Wo hast du denn so etwas erlebt, wenn man fragen darf? Nach meinen Erfahrungen sind Universitäten eher links liberale Orte, die mit Rechtsextremismus oder Antisemitismus wenig zu tun haben.
Oder meinst du mit Antisemitisch nur Israel-kritisch? Das sollte man nämlich trennen.
Wie fördern den BMBF Gelder für Forschungsprojekte deiner Meinung nach antisemitische „Strukturen“ an deutschen Universitäten?
Häh? Das findet doch ständig in Deutschland statt. Denk nur mal an Pegida, HoGeSa oder AfD-Kundgebungen. Das findet (leider) alles in Deutschland statt und alles von der Meinungsfreiheit gedeckt.
Solche Veranstaltungen finden halt normalerweise nicht an Universitäten statt. Vermutlich weil es da am meisten potenzielle Gegendemonstranten gibt, wie ich oben schon erklärt habe.
Das stimmt alles - aber glaubst du ernsthaft hunderte Wissenschaftler hätten ein Plädoyer für die Meinungsfreiheit verfasst, wenn das Thema stark aus der rechten Ecke gekommen wäre? Zumal viele der Protestierenden gar keine Studenten waren.
Die Unterscheidung zwischen einer legitimen Kritik an Israel und Antisemitismus ist wichtig. So zu tun, als sei Kritik an Israel immer und notwendiger Weise etwas anderes als Antisemitismus, ist bestenfalls naiv. Nicht erst seit dem 7. Oktober spielt der israelbezogene Antisemitismus in Deutschland eine zentrale Rolle. Im Vergleich zu anderen Formen des Antisemitismus ist er auch besonders häufig in den politisch-kulturellen Milieus, die du beschreibst. Dass Liberale oder andere Menschen, die nichts mit Rechtsextremismus zu tun haben, automatisch keine antsemitischen Einstellungen haben können, ist jedenfalls ein Irrtum.
Gemeint war ja eine öffentliches Eintreten für das Recht auf diese Proteste von Menschen, die eben eher liberal bis links, eher antirassistisch etc. sind. Auf den Punkt gebracht: Würden Menschen, die das Recht Dritter unterstützen, für die Zerstörung Israels zu demonstrieren, in gleicher Weise z. B. auch für das Recht von Pegida-Demos eintreten?
Man muss aus meiner Sicht die bei der „Besetzung“ der FU gerufenen und auf Transparenten gezeigten Parolen gar nicht so schwarz-weiß bewerten - also entweder „Aufruf zum Völkermord“ oder völlig unproblematische Meinungsäußerung. Es reicht m. E. schon völlig, anzuerkennen, dass Rufe wie „From the river to the sea“ (bzw. die sehr viel eindeutigere arabische Version) oder Forderungen nach „Widerstand“ und „Intifada“ ohne eine gleichzeitige klare Abgrenzung Hamas & Co. die ähnliche Parolen nutzen, zumindest problematisch ist, auch wenn es von der Meinungsfreiheit gedeckt sein kann. Deswegen muss dann auch noch nicht alles ok sein, was ein Ministerium unternimmt, aber zumindest eine rechtliche Prüfung ist dann m. E. nicht mehr völlig abwegig. Und sich auf die Position zurückzuziehen, man mache sich mit dem Offenen Brief diese Forderungen und Parolen nicht zu eigen, finde ich dann eben auch fragwürdig - nicht mehr und nicht weniger.
Der Artikel ist hinter der Paywall. Daher die Highlights.
es gab einen Chat in der die Leitungsebene des BMBF sich abstimmt
die Ministerin Stark-Watzinger postete dort einen Post eines Berliner Politikwissenschaftlers, der ihr vorwirft mit hetzenden Worten kritische Wissenschaftler einzuschüchtern
die Ministerin erklärt, dass das Quatsch sei, aber man wegen der öffentlichen Wirkung wachsam sein müsse. Es dürfe daraus kein Narrativ werden
Minuten später schaltet sich Roland Philippi ein und erklärt, es gar nicht so schlecht zu finden, wenn sich „dadurch“ eine inoffizielle „freiwillige“ Antisemitismusklausel bei der Förderung „bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert“
Stark-Watzinger reagiert darauf nicht. Einen Tag später wird die bekannte Liste angefordert, auf der alle BMBF-geförderten Unterzeichner des offenen Briefs markiert werden sollen
Nachdem Staatssekretärin Döring ihren Posten räumen musste, wurde eben dieser Philippi ihr Nachfolger.
