Wie real ist die Gefahr eines rechten Staatsstreiches?

Hallo
Für wie real und möglich haltet ihr die Gefahr eines Umsturzes/Staatsstreiches von rechts in Deutschland in naher Zukunft? Vor dem Hintergrund von Trumps Sturm auf das Kapitol, dem Versuch in Deutschland von demokratiefeindlichen Gruppen, den Bundestag zu erstürmen, den vielen bekannt gewordenen „bedauerlichen Einzelfällen“ von rechten Unterwanderungen in Polizei, Bundeswehr, Staatsschutzbehörden etc aber ganz aktuell für mich hervorgerufen durch die Netflix Produktion „leave the world behind“, treibt es mich um, dass so ein Szenario irgendwie über weniger unmöglich oder absurd erscheint. Eigentlich erscheint seit damals Trump zum Präsidenten gewählt wurde doch so viel möglich, was man nicht für möglich gehalten hätte…

Ich werde mich freuen, vielen Dank

Gruß,
Hannes

Ich halte es immer noch für extrem unwahrscheinlich bis unmöglich, zumindest in absehbarer Zeit.

Klar ist - und das zeigt die Erfahrung aus vielen Staaten - dass ein Staatsstreich eigentlich immer nur durch die Sicherheitsdienste (Polizei, Militär) erfolgen kann. Und damit es dazu kommt, muss es in den Sicherheitsdiensten eine extreme große Unzufriedenheit mit der Staatsführung geben und die Sicherheitsdienste müssen die Möglichkeit haben, quasi eine Parallelgesellschaft aufzubauen. Das sehe ich beim besten Willen nicht - beim Großteil der Polizisten und Soldaten, vor allem aber des Führungspersonals bei Bundeswehr und Polizei, sehe ich nicht ansatzweise in Gefahr, dass da eine staatsstreich-tragende Meinung wirklich salonfähig werden könnte - dazu geht es den Generälen auch einfach zu gut…

In den USA gilt noch die Besonderheit des hohen Bewaffnungsgrades der Bevölkerung, der letztlich den 6ten Januar möglich gemacht hat. In Deutschland wird es natürlich auch bewaffnete Nazigruppen geben, aber ein teilweise mit Schusswaffen bewaffneter Mob ist in Deutschland zum Glück nicht denkbar (im Gegensatz zu den USA).

Also was ist das Worst Case Szenario in Deutschland?
Die AfD bekommt bei der nächsten Bundestagswahl die meisten Stimmen, aber niemand will mit ihr koalieren. Sie ruft nun dazu auf, die Parlamente mit Gewalt zu erobern, weil die anderen Parteien „ihr den Wahlsieg stehlen würden“, indem sie sich Koalitionen verweigern. Ich glaube nicht, dass ein relevanter Teil von Polizei und Bundeswehr da aufspringen würde - wie gesagt, den Leuten geht es dazu zu gut, sie haben zu viel zu verlieren. Selbst der AfD-unterstützende Polizist oder Soldat wird sich lange überlegen, ob er seinen sicheren Beamtenjob in relativem Wohlstand für einen Putschversuch opfern will.

Ich sehe in Deutschland auch nicht die massive Spaltung, die in den USA herrscht. Klar haben wir auch diese Kulturkämpfe, aber es ist doch alles noch sehr friedlich. Die AfD ist eher eine Protestpartei als eine Partei, mit der sich die Wähler vollständig identifizieren, wie das in den USA i.d.R. der Fall ist.

Natürlich ist nichts unmöglich, aber den Staatsstreich halte ich für eine so ferne Gefahr, dass wir unsere Aufmerksamkeit aktuell auf konkretere Gefahren lenken sollten.

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Es scheint nicht der Mentalität vielen Menschen in diesem Land zu entsprechen, um auf die Straße zu gehen und das System wirklich zu fordern. Da ticken zum Beispiel die Franzosen etwas anders. Nicht einmal während der Weltwirtschaftskrise in den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts mit Hyperinflation gab es so etwas wie eine Revolution. Aber es gab Wahlen…

Die Einschätzung würde ich so teilen. Allerdings mit der Einschränkung, dass ich befürchten würde, dass dann bei der darauf folgenden Wahl, und das muss auch nicht nach 4 Jahren sein, die Gefahr besteht, dass die AFD gar keinen Koalitionspartner mehr braucht. Dann hat dieses Land wirklich verloren. Was aber auch nicht heißen muss, dass alles verloren ist, wie man gerade erst in Polen gesehen hat.

