Wirkung der Gas- und Strompreise auf Unternehmen aus Sicht der Volkswirtschaftslehre erklären

Hallo,

ich würde mich freuen, wenn ihr einmal ein Interview mit einem VWLer*in führen könntet, weil mir absout nicht klar wird, warum die deutsche Wirtschaft so sehr über den hohen Gas- und Strompreis klagt und wiedermal mit Verlagerung nach Asien und die USA droht (besonders die Chemie und Stahlindustrie)
Der Gaspreis, wie auch der Erdölpreis wird am Weltmarkt ermittelt und hat jedoch regionale Differenzen (Transportkosten, Steuern- und Abgaben). In den USA, Indien und China wird beides fast ohne die Abgaben an die Industrie vergeben. In der EU ist das Niveau relativ ähnlich.
Der Strompreis ist, wie wir in der letzten Lage erfahren haben, regionaler geprägt. Aber auch hier gibt es kaum Unterschiede in der EU.

Wenn sich die EU und die ansässigen Unternehmen nicht wieder komplett von China und Indien abhängig machen wollen in Bezug auf Waren und Güter, könnte man theoretisch nur in die USA oder Kanada gehen. UK fällt zum Beispiel komplett raus, weil dort die Preise noch höher sind, obwohl Erdgas in Massen vor Schottland gefördert wird.

Dazu kommt noch, dass, wenn die Agentur für Arbeit und die einschlägigen Lobbyverbände recht haben, ein massives Fachkräfteproblem in Deutschland und der EU besteht. Weshalb die Unternehmen kaum massive Entlassungen vornehmen können, weil, wie wir in der Corona Zeit gelernt haben, fatale Folgen hat, wenn die Unternehmen wieder hochfahren wollen.

Irgendwie passt das alles nicht mit der VWL zusammen, die mir vor 15 Jahren einmal in der Uni beigebracht wurde (Nebenfach und nur 1 Semester).

1 „Gefällt mir“

Das ist so nicht richtig.

Erdas ist nur in verflüssigter Form verschiffbar. Sobald aus auf dem Tanker ist, gibt es dafür einen Weltmarkt. Bei Erdgas, das gasförmig per Pipelines verteilt wird, ist der Markt jedoch gerade so groß, wie das Pipeline-Netz reicht. Da das Verflüssigen und Regasifizieren von Erdgas einen Haufen Energie kostet und noch dazu aufwendige Infrastruktur notwendig ist, war LNG immer nur die zweite Wahl. Das wurde eingesetzt, wenn es nicht machbar ist, Produzenten und Kunden per Pipeline zu verbinden. Daher gab es beim Erdgas schon immer deutliche Preisunterschiede zwischen den verschiedenen regionalen Märkten. Relativ günstig in den USA (seit dem Frackingboom sogar spottbillig), mittelmäßig teuer in Europa und deutlich teurer in Südostasien (da dort Versorgung per LNG).

Bei dem momentanen europäischen Preisniveau hätten sich einige Industrien hier nie etabliert (ebenso die Stromerzeugung aus Gas oder dessen Nutzung zur Heizung). Also ist das Wehklagen schon nachvollziehbar. Allerdings wird es nicht lange bei dem gegenwärtigen Preisniveau bleiben, denn einerseits sinkt die Nachfrage (z. B. weil Industrien dicht machen), andererseits ist der Gasexport nach Europa momentan profitabler als Drogenhandel, so dass kräftig die LNG-Infrastruktur ausgebaut werden wird. Das hilft nicht den Unternehmen und Privathaushalten, die in den kommenden Monaten und Jahren der Anpassungsphase auf der Strecke bleiben. Aber um das „große Ganze“ braucht man sich keine Sorgen machen. Japan, das sein Erdgas schon immer per LNG bezog, ist auch nicht deindustrialisiert.

1 „Gefällt mir“

Das war vermutlich eine keynesianisch geprägte VWL, welche mehr auf Nachfrage als auf Angebot fokussiert war.
In einer Welt, in der Kapital knapp ist, gilt diese nicht mehr.
Humanes Kapital ist durch die Demographie kontinental knapp.
Monetäres Kapital wird durch Zentralbanken aktuell verknappt.

Eine Erhöhung der Nachfrage führt also, (und hier wird Keynes widersprochen) nicht zu einer Erhöhung des Angebots.

1 „Gefällt mir“

Und hat aber auch keine hohen Energiepreise. Habe die absoluten Preise nicht im Kopf aber ein gutes Gefühl für die weltweiten Energiepreise. Wäre mir aufgefallen wenn es dort besonders teuer wäre .

