LdN386 Wahlanalyse - was ist im Osten anders

Zunächst mal vielen Dank für die ausführliche Wahlanalyse in der letzten Folge, die viele spannende Punkte enthielt. Der Bitte einer Moderatorin folgend, die Threads dazu etwas zu differenzieren, würde ich hier gener einen zur „Ost-Thematik“ eröffnen, also zu Fragen wie: was ist im Osten eigentlich anders, warum wird da anteilig so viel mehr AfD und BSW gewählt etc.

Dazu ein paar erste Gedanken:

  1. Die Lebensrealittät in Ost und West sind alles andere als gleich. Darauf habt ihr ja (mit Steffen Mau) schon hingewiesen und gestern fand ich diese schöne Visualisierung. Nicht repräsentativ, einfach nur verschiedene politische und ökonomische Merkmale in Kartenform, aber ich finde es krass, wie deutlich da noch eine Grenze zu erkennen ist, die formal seit über 30 Jahren nicht mehr existiert. Das Ganze ist ein Video aus Einzelgrafiken, hier nur ein Screenshot


    Quelle: GIF auf X: x.com

  2. Bestimmte Themen, die in den letzten Jahren stark polarisiert haben, werden im Osten mehrheitlich anders gesehen, allen voran Migration, Coronamaßnahmen und Ukrainekrieg.
    Wenn es bundesweit vielleicht 20-25 % Menschen gibt, die strikt gegen Migration sind, die die Coronamaßnahmen eher abgelehnt haben und die eher in Sachen Russland und Ukraine eher wieder in die Zeit vor 2022 zurückwollen (das ist jetzt nur eine grobe Schätzung, die realen Anteile sind sicherlich unterschiedlich), dann sind es im Osten eher 40-60% (je nach Thema).
    Das hat unterschiedliche Gründe, der Punkt ist hier aber, dass die AfD sich hier als „die einzige Alternative“ etablieren konnte im Sinne von einer Partei die diese Themen „anders sieht“. Diese Rolle hatte im Osten früher auch die PDS/Linkspartei und das BSW scheint sie nun auch wieder zu übernehmen.

  3. Die Parteipräferenzen waren im Osten nie so stabil wie im Westen. Im Westen wählen vor allem die Älteren immer noch recht stabil SPD und Union - vermutlich einfach weil sie es schon immer getan haben. Im Osten gibt es dieses „schon immer“ so nicht bzw. nur sehr viel kürzer. Daher haben neue Parteien hier grundsätzlich bessere Chancen oder sozialwissenschaftlicher formuliert, ist das Parteiensystem volatiler.

Das nur als ein paar Gedanken, ich freue mich über Ergänzungen, Anmerkungen etc.

@mod, vielleicht können einige Posts aus anderen Threads auch hierher verschoeben werden

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Das ist wirklich gruselig. Wir haben wieder eine Deutsch Deutsche Teilung. Und die Grünen holen weiterhin die meisten Wahlkreise in Großstädte Berlin, Hamburg, Köln.
Willkommen beim Stadt/Land Konflikt.

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Ich oute mich jetzt mal als Bewohner eines sehr ländlichen Gebiets in Ostsachsen. Zu meiner Scham und Schande sind hier die Ergebnisse der AFD in der Europa- wie auch in der Kommunalwahl bekanntlich besonders erschreckend hoch. Politische Gespräche zu führen ist hier verdammt schwer und auch wenn ich es immer wieder versuche - man bekommt die Meinung der Leute nicht in eine vernünftigere Richtung gelenkt. Es ist ein Kampf gegen eine Wand aus verfestigten Meinungen und simplen Unwissen sowie falscher Interpretation.

Wenn ich mich hier umhöre steht eben das Ausländerthema an erster Stelle - obwohl wir hier so gut wie nie Flüchtlinge zu Gesicht bekommen muss man dazu sagen! Medien spielen allerdings eine große Rolle und ganz aktuell war das Thema vor einigen Wochen bezüglich der gestiegenen Kriminalität (Kriminalitätsstatistik). Hier sahen sich viele in ihren Vorbehalten bestätigt.

Was ich dann in diesem Zusammenhang immer wieder höre und was viele aufregt ist der Punkt, dass je nach konsumierten Medium die Zahlen entweder relativiert oder aber als extrem dargestellt werden. Schon allein diese unterschiedliche Berichterstattung reicht einigen, hier eine Art „Verschleierung“ zu erkennen bzw. eben das klassische „Wir werden alle verarscht“ Schema, was man hier sehr oft hört.

