Zurück zur Wehrpflicht?

Vielleicht können wir diese nicht-militärischen Zwangsdienste aus diesem thread raushalten? Abgesehen davon, dass ich persönlich davon, von RDP und AKK, Pickel bekomme, ist das in einen anderen Thread mehr als ausdiskutiert.

Mich interessiert die Frage, wie wir unseren Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung leisten können, wenn die USA sich auf den Pazifik konzentrieren.

Ich denke, man muss sich klar sein als Gesellschaft in Deutschland, was man will.

  1. Den Staatsbürger/in in Uniform, also Väter/Mütter, Söhne/Töchter/divers, die im Falle eines noch so unwahrscheinlichen Falle Leib und Leben für Deutschland aufs Spiel setzen.

  2. Oder eine bezahlte Söldner-Armee wie die Fremdenlegion oder Gruppe Wagner, die uns die „Drecksarbeit“ gegen Geld abnehmen und deren Schicksal uns dann egal sein kann.

Sehr drastisch formuliert.

Wenn diese Frage beantwortet ist, kann nan überlegen, ob man eine Bundeswehr überhaupt braucht und wenn ja, in welcher Form.

Aktuell ist die Bedrohungslage gering, aber wer garantiert uns, das es so bleibt?

Und Diplomatie uns immer hilft?

Ich bezog mich damit auf deinen Post und die im verlinkten Artikel vorgebrachten, allgemeinen Argumente gegen Zwangsdienste und hab es ja explizit mit dem Militärdienst verbunden.
Abgesehen davon: Wenn man die Wehrpflicht wieder einführt, kommt man ja kaum umhin, auch eine zivildienstliche Alternative wieder einzuführen (die im Spiegel-Artikel genannten Zahlen legen ja nahe, dass viele Leute verweigern würden^^). Konzentration auf’s Militärische gern, aber ohne Bedenken der gesamtgesellschaftlichen Folgen ist die Diskussion mE nicht vollständig.

Ich denke, da ist zwei Mal eine irreführende Binarität drin:

  1. Zwischen Staatsbürger:innen in Uniform und einer Gruppe Wagner gibt’s eine ganze Menge Möglichkeiten. U.a. eine Berufsarmee mit ggf. ergänzenden Freiwilligen, die über verschiedene Kanäle in der Bevölkerung verankert ist.
  2. Man muss als Alternative zur allgemeinen Wehrpflicht ja nicht tatenlos Abwarten, bis eine Bedrohung vor der Haustür steht. Entscheidend ist, ob der volkswirtschaftliche und gesellschaftliche Aufwand im Verhältnis zum Ertrag steht. Und letzterer bemisst sich nun mal auch an der aktuell absehbaren Bedrohungslage. Politiken sind nicht in Stein gemeißelt und heute eine Wehrpflicht abzulehnen, heißt nicht, dass das dann für immer vom Tisch ist. Sie ist ausgesetzt, gilt also auch ohne Gesetzesänderung im Spannungsfall (§ 2 WPflG), den der Bundestag laut Art. 80a GG mit Zweidrittelmehrheit beschließen kann.
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Wie ich ja sagte, mal sehr drastisch formuliert.

Im Grunde war es so, das in Deutschland ab Mitte der 90er eine Armee nicht mehr als notwendig erachtet wurde. Angesichts der damaligen Weltlage durchaus nachvollziehbar.
Folge war eine signifikante Reduzierung der Bundeswehr sowie die Aussetzung dee Wehrpflicht.
Gesellschaftlich dachte man eher in Richtung eines bewaffneten THW, der in den Krisen der Welt mit leichter (und günstiger) Ausrüstung Brunnen bohrt, Frauen und Kinder beschützt und die Segnungen der westlichen Hemisphäre in die Welt trägt. Wäre das so weitergegangen, wäre eine Auflösung der Bundeswehr durchaus realistisch gewesen.
Afghanistan hat gezeigt, das diese Vorstellung nicht so richtig funktioniert, und Russland hat uns bewiesen, das Krieg imner nochcein beliebtes Stilmittel der Politik ist.
Das war nun so ein Wechsel der Politik, wie du ja richtig beschreibst.
Nun müssen wir in Deutschland nur überlegen ob wir bereit sind uns selbst zu verteidigen (wann und wogegen auch immer), oder ob wir uns auf andete verlassen und nur Geld und Waffen bereitstellen.
Bei ersterem ist die Wehrpflicht in aktalisierter Form wie auch Reservisten eine Option.
Ob alle Bürger/innen bereit sind, für dieses Land einzutreten, mag man zu recht bezweifeln.
Aber eine Mehrheit doch bestimmt, oder?

