Wenn der Steuerberater triagiert

Liebes Lage der Nation Team,

ich bin seit einigen Monaten zu einem treuen Zuhörer geworden und möchte mich für die ausführlichen und tieferen Betrachtungen von Themen bedanken!

Viel zu selten hören wir im Zuge von COVID über die Situation, dass die Steuerberater mittlerweile wie die Ärzte beim Höhepunkt auf den Intensivstationen über die Zukunft von Unternehmen.

Wir als kleines Unternehmen (Restaurant in Berlin) mit ehemals 17 Mitarbeiter (15 Fest in Teil-/Volzeit und 2 Minijobs) stehen wir dem Ende. Bei uns gibt und gab es keine Schwarzarbeit, wir haben unsere Umsätze anständig versteuert, wir sind jährlich gewachsen und haben privat erheblich investiert. Die Unterstützung der Regierung empfinden wir daher nur als gerechtfertigt, sicherlich nicht zielsicher in Bezug auf alle Gastronomen. Persönlich habe ich seit mehr als 12 Monate keinen Euro verdient, meine Frau hat ein Minigehalt. Weitergehend müssen wir Miete, etc. zeitgerecht bezahlen.

Unser Problem richtet sich dennoch an die Situation der Steuerberater. Durch die von der Regierung eingeführten Hilfen und der notwendigen Hinzunahem von Steuerberater stellt sich für uns die Situation, dass unser Steuerberater mittlerweile über die Zukunft unseres Unternehmen entscheidet!

Die Überlastung, nicht Bearbeitung von Anträgen aber unmittelbar bei Beauftragung fälligen Rechnung verbunden mit den Wartezeiten von der Bearbeitung der Anträge entscheidet aus unserer Sicht wer diese Krise überleben wird.

In unserem Fall haben wir vor über 100 Tagen alle notwendigen Unterlagen für die Überbrückungshilfe 2 zur Verfügung gestellt, Rechnung unverzüglich gezahlt und werden seither im wöchentlichen Rhytmus auf die Beantragung verdröstet. Unverschämt in welche Abhängigkeit wir hier geraten sind, förmlich in Ohnmacht. Wir hören dies immer mehr von anderen Unternehmen und wollen daher einmal anregen über dieses Thema zu berichten…

In diesem Sinne wünschen wir Euch weiterhin viel Gesundheit und eine gute Zukunft. Für uns hat sich dies wahrscheinlich erledigt - kein Arbeitslosen-Geld, kein Unternehmerlohn, keine Rente da diese gerade vor unseren Augen verpufft - auch das könnte man sicherlich mal als kalkulatorische „Lebensverkürzung“ betrachten. Wir für uns einige Jahre an Leben durch Stress, Verlust, Bluthochdruck, Perspektivlosigkeit, Abhängigkeit, Ohnmacht, etc. verloren.

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Das klingt sehr bitter! Ich kann mir vermutlich nur unzureichend vorstellen, wie es Dir dabei geht … Ich drück Euch ganz fest die Daumen.

Ich habe in meinem Leben mit sehr vielen verschiedenen Steuerberatern zu tun gehabt, sei es „mein Steuerberater“, sei es der Steuerberater von Kunden oder Geschäftspartner. Deren „Wertbeitrag“ fürs Unternehmen war in aller Regel darauf beschränkt, dass das Unternehmen die oft sehr komplizierten gesetzlichen Vorgaben bei Buchhaltung und Steuern erfüllt … wenn überhaupt. Die werden dafür bezahlt, dass wir komplizierte und oft völlig überbordende Gesetze befolgen können. Als einen „Freund des Unternehmers“ oder wenigstens als kompetenter Wirtschaftsberater habe ich noch keinen kennengelernt …

Ich oute mich mal Steuerberater und möchte mich zunächst mal für meine Kollegen entschuldigen.

Ich möchte aber auch mal auf die Situation meines Berufstandes hinweisen und das Verfahren beschreiben.