In der aktuellen Folge der Lage (386) heißt es ja gerade auch wieder, die Kriminalität hätte gar nicht zugenommen. Wenn ich das hier jemanden erkläre, dann wird Google angeworfen, die Suchbegriffe „Kriminalität Deutschland 2023“ eingetippt und mir der erste Treffer präsentiert:

Insgesamt wurden laut Bericht 2023 über 5,94 Millionen Straftaten durch die Polizei erfasst. Im Vergleich zum Jahr 2022 ist die Zahl um 5,5 Prozent gestiegen. Auch die Gewaltkriminalität hat zugenommen – im Vergleich zum Vorjahr ist sie um 8,6 Prozent gestiegen.

Wie soll ich den Leuten jetzt diese Widersprüche erklären? Objektiv gesehen ist es so, dass die gestiegenen Zahlen damit zusammenhängen, dass einfach mehr Menschen nach Deutschland gekommen sind. Man muss daher die Fälle in Relation zu den Einwohnern sehen. Dann wird mir aber entgegnet, dass das ja genau der Aufreger wäre: WEIL eben neue Menschen ins Land kommen STEIGEN die Zahlen - der Umkehrschluss ist dann eben wieder, dass Einwanderung schlecht ist - denn ohne diese hätte es auch nicht mehr Gewaltverbrechen gegeben.

So in etwa laufen hier die Gespräche ab und man hat es so verdammt schwer, dagegen anzukommen mit einer sachlichen Diskussion.

Dann gibt es da meine Nachbarin, dessen Tochter nach Leipzig gezogen ist zum studieren. Nun berichtet diese wohl regelmäßig davon, dass sie in der Innenstadt von Jugendlichen augenscheinlich arabischer Herkunft „angemacht“ wird, welche sich in Gruppen an den belebten Plätzen aufhalten. Ich entgegne dann, dass es das in meiner Jugend auch von biodeutschen Jugendlichen in Gruppen immer schon gab. Auch das zählt dann wieder nicht als Argument, weil die Art und Weise wohl „nicht so aggressiv“ gewesen wäre wie es bei den beschriebenen Gruppierungen heute der Fall ist.

Hinzukommen diverse Telegramgruppen, Stammtische, „Übern-Zaun-Gespräche“, usw usw. Wenn dann noch so etwas wie in Mannheim passiert, sehen sich dann alle bestätigt.

Mich nervt es langsam extrem, sodass ich und meine Familie tatsächlich darüber nachdenken, von hier wegzuziehen. Es ist ermüdend und raubt so viel Energie. Ich weiß nicht, wie man die Menschen hier noch „zurückholen“ soll.

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Ich kann das gut nachvollziehen. Ich habe in den letzten Jahren viel Zeit auf dem Land in Ostbrandenburg, nahe der polnischen Grenze verbracht. Da redest du mit Leuten, die stolz darauf sind, auch 15 Jahre nach dem EU-Beitritt Polens noch nie „drüben“ gewesen zu sein - noch nicht mal zum klischeehaften Tanken 500 Meter hinter der Grenze. Derweil ist es üblich, dass Polen auf der deutschen Seite arbeiten, zur Schule gehen, studieren, Unternehmen gründen etc. Und das fassen diese Leute dann als Bedrohung auf. Warum? Darauf kriege ich meist keine Antwort.

Genauso ist es aus meiner Sicht mit der Kriminalität. Statistiken sind dabei völlig egal, es geht fast ausschließlich um die „gefühlte“ Bedrohung. Vermeintlich wissen die Menschen nicht nur ganz genau, dass alles immer schlimmer wird, sondern auch wer Schuld ist. In den 1990ern führte das zu dem absurden Ergebnis, dass z. B. in Brandenburg massenweise Menschen davon überzeugt waren, dass 0,5 „Ausländer“ für die 25% Arbeitslosigkeit verantwortlich sind, weil „die uns ja die Jobs wegnehmen“.

In einem anderen Thread (Umgang mit rechtem im Freundes-/ Bekanntenkreis) wird ja darüber diskutiert, wie man mit solchen Situationen umgehen kann. Aber ich kann jeden verstehen, der sagt „mir reicht’s ich will hier weg“. Ich habe leider auch keinen Plan, was man gegen die Unmenge an Dreck (sorry für die Wortwahl) tun kann, die AfD, Social Media & Co in den Diskurs gepustet haben, aber ich fürchte Aushalten und ab und zu wenn es geht dagegenhalten ist bei vielen Leuten, deren Ansichten sich schon verfestigt haben, aussichtsreicher als Aufklärung.

