Welche Netze müssen für die Energiewende ausgebaut werden? Eine differenzierte Betrachtung

Welche Netze müssen für die Energiewende ausgebaut werden?
Klar ist, stellenweise wird man an das Stromnetz ran müssen - aber wirklich nur punktuell:

Hier findet sich eine differenzierte Betrachtung der Struktur des Stromnetzes.

Aus dem Artikel:

Auf der dritten Ebene des zellularen Netzes (Städte), dem Mittelspannungsnetz kommen die schon genannten Solarparks und Windenergieanlagen hinzu, außerdem größere Industriebetriebe, Batterie-Großspeicher, Wärmespeicher sowie flexibilisierte Biogasanlagen. Auf dieser Ebene der Städte sollte eine weitgehende Autarkie erreicht werden können …

Mit dieser Annahme braucht es natürlich keinen überregionalen Netzausbau. Das Problem: dies ist eine Annahme der Sorte „Gehen wir mal davon aus, dass Schweine fliegen können, dann …“.

Wenn Kleinststrukturen wie einzelne Städte eine halbwegs autarke Energieversorgen auf die Beine stellen sollen, dann verzichtet man damit auf die Möglichkeit, die schwankende Erzeugung aus PV und Windkraft durch großflächigen Energieaustausch zu vergleichmäßigen. Also muss man die lokale Ungleichzeitigkeit von Erzeugung und Verbrauch mittels Speichern ausbalancieren. Das sind dann irgendwas um die 20 MWh pro Kopf, die man aus Speichern entnehmen müsste. Zum Vergleich: aus dem Batteriespeicher unserer PV-Anlage sind im 1. Halbjahr gut 1 MWh entnommen worden. Und das für ein Haus mit sechs Bewohnern. Dieser Speicher leistet also ungefähr 1% von dem, was bei 20 MWh pro Kopf und Jahr notwendig wäre.

Solche gigantischen Energiemengen ohne Not speichern zu wollen, das ist aberwitzig. Mit einem Bruchteil des Aufwands kann man ganz Europa vernetzen und damit den Bedarf an Zwischenspeicherung von Energie drastisch senken.

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Da würde ich dir Recht geben, nur würde das Jahrzehnte dauern. Die Netze müssten synchronisiert werden, Frankreich zb. hat nur 1Phasennetz. Die komplette EU müsste erneuerbare Energien ausbauen usw.

Davon abgesehen macht sich Deutschland wieder irgendwo von anderen Ländern abhängig.

Und der Artikel blendet den Aspekt des intensiv handelnden europäischen Strommarktes auch komplett aus.
Wobei man da natürlich schon auch mal fragen kann, wo die Interesse des einzelnen Verbrauchers in den Hintergrund und die der Stromhändler in den Vordergrund treten.
Gruß Jakob

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Nun, das Fraunhofer ISE denkt genau in diese Richtung und ich bezweifle nicht, dass dort fähige WissenschaftlerInnen am Werk sind.

Ebenso, wie in derLeopoldina:

Es geht um den final richtigen Mix und um ein Umdenken: Es sollen nicht mehr einzelne Player im System den Rahm abschöpfen und die weitere Entwicklung bestimmen.

Das große Ziel ist, dass der Laden läuft und zwar schnellstmöglich mit 100% emissionsfreien Renewables.

Guten Morgen :slight_smile:
Der Autor behauptet, man müsste vor allem das Mittelspannungsnetz und Niederspannungsnetz ausbauen und versuchen, den Leistungsaustausch zwischen den Spannungsebenen zu minimieren. Dabei trifft er Annahmen, die zu vereinfacht sind.
Im innerstädtischen Bereich von Großstädten gibt es kaum Erzeuger. Der Impact von Balkonkraftwerken wird doch eher begrenzt sein. Windparks und Solar Freifläche gibt es dort schon mal gar nicht. Hier werden wir kaum Autarkie hinbekommen. Die Großstadt ist eine Lastsenke.

Elektrische Leistung wird durch den Ausbau von DZE auf dem Land bereitgestellt. Der ländliche Bereich ist also eher eine Quelle oder wird es immer mehr. Auch weil dort der Verbrauch von Privathaushalten gering ist.