Klar braucht man einen Zivildienst, wenn man einen Wehrdienst will. Aber das ist ein ganz anderes Thema, als die Volkserziehungsfantasien der genannten Leute.

Die von Dir wahrgenommenen Tendenzen sehe ich zwar. Das rechtfertigt aus meiner Sicht nicht diese drastische Formulierung. Ich halte die Bündnisverteidigung für deutlich wichtiger als die „einsame“ Landesverteidigung und die russische Invasion zumindest auf Europa bezogen für einen Ausreißer (wenn Du dem entgegenstehende Aussagen von Fachleuten kennst, gern her damit!), der freilich Eskalationspotenzial beinhaltet und auch noch mittelfristig anhalten wird. Daher muss mE de Schwerpunkt darauf liegen, das dafür Nötige bereitzustellen. Zudem müssen wir uns nicht gegen „was auch immer“ verteidigen. Eine darauf gebaute Verteidigungspolitik würde ggf. sogar destabilisierend wirken, denn gegen unsere EU- und NATO-Partner müssen wir uns nicht verteidigen, vielmehr unsere Verteidigungsfähigkeit mit ihnen integriert herstellen (ich vermute, ein solches Szenario war mit deinem „wogegen auch immer“ nicht gemeint, aber es verdeutlicht das Problem mit dieser omnipräsenten Bedrohung als Grundannahme).
Dann ist allgemeiner Wehrdienst immer noch eine Option, da stimme ich zu, aber es muss priorisiert werden. Da Wehrdienst enorme volkswirtschaftliche Ressourcen und „betriebswirtschaftliche“ Ressourcen der BW bei demographischer Mangellage bindet, gibt es aus meiner Sicht vorzugswürdige Optionen.

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Wäre da eine europäische Lösung nicht zielführender, auch in Bezug auf Ressourcen?

Was meinst Du genau? Beim Wehrdienst bzw. der Verbesserung der Personallage? Interessanter Gedanke.

Ja, im Grunde die europäischen Ressourcen auf allen möglichen Ebenen bündeln.
Da müssten nationale Belange natürlich zurücktreten…was wohl das grösste Hemmnis wäre.

Hat Frankreich da nicht mehrfach Vorschläge in die Richtung gemacht und ist von Deutschland zurückgewiesen, um nicht zu sagen brüskiert, worden?

Möglich. Da ist dann leider wieder die sehr nationale Sichtweise der europäischen „Gemeinschaft“

Möglich, aber ehrlich gesagt finde ich dazu gerade nichts. Die Wikipedia spricht zumindest davon, dass Merkel 2018 dafür war. Gegenstimmen kommen danach vor allem von der USA und der NATO.

Mir ist aktuell aber unklar, wie eine solche europäische Armee sich tatsächlich im Konfliktfall verhalten sollte. Erinnert sich noch jemand an den Irak-Krieg 2003? Etwa die Hälfte der EU-Staaten unterstützte die Koalition der Willigen damals. 1/3 der EU Staaten unterstützte die Militärintervention in Libyen 2011. Beides waren sehr umstrittene Kriege und sind noch nicht lange Geschichte.

Wie sichert man sich dagegen ab, in solche Kriege nicht hereingezogen zu werden und behält trotzdem die Schlagkraft und Entscheidungsstärke einer solchen Armee bei? Ich bin da noch etwas ratlos.

Also vor fünf Jahren gab es einen entsprechenden Vorstoß von Macron. Das war es, was ich im Hinterkopf hatte:

Im aktuellen EU-Modell steht in meinen Augen außer Frage, dass wenn eine solche Armee gebildet würde, was eh schon sehr schwierig ist, sie ausschließlich konsensual eingesetzt werden könnte.

