Ich weiß nicht, wie man das so interpretieren kann.
Zugegeben, der Thread-Titel ist problematisch („Wusste Israel…“), denn in Wirklichkeit geht es ja nicht um die Frage, ob „Israel“ als Land etwas wusste, sondern ob die Regierung bzw. die Sicherheitsapparate etwas wussten.
Das finde ich nebenbei auch bei den Täter-Opfer-Umkehr-Vorwürfen in Beziehung zu den Massakern vom 07.10.2023 so problematisch: Opfer dieser Anschläge waren (vorwiegend) israelische Zivilisten - das ist das bestialische an diesen Anschlägen. Opfer war nicht die israelische Regierung, Opfer waren nicht die Befürworter der Siedlungspolitik oder andere Extremisten. Die israelische Regierung bzw. Siedlungspolitik in diesem Kontext zu kritisieren ist daher schon keine Täter-Opfer-Umkehr, weil die israelische Regierung in diesem Sinne nicht Opfer ist.
Wenn nun vor allem Menschen in Israel, aber auch im Rest der Welt, ein Interesse daran haben, zu erfahren, ob die rechtsextremen Regierungskreise tatsächlich etwas wussten oder hätten wissen können, aber untätig blieben - oder im israelischen Sicherheitsapparat die Information bekannt war, aber auf Grund von dysfunktionalen Systemen nicht zu den Entscheidungsträgern gelangt ist (oder von diesen abgetan wurde), dient diese Information vor allem dem israelischen Volk bei der Bewertung ihrer eigenen Regierung.
Antisemiten - und darauf läuft dein Vorwurf ja hinaus - haben von diesen Informationen generell eher wenig. Klar, manch ein Hamas-Anführer oder Anführer im Iran mag sich die Hände reiben, wenn die Investigation dazu führt, dass die israelische Regierung gestürzt wird, aber das hat wohl primär realpolitische Gründe.
Insofern sehe ich hier wirklich keine Täter-Opfer-Umkehr. Ich sehe lediglich, dass es zu einem ungeheurem Massaker kam, obwohl Israel einige der weltbesten Geheimdienste hat, die massive Ressourcen investieren, um genau das zu verhindern - und ich sehe ein israelisches Volk, das selbstverständlich nun fragen stellt und Aufklärung wünscht, um die politischen Verantwortlichen zu finden und dafür zu sorgen, dass so etwas nie wieder passiert. Das ist wohl auch mehr als berechtigt.
Ich persönlich halte auch die zwei oben genannten Szenarien für am wahrscheinlichsten:
Entweder man wusste, dass sich dort etwas zusammen braut, hat aber geglaubt, dass es erst später passieren würde oder ganz ausbleiben würde - oder Teile der Geheimdienste wussten konkreteres, wurden aber nicht ernst genommen. Die Annahme, dass die Regierung genau wusste, was passieren würde, und dennoch die Soldaten von der Grenze des Gaza-Streifens abgezogen hat, dürfte wohl in’s Reich der Verschwörungsmythen gehören, wird aber denke ich auch von niemandem so wirklich vertreten.