Grundsätzlich ist es so, dass Sie im Rahmen der November und Dezemberhilfe einen Anspruch auf 75 Prozent des letztjährigen Umsatzes haben. Nach meiner Erfahrung ist es so, dass die Anträge kurz nach Einreichung bearbeite und ausbezahlt werden. Bei mir war es so, dass die Gelder ca. 14 Tage nach Antragstellung da waren.

Wo ist also das Problem?
Erstens wir müssen einen Antrag bei unsicherer Rechtslage stellen. Das macht kein STB gerne.
Sich in das Portal einzuloggen ist schon eine Wissenschaft für sich. Ich brauchte fast eine Woche bis ich es raus hatte.
Es ist sozusagen eine völlig neue Aufgabe, die uns auf das Auge gedrückt wurde und das zu einer Jahreszeit in der wir eh schon überlastet sind.
Auch wir haben seit den zweiten Lockdown unsere Probleme.

  • Das laufende Geschäft muss weitergehen
  • Wir müssen Home-Offices einrichten
  • Viele Mitarbeiter müssen ihre Kinder betreuen
  • Manche Mitarbeiter kommen mit der Situation nicht zurecht
  • Auch wir haben Umsatzausfälle
  • Viele Mandanten brechen weg, oder haben erhärten Beratungsbedarf, oder wollen einfach nur reden
  • Auch müssen wir oft unsinnige Regelungen, die am nächsten Tag verworfen werden vor den Mandanten vertreten.

Somit legen auch unsere Nerven blank.
Zudem kommt nun auch noch ein für uns völlig fremdes Antragsverfahren für das wir ggf. haften. Das führt dazu das auch viele meiner Kollegen kurz vor einen Zusammenbruch stehen.

Ich weiß das hilft ihnen nichts.
Also was ist zu tun:

  • Die Antragsfrist für die Hilfen läuft zum 31.03. 2021 aus. Bis dahin wird wohl der Antrag gestellt werden.
  • Der Berater braucht zumindest die aktuellen November und Dezemberzahlen für den Antrag. Also alle Zahlen liefern ( falls noch nicht geschehen)
  • Den Berater freundlich darauf ansprechen und darauf hinweisen, dass es jetzt langsam Zeit wird
  • Ich würde mit den Umsatzzahlen 11 und 12 2019 zu Bank gehen und einen Kredit beantragen.
  • Das beantragte Geld wird kommen.
  • Gleich einen Antrag für Ü III stellen ( hier bekommt man 90 Prozent der Fixkosten und noch ein paar Extras )
  • Sich überlegen, ob man nicht noch irgendwo anders Geld verdienen kann, wird nicht auf die Ü III angerechnet.

Letzter und wichtigster und schmerzhaftester Punkt.
Seine Lage analysieren und überlegen, ob das Geschäftsmodell zukunftsfähig ist und dann die Weichen stellen.

Ich hoffe etwas helfen zu können.

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Ich kann das bestätigen. Ein befreundeter Klein-Unternehmer wartet seit November auf Unterstützung. Ein wesentliches Problem ist die Überlastung seines Steuerberaters. Das Unternehmen existiert nur noch durch private Darlehen…

Werter Richard,

alles, was Sie schreiben, ist verständlich. Die Ursache liegt in der verblüffenden Naivität der öffentlichen Verwaltung, die Steuerberater könnten (die z.T. unnötig schwerer gemachte) Aufgabe unter Pandemiebedingungen um den Jahrewechsel herum „mal eben so“ erledigen.

Mit Verlaub: Genau das reflektiert die leider unter Kollegen Ihre Berufsstandes vorherrsche Haltung: Haftungsminimierung vor Mandantenbedürfnis. Dabei könnte man das Haftungsthema ja relativ schnell ausräumen: Protokollierte „Aufklärung“ des Mandanten über die Risiken.

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Guten Tag Richard1,

ich verstehe die Ausführung und aus Ihrer Sicht die Risiko-Abgrenzung sowie Argumentation dass die Auftragslage bei den Steuerberatern so gut ist!