Das steht auch in der Wikipedia. Mich wundert deine Behauptung Deutschland hätte die Idee abgewatscht. Merkel hat sie damals ausdrücklich unterstützt.

Und damit hätte sie halt keine Schlagkraft. Jeder Einsatz würde tot diskutiert. Damit wäre es eine rein repräsentative Armee.

Ich glaub, das wird so langsam zu sehr off topic, um das hier weiter zu verfolgen, aber nur für die Klarstellung, ich meinte mit brüskieren nicht, dass Merkel Macron abgewatscht hätte, sondern eigentlich noch schlimmer, dass Deutschland Frankreichs Ideen ignoriert (Macrons Pläne zur Erneuerung der EU wurden in Deutschland kaum ernsthaft diskutiert). Du hast aber Recht, Merkel hat den Ball von Macron bei der EU-Armee zumindest öffentlich aufgenommen und die Idee unterstützt, das hatte ich einfach anders in Erinnerung.

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Eine weitere Meinung und eine Umfrage zum Thema:

  1. Der Generalinspekteur der Bundeswehr (der ranghöchste Soldat), dem ich mal unterstellen würde Ahnung von seinem eigenen Laden zu haben, ist gegen eine Wehrpflicht:

„Die Wehrpflicht so, wie wir sie noch kennen, ist in der jetzigen Situation nicht erforderlich […] Wir brauchen gut ausgebildetes, in Teilen sogar hoch spezialisiertes Personal, um das gesamte Aufgabenspektrum abzudecken.“

Dabei verwies er darauf, dass für die Bundeswehr Massenstreitkräfte mit einer Wehrpflicht für einen ganzen Jahrgang sowohl aus strukturellen als auch aus finanziellen Gründen nicht (mehr) machbar seien.
Darüber hinaus geht es bei einer Wehrpflicht offenbar um viel weniger Soldaten als angenommen, da es wahrscheinlich einen gleichgestellten Zivildienst gäbe:
„Wenn also politisch entschieden würde – was ich derzeit nicht sehe – , dass es wieder einen Pflichtdienst geben soll, dann sollte dieser nicht nur für die Bundeswehr gelten, sondern für alle sozialen Dienste in der Zivilgesellschaft. Ich könnte dabei jährlich 10.000 junge Menschen gewinnbringend in unser System integrieren.“

  1. Das Problem mit Rechtsextremismus in der Bundeswehr wird nicht durch eine Wehrpflicht gelöst, wie manchmal behauptet wird (Argument angebliche Durchmischung). Da es immer die Möglichkeit für den Zivildienst geben wird, werden auch bei einer Wiedereinführung tendenziell „die üblichen Verdächtigen“ zur Bundeswehr gehen. Ganz grundsätzlich muss eine Wehrpflicht als fundamentaler Grundrechtseingriff aber auch besser begründet werden als mit einer angeblichen Wirkung gegen Rechtsextremismus in der Bundeswehr und das Problem Rechtsextremismus muss zielgerichteter angegangen werden.

  2. Die Begündung für die Wehrpflicht müsste sicherheitspolitisch sein, um diesen Grundrechtseingriff zu rechtfertigen. Für den Fall der Bündnisverteidigung in EU oder NATO, dem einzig realistischen Szenario, werden aber Soldaten gebraucht, die (potentiell mit den anderen Mitgliedsstaaten zusammen) koordiniert an technischen Spezialgeräten handeln können, keine Zivilisten die mal ein Jahr lang schießen gelernt haben. Dazu Prof. Carlo Masala:

„Die militärische Auseinandersetzung des 21. Jahrhunderts wird geführt von in hohem Maße professionalisierten Streitkräften, wo Soldaten ein technisches Gerät bedienen an dem sie im Prinzip Jahre lang ausgebildet werden müssen. Die Wiedereinführung der Wehrpflicht lässt sich meines Erachtens nach nur dann sicherheitspolitisch begründen, wenn wir eine direkte territoriale Bedrohung haben. Die haben wir nicht das muss man ganz einfach sagen.“

