Musikschulfördergestetz

Hallo liebes Team der Lage,

ich war bis heute einer der stillen Zuhörer. Doch jetzt beschäftigt mich seit Monaten ein Thema, das bisher nur auf Landes-Ebene stattfindet.
Für den Kontext: Im Sommer 2022 sprach das Bundessozialgericht (BSG) ein wegweisendes Urteil, das die Situation von freischaffenden Lehrkräften an Musikschulen – sogenannten Honorarkräften – betrifft. Das Gericht stellte fest, dass mangels unternehmerischer Freiheit eine echte Selbstständigkeit an einer Musikschule kaum herzustellen sei. Obwohl es sich um eine Einzelfallentscheidung handelte, fand das Urteil bundesweit Beachtung bei den Musikschulen. Die Folge dieses Urteils ist, dass die Sozialversicherungen ihren Prüfungskatalog deutlich geschärft haben und jetzt das Arbeiten als Honorarkraft an Musikschulen nicht mehr rechtssicher ist. Den vor allem die öffentlichen Musikschulen in S-H sind zum größten Teil privat organisiert. Meistens in Form eines e.V.´s oder einer gGmbH. Somit sind ehrenamtliche Menschen, die diese gemeinnützigen Vereine aufgebaut haben, bald in einer Beitragsschuld, die sich auf die letzten 4 Jahre bezieht. Im Falle der Rendsburger Musikschule, an der ich als Geschäftsführer angestellt bin, beläuft sich die Summe im schlimmsten Fall bei 840.000 €.
Jetzt muss man dazu sagen, dass alle Musikschulen gerne nur Festangestellte hätten, um faire Arbeitsbedienungen zu ermöglichen. Doch ohne angemessene Förderung ist es nicht möglich, gleichzeitig Gebühren zu verlangen, die für jede Familie erschwinglich sein müssen. Die alternative ist Musikschulunterricht nur für Besserverdiener. Hinzukommt, dass Musikerinnen und Musiker selten ein Lebenskonzept haben, bei dem eine Festanstellung reinpasst. Aber um einen Herren aus der Rentenversicherung zu zitieren: „Das ist hier kein Wunschkonzert.“ Das geht an der Realität vorbei.
Hier ein faq der VDM (Verband deutscher Musikschulen) zu dem Thema: faq-honorarvertrag.pdf (musikschulen.de)

Und jetzt der Schlag von oben: Im Koalitionsvertrag der Landesregierung Schleswig-Holstein, ist das Musikschulfördergesetz erwähnt, das im 2Q 2024 verlesen und abgestimmt werden sollte. Doch das Landesministerium und Frau Priem lassen dies aus. Zusammen mit Daniel Günther wurde beschlossen, das Musikschulfördergesetz nicht zu verlesen. Guido Wendt erklärte uns, dem Landesverband der Musikschulen in Schleswig-Holstein, dass die Landesregierung 200 Mio. jährlich einsparen muss. Auch wenn S-H im Bundesvergleich bei der Landesförderung an vorletzter Stelle steht (hinter Saarland).
Dagegen werden wir morgen (20.06) um 12:00 Uhr vor dem Landeshaus in Kiel demonstrieren. Wir sind der Meinung, dass hier an der falschen Stelle gespart wird. Unsere Kinder brauchen neben Deutsch und Mathematik auch Bildung, die ihre Kreativität fördert. Denn für unsere zukünftigen Herausforderungen benötigen wir kreative Problemlöser.
Bildung sollte immer als Investition verbucht werden.
Wir (und es trifft auf die meisten Musikschulen zu) müssen lernen ein großer Arbeitgeber zu werden. Haben demnächst Verwaltungskosten und Personalkosten, die nicht stemmbar sind. Es gibt noch so viel darüber zu erzählen, aber da dies ein sehr spezifisches Problem einer spezifischen Gruppe ist, stoße ich damit oft auf gelangweilte Ohren. Wenn Ihr aber Fragen dazu habt, würde ich mich freuen, wenn ihr auf mich zukommt.
Hier noch ein Link zu einer Petition, die ich mit auf den Weg anstoßen möchte.
https://www.landtag.ltsh.de/petitionen/musikschulfrdergesetz-jetzt-zukunft-fr-musikschulen-in-schleswigholstein/

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Hallo liebes Lage-Team.