[Edit: Tippfehler]

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Gute Anmerkung!
Aus meiner Sicht sollte auch nicht vergessen werden, dass viele Wähler (insbesondere im Osten) nicht kirchlich sind und somit durchaus Bedenken haben, eine Partei zu wählen, die das Christentum im Namen trägt. Dies kann ich aus meinem eigenen pragmatischem Ansatz völlig nachvollziehen. Wenn einem Atheisten dann die SPD oder FDP nicht zusagt ist dieser schnell weiter am Rand oder bei einer Mini-Partei

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Flixbus: Vielen Dank für dieses Thema. Selbst in Thüringen zu Hause, kann ich vieles davon nachvollziehen. Ja, auf dem „Land“ ist auch Thüringen durchgehend blau; allerdings wohnen dort nur wenige Menschen. Insofern wäre eine Übersicht in Relation zur Einwohnerzahl aufschlussreicher. (Interessant auch die Übersicht zur zweitstärksten Kraft.) Auch in den größeren Städten Erfurt/Jena/Weimar ist der AFD-Anteil gestiegen. Alles Universitätsstädte und für mich die eigentliche Überraschung. Es muss also mehr sein als das Thema Migration. Wie richtig angemerkt, tickt der Osten offensichtlich anders, siehe Ukraine und die Haltung zu den Coronamaßnahmen. In meiner Generation (Ü60) stelle ich durchaus fest, dass es ein sehr feines Gespür dafür gibt, wenn einem eine „X“ für ein „U“ vorgemacht wird.
Beispiele: Der Bundeskanzler sagt in einer Woche, dass es keine weiteren Waffen oder erweiterte Waffennutzung geben wird. Zwei Wochen später ist das Makulatur. Wenn die Menschen AFD wählen sei das undemokratisch. Aufarbeitung der Corona-Zeit: Fehlanzeige. Nachforschungen zu NSII; Fehlanzeige und Wegbügeln von Anfragen. Versprochen Neuwahlen in Thüringen nach dem Debakel in 2020; Fehlanzeige.
Es mag für alles eine durchaus valide Begründung geben, aber steter Tropfen höhlt den Stein und für letztlich zum kompletten Vertrauensverlust in die bisherige Parteien. Dazu kommt Zukunftsangst und solange die Grundbedürfnisse nach einem auskömmlichen Leben und Sicherheit nicht befriedigt sind, kann man mit Selbstbestimmungsgesetz und oder Cannabislegalisierung niemanden gewinnen. Meiner Meinung nach sitzt die Enttäuschung viel tiefer und die AFD profitiert davon.

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Mich würden ein paar Aspekte die oft in Erklärungsmodellen zu AFD und Sachsen/Ostdeutschland fehlen oder unterbelichter sind, interessieren. AFD ist frustrierte Männlichkeit. Sachsen und Ostdeutschland generell hat einen grossen Männerüberschuss, Frauen ziehen weg, oft um zu studieren. Zim anderen werden Frauen in der Tendenz progressiver und Männer konservativer und rechter. Das schürt Frust und antifeministische Einstellungen. Gerade in Sachsen ist das sehr spürbar. Es ist kein Zufall, dass der Attentäter von Halle AFD Fan und zu der Incelscene gehörte.
Im Wahlkampf hat die AFD diesen Frust sehr gezielt bespielt. Krah in Onkelmanier „wähl rechts dann klappts auch mit der Freundin“, sei kein non-binäres Einhorn usw. Das ist zwar anektdotisch, aber ich wohne selbst in Leipzig und bin immer wieder erschüttert, was für ein Männerbild hier auf dem Land vorgelebt wird. Ich habe gesehen, wie dreijährige Kinder mit militärischem Drill aufgefordert wurden, ans Seil (vom Spielplatz) zu gehen und mal zu zeigen, dass sie ein Mann sind. Oft sieht man Kinder, insbesondere Jungen, die von Eltern oder Grosseltern angeschrien werden, sie sollen sich zusammenreissen, wenn sie weinen. Ich habe schon an vielen Orten gelebt, aber so etwas habe ich noch nicht gesehen.
Wenn ihr auf Suche nach Ursachen seid, vielleicht findet ihr ja etwas dazu in wie weit das zusammenhängt.
Zum anderen würden mich die zeitliche Kontinuitäten interessieren. Sachsen war das Bundesland, was den Durchmarsch der NSDAP ermöglichte.
Der Opfermythos durch den zweiten Weltkrieg ist in Sachsen besonders ausgepägt.
Viele der heutigen Wähler gehöhren zur Altergruppe, die in den Baseballschlägerjahren geprägt wurde. Zum andren ist Sachsen seid den 90ern und jetzt verstärkt nochmal ein Magnet für Neonazis aus dem Westen und anderen Bundesländern. Da sind sehr lange zeitliche Kontinuitäten, die noch vor die NS Zeit reichen. Warum das so ist habe ich noch nicht irgendwo gefunden.
Wie sind da die Zusammenhänge?

