Zurück zur Wehrpflicht?

Eine weitere Meinung und eine Umfrage zum Thema:

  1. Der Generalinspekteur der Bundeswehr (der ranghöchste Soldat), dem ich mal unterstellen würde Ahnung von seinem eigenen Laden zu haben, ist gegen eine Wehrpflicht:

„Die Wehrpflicht so, wie wir sie noch kennen, ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich […] Wir brauchen gut ausgebildetes, in Teilen sogar hoch spezialisiertes Personal, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken.“

Dabei verwies er darauf, dass für die Bundeswehr Massenstreitkräfte mit einer Wehrpflicht für einen ganzen Jahrgang sowohl aus strukturellen als auch aus finanziellen Gründen nicht (mehr) machbar seien.
Darüber hinaus geht es bei einer Wehrpflicht offenbar um viel weniger Soldaten als angenommen, da es wahrscheinlich einen gleichgestellten Zivildienst gäbe:
„Wenn also politisch entschieden würde – was ich derzeit nicht sehe – , dass es wieder einen Pflichtdienst geben soll, dann sollte dieser nicht nur für die Bundeswehr gelten, sondern für alle sozialen Dienste in der Zivilgesellschaft. Ich könnte dabei jährlich 10.000 junge Menschen gewinnbringend in unser System integrieren.“

  1. Das Problem mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr wird nicht durch eine Wehrpflicht gelöst, wie manchmal behauptet wird (Argument angebliche Durchmischung). Da es immer die Möglichkeit für den Zivildienst geben wird, werden auch bei einer Wiedereinführung tendenziell „die üblichen Verdächtigen“ zur Bundeswehr gehen. Ganz grundsätzlich muss eine Wehrpflicht als fundamentaler Grundrechtseingriff aber auch besser begründet werden als mit einer angeblichen Wirkung gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr und das Problem Rechtsextremismus muss zielgerichteter angegangen werden.

  2. Die Begündung für die Wehrpflicht müsste sicherheitspolitisch sein, um diesen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Für den Fall der Bündnisverteidigung in EU oder NATO, dem einzig realistischen Szenario, werden aber Soldaten gebraucht, die (potentiell mit den anderen Mitgliedsstaaten zusammen) koordiniert an technischen Spezialgeräten handeln können, keine Zivilisten die mal ein Jahr lang schießen gelernt haben. Dazu Prof. Carlo Masala:

„Die militärische Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts wird geführt von in hohem Maße professionalisierten Streitkräften, wo Soldaten ein technisches Gerät bedienen an dem sie im Prinzip Jahre lang ausgebildet werden müssen. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht lässt sich meines Erachtens nach nur dann sicherheitspolitisch begründen, wenn wir eine direkte territoriale Bedrohung haben. Die haben wir nicht das muss man ganz einfach sagen.“

„Wir können gern über die Wiedereinführung der Wehrpflicht reden, wenn jedem klar ist, dass sie a) zwischen 15-20 Monaten dauern muss (komplexe Waffensysteme) und b) Milliarden kosten wird, weil Strukturen, Personal und Material dafür fehlen.“

  1. Strukturen und Kosten: Die gesamten Organisationsstrukturen und die Infrastruktur für die Wehrpflicht msüssten neu aufgebaut werden. Das würde Jahre dauern und Milliarden kosten. Dieses Geld könnte die Bundeswehr auch für wichtigere Dinge einsetzen (zB für Funkgeräte, die jünger als 40 Jahre alt sind). Darüber hinaus: Eine wiedereingeführte Wehrpflicht müsste wohl Männer und Frauen gleichermaßen betreffen, um verfassungskonform zu sein. Die Infrastruktur müsste also noch mehr Menschen stemmen können. Das Geld müsste an anderer Stelle im Militär eingespart oder der Bundeswehr zusätzlich bereitgestellt werden (auf welchen Seiten würde es dann im Staatshaushalt eingespart?)
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Die Wehrpflicht, die wir zu Zeiten des Kalten Krieges hatten, mit dem Ziel der Landes- und Bündnisverteidigung, war zu ihrer Zeit berechtigt, da der Warschauer Pakt direkt an unserer Grenze stand. Waffensysteme wie Marder und Leo 1 und auch Leo2 waren für Wehrpflichtige zumindest grundlegend erlernbar.
Die Aussetzung der Wehrpflicht selbst war politisch zu seiner Zeit völlig berechtigt, und gesellschaftlich akzeptiert.
Der Fehler war eher, nicht konsequent auf eine gut ausgerüstete, gut ausgebildete und als Arbeitgeber attraktive Berufsarmee zu setzen.
Stattdessen wurde die Bundeswehr zu einer maximal für leichtbewaffnete Auslandseinsätze im Stile UN runtergefahren und unter eher finanziellen Prioritäten runtergespart.
Eine neue, evt angepasste Wehrpflicht löst diese Problematik ja nicht. Primär müssen erst professionelle Strukturen einer Berufsarmee mit klarem Auftrag geschaffen bzw optimiert werden. Parallel die nötige Ausrüstung zur Erfüllung des Auftrages beschafft werden, samt Logistik, Munition, Ersatzteilen. Die Rüstungsindustrie muss klare, zeitlich terminierte Aufträge bekommen, und Produktionskapazitäten primär für die Bundeswehr vorhalten können.
Die Personalgewinnung wäre dann ein weiterer Schritt.

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Ich halte eine Wehrpflicht auch für problematisch, da die Bevölkerung doch so groß ist, dass die Bundeswehr in ihrer jetzigen Form die vielen Wehrpflichtigen gar nicht sinnvoll verwenden kann. Rein anekdotisch aus meiner Zeit: 1999 haben ich in einem Stab mit anderen W10ern die Hälfte der Zeit in einer Geschäftsstelle abgehangen und gewartet bis die Post kam.

Aus dieser Erfahrung heraus denke ich, dass es schon sinnvoll ist, die Bundeswehr für Freiwillige attraktiver zu machen. Einerseits gewinnt man so junge Leute, die Bock darauf haben, andererseits muss man nicht lustlose „Zwangsrekrutierte“, für die man eigentlich keine Verwendung hat, irgendwie bespaßen.

Der Vorschlag, weiter ober zur Reserve genannt, hat mir echt gut gefallen. Wenn ich die Leute nicht zwangsläufig zum Vollzeit-Wehrdienst einberufe, sondern eine Art grundständige freiwillige Reserve aufbaue, indem ich z.B. statt Vollzeit-Wehrdienst eine Reihe von Wochen(end?)kursen anbiete ähnlich wie z.B. bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem THW. So kann ich Menschen niedrigschwellig abholen und ihnen bestimmte militärische Grundfertigkeiten antrainieren. Man wird so zwar vermutlich keine funktionsfähige Leopard-2-Besatzung bekommen. aber mal ehrlich, jemand der mit 20 Jahren als W10er auf nem Panzer war, der kann das nach 10 Jahren mit 30 Jahren auch nicht mehr ohne kontinuierliche Reserveübungen.