LdN 395: Mit Fakten erreicht man fremdenfeindliche Menschen nicht

Ich finde eurer Ansinnen löblich, Fakten und Argumente zur Bekämpfung der AFD zu sammeln. Aber ich fürchte, der wichtigste Grund für den Erfolg der AFD ist Fremdenfeindlichkeit und die davon befallenen Menschen sind durch Argumente nicht zu erreichen.

Meine These ist es, dass es eine tief verwurzelte Fremdenfeindlichkeit in Deutschland und auch anderen Ländern gibt. Das spielt sich auf einer emotionalen und kulturellen Ebene ab und dem ist nur schwer mit Argumenten beizukommen.

Die AFD bietet dem ganzen nur eine Plattform. Durch den Erfolg fühlen sich Menschen dazu animiert, ihren tiefen Ressentiments nun freien Lauf zu lassen. Irgendwie wurde in den letzten 3 oder 4 Jahren ein Kippunkte erreicht, durch den die Sache eine Eigendynamik entwickelt hat. In anderen Ländern sieht das ja leider auch nicht besser aus.

Durch persönliche Erfahrung, durch Austausch mit Menschen aus verschiedenen Gegenden in Deutschland und die Erzählung von eingewanderten Menschen hat sich bei mir folgende These herausgebildet (natürlich rein annekdotisch inspiriert).
Es wäre mal interessant, wenn ihr recherchieren könntet, ob auch Soziologen in diese Richtung gedacht haben und es empirische Forschungen dazu gibt.

Hier also meine These: Es gibt zwei Arten von tief verankerter Fremdenfeindlichkeit.

1. Wunsch nach kultureller Homogenität
Viele Menschen wünschen sich kulturelle Homogenität in ihrem sozialen Umfeld. Die Menschen sollen so aussehen, sprechen und verhalten wie sie selbst. Diese Menschen sind in der Regel nicht rassistisch und wissen kulturelle Vielfalt auch zu schätzen. Aber eben nicht in ihrem Umfeld. Das geht so weit, dass selbst innerdeutsche Einwanderer unerwünscht sind oder nicht voll akzeptiert werden. Man empfindet Menschen anderen Aussehens und anderer Prägung als störend und möchte sie loswerden. Ich habe diese Art von Fremdenfeindlichkeit insbesondere in ländlichen und katholisch geprägten Gebieten erlebt. Z.B. in Sachsen, Thüringen, Teilen von Bayern oder im Schwarzwald.

2. Funktionale Fremdenfeindlichkeit
Hier geht es darum, dass Fremde dafür verantwortlich gemacht werden, dass Probleme entstehen oder bestehende Probleme verschlimmert werden. Und man sie deswegen wieder los werden möchte.
Manchmal geht das einher mit üblem Rassismus, der diese Probleme an inhärenten Eigenschaften von Ethnien oder Kulturen festgemacht wird.
Diese Art von Fremdenfeindlichkeit habe ich auch in eher protestantisch geprägten Gegenden in ganz Deutschland gesehen, vermutlich auch durch die protestantische Leistungsethik gefördert.

Die beiden Phänotypen sind natürlich in der Realität nicht so glasklar anzutreffen.

Da es sich in beiden Fällen um so eine Art Ideologie oder Glauben mit Jahrhunderte alten Traditionen begründet, wird es schwierig, Überzeugungsarbeit anhand einzelner Sachthemen zu leisten. Wird ein Argument entkräftet, wird das nächste aus dem Hut gezaubert. Das Ganze ist ja kein in sich geschlossene Hypothese, die man einfach falsifiziert und schon ist die fremdenfeindliche Person geläutert.

Der englische Historiker James Hawes argumentiert in eine ähnliche Richtung: Die Besonderheiten im politischen System Ostdeutschland reichen bis in Römerzeit zurück. Der östliche Teil Germaniens (östlich der Elbe) hat keine fest definierte Grenze. Die später dort siedelten „deutschen“ Stämme sahen sich von slawischen Stämmen umringt, was für ein „Wir-gegen-Sie“ Gefühl und dem Wunsch nach Homogenität geführt hat, was sich bis heute gehalten hat.
Ich bin nicht ganz so optimistisch, dass sich so lokale begrenzen lässt, kann der abstrakten These aber etwas abgewinnen. Vermutlich reicht hier eine gewisse geografische Isolation aus, um solche Effekte zu fördern.