Quellen:

Warum dind Männer politisch rechter als-Frauen? E157: Warum sind Männer politisch rechter als Frauen? - Piratensender Powerplay - Podcast

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Meine Familie kommt aus dem Osten. Zitat Oma: „Wir dachten mit der Wende kommt etwas Neues. Ein gemeinsamer Staat, der besser ist, als was vorher da war. Das was wir jetzt haben… ist schrecklich.“

Böhmermann hat das mal sehr gut aufgearbeitet in einer Folge. Der Westen hat sich die Produktionsmittel des Ostens unter den Nagel gerissen und dann seine Nazis dorthin exportiert. Die Spitze der AfD sind keine Ossis. Nichmal der Höcke.

Meine Großeltern haben mir von schlimmen Erniedrigungen erzählt, die sie nach der Wende erlebt haben. Ärzte, die in Keller-Archive verbannt wurden. Fachkräfte, die auf Tauglichkeit geprüft wurden, davon einen Tag vorher erfuhren, das Ergebnis stand längst fest. Die wurden zu günstigeren Arbeitskräften degradiert, die Qualifikation aberkannt.

Ich weiß noch, wie meine Mum im Auto geweint hat, als sie mir erzählt hat, wie es damals war. Dass der Westen alles von den USA bekommen hat. Und der Osten sich komplett selbst aufbauen musste. Dass die Sowjets keine große Hilfe waren. Oma hat erzählt, wie vor der Mauer die Wessis rüberkamen, um für Ostpreise einzukaufen. Die Regale dann leer waren. Die Leute haben das nicht vergessen und es fühlt sich schrecklich an, nun von Leuten regiert zu werden, die keinen Bezug zur eigenen Geschichte haben, die in der Vergangenheit immer der große Feind waren.

Nun sitzen immernoch viel zu wenig Ostdeutsche im Bundestag. Dass die AfD das nicht ändern wird, kapieren viele nicht.

Angela Merkel haben viele gewählt, weil sie aus dem Osten kam, inklusive meiner Eher-Nicht-CDU-Mutter. Sie sagte, weil Frau Merkel aus dem Osten kommt, und weil sie eine Frau ist.

Und klar, Rassismus ist ein Riesending in Ostdeutschland, weil es dort nur Gastarbeitende aus dem Osten gab, selten aus dem Süden. In MV war die Nichtdeutschenquote letztens noch bei 3%. Und das ist wissenschaftlich erwiesen, dass Rassismus dort herrscht, wo ethnische Diversität fehlt.

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Disclaimer: bin kein Ostdeutscher

Die Enttäuschung des Systemwechsels steckt noch tief in vielen älteren. Die Jungen haben dieses Trauma geerbt. Jetzt steht der nächste Systemwechsel an (von der fossilen Industrie- zur grünen Dienstleistungsnation) und viele dürften implizit erwarten, dass sich das Trauma wiederholt: dass es bildlich gesprochen wieder Fremde sind, die sich das Land unter den Nagel reißen und die locals benachteiligen. Dass es natürlich wir alle sind, die durch diese Transformation zu einem besseren Leben kommen, rückt dann in den Hintergrund.

Das würde auch ein Stück den Hass auf die Ausländer erklären, die ja ironischerweise dort, wo am stärksten rechts gewählt wird, am wenigsten sind. (noch ein disclaimer: eine Erklärung heißt natürlich nicht, dass das in Ordnung ist).