Um die DZE-Leistung auf dem Land aufnehmen zu können müssen wir Hochspannungsleitungen ausbauen. Zudem kommen immer weniger Energieparks auf die Mittelspannung, aber noch die meisten. Ein Beispiel:
Oft fragt ein Zusammenschluss verschiedener Energiebauern an. Diese planen dann nicht nur eine Anlage, sondern auch gern mal 3-5. Eine moderne WEA liefert dann schon mal gerne 5-6 MW. Zusammen sind wir dann bei 30 MW. 30 MW bekomme ich auf keine 10-kV Mittelspannungskabel drauf. Um die Leistung abzutransportieren, muss ich zwangsläufig das Hochspannungsnetz in Netzgruppen mit ländlichem Charakter ausbauen. Der Lastfluss geht dann aus der Netzgruppe über Netzkuppler in die Höchstspannung und wird dann zum Beispiel in Netzgruppe mit urbanem Charakter wieder eingespeist. Ein Übertrag mittels Mittelspannung ist bei den Entfernungen und Leistungen nicht möglich.
Gruß David

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Danke für deinen sachkundigen Beitrag, er spricht dafür, dass du diesen Bereich beruflich kennst!?
Spannend, was Du beschreibst - wurde/wird das bereits umgesetzt oder ist so geplant? Ich meine das Thema ist ja nicht erst seit gestern bei den EVU und Verteilnetzbetreibern auf der Agenda?

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Gibt es so eine Erklärung mit Grafiken irgendwo zum verstehen auf ‚Sendung mit der Maus‘ level? Ich bin neugierig, aber ahnungslos :wink:

Ich würde mein Wissen jetzt nicht überbewerten, aber ich arbeite neben meinem Studium seit einem Jahr als Werksstudent bei einem VNB in Hochspannungsnetzplanung.
Grundsätzlich gibt es zum einen die sogenannten Zielnetzplanung. Hierbei wird geplant wie das Netz in 10-20 Jahre aussehen soll. Dafür betrachtet man Prognosen zur Entwicklung der Last und Einspeisung und zieht auch andere Parameter hinzu (Kurzschlussleistung, Kapazitiven Beeinflussung etc.)
Für den Netzentwicklung hat man verschiedene Werkzeuge zur Verfügung. Es gilt das NOVA - Prinzip. Also Netzoptimierung vor Verstärkung vor Ausbau.
Zum anderen geht es um die konkrete Umsetzung von Anfragen in der kurzen Frist (ein paar Jahre). Da ich natürlich bei Betrachtung der Zielnetze überhaupt nicht weiß, wo Anlagen nun genau stehen werden in 15 Jahren, kann hier der kurzfristige Ausbau nötig werden. Und das ist z.T schon herausfordernd.

Die Grafik aus dem Artikel vom @unkreativ zeigt zumindest die vertikale Ansicht ganz gut. Die Verteilung in der Fläche ist aber hier nicht abgebildet. Ich müsste noch ein bisschen weiter ausholen. Natürlich verhalten sich Netzgruppen im Laufe eines Jahres sehr unterschiedlich. Zu manchen Zeiten zeigen sie das Verhalten eines Einspeiser (Viel Wind/Sonne und wenig Last ) aus Sicht des ÜNBs mit den Lastfluss von „unten nach oben“ und manchmal zeigen sie Lastverhalten. Netzgruppen für urbane Gegenden zeigen eher nur Lastverhalten und ländliche Gegenden immer mehr und öfters Einspeiseverhalten. Hat eine Netzgruppe gerade einen Überschuss an Leistung, zeigt also Einspeiseverhalten oder Rückspeiseverhalten, wird Leistung an die nächsthöhere Spannungsebene abgegeben (220/380kV). Diese Leistung sucht sich dann ihren Weg zu Netzgruppen mit einem Bedarf an Leistung oder wird weiter über Landesgrenzen hinaus transportiert.
Zur Vorstellung: Eine Netzgruppe ist ein geographisches abgegrenztes Gebiet, was nicht nicht an Kreisgrenzen halten muss. Meistens befinden sich circa eine halbe bis eine Million Bewohner in einer Hochspannungsnetzgruppe. Zumindest in der Größenordnung.