Ich bin meinem Vorredner sehr dankbar über diesen Themenvorschlag, ich habe den Eindruck, dass vielen PolitikerInnen dieses Thema noch überhaupt nicht richtig auf dem Schirm haben. Seit dem Herrenberg-Urteil des BSG ist jedoch die gesamte Musikschullandschaft bundesweit in Aufruhr.
Ich möchte zunächst einen groben Überblick geben, wie die Musikschullandschaft aktuell aufgebaut ist: Es gibt in Deutschland einerseits staatliche Musikschulen (kommunale Trägerschaft), sowie private Musikschulen, die das kommunale Angebot ergänzen. Des Weiteren gibt es auch Musikschulen mit kirchlicher Trägerschaft und stiftungsfinanzierte Schulen.
Das kommunale Angebot ist gerade bei uns in Nordrhein-Westfalen völlig unterfinanziert, die Nachfrage nach Musikunterricht ist um ein vielfaches höher, als die kommunalen Schulen abdecken können. Gerade in meiner Stadt Köln gibt es ein vielfältiges Angebot an privaten Musikschulen, die komplett alleine wirtschaften müssen, die Gehälter für Lehrkräfte sind entsprechend niedriger, die Gebühren für die SchülerInnen massiv höher. Diese privaten Schulen sind aufgrund der hohen Mieten ohnehin schon kräftig unter Druck geraten, noch bevor es das Herrenberg-Urteil gab.

Lehrkräfte sind entweder als Abeitnehmende festangestellt (meist in TvöD 9b) oder arbeiten als freiberufliche Honorarkräfte. Der Anteil der Honorarkräfte hat in den letzten Jahrzehnten deutlich zugenommen, an den kommunalen Schulen gibt es meist ein Nebeneinander beider Verhältnisse, was dazu führt, dass Honorarkräfte, obwohl sie die selbe Arbeit verrichten, oft finanziell schlechter gestellt sind.
Aus dieser Sichtweise ist das Herrenberg-Urteil zu begrüßen, es stellt für diese Honorarkräfte in einem Einzelfall die Scheinselbstständigkeit fest. Jede Musikschule möchte am liebsten ihre Lehrkräfte fest anstellen, dazu fehlt es jedoch an den entsprechenden Mitteln. Ohne eine wesentlich bessere Finanzierung der kommunalen Musikschulen müsste man die Gebühren so drastisch erhöhen, dass Musikunterricht ausschließlich für Besserverdienende möglich wird. Eine Lohnsenkung für die Lehrkräfte ist weder möglich noch verantwortbar, angesichts der oft enorm hohen Qualifikation dieser Lehrkräfte (viele Jahre Studium, Bühnenerfahrung etc.) ist das Gehalt schon jetzt unangemessen niedrig. Die Politik muss also jetzt in jedem Bundesland zügig mehr Gelder für die Musikschulen aufbringen, oder es muss ein kreatives Modell für die rechtsichere Verwendung als Honorarkraft geben, sonst droht ein Musikschulsterben.