Man kann Stark-Watzingers schweigen im Chat durchaus als versteckte Zustimmung interpretieren. Das ist nicht unüblich auf Managerebene, wenn dieser sich nicht angreifbar machen möchte.
Dazu passt auch, dass Döring zur Sache öffentlich aussagen will, von ihrem ehemaligen Dienstherrn aber einen Maulkorb erhalten hat. Aktuell klagt sie gegen diesen Maulkorb gegen das BMBF.
wurde erklärt, dass man aus dem Ministerium Verwunderung höre, Döring hätte unabhängig von der Ministerin gehandelt. Normalerweise hätte Döring die Ministerin stets über alle Vorhaben informiert und Zustimmung abgeholt.
Das ist schon ein starkes Stück. Wenn man sich das Zitat des neuen Staatsministers mal in Gänze vor Augen führt:
„Persönliche Meinung: Wenn sich dadurch eine Art informelle, ›freiwillige‹ und selbst auferlegte Antisemitismus-Klausel für unsere Förderung bei so manchen, verwirrten Gestalten etabliert (bspw so einen Aufruf nun mal eben nicht zu unterzeichnen wg Sorge um die Förderung), hätte ich jetzt ad hoc nix gegen…“,
dann muss man sich nur an den Kopf fassen. Nicht nur, dass er genau die Wissenschaftler, die er eigentlich in ihrer Forschungsfreiheit zu schützen beauftragt ist, als „verwirrte Gestalten“ bezeichnet, wenn sie eine andere Meinung vertreten – für sich genommen schon problematisch genug. Nun ist er auch noch bereit, einen indirekten und informellen Druck unter den Wissenschaftlern zu erzeugen bzw. entstehen zu lassen, bestimmte Meinungen zu vertreten, um Fördermittel zu erhalten.
Ich frage mich, wie Stark-Watzinger allen Ernstes auf die Idee kommen konnte, Philippi sei in dieser heiklen Situation nun wirklich die beste Wahl für die Neubesetzung. Hatte sie wirklich keine besseren Alternativen und musste auf jemanden mit derartig fragwürdigen Äußerungen zurückgreifen? Das bezweifle ich – auf mich macht diese Besetzung eher den Eindruck, Stark-Watzinger gehe es nicht konsequent um die Aufarbeitung des Problems innerhalb ihres Ministeriums, sondern darum, es so schnell wie möglich hinter sich zu bringen; vielleicht hoffte sie, mit der Entlassung Dörings sei das Thema durch und ihr Ministerium fliege wieder unter dem Radar. Es offenbart aber leider, dass sie gerade nicht darum bemüht ist, das sich in der Affäre offenbarte fragwürdige Verständnis von Wissenschaftsfreiheit innerhalb ihres Hauses konsequent zu unterbinden.
Vielleicht war die Beförderung auch eine Belohnung für treue Arbeit.
Wenn Stark-Watzinger doch stärker in den Vorgang involviert war als sie es heute zugibt, könnte sie bewusst Philippi vorgeschickt haben. Sofern Philippi die Kommunikation der Wünsche der Ministerin vorgenommen hat, könnte sie stets jede Verantwortung abstreiten.
Das ist natürlich aber nur Mutmaßen auf Basis von Indizien. Ob Stark-Watzinger tatsächlich so moralisch am Boden ist, wird wohl perspektivisch ein Untersuchungsausschuss zeigen müssen.
Bei der SZ gibt es auch noch eine Zusammenfassung ohne paywall:
Speziell den Punkt finde ich wichtig:
Der Chatverlauf stammt laut Spiegel vom 9. Mai – Stark-Watzinger und Philippi tauschten sich demnach schon vier Tage vor dem umstrittenen förderrechtlichen Prüfauftrag, für den Staatssekretärin Döring verantwortlich gewesen sein soll, über den Umgang mit dem offenen Brief aus.
