch liegen, erläutern Sie die angebliche rechtliche Uneindeutigkeit doch bitte mal im Konkreten.

Erstens gab es in Odessa keine „separatistische Bewegung“, sondern eine Anti-Maidan-Bewegung allerdings auch eine Maidan-Bewegung. Und zweitens wurde erstere nicht „niedergeschlagen“, sondern es kam zu Straßenschlachten zwischen beiden und später zu einem Brand, bei dem die meisten der 46 zu Tode gekommen sind - wohlgemerkt mit ungeklärter Ursache. Sie unterstellen, dass dort Menschen quasi hingerichtet worden seien, weil sie gegen den Maidan waren - das ist schlicht gesagt Bullshit.
Ihre Formulierung „wenn Russland nicht unterstützt hätte“ suggeriert, dass es quasi die humanitäre Pflicht eines Nachbarstaates sei, separatistische Bewegungen in einem mehr oder weniger demokratischen Land militärisch zu unterstützen - das finde ich mit Verlaub eine ziemlich merkwürdige Haltung.

Eben hieß es noch, es gibt kein schwarz-weiß und nun zeichnen Sie ein Bild, das grobschlächtiger nicht sein könnte. Was denn nun?

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