Wie kann der "vergessene Osten Deutschland" zurückgewonnen werden?

Tendenziell haben wir doch alle das Gefühl, dass über unsere Region, unsere Probleme zu wenig berichtet wird. Schaut man sich Berichtsminuten/Kopf an, frage ich mich, ob sich das tatsächlich belegen lässt. Wird uber die gut 5 Millionen Menschen allein im Ruhrgebiet tatsächlich überregional doppelt so häufig berichtet, wie über die weniger als halb so viel Menschen, die in Thüringen leben? Und deswegen wäre die AfD dann abseits einzelner Wahlbezirke schwächer? Finde ich sehr konstruiert, den Zusammenhang. Wenn man sich dann noch die Berichterstattung über Orte/Regionen/Bundesländer anschaut, die völlig richtigerweise intensiv ist, wenn in Deutschland Rechtsextremisten stärkste oder fast stärkste Kraft werden und fordert dann, dass nochmal mehr über diese Regionen in anderen, alltäglicheren Zusammenhängen überregional berichtet werden sollte, wird es endgültig unrealistisch. Wie soll das für Gesamtdeutschland gehen? Oder geht’s am Ende darum, auf Kosten der Berichterstattung über 3/4 des Landes mehr über 1/4 des Landes zu berichten, weil dort die AfD insgesamt etwas stärker ist, als im Rest des Landes?
Mehr Berichterstattung ist mMn deswegen weder Ursache des Problems, noch der Schlüssel, am „vergessenen Osten“ objektiv oder subjektiv entscheidend etwas zu ändern.

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(…)
Der Titel beinhaltet „den vergessenen Osten“

Und als Reaktion kommt: (…) deine eigenen Regionalsender haben dich doch nicht vergessen:

Ja und dazu kommt, dass nach der Wende die Demokratie von außen aufgepropft wurde.
Wurde es nach dem WKII im Westen auch, aber:
Wieviele Besatzer haben nach WKII ein politisches Amt in Deutschland übernommen?

Die Besatzungsmächte haben die BRD zur Demokratie geleitet.
In Ostdeutschland haben die Wessis die Demokratie gemacht.

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Ich fand es in beiden Fällen (die man im Übrigen absolut nicht sinnvoll miteinander vergleichen kann oder sollte) eher problematisch, dass es viel zu viel Elitenkontinuitäten gab, viel zu viel Helfer und Mitläufer, die nach dem Ende der Diktatur extrem weich gefallen sind. Wenn man sich Stasi-IMs und Stasi-Opfer, Staatsbeamte und Opfer des Staates anschaut, finde ich die Klagen mancher Diktatur-Gewinnler über Siegerjustiz bemerkenswert, um es zurückhaltend auszudrücken.
Wahrscheinlich geht das nicht anders, als einen Teil der Leute zu übernehmen. Mit Sicherheit gibt es Fälle, in denen der Elitenaustausch zu weit ging. Aber in der Grundtendenz finde ich das Vorgehen nach 1990 viel besser, als das nach 1945. Wie ich oben schon mal schrieb müsste für einen sinnvollen Vergleich ein Staat wie Polen, Ungarn, Tschechien herangezogen werden. Da würde ich bestreiten, dass es Ostdeutschland im großen und ganzen schlechter oder härter ergangen wäre. Es gibt berechtigte Klagen, es gibt Unterrepräsentanz in bestimmten Bereichen. Aber es gibt halt neben Ungerechtigkeiten auch die völlig unfaire/überzogene Erwartungshaltung, bei einer präzedenzlosen Fusion zweier Staatsgebiete müsse alles genau richtig laufen. Da ist mir in vielen Gesprächen viel zu viel Selbstgerechtigkeit im Spiel und viel zu wenig Selbstreflektion. Gehen wirklich so viele aus bestimmten Dörfern/Regionen weg und machen anderswo Karriere, weil es da mehr Geld gibt, oder hat das vielleicht auch was damit zu tun, wie liberalen, innovativen, andersdenkenden oder -lebenden Menschen in bestimmten Gemeinden begegnet wird? Lehrer zum Beispiel kann ich (bürokratische Hürden mal beiseitelassend) im ganzen Land sein, ich bin überall gesucht, bekomme überall annähernd das gleiche Geld. In meinem (westdeutschen) Heimatdorf, würde ich nicht wieder leben wollen und das hat auch was damit zu tun, wie dort bspw. mit Jungs umgegangen wird, die lange Haare tragen, dass man sich rechtfertigen muss, wenn man als Grüner ne Jugendgruppe der Gemeinde leiten will, nicht dass die aus dutzenden Kandidaten hätten auswählen können. Am Ende macht es dann halt keiner und die Jugendarbeit der Gemeinde ist an der Stelle gestrichen. Wenn ein nicht-deutscher Arzt ne Praxis übernimmt, fühlt man sich unwohl und überfremdet. Wenn nicht wird beklagt, dass man keinen Arzt hat.Und wehe jemand sagt laut, dass es vielleicht nicht nur an den Ausländern, den Armen, den Linken liegen könnte, dass das Dorf sozial und ökonomisch allmählich verkümmert.

