Zukunftsorientierte StVO-Reform?

Ist die StVO zu autozentriert? Gibt es zukunftsorientierte Reformvorschläge?

Anlass: Eilentscheidung des VG Berlin zu den Pop-Up-Radwegen
Wie schätzt ihr dort die Erfolgsaussichten in der Hauptsache ein?

2 „Gefällt mir“

Ich habe die Entscheidung des Verwaltungsgerichts noch nicht genau studiert, aber nach der Pressemitteilung zu schließen können die Pop-up Radwege durchaus bleiben, die Verkehrsverwaltung muss sich nur eine bessere Begründung einfallen lassen. Corona-Schutz scheint nicht zu zählen, es muss eine verkehrsbezogene Begründung her, beispielsweise dass die Straßen für Radfahrer ohne Radweg zu gefährlich sind.

Daher scheint mir diese konkrete Entscheidung wenig geeignet, um zu argumentieren, dass die Straßenverkehrsordnung Autos in den Vordergrund stelle.

1 „Gefällt mir“

So habe ich die PM des VG auch verstanden. Die Begründung muss sich auch jeweils auf die besonderen örtlichen Verhältnisse beziehen. Hier hat es wohl an einer ordentlichen juristischen Arbeit gefehlt.

Nichtsdestotrotz müsste man die StVO ggf. mal reformieren, aber da bin ich nicht im Thema und weiß nicht wo die genauen Schwachstellen liegen, die eine Verkehrswende “blockieren”.

Danke für die Antwort und beste Grüße
Ann-Kathrin

2 „Gefällt mir“

Doch nochmal zurück zum Thema: zumindest sieht der Sachverständigenrat für Umweltfragen die Autozentriertheit der StVO durch das Urteil des VG bestätigt: https://twitter.com/umweltrat/status/1303286309281239041?s=21

1 „Gefällt mir“

Ich glaube das Problem liegt i.e.L. im Vorgehen der Behörde: Sie hat die Pop-Up-Radwege auf § 45 StVO gestützt. § 45 ermöglicht Beschränkungen des Verkehrs durch Straßenschilder (z.B. durch Geschwindigkeitsbegrenzungen). Solche Verkehrsschilder dienen der Prävention von Gefahren, weshalb die Anforderungen an den Pop-Up-Radweg so hoch waren (§ 45 I, IX StVO).

Eine rechtssicherere Möglichkeit, Pop-Up-Radwege einzuführen, wäre möglicherweise die Teileinziehung der straßenrechtlichen Widmung gewesen (§ 4 BerlStrG). Man hätte dann die Widmung als „Autostraße“ zurückgenommen und stattdessen einen „beschränkt-öffentlichen-Weg“ (-> Fahrradstraße) geschaffen.

Das Ganze hat auch für den gerichtlichen Rechtsschutz sehr interessante Auswirkungen. Nach Rspr. des BVerwG besteht ein Abwehranspruch gegen rechtswidrige Beschränkungen des Gemeingebrauchs (BVerwGE 92, 32 ff.). Nur deshalb konnte der AfD-Abgeordnete überhaupt gegen den Radweg klagen. Wenn dagegen die Widmung als öffentliche Straße aufgehoben bzw. beschränkt wird, besteht kein Abwehranspruch. Das ergibt sich ausdrücklich aus § 10 II 2 BerlStrG („Auf Aufrechterhaltung des Gemeingebrauchs besteht kein Rechtsanspruch“).

Natürlich bleibt es trotzdem möglich, die Radwege auf § 45 StVO zu stützen. Die Anforderungen an die Rechtfertigung sind aber entsprechend höher und es besteht die Gefahr, dass weiterhin gegen die Beschränkung geklagt wird.

2 „Gefällt mir“

Interessant ist hierbei ja auch, dass es seit 2018 das Berliner Mobilitätsgesetz gibt.
Es müsste nur konsequent angewendet werden.

verstehe ich das richtig, dass Autoverkehr einen Gemeingebrauch darstellt und Radverkehr nicht? Das klingt intuitiv seltsam.

Weitere Anmerkung: eine Umwidmung zur Fahrradstraße (und zusätzliche Freigabe für Kfz) bedeutet dann auch Tempo 30. Ich kann mir vorstellen, dass einige PBLs an Straßen mit Tempo 50 sind (ohne das zu wissen). Ich frage mich auch, ob Durchgangs-LKW-Verkehr weiterhin möglich ist (nicht, dass ich den mag, aber noch muss er irgendwo lang).

Beides stellt einen Gemeingebrauch dar, im Gesetz:

Der Gebrauch der öffentlichen Straßen ist jedermann im Rahmen der Widmung und der Straßenverkehrsvorschriften innerhalb der verkehrsüblichen Grenzen gestattet (Gemeingebrauch).

Nicht berüht davon ist natürlich die Frage ob sich eine dreispurige Straße mit hoher Fahrleistung und viel Schwerlastverkehr (LKW) überhaupt als geeignet angesehen wird dort dem Gemeingebrauch Rad fahren nachzugehen wenn keine entsprechende Infrastruktur besteht. Und es gibt natürlich auch Straßen wo es entsprechend der verkehrsrechtlichen Beschilderung und Widmung nicht vorgesehen bzw. verboten ist.

Das Problem in dem Fall der Corona-Radwege in Berlin war nicht das man dort keine Radwege einrichten könnte, sondern das das Gericht die abstrakte Begründung mit Corona & Gesundheitsschutz nicht folgt. Deshalb geht der Berliner Senat (wenn ich da noch aktuell informiert bin) weiterhin dagegen vor.

Zu deinen Überlegungen sei noch erwähnt das „Pop up Radwege“ in Berlin wohl (meines Wissens nach) alle bei Tempo 50 liegen, da bei Tempo 30 die Einrichtung und Benutzung von Radwegen i.d.R. nicht rechtlich sauber möglich ist. Dies entsprecht auch meiner Erfahrung als ich letztens in Berlin war. Das Durchfahren mit LKWs ist auch in Fahrradstraßen mit entsprechenden Schild erlaubt - wenn gleich natürlich eine Fahrradstraße für so etwas nur begrenzt geeignet ist ohne dem eigentlichen Sinn zu widersprechen.

Mehr Hintergründe: