Erneute Klimaschutzklage

Liebes Lage-Team,

gestern wurde bekannt, dass ein mehrere deutsche Umweltverbände gemeinsam eine neue Verfassungsbeschwerde für mehr Klimaschutz einreichen werden. Also Nicht-Jurist durchdringe ich das Thema eher unzureichend.

  • Warum benötigt es eine neuerliche Klage? Ist eine derartige Klage nicht bereits 2021 erfolgreich gewesen und deckt die damalige Entscheidung nicht bereits aktuelle Gesetzgebungsverfahren ab? Muss nun jedes Gesetz nach Verabschiedung verklagt werden, um die verfassungsrechtlich festgeschriebene Einhaltung der Klimaziele gerichtlich überprüfen zu lassen?

  • Wie lange benötigt die Prüfung der Klage bis zur Entscheidung des Verfassungsgerichts?

  • Welche konkreten politischen Implikationen könnte die Entscheidung des BVerfG haben?

  • Macht es einen juristischen Unterschied, ob sich der Klage 10, 10.000 oder 10.000.000 Menschen anschließen oder ist das „nur“ eine politisches Statement?

Mir würde es sehr helfen, wenn Ihr das juristisch und politisch einordnen könntet.

Herzlichen Dank!

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Siehe auch Klimaklage 2.0 vor dem BVerfG, dort ist die Aufzeichnung der BPK verlinkt, in der einige deiner Fragen beantwortet werden. Im Wesentlichen geht es um die KSG-Novelle von vor einem Jahr, mit der die Sektorziele abgeschafft und heute nötige Massnahmen weit in die 2030er Jahre verschoben werden.

Die Fragen von MBE habe ich auch…

Ok, ich antworte nochmal mit dem was ich sinngemäß aus der BPK heraushören konnte,

„Warum benötigt es eine neuerliche Klage? Ist eine derartige Klage nicht bereits 2021 erfolgreich gewesen?“

Ja, die erste Klimaklage vor dem BVerfG war erfolgreich, aber die BuReg hat das ignoriert und stattdessen das Klimaschutzgesetz mit der KSG-Novelle abgeschwächt bzw. „entkernt“ (Abschaffung der Sektorziele, Abschwächung der Verpflichtungen, Aufschieben der Maßnahmen in die Zukunft). Diese zweite Klimaklage richtet sich explizit gegen die KSG-Novelle.

„Welche konkreten politischen Implikationen könnte die Entscheidung des BVerfG haben?“

Wenn das BVerfG die KSG-Novelle als verfassungswidrig einstuft, dürfte diese nicht in Kraft treten, und v.a. das Verkehrsministerium wäre gezwungen, Sofortmaßnahmen zur Emissionsreduktion auf den Tisch zu legen. (Fun fact, die KSG-Novelle ist noch gar nicht in Kraft getreten, so dass das BMDV nach Gesetzeslage eigentlich schon längst dazu verpflichtet wäre - aber Scholz hat direkt nach Beschluss der KSG-Novelle Wissing einen Freifahrtschein erteilt - keine große Überraschung, schließlich hat unser „Klimakanzler“ die Abschaffung der Sektorziele selbst vorangetrieben).

„Macht es einen juristischen Unterschied, ob sich der Klage 10, 10.000 oder 10.000.000 Menschen anschließen oder ist das „nur“ eine politisches Statement?“

Laut Aussage in der BPK glauben die Kläger nicht, dass die Richter sich in ihrer Entscheidung davon beeinflussen lassen - sie bieten das eher aus psychologischen Gründen an, damit Menschen, die an Klimaschutz und der Umsetzung völkerrechtlich bindender Verträge interessiert sind, sich nicht komplett ohnmächtig und hilflos fühlen.

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Liebes Lageteam, danke, dass ihr über die Klimaklage berichtet habt. Ich hätte nur eine wichtige Ergänzung: es werden nicht 2, sondern 3 Klagen eingereicht. Neben der DUH (deutschen umwelthilfe) und Greenpeace werden auch der Solarenergie Förderverein (SFV) / BUND eine Klage einreichen. Ich werde eine der EinzelklägerInnen sein. Kerstin Lopau, die auf der Bundespressekonferenz die KlägerInnen vertreten hat kommt von unserer Seite. Wir werden unabhängig von der Klimaschutzgesetznovelle Klagen und hinter dem Verband stehen 4 EinzelklägerInnen.
Auch die erste Klage, die gewonnen wurde wurde unter anderem vom SFV und BUND eingereicht. Das wird leider in den Medien oft vergessen, insbesondere der unbekanntere Verein Solarenergie Förderverein. Das finde ich natürlich schade :wink:.
Weitere Infos findet ihr unter anderem unter unserer Website Klimaklage 2.0

Solltet ihr noch Fragen haben meldet euch gerne bei mir, wir freuen uns wenn wir neben dem Riesen DUH und dem PR Meister Greenpeace auch genannt und wahrgenommen werden. Aber am wichtigsten ist uns natürlich das Ergebnis: mehr und konsequenten Klimaschutz.

Danke! Mareike

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Liebes Lage-Team,

Ich würde gern etwas zu dem leicht schiefen Bild, das von den Klima-Verfassungsbeschwerden in der entsprechenden kürzlich erschienen Folge gezeichnet wurde, hinzufügen.