Ein wichtiger Punkt wird dabei jedoch sehr gerne übersehen:
Das Herrenberg-Urteil ist für viele Lehrkräfte eher Fluch als Segen, denn viele von ihnen unterrichten zusätzlich zu ihrem aktiven Künstlerdasein. Diese Menschen sind über die KSK versichert und brauchen einen gewissen Freiraum in ihrer terminlichen Getstaltung, wenn beispielsweise Konzerte und Unterrichtstermine sich überschneiden, ist es den Honorarkräften oft leicht möglich, die Unterrichte nachzuholen, zu verschieben etc., da die Musikschulen ja nicht weisungsberechtigt sind. Angestellte Lehrkräfte können oft nicht ihr Künstlerleben mit dem Unterrichten verbinden, es gab sogar schon Beispiele, in denen den Lehrkräften das konzertieren verboten wurde („Wir haben Sie als Musiklehrer, nicht als Musiker angestellt.“). Das Angestelltenverhältnis widerspricht also bei einem Großteil der Lehrkräfte einfach deren Lebensrealität. Nur Lehrer oder nur Musiker zu sein ist gerade bei der nachwachsenden Generation (zu der ich mich noch zähle) nirgendwo mehr wünschenswert. Die Trennung ist zudem fachlich artifiziell, Lehren und musizieren gehören zusammen. Diese freie Kombination aus Musiker und Musiklehrer zu erschweren wird dazu führen, dass die allgemeine ohnehin schon prekäre Situation vieler Musiker noch deutlich schlechter wird. Die Schlussfolgerung ist folglich, dass die Festanstellung für viele Kräfte trotz der finanziellen Verbesserungen gar nicht wünschenswert ist.

Selbst wenn wir in allen Bundesländern nun ein angemessenes Musikschulfördergesetz (wie in S-H gerade irrsinngerweise verschoben) hätten, löst das immernoch nicht die Situation der privaten Musikschulen.
Wie oben erwähnt können die kommunalen Schulen die Nachfrage nach Musikunterricht überhaupt nicht in Gänze stemmen. Gerade hier in Köln sichern die privaten Musikschulen die Existenz von vielen hunderten Kulturschaffenden und bieten für viele Musikunterricht an, die sonst gar keinen bekämen.

Sicher ist eines: Wenn jetzt nicht gehandelt wird, laufen die Prüfer von der Rentenversicherung durch die Lande und schleichend müssen mehr und mehr Musikschulen dicht machen, kommunal, wie privat.

Ich hoffe, das Thema wird auf die Tagesordnung gesetzt, gute Ansprechpartner sind über den VDM (Verband deutscher Musikschulen) sowie über den DTKV (Deutscher Tonkünstlerverband) zu finden.

Viele Grüße aus Köln,
Jakob Linowitzki, Klavierlehrer

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Ich fände es auch gut, dass das Thema beleuchtet wird, ich würde mir aber noch eine Ergänzung wünschen: betrifft das nur die Musikschulen oder auch die Tanz-, und Schauspielschulen, also den kompletten künstlerischen Bereich? Was ist mit den Volkshochschulen oder Sprachschulen? Das ist ja dann ein riesiger Bereich an Anbietern, die alle das gleiche Problem haben. Vielleicht kann man in dem Zusammenhang auch auf das Thema eingehen warum Deutschland für Selbständige ein schweres Plaster ist.

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Tatsächlich betrifft es alle, die als selbstständige auf Honorarbasis arbeiten, oder Honorarkräfte beschäftigen. In Schleswig-Holstein haben schon Anlaufpraxen im Krankenhäusern geschlossen, weil sie Ärzte auf Honorarbasis bezahlt haben. Diese Ärzte meistens bereits über eine Feststellung verfügen Und ein Minijob so gut wie nichts abdecken kann bei den Stundenlohn, Haben diese Praxen geschlossen. Das war Januar 23. Ich sitze auch im Vorstand des LK J (Anm. Mod.: Landesvereinigung Kulturelle Jugendbildung) in Schleswig-Holstein, Dort wird eine Servicestelle für „Kultur macht stark“ betrieben. Von diesem Urteil waren die Projekte Anträge für alle Honorarkräfte ausgelegt. Denn es ist ziemlich schwierig, für ein kurzes Projekt einzustellen. Nicht, dass das bürokratisch nicht zu bewältigen wäre. Du findest die Leute einfach nicht. Jetzt sind die Projektanträge für fest eingestellt zugeschnitten, Aber sie werden kaum wahrgenommen. Dabei ist es tatsächlich egal, ob Volkshochschule, Tanz, Theater.