„Wir können gern über die Wiedereinführung der Wehrpflicht reden, wenn jedem klar ist, dass sie a) zwischen 15-20 Monaten dauern muss (komplexe Waffensysteme) und b) Milliarden kosten wird, weil Strukturen, Personal und Material dafür fehlen.“

  1. Strukturen und Kosten: Die gesamten Organisationsstrukturen und die Infrastruktur für die Wehrpflicht msüssten neu aufgebaut werden. Das würde Jahre dauern und Milliarden kosten. Dieses Geld könnte die Bundeswehr auch für wichtigere Dinge einsetzen (zB für Funkgeräte, die jünger als 40 Jahre alt sind). Darüber hinaus: Eine wiedereingeführte Wehrpflicht müsste wohl Männer und Frauen gleichermaßen betreffen, um verfassungskonform zu sein. Die Infrastruktur müsste also noch mehr Menschen stemmen können. Das Geld müsste an anderer Stelle im Militär eingespart oder der Bundeswehr zusätzlich bereitgestellt werden (auf welchen Seiten würde es dann im Staatshaushalt eingespart?)
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Die Wehrpflicht, die wir zu Zeiten des Kalten Krieges hatten, mit dem Ziel der Landes- und Bündnisverteidigung, war zu ihrer Zeit berechtigt, da der Warschauer Pakt direkt an unserer Grenze stand. Waffensysteme wie Marder und Leo 1 und auch Leo2 waren für Wehrpflichtige zumindest grundlegend erlernbar.
Die Aussetzung der Wehrpflicht selbst war politisch zu seiner Zeit völlig berechtigt, und gesellschaftlich akzeptiert.
Der Fehler war eher, nicht konsequent auf eine gut ausgerüstete, gut ausgebildete und als Arbeitgeber attraktive Berufsarmee zu setzen.
Stattdessen wurde die Bundeswehr zu einer maximal für leichtbewaffnete Auslandseinsätze im Stile UN runtergefahren und unter eher finanziellen Prioritäten runtergespart.
Eine neue, evt angepasste Wehrpflicht löst diese Problematik ja nicht. Primär müssen erst professionelle Strukturen einer Berufsarmee mit klarem Auftrag geschaffen bzw optimiert werden. Parallel die nötige Ausrüstung zur Erfüllung des Auftrages beschafft werden, samt Logistik, Munition, Ersatzteilen. Die Rüstungsindustrie muss klare, zeitlich terminierte Aufträge bekommen, und Produktionskapazitäten primär für die Bundeswehr vorhalten können.
Die Personalgewinnung wäre dann ein weiterer Schritt.

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Ich halte eine Wehrpflicht auch für problematisch, da die Bevölkerung doch so groß ist, dass die Bundeswehr in ihrer jetzigen Form die vielen Wehrpflichtigen gar nicht sinnvoll verwenden kann. Rein anekdotisch aus meiner Zeit: 1999 haben ich in einem Stab mit anderen W10ern die Hälfte der Zeit in einer Geschäftsstelle abgehangen und gewartet bis die Post kam.

Aus dieser Erfahrung heraus denke ich, dass es schon sinnvoll ist, die Bundeswehr für Freiwillige attraktiver zu machen. Einerseits gewinnt man so junge Leute, die Bock darauf haben, andererseits muss man nicht lustlose „Zwangsrekrutierte“, für die man eigentlich keine Verwendung hat, irgendwie bespaßen.

Der Vorschlag, weiter ober zur Reserve genannt, hat mir echt gut gefallen. Wenn ich die Leute nicht zwangsläufig zum Vollzeit-Wehrdienst einberufe, sondern eine Art grundständige freiwillige Reserve aufbaue, indem ich z.B. statt Vollzeit-Wehrdienst eine Reihe von Wochen(end?)kursen anbiete ähnlich wie z.B. bei der Freiwilligen Feuerwehr oder dem THW. So kann ich Menschen niedrigschwellig abholen und ihnen bestimmte militärische Grundfertigkeiten antrainieren. Man wird so zwar vermutlich keine funktionsfähige Leopard-2-Besatzung bekommen. aber mal ehrlich, jemand der mit 20 Jahren als W10er auf nem Panzer war, der kann das nach 10 Jahren mit 30 Jahren auch nicht mehr ohne kontinuierliche Reserveübungen.