Jaja, Stark-Watzinger hatte vor dem Prüfauftrag keine Ahnung, wie? Das war jawohl nichts.
Und danke liebe FDP, wieder eine Story die einem die AfD-Anhänger beim Thema Politikverdrossenheit und Parteien-Klüngeln vorhalten können.
Ich finde außerdem, der ganze Vorgang offenbart eine bedenkliche Einstellung von FDP-Mitgliedern: Öffentliche Gelder, die man als FDPler verwalten soll, hier Forschungsgelder, werden wie selbstverständlich zur Durchsetzung eigener Interessen verwendet. Keine Spur von Wissenschaftsfreiheit oder so.
Zumindest dürfte sie durch ihr (offenbares) Schweigen gegenüber der Äußerung Philippis ein gewisses Vertrauen unter ihren Beamten erzeugt haben, dass derartige Ansichten zur Wissenschaftsfreiheit aus ihrer Sicht in Ordnung gingen – was letztlich sicherlich auch dazu beigetragen hat, dass sich Döring bestärkt fühlte, handfeste Maßnahmen folgen zu lassen. Stark-Watzinger hätte schon hier eingreifen müssen, da gebe ich dir vollkommen recht.
Ich finde es einen erstaunlichen Vorgang, dass Frau Döring als Bauernopfer entlassen wird, aber um sich gegen diese Darstellung zu wehren, muss sie sich erst per Klage von ihrer Verschwiegenheitspflicht entbinden lassen.
Richtig gute Werbung für eine Karriere im öffentlichen Dienst, was das FDP-BMBF da gerade veranstaltet.
Die FDP ist schon lange keine liberale Partei im Sinne eines starken Eintretens für die individuellen Freiheitsrechte aller Menschen mehr. Unter „liberal“ verstehen die inzwischen ausschließlich die Freiheit einer kleinen Elite, nicht durch die Bedürfnisse des Rests der Gesellschaft behindert zu werden. Faustregel: Freiheit ist für Menschen mit Porsche (oder solche die ihn sich leisten können), a.k.a. „Leistungsträger“. Sozialwissenschaftler und Studierende gehören da als Gruppe nunmal nicht dazu.
Das mit dem öffentlichen Dienst ist eigentlich nicht das Problem. Aber man könnte ja mal bei den Ministerien prüfen, wie viele Parteigenossen da auf allen Ebenen reingespült wurden… Da war mal was mit §33 im Grundgesetz zum Zugang von öffentlichen Ämtern nach Eignung, Befähigung und Leistung…
Das Durchstechen von Chats auf Leitungsebene im Ministerium würde man auf einem Schiff Meuterei nennen. Wie lang will die FDP sie noch halten? Vor den nächsten Landtagswahlen eher nicht. Vielleicht danach als Reaktion auf das Rausfliegen aus den Landtagen.
Ganz ernsthaft: Die Ministerin ist nicht mehr haltbar und müsste langsam den Hut nehmen oder gechasst werden. Entweder hat sie falsch gehandelt, ihren Laden nicht im Griff und kommunikativ ist sie zu schwach das aufzuklären.
Ein weiteres Festhalten steigert nur Politikverdrossenheit. Ein Festhalten an ihr kann ich mir nur taktisch erklären. Eventuell wegen der Landtagswahlen? Oder weil die FDP keine weitere Bildungspolitikerin hat?
Spannend, vor allem was die CDU nun daraus machen wird. Eigentlich gäbe es Gründe für einen Untersuchungsausschuss. Und irgendjemand im BMBF (oder mittlerweile ausserhalb?) scheint die Affäre genüsslich am köcheln zu halten. Aber irgendwie habe ich das Gefühl, dass die gesamte Ampel derzeit soviel Feuer auszutreten hat (Haushalt, Migration, 3x Wahlen im Osten, …), dass sie keine Lust auf einen weiteren Skandal und anschließender Kabinettsumbildung haben…