Die These passt aber nicht komplett zu den Zahlen.
Japan erdgaspreise, März 2022 | GlobalPetrolPrices.com

Japan hat seit Jahren gleiches Preisniveau zu Europa, obwohl es zu fast 100% LNG bekommt. Siehe Grafiken

Preis für LNG - Entwicklung in Japan bis 2022 | Statista
Infografik: Erdgaspreis steigt innerhalb eines Jahres um 549 Prozent | Statista

Die größten Chemieparks der Welt liegen in Europa, Südostasien und China. Die USA kommt erst dahinter. In Europa und Südostasien ist Erdgas, was in der Chemie extrem verbraucht wird, ist das Erdgas immer schon deutlich teurer gewesen, wie in den USA oder Kanada. Das gilt auch für andere Vorprodukte.

Das Argument der niedrigen Erdgaspreise hat demnach bis heute nicht wirklich Auswirkungen auf die Standortentscheidung gehabt.

Was auch noch gegen diese „billige“ Erdgastheorie spricht ist die Stahlindustrie. Die ist in den USA im Prinzip komplett ausgestorben, obwohl Erz und Erdgas und Steinkohle sehr, sehr günstig ist.
Hauptproduzenten sind China (1000 Mio t/a), die EU (152 Mio t/a), Indien 118 Mio t/a, Japan (96 Mio t/a) und dann die USA mit 86 Mio t/a.
Gut nun kann man in der Stahlindustrie auch komplett auf Kohle setzen, aber diese ist nicht günstiger als Erdgas.

2 „Gefällt mir“

Genau so war es. Unser Prof damals hat noch ganz leicht die Sozial- Ökologische Marktwirtschaft als Model angerissen, da er persönlich davon überzeugt war, dass der Mensch „zeitnah“ auf Erdverträgliches Wirtschaften umstellen muss. Dabei hat er öfter darauf hingewiesen, dass Infrastrukturen (Verkehr, Telekomunikation, Energie- und Wasserversorgung, Sicherheit) immer in Staatshand liegen müsse, damit sich die Marktteilnehmer auf der gleichen Plattform bewegen. Dazu meinte er, dass eine Staatengemeinschaft die einen Markt hat (z.B. durch Freihandelsabkommen oder Staatengemeinschaften (EU)) sehr restriktiv und einheitlich bei Kartellrecht, Regulierung und Subventionen sein müssen, sonst, so lehrt die Geschichte, schnell Monopole entstehen und destabilisieren den Markt.
Aber wie gesagt, dass war alles sehr oberflächlich…

2 „Gefällt mir“

Ist doch eine perfekte Beschreibung warum wir heute in so einer Misere stecken.

Aber nicht andersherum. Zur Reduktion des Oxid wird Kohlenstoff aus der Kohle gebraucht. Erdgas hilft nur um die Schmelzwärme zu erzeugen, oder besser gesagt könnte helfen.

1 „Gefällt mir“

Du musst schon die Großhandelspreise vergleichen. Was dann irgendein Hausbesitzer zahlt, kann davon stark abweichen - je nach lokalen Gegebenheiten, Steuern, Abgaben, Subventionen, etc.

Hier der Importpreis für LNG, den Japan bisher zu bezahlen hatte: Japan Liquefied Natural Gas Import Price

Nehmen wir mal einen „normalen“ Zeitraum, also kein Corona, kein Krieg in der Ukraine, z. B. Sommer 2019: 10 US$ pro Million Britische Heizeinheiten (mmBTU).

Vergleich dazu Deutschland: Monthly natural gas imports - German Federal Statistical Office
Da finden wir 4000 Euro pro TJ im Sommer 2019.

Der Umrechnungsfaktor von mmBTU zu TJ ist ungefähr 1/1000. Und Euro nehmen wir mal als identisch zum Dollar an. Dann zahlten die Japaner für ihr Erdgas „10 Geld“, die Deutschen aber nur „4 Geld“. Faktor 2,5 Unterschied.

Basierend auf Daten der Bank of Japan gehören den 4 größten Zentralbanken (FED, EZB, BoJ, PoC - also USA, EU, Japan, China) mittlerweile über ein Drittel der Weltwirtschaft. Die Wirtschaft liegt also immer mehr in Hand staatlicher Akteure.

Genau, das ist doch der Punkt. Wie könnten denn in Japan große Industrien, wie Chemie und Stahl bei diesen Preisen überleben, wenn sie doch so preisempfindlich sind, wie uns die deutsche Industrie klar machen möchte.
Aus Japan müssten doch fast alle in die USA abgewandert sein; es ist aber genau umgekehrt passiert.

Es finden auch Umlagerungen der Produktion innerhalb Deutschlands/EU statt.
Z.B. hat ein hiesiger Papierhersteller den Standort massiv runter gefahren, weil hier die Prozesswärme mit Kraft/Wärmekopplung über Gas läuft, und die Produktion in ein anderes Werk verlagert, wo die Prozesswärme über eine benachbarte Müllverbrennungsanlage bereit gestellt wird.
Auch wird z.Z. weniger auf Lager produziert was wieder zu Lieferengpässen führen kann.

1 „Gefällt mir“

Auch das gehört zu den Flexibilisierungspotentialen.

1 „Gefällt mir“