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Dazu mal den Bertelsmann Demokratie Index:

„Die Demokratie verliert an Boden: Erstmals seit 2004 verzeichnet unser Transformationsindex (BTI) mehr autokratische als demokratische Staaten. Von 137 untersuchten Ländern sind nur noch 67 Demokratien, die Zahl der Autokratien steigt auf 70. Auch bei Wirtschaftsentwicklung und Regierungsleistung zeigt die Kurve nach unten, die Corona-Pandemie hat bestehende Defizite noch deutlicher zutage treten lassen. Einen Lichtblick bietet zivilgesellschaftliches Engagement, das sich vielerorts gegen den Abbau demokratischer Standards und wachsende Ungleichheit richtet.“

Quelle: Demokratie weltweit unter Druck (bertelsmann-stiftung.de)

The Economist schreibt in seinem Demokratie-Index, nur 8% der Weltbevölkerung leben in vollständigen Demokratien (darunter Deutschland), 37% in unvollständigen Demokratien (darunter die USA).

Der Demokratieindex (laenderdaten.de)

Es gibt also mehr Autokratien als Demokratien. Ist das Modell Demokratie so unattraktiv oder so anfällig?

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Das hängt ganz davon ab, was man sich unter einem Staatsstreich vorstellt. Wenn es allein darum geht, dass eine Gruppe von vielleicht 50, 200, 1000 oder 10000 Reichsbürgern und Neonazis bewaffnet das Kanzleramt stürmt, Olaf Scholz erschießt und einen neuen Herrscher ausruft, und dass dann der Sicherheitsapparat umflippt und diesem neuen Diktator die Treue schwört, würde ich definitiv zustimmen, dass das nicht realistisch ist.

Wahrscheinlicher ist jedoch das Szenario eines schleichenden Staatsstreichs, bei dem die Institutionen Stück für Stück korrumpiert werden und das demokratische System über längere Zeit in eine faktische Einparteienherrschaft überführt wird. In Ungarn ist dieser Vorgang bspw. schon abgeschlossen, ganz ohne irgendwelche bewaffneten Kämpfe um Ministerien oder Rundfunkanstalten, und ein Wahlsieg irgendeiner Opposition praktisch unmöglich. Gleiches gilt vermutlich auch für die Türkei, auch wenn die Hoffnung von CHP, HDP u.a. zuletzt stirbt.

Die USA stehen kurz davor. Die Erstürmung des Kapitols war halt der erste Versuch, und die republikanische Partei hat ihre Lehren daraus gezogen. In den republikanisch kontrollierten Staaten wurden oberste Wahlaufseher, die sich geweigert haben die Wahlen zu fälschen und/oder für ihren Staat für nichtig zu erklären, flächendeckend durch ‚Big Lie‘-Anhänger ersetzt, und ein Unsicherheitsfaktor wie Pence wird nicht der nächste republikanische Vizepräsident werden. Der Supreme Court gehört ihnen sowieso die nächsten Jahrzehnte und etliche Staaten, die vom Popular Vote her eigentlich Swing States sein müssten, werden durch absurdes Gerrymandering vermutlich nie wieder eine demokratische Mehrheit im Parlament sehen. (Beispiel Wisconsin: Popular Vote letzte Wahl 54:46 für Demokraten, State Assembly 64:36 pro Republikaner, also fast Zweidrittelmehrheit.)

Und das werden die Republikaner bei nächster Gelegenheit auch auf Bundesebene durchziehen, Im Grunde genommen steht in den USA also jede kommende Wahl unter dem Vorzeichen, u.U. die letzte freie Wahl zu sein, sofern die Demokraten nicht gewinnen.

Ob Polen das jetzt noch rechtzeitig abwenden konnte, oder ob der Wahlerfolg ein ‚Dead Cat Bounce‘ war, werden wir in ein paar Jahren sehen. Meloni in Italien möchte lieber auf Nummer Sicher gehen und schnellstmöglich das Wahlrecht zu ihren Gunsten anpassen, Frankreich steht bei jeder Präsidentenwahl kurz davor, rechtsradikal regiert zu werden, Milei in Argentinien ist zwei Wochen im Amt und plant ein Ermächtigungsgesetz, usw.

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Und da wir in Deutschland ja Trends aus den USA mit ein paar Jahren Verzögerung gerne hier kopieren, wird das auch zu uns kommen, ist genau genommen ja schon da. Merz und Linnemann spielen ganz offensichtlich das Republikaner-Playbook aus und haben allem Anschein nach die Partei hinter sich. Anfängliches Gemurre von Leuten wie Wüst, Günther, Hans ist verstummt, und ein zukünftige Hinwendung zur AfD als Koalitionspartner ist real ein wahrscheinliches Szenario, beginnend im Osten. Und wenn man davon ausgeht, dass die FDP sich dem auch nicht verweigern würde, hat dieser „nationale Block“ jetzt schon die Mehrheit im Land.