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Vielen Dank für die Antwort. Aber wenn ich jetzt als Tanz oder Musiklehrer an 4 oder 5 verschiedenen Studios/ Schulen unterrichte (oder sogar noch mehr) dann können einen doch nicht all diese Anbieter festanstellen? Wie soll denn das praktisch funktionieren?

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Es kann nicht funktionieren. Deswegen ist unter den Musikschulen Ein Wettbewerb um Fachkräfte entbrannt. Aber der Job der Rentenversicherung ist es nicht lebensnahe Arbeitsentwürfe zu entwickeln. Leute, die ein sehr spezielles Instrument unterrichtet haben und dass keine Festanstellung in einer Musikschule rechtfertigen kann, hören damit komplett auf. Dann gibt es wieder Musikschulen, die ihre Verträge und den geliebten Alltag so umstellen, dass sie keine Schule mehr sind, sondern eine Agentur. Honorarkräfte haben sich in Musikerkreisen Deswegen entwickelt, weil die Fluktuation bei den Schülerinnen und Schülern recht hoch ist und Musiker gerne flexibel sind.
Und das ist nur die Bergspitze, Der Rattenschwanz dieses Urteils geht noch viel tiefer. Ich habe heute von einer Musikschule in Brandenburg gelesen, die genau deswegen schließt. 2025 werden mit Sicherheit weitere Musikschulen, Volkshochschulen oder andere Institutionen folgen.

Kann ich so unterschreiben. Vielleicht noch leicht ergänzen. Die kommunalen Musikschulen sind häufig zwar von der Stadt oder Kreis getragen aber keine Einrichtungen der Öffentlichkeit. Meistens ist die Stadt im Vorstand des e.V. oder Gesellschafter der gGmbH. Bei uns sind 15 rein privat aber gemeinnützig organisiert. Ergo, keine großen Rücklagen.
Heute haben 22 Musikschulen vor dem Landeshaus in Kiel demonstriert. Frau Plehn gab uns eine Zusage das das Musikschulfördergesetz in 2025 kommt. Das wird für einige zu spät sein. Guido Wendt sprach mit mir und war sehr zuversichtlich das die Koalition sich schnell einigen wird. Über höhen wollte keiner reden.
Ich wurde schon so einige Male seitens der Politik im Stich gelassen, also glaube ich es erst wenn ich es schriftlich sehe.

Das ist ganz genau das Problem, es kann mit Anstellungen niemals funktionieren. Stell dir vor, du unterrichtest ein seltenes Instrument, dann gibt es in kleinen Musikschulen vllt. 3 Schüler und daher musst du an jedem Tag an einer anderen Musikschule unterrichten, bzw. dich insgesamt beruflich breit aufstellen. Das ist alles nur im Rahmen der Freiberuflichkeit möglich. Du hast eine ständig wechselnde Schülerzahl, mal viele Geigen, mal wenige, da müsste man ständig reagieren, das ist alles viel zu unflexibel mit Anstellungen - sowohl für die Lehrkräfte als auch für die Musikschulen.
An privaten Schauspielschulen wird meiner Kenntnis nach ebenfalls nach Honorar beschäftigt, die Argumente des BSG bezüglich der Scheinselbstständigkeit könnte man hier genauso anwenden. Ich bin mir auch sicher, dass dieses Problem, wie du schon angesprochen hast, in vielen Branchen auftritt.
Was wir brauchen ist vermutlich eine gute gesetztliche Grundlage für diese flexible Form des Arbeitens, aber da habe ich leider keinerlei Fachkenntnisse, wie das aussehen könnte.

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