Es fällt auf, dass aufgrund einer Bewertung ausschließlich der jeweiligen Formalien die eine Beschwerde der anderen gegenüber als unterlegen dargestellt wird. Es wird gar von „Quatsch“ geredet und wenn Klimaklage, „dann bitte richtig“. Man gewinnt so leicht den Eindruck, dass die Verfassungsbeschwerde ein rein formaler Akt sei, der durch Anwält:innen „einfach so“ erhoben werden kann. Das wird der Bedeutung nicht gerecht und lenkt von den validen Inhalten ab. Das Argument ist rein strategischer Natur und nicht juristisch. Und juristisch hatten diverse „Sammel“-Klagen vor dem BVerfG in der Vergangenheit Erfolg. Der Eindruck wird auch nicht unbedingt dadurch besser, dass die Anmoderation so verstanden werden kann, dass eine solche Klage eure Idee in einer der letzten Folgen war und die Zivilgesellschaft diese nunmehr aufgegriffen hat.

Es wäre schön, wenn das differenzierter dargestellt werden könnte, was der Qualität des von mir sonst geschätzten Podcasts gerecht würde. Und dabei nicht die einen Akteure gegen die anderen ausgespielt würden, denn es werden sich ergänzende und auf Kooperation beruhende Ansätze verfolgt.

Noch schöner wäre es aber, den inhaltlichen Ansätzen das angemessene Gewicht zukommen zu lassen. Die einzelnen Beschwerden unterscheiden sich im Streitgegenstand erheblich. Die GP/GW-Beschwerden richten sich nicht allein gegen die Änderung des KSG, sie haben vielmehr mehrere Anträge und eine in einem hohen Zeitaufwand und unter klimawissenschaftlicher Begleitung konzipierte rechtliche Argumentation. Sie zielen 1. auf mehr Ambition, auch nach dem alten KSG, denn das deutsche Budget ist – gemessen an der 1,5°C-Grenze, die der Straßburger Menschengerichtshof bestätigt hat – leer, und gemessen an der 1,75°C-Schwelle, die das BVerfG 2021 angesetzt hatte, fast leer, und auch mit dem alten KSG bleibt es dabei. 2. entsteht unabhängig von der Novelle ein eigener Verfassungsverstoß durch den Verkehrssektor, den es aufzuhalten gilt. 3. ist in die Verf-Beschwerde ein sozialökologischer Transformationsansatz tief integriert, den auch ihr einfordert - davon wurde in Klimaklagen bisher eher weniger thematisiert. Und nur 4. wird die Novelle des KSG angegriffen.

Und eine Anmerkung zur Kritik an der Art und Weise der Erhebung: Hier wird eine vermeintliche bürokratische Hürde beim im Zweifelsfall am besten auszustattenden Gericht Deutschlands gegenüber dem jede:r Person verbürgten Recht auf eine Verfassungsbeschwerde mit starken Worten höher bewertet, und das auf einer persönlichen Erfahrungsbasis von 2008. Warum im Jahre 2024 eine Vielzahl von Eingaben etwa in einer Klage gegen einen Planfeststellungsbeschluss beim BVerwG kein größeres organisatorisches, personelles und IT-Problem darstellt, bei der Verteidigung individueller Grundrechte aber schon, erschließt sich mir nicht. Demgegenüber ist eine zentrale Organisation gegenüber zig Einzelklagen individueller Personen aus meiner Sicht für die Vermeidung unnötiger Arbeit sogar vorzugswürdiger, wozu hier ja auch schon offenbar einmal aufgerufen wurde.

Ich würde mich freuen, wenn das in einer kommenden Folge klargestellt wird.

Liebe Grüße
John Peters

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Warum die Vielzahl der Klärger für das Verfassungsgericht und die dort arbeitenden Menschen ein Problem darstellt, wurde ja recht differenziert erklärt. Dass darüber der Klageinhalt ein wenig kurz gekommen ist, weißt ja auf die Problematik in gewisser Weise schon hin :wink:

Was mich interessieren würde: Das BVerfG ist das höchste deutsche Gericht, seine Beschlüsse können höchstens vor europäischen Gerichten angefochten werden. Wenn jetzt die Richter des BVerfG merken, dass die Vorschriften der deutschen Prozessführung zu einem Problem werden (weil zum Beispiel bei einer Massenklage alle Kläger immer alle Schriftsätze zugestellt bekommen müssen), warum ändert es diese Vorschriften dann nicht einfach unilateral?

Wer sollte die Richter beispielsweise hindern festzulegen, dass bei einer Massenklage einfach eine passwortgeschützte Webseite eingerichtet wird, auf der sich die Kläger alle Unterlagen runterladen können? „Im Original“ werden sie nur noch den Anwälten zugestellt. Klar, entspricht vermutlich nicht der Prozessordnung, aber wer solle dem BVerfG in so einem Fall sagen, dass das nicht in Ordnung ist?

Kannst Du uns erklären, wieso man sich entschlossen hat Einzelklagen zu führen anstatt sich zusammen zu tun?

Nicht die Vorschriften sind das Problem, sondern die Massenklage. Die Leute sollten es einfach sein lassen. Es reicht völlig, wenn eine Handvoll gut ausgewählter Menschen eine Verfassungsbeschwerde erhebt. Alle anderen können sich meinetwegen gerne solidarisieren oder spenden.

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Richtig, allerdings nicht, weil es Massenklagen waren, sondern eher trotz der vollkommen unnötigen Belastung des Gerichts durch ein Massenverfahren. Das sollte man endlich einmal sein lassen. Eine Verfassungsbeschwerde ist kein Plebiszit, ganz abgesehen davon, dass selbst ein Verfahren mit 100.000 Beschwerdeführenden nur ein paar Promille der Bevölkerung repräsentieren würde.

Mit Verfassungsbeschwerde kenne ich mich zufälligerweise wirklich aus, und es gibt einen guten Grund dafür, warum die Gesellschaft für Freiheitsrechte niemals Massenverfahren führt, sondern immer Beschwerdeführende nach sachlichen Kriterien auswählt. Unsere Erfolgsbilanz spricht für sich.

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