Die Frage ist, was passiert, wenn die Demokratie vielleicht doch noch anfängt sich zu wehren, bspw. die AfD verbietet, die Union sich vielleicht aufspaltet, und es dann bei einer wichtigen Wahl zu einem hinreichend knappen Sieg der demokratischen Seite kommt, dass eine deutsche Wahllüge für die Rechten Sinn macht? Auf welcher Seite würden dann die Sicherheitsorgane stehen bzw. zu welchem Prozentsatz?

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Haben wir nicht längst einen schleichenden Staatsstreich? Die Union und FDP in Thüringen sind doch schon voll auf AfD Linie und viel fehlt da nicht mehr für eine Koalition.

Im Bund wirken Merz, Linnemann und Spahn wie Papageien der AfD. Und wirklich Widerspruch nehme ich in der Union nicht wahr. Gerade wirkt die AfD für die Bundesunion wie der neue natürliche Partner. Ich frage mich wann die angeblich gemäßigten Kräfte wie Wüst, Günther und Hasselhoff gegen den stramm rechten AfD Kurs der Führung aufbegehren?

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So sehr ich die AfD auch ablehne, aber das ist nicht die Definition eines Staatsstreiches.
Wenn die AfD tatsächlich eine Landtagswahl gewinnt und CDU oder FDP mit ihnen koalieren, ist das erst Mal nur ein - trauriges - Ergebnis der Demokratie, böse gesagt ein Schritt darauf hin, dass die Demokratie sich selbst abschafft, indem der Wähler Parteien wählt, die antidemokratische Ziele verfolgen.

Die Definition eines Staatsstreichs ist jedoch ein illegales, daher nicht durch Wahlen legitimiertes, Absetzen der Regierung, in der Regel durch Gewalt oder Androhung von Gewalt.

Wir reden daher hier über völlig unterschiedliche Themen. Das Thema des Threads ist „Staatsstreich“, dein Thema ist „Sollten demokratische Parteien mit Antidemokraten zusammen arbeiten“ oder „Droht die Gefahr, dass die AfD an die Macht kommt und dann, wie in Russland, Türkei, Polen oder Ungarn geschehen, die Demokratie gezielt beschädigen, um an der Macht zu bleiben.“

Also in Anbetracht von Ex-KSK-Soldaten mit Putschplänen, einer bewaffneten Reichsbürgerszene, massiven Waffenfunden in der rechten Szene und der langen Geschichte von „Wehrsportgruppen“ und deren Nachfolgeorganisationen sowie militanten, mordenden Neonazis kann ich nicht nachvollziehen, wie man das Problem im Hinblick auf einen Staatsstreich nicht primär rechts sehen kann.

Ein Staatsstreich von Links ist denke ich heute unrealistischer denn je, zu Zeiten des Kalten Krieges und der RAF war das eine ähnlich große Gefahr wie von Rechts, aber seit 1990 ist relativ deutlich, dass die Gefahr einer gewaltsamen Machtübernahme - wenn überhaupt - nur von Rechts besteht. Auch ein Staatsstreich durch Islamismus oder Ausländerextremismus kann aktuell wohl sicher ausgeschlossen werden.

So sehr man Klimakleber oder autonome Demonstranten bei G8/G20-Gipfeln als Konservativer auch ablehnen mag, so sehr muss man doch realisieren, dass dort keinerlei Staatsstreich-Potenzial vorliegt, keinerlei Potenzial, mit tödlicher Gewalt die demokratische Ordnung beseitigen zu wollen.

Insofern finde ich deinen Vorwurf des Verlusts an Realität und Ratio bei allen anderen beim gleichzeitigem Leugnen, dass die Gefahr - wenn sie denn überhaupt vorhanden ist - vor allem Rechts liegt, irgendwas zwischen ironisch und befremdlich…

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Mit Prinz Reuß dem XIII. haben wir ja gerade ein aktuelles Beispiel.
Lokale Einheiten sollten ihre eigenen Gemeinden übernehmen, eine übergeordnete Einheit war für den Bundestag zuständig.
Dass diese lokalen Einheiten aktiv hätten werden können, wird für realistisch gehalten, auch die Bundestagseinheit.
Für eine Übernahme von ganz Deutschland hätten die lokalen Einheiten aber nicht gereicht. Und das ist wohl der entscheidende Faktor. Für eine deutschlandweite Aktion bräuchte man zu viele Mitwisser, von denen alle dichthalten müssten.
So lange noch genug Soldaten und Polizisten auf der Seite der Verfassung stehen oder auch nur zu viel Angst um ihren Job haben, sind wir safe.