Ergänzung: Überhaupt schon erstaunlich oder? Das wahre Besatzungsregime war doch die DDR. Als die DDR-Bürger sich 1953 wehrten, wurden sie in großer Zahl ermordet oder weggesperrt, danach wurde jede Opposition massiv drangsaliert. Trotzdem wird über die Wiedervereinigung als eine neue Form der Besatzung diskutiert und diese Wahrnehmung von Fremdbestimmung ist tatsächlich nicht selten. Dabei waren es ja Ostdeutsche, die bspw. skandierten, „Wenn die DM nicht zu uns kommt, kommen wir zu ihr“ Ich bin nicht Soziologe genug, um das abschließend zu erklären, aber bemerkenswert finde ich das schon.

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Tatsächlich habe ich den Betriebssport da nicht so im Blick. Bei meinem Umfeld wurden da oft Vereine draus. Aber ich möchte natürlich nicht in frage stellen, dass es da auch Fälle gab wo Angebote eingestellt wurden.
Die Sportart bei der ich am meisten Einblick habe war eh anders organisiert und ist vielerorts sogar erst nach der Wende richtig ausgeführt worden.

Zumindest erscheint mir alles was ich durch Leute die das mitgemacht haben erfahren habe nicht so, als wäre das ein signifikanter Grund dafür rechtsextremene Einstellung zu übernehmen.

Vor allem weil es ja auch neue Angebote nach der Wende gab. Reduziertes Sportangebot ist auch kein Phänomen welches es exklusiv im Osten gibt. Schließungen von Sportstätten und Bädern gibt es seit Langem auch im Westen.

Über Bayern berichtet doch auch vorwiegend der BR. Wie viel findet man denn in ARD und zdf über den Niedergang der Porzellanindustrie in Oberfranken?

Und nur weil über Adidas als internationalen Betrieb oder schäffler berichtet wird, heißt das noch lange nicht, dass über Franken berichtet wird. Meist sind das News über den Betrieb bei denen völlig egal ist wo der sitzt.

Du meintest PCK Schwedt wurde in den Medien nicht angesprochen, dabei habe ich mehrere Berichte darüber im Zuge der Öl- und Gaskrise gesehen und gehört.

Wenn ich das mitbekommen habe, warum dann nicht Leute im Osten? Oder wie viel mehr hätte das aufgegriffen werden müssen?

Viele Bekannte aus dem Osten die die Entwicklung der Zustimmung der AfD kritisch sehen, beschweren sich selbst über die anderen, die gerne die Freiheit des Westens hätten, aber bitte mit einem Staat der alles regelt wie einst die DDR. Und das ist einfach eine völlig realitätsferne Einstellung.

Gaststätten sterben z.B. nicht nur im Osten auf dem Land, sondern überall, neben fehlenden Nachfolgern auch eine Folge daraus, dass Menschen nicht mehr so oft dorthin gehen.
Mancherorts ist in den Augen der Menschen daran mehr der Staat schuld, andernorts weniger.

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Damit es nicht falsch rüber kommt. Dieses Denken welches ich kritisiere gibt es nicht exklusiv im Osten. Das habe ich auch bei mir auf den Dörfern (weniger in der Stadt) sehr viel mitbekommen.

Und auch in Bayern wundert mich nicht wo die AfD stark ist und wo weniger.

Wirtschaftliche Perspektive ist da sicher ein wichtiger Faktor. Die hier schon angesprochenen Abstiegsängste.

Und was den Osten angeht wurde auch viel falsch gemacht. Insbesondere die Herabwürdigung von allem was bis zur Wende gemacht wurde.

Ich sehe das alleine aber nicht als Grund dafür warum heute vom 18 bis zum 80-jährigen so viele AfD wählen.
Auf viele Probleme gäbe es konstruktivere Antworten.

Und auch wenn rückblickend viele Fehler gemacht wurden muss man eben auch anerkennen, dass es beispielsweise unrealistisch wäre zu sagen man hätte ja den Trabant 1.1 einfach weiter produzieren können. Und so gab es ganze Werke die plötzlich ohne vermarktbares Produkt dastanden und ohne Ressourcen ein solches kurzfristig zu entwickeln und konkurrenzfähig zu produzieren.
Wenn heute oftmals kritisiert wird, dass es ja kaum mehr Firmen mit echter Ost-Historie ohne westliche Übernahme gibt, dann frage ich mich schon wie man das hätte realistisch anders umsetzen können.