Aus der Gastronomie sind wir Druck, sehr lange Arbeitstage und eine Wochenarbeits von regelmäßig 60-80 Std gewohnt und dies bei einer kleinen Marge. Wir verstehen also auch die Situation wenn es Stress gibt und unter Volldamp geliefert werden muss.

Sicherlich erinnern Sie sich noch an die Zeiten als Sie in ein Restaurant einkehren konnte. Ich gehe einmal davon aus, dass eine Wartezeit von 20 - 30 min für ein Essen für Sie akzeptabel war, aber ein paar Minuten länger schon kritisch wurde. Schnell einmal nur ein Stern auf google, opentable, yelp, etc. vergeben mit dem Kommentar musste ewig warten, Service war nicht unbedingt freundlich, etc…

Nun stellt sich jedoch folgende Situation ein, ohne Zutun der Steuerberater-Branche werden Ihre Auftragsbücher automatisch gefüllt, Rechnungen mit stattlichen Stundensätzen von 130€ verschickt, diese müssen gleich vorab schnell bezahlt werden, zugesicherte Termine nicht eingehalten oder Fristen verschleppt und dann am besten noch alle Risiken ausschließen.

Ihre Branche lebt in einer Dream-Bubble und entscheidet jetzt noch indirekt über die Zukunft von Unternehmen und persönlichen Existenzen.

Bis auf die sicherlich teilweise nicht einfache Prioritäten-Entscheidung habe ich da leider kein großes Verständnis für Ihre Auftragslage.

Zum ersten ist zu sagen, dass das Verfahren eine eigene Behörde und die dazugehörige Plattform zu schaffen äußerst unglücklich war.

Wir könnten wahrscheinlich das Ganze stemmen, wir es über das Finanzamt und eine eingeführte Software abwickeln könnten.

Die Frage nach der Haftung ist tatsächlich problematisch. Vorweg ist zu sagen, dass wir die Haftung mehr scheuen als der Teufel des Weihwasser.

Ist aber aus meiner Erfahrung berechtigt, da viele Mandanten einen etwas lockere Rechtsauffassung haben als wir. Und das sogenannte probieren es wir mal von der Finanzverwaltungen ziemlich eng gesehen wird. Man ist da ganz schnell in einen Fahrwasser in das man nicht reinwill.
Aber das gehört eher in ein Stb-Forum.

Ich möchte hier vorab einige Punkte festhalten:

  1. Bisher hab ich die Diskussion als angenehm und sachlich entbunden.
  2. Habe mich für das Verhalten von einigen Berufskollegen entschuldigt.
  3. Ich habe darauf hingewiesen, dass wir durch unkluge Entscheidungen der Bundesregierung in eine prekäre Situation getrieben wurden
  4. Wir wurden bei der Beantragung der Hilfen notgedrungen vorgeschaltet, da bei der Soforthilfe I massenhaft Schindluder getrieben wurde. Auch hierüber muss man mal sprechen.
  5. Es macht keinen Sinn uns gegenseitig vorzuwerfen wer wieviel arbeitet.
  6. Ich diskutiere nicht über Stundensätze meiner Kollegen. Genausowenig wie ich über die Preise in der Gastronomie diskutieren möchte.
  7. Ich habe noch keinen Kollegen erlebt der auf diese Aufträge scharf ist. Viele meiner Kollegen verzweifeln an den Formularen.
  8. Das mit der Dream-Buble hab ich mal überhört.

Wir können uns gerne über die strukturellen Probleme, der Hilfen unterhalten, aber ich lasse mir hier keine Vorwürfe machen, die im übrigen auf mich und meine Mandanten nicht zutreffen.
Wenn Sie Stress mit ihren STB haben, dann ist das der Ansprechpartner.
Besser noch ihr örtlicher Abgeordneter.
Ansonsten habe ich ihnen klare Handlungsempfehlungen gegeben.