Ich finde es immer wieder erschreckend wie offen misstrauisch doch einige Teilnehmer hier im Forum sind. Demokratie und der Glaube a das Land fängt bei jedem Einzelnen an.

Also die Frage, wie unsere Sicherheitsorgane politisch positioniert sind, ist schon relevant und wichtig.

Schon 2019 gab es Presseberichte, nach denen sich die AfD gezielt um die Gunst von Polizisten und Soldaten bemüht hat. Das kann uns auch nicht wundern. Gerade wenn wir der AfD unterstellen wollen, dass sie einen Staatsstreich anstreben könnte (was man im Hinblick auf manche Höcke-Reden durchaus vertreten kann!), ist es eine erhebliche Gefahr, wenn die AfD gezielt um Polizisten und Soldaten kämpft.

Der Anteil der AfD-Wähler bei Polizisten und Soldaten ist auch höher als im Durchschnitt der Gesellschaft. Auch das kann uns nicht wundern, weil diese beiden Bereiche eben eher autoritär-konservativ eingestellte Menschen anziehen - und die können eben schnell von der Union zur AfD umkippen.

Wie gesagt, ich denke auch, dass der Anteil derjenigen Polizisten und Soldaten, die im Zweifel bereit wären, alles für einen Putsch zu riskieren, im Promillebereich liegt, vielleicht im niedrigen Prozentbereich. Aber wenn wir eines aus den hunderten Staatsstreichen der Geschichte gelernt haben, ist das nun einmal, dass ein erfolgreicher Staatsstreich immer von Militär und Polizei ausgeht, daher ist es für eine Demokratie extrem wichtig, in diesem Bereich genau hinzuschauen - ohne Generalverdacht (das treibt die Polizisten und Soldaten eher zur AfD), aber mit einem wachsamen Auge…

Den „konservativen Reflex“, dieses wachsame Auge blind schalten zu wollen oder als „mangelndes Vertrauen in den Staat und seine Diener“ zu framen, halte ich extrem gefährlich.

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Bedingungsloses Vertrauen gehört in die Domäne der Religion und hat mit Demokratie nichts zu tun.

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Dafür gibt es checks and balances, demokratisch legitimiert, in der Demokratie. Permanentes Misstrauen in den Staat ist mindestens genauso schädlich wie das Denken in den Ränder des politischen Spektrums.

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Diese checks gibt es nur wegen des Misstrauens. Sie mussten und müssen außerdem hart erkämpft werden, gegen diejenigen, die jede Kritik als „Generalverdacht“ abbügeln und den Sicherheitsbehörden in der Regel nur mehr Macht, Ressourcen und Kompetenzen zuspielen wollen.
Einen fundamentalen „check“, eine unabhängige Kontrollbehörde für die Polizei gibt es trotz laufender Kritik nicht, stattdessen muss sich immer wieder gegen Vorratsdatenspeicherung, Chatkontrolle und intransparent genutzte Staatstrojaner wehren.

Wie definierst du Misstrauen? Ich „vertraue“ der Polizei wenn ich mit einer Anzeige zu ihr komme, dass sie dem nachgeht, genauso misstraue ich ihr aber auf einer systemischen Ebene und fordere Transparenz und Kontrolle von Macht.
Dass das „genauso schädlich“ sein soll, wie Neonazis musst du erstmal herleiten.

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Nein. Die Checks gibt es, weil nach den Erfahrungen der Weimarer Republik und des Dritten Reiches die Mütter und Väter des Grundgesetzes eine Wiederholung der Geschichte verhindern oder zumindest erschweren wollten. Das hat nichts mit dem Misstrauen zu tun, um das es hier im Verhältnis Bürger <> Staat ging.

Jede und jeder kann natürlich glauben bzw. trauen oder auch misstrauen wie es beliebt. Aber das hat auch etwas mit innerer Haltung zu tun. Wenn ich das Problem suche, dann werde ich es auch finden. Das heißt aber nicht, dass das alle so sehen müssen.

