WissZeitVG als Privileg?

Liebes Lage-Team,

Ich bin Arbeitsrechtler und habe eine Anmerkung zu eurem Beitrag zum WissZeitVG.

Es ist richtig, dass Universitäten mit den Befristungsmöglichkeiten des WissZeitVG privilegiert sind. Allerdings betrifft dies nur die sachgrundlose Befristung (14 II TzBfG), denn nur diese ist reguliert und zeitlich begrenzt. Mit Sachgrund (14 I TzBfG) kann jedes Unternehmen ebenfalls quasi dauerhaft Befristung an Befristung reihen.

Ein zulässiger Befristungsgrund ist hierbei die Drittmittelfinanzierung, da hier der Arbeitsbedarf nur vorübergehend besteht (Grund iSd 14 I Nr. 1 TzBfG). Das ist auch anerkannt (BAG, Urteil v. 13.02.2013 – 7 AZR 284/11; BAG, Urteil v. 24.09.2014 – 7 AZR 987/12; Meinel/Heyn/Herms/Meinel, 6. Aufl. 2022, TzBfG § 14 Rn. 96).

Das heißt: Auch privatwirtschaftliche Unternehmen, die sich von Fördertopf zu Fördertopf bzw. von Drittmittelprojekt zu Drittmittelprojekt hangeln, können quasi dauerhaft Kettenbefristungen durchführen. Das betrifft in der Wirtschaft zB Unternehmen, die Arbeitsförderungsmaßnahmen (2-Euro-Jobber etc.) durchführen, die fast immer zeitlich beschränkt sind. Insofern ist das WissZeitVG also kein Privileg von Universitäten.

Ein weiterer Punkt erscheint mir erwähnenswert: Es wird häufig so getan, als sei die Beschränkung von sachgrundlosen Befristungen ein Geschenk für Arbeitnehmer. Praktisch führt das jedoch häufig dazu, dass Befristungen auslaufen, solange auf Arbeitgeberseite der geringste Zweifel besteht. Ich erlebe es regelmäßig, dass beide Seiten verzweifelt eine weitere sachgrundlose Befristung durchführen wollen, was das Gesetz aber nicht erlaubt. Dabei handelt es sich um einen deutlichen Eingriff in die Vertragsfreiheit, der übrigens nicht mit dem Schutz des Einzelnen gerechtfertigt wird, sondern mit dem Sozialstaatsprinzip (das unbefristete Arbeitsverhältnis als breiter Normalfall der Beschäftigung; also aus Gründen des Staatshaushalts).

Und daher würden auch im WissZeitVG Beschränkungen von Befristungen keine Probleme lösen. In der Wissenschaft steht das Thema “Unsicherheit” über allem, was ihr im Podcast ja überaus treffend herausarbeitet. Die zeitliche Befristung ist hier nur eines von ganz vielen Symptomen. Kürzt man nun sechs auf drei oder neun auf vier Jahre, heißt das doch nicht, dass damit automatisch nach kürzerer Zeit “Sicherheit” entsteht. Mir persönlich (!) ist auch kein Wissenschaftler bekannt, dem es irgendwie wichtig wäre, eine unbefristete Stelle irgendwo im Mittelbau zu ergattern. Man will nach oben, auf die wenigen attraktiven Stellen, und wenn das nicht klappt, geht man halt nach vielen verschenkten Jahren doch (frustriert) in die Wirtschaft.

Wirklich haarsträubend wird es aus meiner Sicht übrigens an den Kliniken. Assistenzärzte werden ja als wissenschaftliche Mitarbeiter geführt und können daher für ziemlich lange Zeit und immer wieder nach dem WissZeitVG sachgrundlos befristet werden. Jeder weiß, dass Assistenzärzte nicht wirklich “wissenschaftlich” arbeiten, sondern ganz normale “Maloche” machen. Die Kettenbefristungen schaffen hier einfach Abhängigkeiten, die es jungen Ärzt:innen (neben den Schikanen aus der Weiterbildungsordnung) quasi unmöglich machen, nachdrücklich für ihre Interessen einzustehen - und aus meiner Sicht einer der Hauptgründe dafür ist, warum es dem überaus raren und sehr gut qualifizierten Personal nicht gelingt, vernünftige Arbeitsbedingungen auszuhandeln bzw. so viele evidente Rechtsverstöße zu ertragen. Wer sich beschwert, überlebt die nächste Befristung nicht oder kriegt seine Weiterbildungen nicht attestiert.

Viele Grüße
Willem Niemeyer