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Sorry, aber wenn ich sowas lese, kriege ich echt Pickel. Die DDR-Bürger haben doch mit starker Mehrheit Parteien gewählt, die eine möglichst schnelle Übernahme von allem aus der BRD und einen schnellstmöglichen Beitritt versprachen. Und zwar nicht nur vor dem 3. Oktober 1990,sondern auch noch Jahre später.

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Ich finde es einen sehr sinnvollen Vergleich, da in beiden Fällen eine Demokratie von außen installiert wurde.

Das reduziert die Kritik aber über alle Maßen.

Etwas was man versucht hat zu vermeiden.
Kleines Beispiel: alle Eliten die politisch vorbelastet waren sollten nach Möglichkeit aufhören.
Problem: Der Studiengang „Marxismus-Leninismus“ der als „Beweis“ für diese Vorbelastung herhalten musste war Pflicht, egal was man studiert hat.

Jain, die gibt es sich bei einigen, bei anderen gibt es die Berechtigte Erwartungshaltung, dass man Fehler auch eingesteht.
Es ist einiges schief gelaufen während dieser Zeit aber diejenigen die darauf warten, dass man das als Fehlentwicklung aufarbeitet werden damit abgespeist, dass es alternativlos gewesen sei und ja am Ende soviel besser als im restlichen Ostblock (was kaum jemand bestreitet).

Ein nicht unerheblicher Teil nach der Wende ging genau aus ökonomischen Gründen.
Meine alte Heimatstadt ist von knapp 50.000 EW auf etwas über 30.000EW geschrumpft. Schlicht weil keine Arbeit da war (ein Grund warum auch ich nach der Schule gegangen bin).
Hätten sie nicht irgendwie das PCK in Teilen gerettet wäre nicht wirklich was übrig geblieben außer ein paar kleinere Betriebe und Landwirtschaft.

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Ohje, hier laufe je einige Themen durcheinander. Ich möchte mal meinen Blick auf das Thema einbringen, wohl wissen dass auch dieses eine persönliche Sicht ist.

Warum ich finde das Blick in den Osten doch mal ganz spannend sein könnte (und das schreibe ich als Frau die in Sachsen lebt, arbeitet und ein Ingenieurbüro leitet):

  • Im Osten fehlt fast eine ganze Generation, nach der Wende sind extrem viele Menschen die gerade im jungen Erwachsenleben waren abgewandert. Sie haben im Westen Familien gegründet und sind sesshaft geworden. Problem dadurch: Es fehlt in vielen Unternehmen die Zwischengeneration die auch die Kommunikation zwischen den Generationen einfacher macht.

  • Im Osten werden jetzt schon viel weniger Kinder geboren pro Frau, einfach weil die Frauen die jetzt Kinder gekommen würden hier nie geboren wurden weil Ihre Eltern abgewandert sind oder sich aufgrund Wirtschaftlicher Unabwägbarkeiten geben (weitere) Kinder entschieden haben. Man kann also hier schon schön beobachten was dem Westen bevorsteht wenn da der Geburtenknick zuschlägt.

  • Nazis hab es schon immer. Nur waren die Nazis in den 90er besser erkennbar. Die Anzahl der Personen mit Migrationshintergrund ist sicher viel kleiner, aber eine Gruppe Migrantischer Jugendliche fällt auf dem Hauptmarkt mehr auf wenn sie da alleine ist, die Gruppe Jungnazis auf dem anderen Markt, fällt aber als Gruppe Jugendliche nicht so auf weil sie ja nicht „anders“ aussehen (wer die Zeichen kennt, erkennt die Gesinnung). Hier sind auch viele Klischees und Vorurteile unterwegs.

Was viele Ostdeutsche stört ist, dass meistens nur über sie aber nicht durch sie berichtet wird. Und wenig überregional berichtet wird. So kann ich z.B. nicht verstehen warum dem Karneval jedes Jahr eine so große Berichterstattung zugestanden wird, er ist auch nur eine regionale Veranstaltung. Beispiel: die Zeit hat eine extra Rubrik „Zeit im Osten“, diese Seiten sind aber leider nur in Exemplaren von Abonnenten aus dem Osten und in Zeitungen die im Osten verkauft werden. Und dann werden da gern Menschen interviewt die z.B. seit 10 Jahren in Leipzig leben und jetzt meinen die Ostdeutsche Seele (ich hasse diesen Ausdruck) verstanden zu haben.

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