Wie begegnet man dem nun? Vielleicht würde eine Anerkennung helfen, dass die Vereinigung dort vermurkst wurde, und eine Art Schadensersatz geleistet werden. Keine Ahnung…

Die Enttäuschung hab ich nie wirklich verstanden. Beim einen oder anderen schon, aber als flächendeckendes Phänomen ist mir das unbegreiflich. 30 Jahre später geht es der ganz großen Mehrheit der Ostdeutschen materiell und objektiv, sowohl relativ, als auch absolut um Welten besser. Auf vielen Ebenen sind die Lebensverhältnisse auf einem Niveau wie in weiten Teilen Westdeutschlands. Natürlich gibt es bspw. bei der Vermögensverteilung große Ungleichheit, aber wie hätte man das ändern sollen? Und in den knapp 10 Jahren, die ich in Ostdeutschland verbracht habe, fand ich immer irritierend, wenn die gleichen Leute, die Frauen und anderen „Minderheiten“ erklären, dass es keine Quoten bräuchte und Leistung sich durchsetzen würde etc., sich anschließend umdrehen und bitterlich beklagen, dass zu wenig Ostdeutsche in Führungspositionen sind. Mich macht das alles etwas ratlos. Was haben die Leute denn erwartet? Politiker, die damals offen gesagt haben, dass die Wiedervereinigung keine Spazierfahrt werden wird, wollte man nicht hören und schon garnicht wählen und binnen weniger Dekaden wurde der abgewirtschaftete Osten mit hunderten Milliarden Euro annähernd auf Westniveau saniert. Und weil das alles irgendwie nicht reicht, hasst man dann eben den Ausländer, den man nur aus dem Fernsehen und der Bild-„Zeitung“ kennt und das böse System und wählt eine Wessi-Assi-Partei, weil oder obwohl die die Grundlagen für alles, was gut ist im Land in die Luft sprengen wird? Ist es wirklich zu viel verlangt, dass bspw. in Thüringen Menschen es schaffen, keine rechtsextreme Partei mit einem Faschisten an der Spitze zu wählen? Weil sie nur von Plattenbau+Trabbi zu VW und Reihenhaus gekommen sind und nicht bis zu Porsche und Villa und das reicht eben nicht? Weil irgendwelche Menschen, die sie nicht kennen, ihnen nicht genug den Rücken gekrault, den Bauch gepinselt, das Ego massiert haben? Da kann man ja mal unverhofft, versehentlich antidemokratisch und menschenfeindlich wählen? Vielleicht bleibt einem ob dieses schweren Schicksals, das man aber trotzdem keinem Ausländer gönnen mag, nichts anderes übrig? Ich bin diese endlosen Ausreden, dieses Rumopfern, dieses ewige Verstehen und Diskutierenwollen so leid. Rechtsextreme Parteien verbieten, Wähler der Parteien erklären, dass sie blöde Arschlöcher sind, aber künftig besser leben sollen und wenn das zu Randale führt, Repressionen.

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Aber die Wähler schon, oder? Aus bestimmten Regionen bspw. Dortmund sind viele Nazis Richtung Osten abgehauen, weil sich hier Leute gefunden hatten, die es im ehemaligen Nazi-Kiez gründlich ungemütlich gemacht haben. Nur weil das braune Gesindel hier abhaut, mussten die ostdeutschen Bürger denen ja kein warmes Nest anbieten.

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Ich möchte jetzt keine Lanze für die Ostdeutschen brechen, aber du simplifizierst zu stark.

Es gab massive Demütigungserfahrungen der Ostdeutschen durch Westdeutsche.
Ich kenne persönlich

  • promovierte Ingenieurinnen, die vom neuen Westdeutschen Chef zum technischen Zeichner degradiert wurden weil sie weiblich waren.
  • promovierte Chemiker, die infolge der Abwicklung ihrer Betriebe nie wieder Arbeit in der Industrie gefunden haben und nach mehreren Jahren dankbar sein mussten, für den westdeutschen Anwalt am Empfang sitzen zu dürfen.
  • Lehramtsstudenten, im 8. Semester, die mit der Wende vor die Wahl gestellt wurden, bei Semester 1 neu beginnen zu müssen weil die mit der Wende importierten westdeutschen Professoren die 8 Semester nicht anerkannten. Man war ja sicher von der DDR-Führung indoktriniert
  • den Fall der Firma Halloren, die selbst zu Wendezeiten wirtschaftlich profitabel und wettbewerbsfähig arbeitet, aber trotzdem von der Treuhandmitarbeitern unter der Hand an westdeutsche Investoren unter Wert „vermittelt“ wurden

Letzterer Fall war auch kein Einzelfall. Die TAZ schrieb im Jahr 1993 über solche kriminellen Vorgänge.