Insgesamt bin ich daher ziemlich pessimistisch und ratlos.

Ich fürchte, dass AFD & Co diesen Wunsch nach Homogenität nutzen, gleich das ganze liberale politische System abzuschaffen. Oder umgekehrt, dass moderate Parteien irgendwann vor der Wahl stehen, fremdenfeindlich zu agieren, um die liberale Demokratie zu retten.

Man kann sich natürlich überlegen, wie die tiefgreifende kulturelle Fremdenangst überwunden werden kann. Aber uns läuft einfach die Zeit davon.

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Zwar halte ich historische Erklärungen, wie du sie heranziehst, für shaky. Aber aus Gründen der Psychologie und der Einstellungsforschung gebe ich dir bzgl. deiner Grundannahme recht.

Dennoch würde ich argumentieren, dass die Munitionierung mit Gegenargumenten zum einen einen positiven ‚Selbstimmunisierungseffekt‘ beim andern Teil der Bevölkerung haben kann und zum anderen durchaus ein Stück weit dabei helfen kann, dass Leute, die (noch) nicht ausgeprägt xenophob oder rassistisch sind, nicht abrutschen.

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@1: Ich würde die Grundannahme hinterfragen, ob es einen ontologischen Wunsch nach Homogenität gibt. Wenn es aber kulturell adaptiert ist, dann geht es dabei immer auch um Hegemonie. Du liest eine Person als x, die will das aber vllt. gar nicht sein. Du+Kumpels bestimmen das in der Situation für ihn, Das ist also eine Machtfrage. Gleiche Personen ihr Fahrt Bahn und die Person kontrolliert die Tickets. Die Kontrolle vverweigern mit Begründung er sei doch x wird Schwierigkeiten bedeuten. Andere Machtstruktur.

Allein schon die Tatsache, dass Herkunft diskursiv den sozialen Status überlagern kann macht es für als sozial marginalisiert empfindende Gruppen so attraktiv. Deswegen ist die Kategorie „Arbeiter“ in der Wahlanalyse auch so irreführend, weil i.d.R. Geringverdiener gemeint sind.

q2: Gerade dieses anger displacement ist doch ein starker Indikator dafür, dass Fremdenfeindlichkeit das Symptom ist, nicht die Ursache. Damit wäre das Problem gerade eben behebbar. Nur wird in D und Europa quasi die genau entgegengesetzte Politik betrieben.

Ich behaupte doch: Fremdenfeindlichkeit ist eine inhärente (kulturelle) Eigenschaft des Menschen. Man kann dagegen arbeiten, aber ein gewisser Grundprägung bleibt. Und die Anpassungsprozesse dauern sehr lange.

Wieso bin ich der Meinung:

Glaubt man Anthropologen, wurden in prähistorischen Zeiten und bei Wildbeutern Fremde als potenzielle Gefahr wahrgenommen. Begegnete eine Gruppe einzelnen Fremden, wurden diese in der Regel getötet. Gewalt zwischen Gruppen war weit verbreitet. Die Wahrscheinlichkeit eines gewaltsamen Todes zu sterben, deutlich höher als heute.
Nachzulesen z.B. bei Jahren Diamond „Vermächtnis“. So gesehen ist der Urzustand näher bei Hobbes als bei Marx.

Fremdenfeindlichkeit ist auch in anderen Gegenden weit verbreitet. Japaner und Chinesen sind auf jeweils ihre Art misstrauisch gegenüber Fremden bis hin zu rassistisch. Der transatlantische Sklavenhandel war nicht zu letzt deshalb möglich, weil afrikanische Stämme sich gegenseitig bekämpft haben. Die ganzen biblischen Regeln eine Methode Insider vs. Outsider zu unterscheiden.