Nachtrag: vielleicht hilft dieses selbstgemachte Bild

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Danke dir!

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Gerade bin ich baff - es geht offensichtlich doch. Ich ziehe meine Aussage zurück.

Da sieht man Übriges auch sehr gut wie sich Wind und Solar günstig ergänzen. Viel Wind wenig PV und andersrum. Wird in der Netzplanung unter dem Thema Gleichzeitigkeitsfaktoren abgehandelt.

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In den Sonnenreichen Tagen logisch, aber in den Dunkel Monaten müssten die WKA die fehlende Leistung der PV ersetzen. Darum bin ich der Meinung das pro Netzgruppe Speicherung für diese Monate unabdingbar ist. Dies gehört mMn mit zum Netzausbau dazu.

Wenn der ländliche Raum als Erzeuger gilt, sollte da nicht die Mittel und Niederspannung ausgebaut werden? Wenn ich mir unsere Oberleitung hier im Dorf anschaue, bezweifle ich das diese für die Zukunft gerüstet ist.

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Yep, was nicht ist, kann aber im Zuge der beschleunigten Energiewende schnell werden. :slight_smile:

und

Also vorausschauen, über den Ist Zustand hinweg, der mag unbefriedigend sein oder wir mögen es so interpretieren, aber das wird in der Zukunft schon.

Ja das muss auch gemacht werden. Der Autor des Artikels hat aber behauptet das hauptsächlich das Mittel und Niederspannungsnetz ausgebaut werden muss. Und da würde ich halt so nicht zustimmen.

Die Oberleitung (Freileitung) können in der Hochspannung auch schonmal gut und gerne 80 Jahre auf dem Buckel haben, werden dann halt nur mindestens einmal Neubeseilt.

In HV Leitungen muss genau so investiert werden, das möchte ich gar nicht anzweifeln. Die Frage die ich mir Stelle, wenn wir in Zukunft Netzmodell der Netzgruppen haben, wo jede Netzgruppe mehr oder weniger autark ist, kann man da nicht mit der überschüssigen Energie auf der HV Seite Speicher wie zb. Wasserstoff bedienen?

Für den Privaten und kleinen Industrie Bereich kann ich mir das vorstellen um durch die Nacht zu kommen, aber um ganze Städte und Gewerbegebiete zu versorgen? Wie groß sollen da die Batteriespeicher werden?

Frag doch bitte dazu direkt beim Fraunhofer ISE nach.

z.B. Prof Bruno Burger, Und lass uns wissen, wenn du eine Antwort hast. Das kann uns in der Diskussion hier echt voranbringen.

Als Einstimmung auf seine Expertise:

Na, da steht doch alles, was man wissen muss:

Netzausbau ist auch in dezentraleren Szenarien unvermeidbar

Neben der Windenergie an Land führt der Ausbau der Übertragungsnetze zu großen gesellschaftlichen Konflikten bei der Umsetzung der Energiewende. Als Argument
für ein dezentrales Energiesystem wird teilweise angeführt, dass dies den Netzausbau
überflüssig machen würde. Studien zeigen jedoch: Für eine erfolgreiche Energiewende
ist bis 2050 ein erheblicher Ausbau sowohl im Übertragungsnetz als auch im
Verteilungsnetz unumgänglich. Verschiedene wissenschaftliche Untersuchungen
verdeutlichen, dass bis 2050 noch einmal so viel Netzausbau zusätzlich erforderlich
sein wird wie heute im Netzentwicklungsplan bis 2030 vorgesehen ist. Kommt der
Netzausbau wegen Akzeptanzproblemen weiterhin nur langsam voran, bieten dezentrale Ansätze bei entsprechender Ausgestaltung und passender Anreizsetzung eine
Option, die kurz- und mittelfristigen Ausbauziele der erneuerbaren Energien dennoch
zu erreichen. Gleichzeitig muss aber klar sein: Langfristig müssen Wege für einen gesellschaftlich akzeptierten Netzausbau gefunden werden.

Kurzum: Netzausbau ist langfristig die bessere Lösung gegenüber der Speicherung von Energie.