Und 30 Jahre später haben Investigativjournalisten noch viel mehr Auffälligkeiten gefunden, über die die damals Beschäftigten, schon lange hinter vorgehaltener Hand sprachen. Da wurden sogar Firmen abgewickelt, die man als Gefahr für die westdeutsche Wirtschaft ansah:

Eine 6 erhielt auch die Märkische Faser AG im brandenburgischen Premnitz. 1992 gingen die Arbeiter des größten Chemiefaserproduzenten der DDR auf die Straße. Dem Werk, Hauptarbeitgeber der Stadt, drohte die Schließung. Doch sie waren zu spät. Das Urteil stand auch hier schon 1991 fest. Dabei hatten die Berater sogar eingeräumt, dass die von der Märkischen Faser entwickelten neuen Produkte durchaus marktfähig und gängig sind. 41 Prozent des Umsatzes wurden sogar im Westen erzielt. Warum wurde dann trotzdem zur Schließung geraten. Es gebe zu hohe „Überkapazitäten“ im Westen, hieß es als Erklärung. Sollte womöglich die Konkurrenz im Westen geschützt werden? „Plusminus“ fragt Prof. Dierk Hoffmann: "Ich kann nicht pauschal ausschließen, dass hier Einflussnahme stattgefunden hat, um sozusagen Marktteilnehmer vom Markt zu verdrängen. Die Frage ist nur, ob man richtig unabhängige Wirtschaftsprüfer … hätte haben können, die keinerlei Verbindungen zu Wirtschaftskreisen, zu Industriekreisen insgesamt haben.

Solche Fälle haben sich denke ich tief in die ostdeutsche Psyche eingebrannt, auch unterstützt durch als arrogant wahrgenommenes Besserwessi-Tum, dass dem Ossi erklärt dafür auch noch dankbar sein zu sollen.

Vor Corona war ich überzeugt, man könne das heilen, indem man Fehlverhalten offen aufarbeitet und sich entschuldigt. Aber mittlerweile scheinen mir die Konflikte zu groß und die Nerven auf beiden Seiten zu blank. Davon zeugen Aussprüche wie Stasi-Methoden vs. Alles Nazis im Osten.

Jetzt helfen nur noch Taten wie bspw. die massive wirtschaftliche Stärkung ländlicher Regionen (MecPom, Ostbrandenburg, den Raum bei Riesa/Grimma, Mittel- und Südsachsenhalt) durch Ansiedlung von großen Firmen (am besten incl. deren Zentralen) samt der Anerkennung von Fehlverhalten des Westens.

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@thunfischtoast @tnowion
Was ihr schreibt, sehe ich größtenteils genauso. Und diese Enttäuschung und Kränkung ist mMn auch kein exklusiv ostdeutsches Phänomen. Wenn heutzutage, egal ob Ost oder West, große Industriestandorte geschlossen werden, dann stehen auch dort enttäuschte Menschen vor den Ruinen ihrer teils jahrzehnte langen Arbeit und wissen nicht, ob und wie es weitergehen soll. Und auch diese Menschen artikulieren dann häufig ein Gefühl des „Übergangen-worden-seins“ oder das irgendwelche Menschen in Anzügen, die keine Ahnung haben, falsche Entscheidungen treffen.

Und wenn so etwas einer ganzen Gesellschaft auf einmal passiert und sich hinterher auch noch, in Teilen zumindest, als Ausschalten von Konkurrenten oder als nahezu kostenloses Übernehmen neuer Fertigungsstandorte (z.B. Leuna) herausstellt, dann ist das natürlich eine katastrophale und kollektiv prägende Erfahrung.

Bei der Übernahme der Ostbetriebe hätte die BRD mit enormen Fingerspitzengefühl vorgehen müssen. Stattdessen hat man sie es als Mischung aus hingeschluderter Bürokratie und kapitalistischen Raubzug (man kann es kaum anders nennen) im Eilverfahren durchgezogen. Und für viele Menschen im Osten war das halt die erste große Erfahrung, die man mit der marktwirtschaftlichen Demokratie der BRD gemacht hat.

