Was bedeutet "Verantwortung"?

Hallo,

ihr habt in der aktuellen Folge bemängelt, dass kein Politiker die Verantwortung für unpopuläre Entscheidungen übernehmen möchte.

Ich frage mich, was denn eigentlich „Verantwortung übernehmen“ bedeuten soll? Ich meine, worin unterscheidet sich ein Politiker, der Verantwortung übernimmt, von einem, der dies nicht tut? Das einzige, was mir dazu einfiele, wäre, dass ein Politiker sagen könnte: „Wir machen das jetzt so und wenn es nicht klappt, dann trete ich zurück“. Aber wem ist damit geholfen?

Wäre schön, wenn man dieses Thema nochmal etwas beleuchten könnte.

ratzefummel

Ich denke Verantwortung übernehmen heißt zu 100% hinter einer Entscheidung stehen und auch mal Fehler einräumen. Auch eine Analyse im Nachgang in der dann gesagt würde das etwas nicht geklappt hat aus diesen oder jenen Gründen. Mit solchem Verhalten muss man nicht zwingend zurücktreten sondern nähert sich auch mal wieder der Bevölkerung an und wirkt nicht machtgierig sondern menschlich.

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Verantwortung heißt in diesem Zusammenhang, eine unpopuläre Entscheidung zu treffen und durchzusetzen, weil es „zum Wohl des deutschen Volkes“ ist; notfalls auf Kosten der eigenen Wiederwahl und einer Kampagne der Bild-Zeitung.
Je länger der Nutzen in der Zukunft liegt, desto mehr Verantwortung trägt man, wenn man die Kosten vorab trägt.

Das heißt zum Beispiel:

  • Das ganze Land im März 2020 in einen Lockdown zu schicken wegen dieses neuen Virus, das irgendwie aus China kommt.
  • Das ganze Land im Oktober 2020 wieder ein einen Lockdown zu schicken, obwohl das doch im März alles halb so wild war.
  • Lockdowns früh und strikt zu machen, auch wenn es für einige Leute extrem bitter ist, weil alle wissen, dass es sonst nur bitterer wird.
  • Aus der Atomkraft auszusteigen, obwohl es die Strompreise hochtreibt. (das lässt sich sicher noch breit diskutieren)
  • Flüchtlinge aufzunehmen, auch wenn formal andere zuständig sind
  • Die eigene Wirtschaft massiv einzuschränken wegen des Klimawandels, obwohl es doch endlich mal im Februar so schön warm ist.
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Das halte ich für ein sehr interessantes Thema und einen wichtigen Begriff. Dazu gibt es nun verschiedene Definitionen:

[1] Duden

a) [mit einer bestimmten Aufgabe, einer bestimmten Stellung verbundene] Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass (innerhalb eines bestimmten Rahmens) alles einen möglichst guten Verlauf nimmt, das jeweils Notwendige und Richtige getan wird und möglichst kein Schaden entsteht

b) Verpflichtung, für etwas Geschehenes einzustehen [und sich zu verantworten]

[2] Wirtschaftslexikon Gabler

Verpflichtung und Berechtigung, zum Zwecke der Erfüllung einer Aufgabe oder in einem eingegrenzten Funktionsbereich selbstständig zu handeln. Mit der Chance zum selbstständigen Handeln verknüpft sich das Einstehenmüssen für Erfolg und Misserfolg gegenüber derjenigen, von der die für Aufgabe oder Funktionsbereich erteilt wurde.

Diese beiden Definitionen zeigen bereits, dass es a) um eine bestimmte Aufgaben in einem bestimmten Funktionsbereich handelt, die b) bestmöglich bewältigt werden soll und c) für die sich gegenüber einem Auftraggeber oder gegenüber der Aufgabe (durch Erfolg oder Misserfolg) gerechtfertigt werden muss.

In einem Zeitungsartikel aus dem Jahr 2015 (Der Standard) werden dabei verschiedene Formen von Verantwortung unterschieden, z.b. moralische oder rechtliche. Für die politische Verantwortung wird dabei darauf aufmerksam gemacht, dass ein Maßstab festgelegt werden muss, an dem die Verantwortung gemessen wird. Interessanterweise wird dabei betont, dass nicht der Erfolg als Maßstab herangezogen werden kann, sondern nur der bestmögliche Umgang mit der Aufgabe. Dazu gehören folgende Punkte:

  • Informationen beschafft und aufbereitet werden

  • eine Entscheidung treffen, die sich am Allgemeinwohl orientiert

  • ein Bewusstsein dafür entwickeln, dass auch sachfremde Motive eine Entscheidung beeinflussen

  • sich vor den „Auftraggebern“ rechtfertigen zu können, also die Entscheidung zu begründen

Meiner Meinung nach sollte eine Person sich auch darüber im Klaren sein, dass eine Entscheidung immer auch Urteilsheuristiken unterliegt, also verschiedene Faktoren miteinfließen lässt, die eine rationale Entscheidung erschweren, z.B. den Halo-Effekt.

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Zum Thema Verantwortung möchte ich diesen Kommentar zu Merkels Fehlereingeständnis verlinken.

Schnell drang Merkels Fehlereingeständnis nach draußen. Und damit auch ihr sehr deutliches Zeichen, die Verantwortung zu übernehmen - was sie später vor der Presse im Kanzleramt öffentlich wiederholte - und nahezu wortgleich noch einmal bei der Regierungsbefragung im Bundestag. Ein interessanter Schachzug ohne Zweifel, hier für eine Fehlerkultur zu stehen statt Schwächen zu vertuschen - der ihr zunächst Respekt bei den Verantwortlichen der Länder, aber auch bei Oppositionsparteien FDP, Linkspartei und Grünen einbrachte. [1]

Angela Merkel übernimmt hier also Verantwortung, indem sie sich vor den Menschen, die sich beauftragen rechtfertigt.

Auf der anderen Seite jedoch wird kritisiert, dass sich Angela Merkel mit ihrem Stab nicht ausreichend auf den Vorschlag der „Osterruhe“ vorbereitet habe.

[…] Einen Vorschlag zu unterbreiten, der gut klingt, aber in der Praxis nicht innerhalb von einer Woche umsetzbar ist - ist kein Fehler, sondern unzulängliches Management, das einer Politikerin ihres Formats eigentlich gar nicht erst passieren dürfte. [1]

Damit wird deutlich, dass zwar einerseits Verantwortung übernommen wurde, andererseits auch Verantwortung nicht angenommen wurde, da die Aufgabe nicht bestmöglich vorbereitet wurde, wenn der Kommentar stimmt.