Kommt jetzt nicht überraschend, dass hier nur auf die eine Seite des Spektrums geschaut wird. Ist von der Sacher her aber egal. Der von Dir benannte Neonazi ist vermutlich klar an Ausdruck, Haltung und Handeln erkennbar. Beim Linksradikalen ist es nicht anders. Damit ist das Problem identifizierbar. Das ist bei Menschen die das System infrage stellen, mehr noch, dem Handeln des Staats grundsätzlich misstrauisch gegenüber stehen, viel schwerer zu greifen. Das vergiftet aber das Miteinander.
Natürlich gibt es in vielen Bereichen der Gubernative und Administrative Verbesserungspotential, ganz unabhängig davon welcher demokratischen Partei man näher ist. Im Grundsatz funktioniert aber der freiheitlich, demokratische, soziale und rechtsstaatliche Bundesstaat.

Willst du implizieren, dass es keine Probleme in den Sicherheitsbehörden gibt? Wenn nicht, sehe ich nicht, was du mir damit sagen willst.
Ich habe außerdem nicht gefordert, „dass alle es so sehen müssen“, wie ich.

Ein bisschen weniger Sarkasmus würde die Diskussion deutlich angenehmer machen. Du hast Misstrauen in den Staat gleichgesetzt mit bzw für schlimmer befunden als „die Ränder des politischen Spektrums“. Das bezieht Neonazis mit ein und ich lasse mir nicht gerne vorwerfen, „mindestens genau so schlimm“ zu sein wie diese. Mein Argument würde auch mit MLs/Stalinisten oder mit AnCaps/Libertären funktionieren, es hat also gar nichts mit irgendwelchen politischen Sympathien zu tun.

Ich glaube, hier zeigt sich die Basis unserer Meinungsverschiedenheit. Du siehst Misstrauen in staatliche Institutionen als schlimmer bzw radikaler an als das System als ganzes in Frage zu stellen. Das sehe ich genau umgekehrt. Ich kann staatlichem Handeln, insbesondere staatlichen Machtstrukturen misstrauisch gegenüberstehen, ohne diese komplett in Frage zu stellen oder ersatzlos abschaffen zu wollen. Die Position ist daher weniger radikal als die von verfassungsfeindlichen Extremisten.

Was konkret vergiftet das Miteinander? Inwiefern vergiftet meine Forderung nach Transparenz und Kontrolle von Macht das Miteinander?

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Das trifft historisch nicht zu, denn es bestand nicht einmal im Ansatz die Gefahr, dass die RAF die Macht übernimmt. Das war eine menschenverachtende Terrorgruppe, aber unsere demokratische Ordnung war durch sie nie gefährdet. Und für die Grundrechte - also die liberale Demokratie - waren die staatlichen Abwehrmaßnahmen gegen die RAF sogar deutlich gefährlicher als die Terrortruppe selbst.

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Vielleicht bin ich da dem Diskutanten zu sehr entgegen gekommen, mir ging es eher darum, die RAF vom Grad ihrer Entschlossenheit (dh. der Bereitschaft, mit tödlicher Waffengewalt für politische Veränderungen zu kämpfen) parallelen zur Gruppe um Prinz Reus oder den damaligen Wehrsportgruppen aufweist und zu Zeiten der RAF im Kalten Krieg (nicht zwangsläufig: durch die RAF) eine gewisse Gefahr dahingehend bestand, dass mit der Sowjetunion ein politischer Akteur vorhanden war, der weltweit „linke“ (bewusst in Anführungsstrichen!) Staatsstreiche durchaus unterstützt hat (ebenso wie die USA „rechte“ Staatsstreiche unterstützt haben). Wenn daher zu irgendeiner Zeit eine Gefahr für einen Staatsstreich existierte, dann wohl zu dieser Zeit, aber du hast natürlich Recht, dass auch zu dieser Zeit das Risiko denkbar gering war. Wobei die Aussage ja nur war, dass das Risiko von Links zu der Zeit ähnlich hoch war wie von Rechts - nicht, ob das Risiko generell relevant hoch ist (das hätte ich klarer formulieren sollen). Und da zu dieser Zeit den extremen rechten Gruppen (z.B. die Wehrsportgruppen, die ebenfalls um 1968 aufkamen) zumindest eine ähnlich entschlossene „linke“ Gruppe gegenüber stand, könnte man zu dieser Zeit zumindest argumentieren, dass hier eine ähnliche Gefahrenlage vorgelegen hätte (wie gesagt unabhängig davon, wie groß diese Gefahrenlage war). Ich kann verstehen, dass man das anders sehen kann, halte den Punkt aber so zumindest für vertretbar.

Dass die Notstandsgesetze und vor allem der Radikalenerlass größeren Schaden angerichtet hat, als es die RAF wohl je hätte tun können, ist natürlich wahr.