Die eigene Arbeit ist für viele Menschen etwas unglaublich Wichtiges und beeinflusst auch die politische Meinung. Wenn ab morgen alle Parteien außer der AfD für ein Zulassungsverbot von Verbrennern ab 2030 wären, dann würden die AFD-Umfragewerte mindestens mal in Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg durch die Decke gehen. Deswegen sind CDU, FDP und teilweise SPD bei dem Thema ja auch extrem vorsichtig.

Ja, die AfD ist eine rechts-extreme, verfassungsfeinliche Partei. Aber ich bleibe dabei, die meisten Leute wählen sie nicht wegen dieser Ausrichtung, sondern trotz dieser Ausrichtung. Im Kern ist die AfD eine Protestpartei und will man der das Wasser abgraben, muss man die Probleme der Menschen lösen, die sie wählen.

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Ja, das beobachte ich auch.

Die Generation meiner Eltern war zum Zeitpunkt der Wiedervereinigung so um die 30. Die hatten ihre Jugend hinter sich, einen Beruf ergriffen und angefangen, sich irgendwie einzurichten. Dann kam die Wende und der gemeinsame Staat. Anfangs waren sie glücklich über die neue Freiheit. Aber es stellte sich schnell heraus, dass damit auch eine enorme wirtschaftliche Transformation einher ging und für viele sich dann die gerade gemachten Lebensplanungen in Luft auflösten.

Im guten Fall haben die Leute dann einfach nochmal von vorn angefangen und standen dann mit Anfang 30 am Anfang. Im schlechten Fall haben sie ihren Job verloren und waren die letzten 30+ Jahre arbeitslos oder in irgendwelchen Arbeitsbeschaffungs-Maßnahmen oder Minijobs unterwegs. In jedem Fall war die Vereinigung ein drastischer Einschnitt für viele und selbst wenn man selbst nicht betroffen war, gab es ausreichend Freunde, Familienmitglieder und Bekannte, für die diese Transformation schmerzhaft und langwierig war.

Jetzt haben wir 30 Jahre später. Klimawandel. Energiekrise. Covid. Die Welt ist aus den Fugen. Und dann kommen die Grünen und sagen den Leuten (zu Recht!), dass wir eine Transformation vor uns haben. Und natürlich haben die darauf keinen Bock. Und zum Glück gibt es die AfD, die ihnen sagt „Das stimmt alles nicht. Ihr müsst überhaupt nichts anders machen. Das Problem sind ausschließlich die Grünen.“ – natürlich ist es dann attraktiv, die einfache Option zu wählen.

Ich habe jetzt noch gar nicht über Migration geschrieben, denn theoretisch spielt Migration im Osten quasi keine Rolle. Die einzige relevante Migration ist diejenige, wo Ostdeutsche seit Jahr und Tag Montags gen Westdeutschland zur Arbeit pendeln und Freitags wieder zurück in die Heimat fahren. Die Angst vor Migration ist in der Regel ein „Ich hab da ein paar braune Leute im TV gesehen“. Mehr aber noch eine Frustration darüber, dass gefühlt mehr in das Wohlbefinden von Flüchtlingen investiert wird als in die immer noch bestehenden Unterschiede in der Lebenssituation zwischen Ost und West. Ich denke, da gibt es einiges, was man tun kann.

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Das wurde ihnen versprochen: Blühende Landschaften – Wikipedia

Und punktuell gibt es diese Landschaften auch. Leipzig, Dresden, der Teil Brandenburgs rund um Berlin. Selbst in den strukturschwachen Gebieten gibt es großartige Straßen, renovierte Innenstädte usw. Bei Arbeitsplätzen hört es dann aber auf. Moderne Industrieansiedlungen gibt es ausschließlich steuerfinanziert. Und sobald die Fördermittel auslaufen ist die Industrie ganz fix wieder weg: https://www.rbb24.de/studiocottbus/panorama/2022/06/vestas-ende-uebernahme-standort-lauchhammer.html).

Die neue Straße und der hübsche Marktplatz ändern aber nichts daran, dass die Leute selbst sich abgehängt fühlen. Ein guter Teil ist schon weg, weil es keine Jobs gibt. Die übrigen teilen sich in die auf, bei denen Hopfen und Malz verloren ist und diejenigen, denen es wichtig ist, in ihrer Heimat zu leben. Das kann man mangelnde Flexibilität nennen. Das sind aber genau diese Wähler, bei denen dann die AfD Rückhalt findet.