Letztendlich ist eine der größten zivilisatorischen Fortschritte darin zu sehen, dass Menschen einander auch als gleichwertig ansehen, obwohl sie anders aussehen, sprechen oder sich verhalten. Man darf nicht vergessen, dass diese Errungenschaften namens Menschenrechte keine 200 Jahre alt sind und sich keinesfalls überall bereits durchgesetzt haben. So richtig gleiche Rechte sind erst in den Bürgerrechtsbewegungen der 60er und 70er Jahre erreicht worden. Ja, das war primär in Amerika. Man darf aber nicht vergessen, dass Europa damals noch homogener war. Oder sich das einbildete. Die Errungenschaften der Bürgerbewegung haben wir dann stillschweigend übernommen, als Diversität bei uns ein Thema wurde, weil klar wurde, dass die Gastarbeiter bleiben werden. Aber in Ostdeutschland hat dieser Prozess z.B. nicht stattgefunden.

Ich denke, dass Fremdenfeindlichkeit überwindbar ist, weil es eher (wenn auch sehr tief) „nur“ kulturell verankert ist. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es eine genetische Disposition gibt, dafür gibt es einfach auch zu viele tolerante Menschen.
Wenn die Gesellschaft sich dazu verpflichtet und daran arbeitet, ist Fremdenfeindlichkeit überwindbar oder sehr stark zurückdrängbar. Das hat etwas den Unterton vom „neuen Menschen“ oder „Volkserziehung“. Aber das Gegenteil: Das Fremde als Gefahr zu sehen, ist ja auch eine Art „Volkserziehung“.

Leider dauert dieser Prozess sehr lange. Ich fürchte, uns läuft einfach die Zeit davon.

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Jared Diamond ist kein Anthropologe und tatsächlich wurde das von dir empfohlene Buch von Anthropolog*innen scharf kritisiert.

Du beschreibst schon eher den Naturzustand bei Hobbes als den Naturzustand bei Locke. Von Diskussionen über einen Urzustand bei Marx oder Rawls würde ich das aber abgrenzen wollen. Letztlich versuchen Hobbes und Locke mit ihrem Naturzustand etwas anderes zu beschreiben als Marx und Rawls mit ihrem Urzustand, die Terminologie ist daher durchaus relevant. (Aber vielleicht sollten wir das eher in einem Seminar zur politischen Philosophie diskutieren ^^)

Das ist durchaus korrekt, wir sind, historisch betrachtet, weit gekommen.

Andererseits darf man auch nicht vergessen, dass die größten rassistischen Katastrophen (allen voran natürlich der Genozid an den Juden, aber durchaus auch die Segregation in den USA mit ihren bis heute anhaltenden Folgen), gerade in diese Zeit des Fortschritts fielen.

Das ist ja letztlich das gesamte Problem an der Debatte: Fortschritt (den es die letzten 200 Jahre definitiv gab!) führt zu Veränderung und Veränderung führt zu Widerstand - und das kann, wie unter den Nazis oder im amerikanischen Bürgerkrieg, ganz schnell eskalieren. Am Ende haben sowohl im zweiten Weltkrieg als auch im amerikanischen Bürgerkrieg die Seiten gewonnen, die für den Fortschritt waren - und ich teile deinen Optimismus, dass das auch in zukünftigen Kriegen so sein würde. Aber eigentlich wäre es mir sehr lieb, wenn es gar nicht erst zu solchen kriegerischen Eskalationen kommen würde.

Das Problem ist eben wie schon zu Zeiten des amerikanischen Bürgerkrieges, dass „die Gesellschaft“ kein monolithischer Block ist, sondern eben auch die Rassisten beinhaltet. Jeder Versuch, eine „gesellschaftliche Verpflichtung“ zu etablieren, führt - wie wir es aktuell vor allem in den USA sehen können - zu einem „Kulturkampf“ (was man auch in der Gender-Debatte in Deutschland leider beobachten kann), daher: die konservativen Teile der Gesellschaft leisten massiven Widerstand gegen „liberale“ gesellschaftliche Verpflichtungen. Genau diesen Kampf haben wir in Ostdeutschland in den Landtagswahlen leider gerade verloren.

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