Die ostdeutsche Frustration und Identität hat sich Jahre lang in der Linkspartei die Bahn gebrochen. Aber die hat sich selbst zerlegt und in Regierungsverantwortung auch nicht geschafft, die (realen und gefühlten) Probleme zu beheben. Und für deren Ex-Wähler ist es sehr logisch, jetzt halt am rechten Rand zu wählen.

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Wir haben viele Kunden und Lieferanten im Erzgebirge und das sind durch die Bank Standorte die seit vielen Jahren bestehen, oftmals direkt nach der Wende übernommen wurden. Von kleineren Inhabergeführten Betrieben über Standorte von mittelständischen Betrieben aus dem Westen, deutsche Niederlassung internationaler Mittelständler bis hin zu Standorten von Konzernen. Und alle jammern, dass sie nicht genug Fachkräfte finden. Und dennoch wird auch in diesen Regionen mit 30 +/-x% AfD gewählt.

Diese Geschichten höre ich auch immer wieder, sie betreffen ja aber nur die Generation Ü55 und scheint zudem zwar nicht selten aber auch nicht der Normalfall.
Ich höre ähnliche Geschichten aber auch von Leuten aus einst mittelständischen Firmen die dann von einem Konzern übernommen wurden.

Dass es im Rahmen der Treuhand massive Fälle von Betrug gab stimmt natürlich.
Andererseits ist aber auch Teil der Wahrheit, dass der größte Teil der Betriebe einfach unter Bedingungen der freien Marktwirtschaft nicht konkurrenzfähig war. Zu viel Personal, zu wenig moderne Maschinen und Anlagen, zu schwankende Qualität. Das war zu Zeiten der DDR noch zu verkraften weil man günstig exportiert hat und den Kunden die Probleme egal waren und eine höhere Ausschussrate hatte man eingepreist, im Konkurrenzkampf unter gleichen Bedingungen ging das aber nicht mehr.
Eine Übertragung auf die Mitarbeiter wie es sich viele rückblickend gewünscht hätten (zumindest höre ich diesen Wunsch immer wieder) wäre aufgrund der nötigen Investitionen nicht realistisch gewesen.

Generell höre ich oft aus Gesprächen heraus, dass sich viele ein System gewünscht hätten welches die Vorteile aus Ost und West vereint ohne die jeweiligen Nachteile zu haben.

Überspitzt formuliert hätte man gerne den günstig zugeteilten 5er BMW ohne Wartezeit mit einem freistehenden Einfamilienhaus mit Pool zu den Wohnkosten der DDR mit Preisen beim Konsum wie in der DDR aber dem Angebot des Westens und Arbeitsplätze und Arbeitsplatzgarantie wie in der DDR mit dem Gehalt aus dem Westen.

Und ich glaube gerade dass vieles aus der DDR heute verklärt und romantisiert wird während die Nachteile bagatellisiert werden ist einer der Gründe warum für jüngere Leute die die DDR nicht mehr richtig kennengelernt haben eine Partei die sagen will wo es lang geht gar nicht mal abschreckend klingt.

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Sowas vererbt sich. Unter den Kriegstraumata haben auch noch die Nachkommen gelitten, die nie selbst im Krieg gewesen sind.

Beschreibst du damit nicht ein gesamtdeutsches Phänomen, vielleicht sogar ein gesamtmenschliches Phänomen?
Wir wollen alle Vorteile des Kapitalismus und Sozialismus, aber keine Nachteile. Wir wollen alle grüne Energie, aber bitte keine Windräder und sichtbare Strommasten. Wir wollen billige Lebensmittel, aber keiner möchte in der Fleischfabrik arbeiten. Wir wollen alle unser Einfamilienhaus, aber bitte keine weitere Flächenversiegelung. Wir wollen alle früh in Rente, aber bitte keine Erhöhung der Beiträge und auch bitte keine Kürzung der Leistungen. Die Fähigkeit zum Kompromiss geht der Gesellschaft ein Stück weit verloren, auch weil sie ihr in den letzten Jahrzehnten abgewöhnt wurde.

Auch das ist denke ich ein gesamtdeutsches Phänomen, dass sich nicht nur auf den Osten bezieht: Die Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die es niemals gegeben hat.

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Mein Wunsch wurde erfüllt. Hier die Ansicht des Wahlergebnisses bezogen auf die Anzahl der Wähler.
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Quelle?

Ist die Größe der Kreise relativ zur Anzahl der Wählenden der jeweils stärksten Partei, oder relativ zur Anzahl aller Wählenden des jeweiligen Kreises?

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