Warum schafft es ein so reiches Land nicht, genug zu investieren?

Liebes Lage-Team,

Deutschland ist ein reiches Land. Der Bundeshaushalt umfasst knapp 500 Mrd €, das BIP knapp 4 Bio USD.

Könntet ihr einmal recherchieren, warum diese immense Menge Geld trotzdem nicht ausreicht, um das Land nachhaltig am Laufen zu halten (Stichwort: Investitionsstau in der Infrastruktur in der aktuellen Lagefolge).

Wieviel geben wir für Infrastruktur, wieviel für Bildung oder Verwaltung aus. Was davon wird als Investition gesehn, was davon sind finanzielle Strohfeuer/Steuergeschenke/Fehlanreize. Welche Länder machens in welchen Bereichen besser (Skandinavien/Asiatische Länder) und was können wir uns abschauen. Und letztlich auch: welcher Anteil des Wohlstands, den wir alle erwirtschaften wird abgeschöpft; von wem und wohin? Stichwort: überproportionales Wachstum einzelner Privatvermögen, Aktien-, Beteiligung internationaler Konzerne an deutschen Unternehmen.

Vielen Dank für eure tolle Arbeit.
Gruss
A.

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Erstmal muss man dazu anmerken, dass Deutschland, gemessen an Fläche und Bevölkerungsdichte, immer noch weltweit zu den Spitzenländern gehört, wenn es um Infrastruktur geht. Ja, es gibt einen Instandhaltungsstau, ja, die Bahn ist nicht gerade ein Positivbeispiel, aber alles in allem ist unsere Infrastruktur immer noch signifikant besser als z.B. die Infrastruktur der USA und deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Das Framing der schlechten Infrastruktur halte ich daher schon für problematisch, wenngleich es vielleicht notwendig ist, um Druck zu machen, damit auch genug Investitionen geleistet werden, um diese Infrastruktur zu erhalten.

Deutschland ist zudem im Vergleich zu anderen Ländern in einer außergewöhnlichen Situation, da das Land 1945 einfach in Schutt und Asche lag und durch das Wirtschaftswunder der 50er extrem viel Infrastruktur in sehr kurzer Zeit geschaffen wurde. Möglicherweise wurde hier auch mehr Infrastruktur geschaffen, als langfristig sinnvoll zu erhalten ist. Das Problem, wenn sehr viel Infrastruktur in sehr kurzer Zeit entsteht, ist jedenfalls, dass diese Infrastruktur auch zur gleichen Zeit alt wird und hohe Instandhaltungskosten verursacht. Diese zu tragen wäre natürlich möglich gewesen, aber die politischen Prioritäten gaben es nicht her. Und das ist mMn das zentrale Problem:

Eine Regierung, die heute viele Milliarden in die Infrastruktur pumpt, erzeugt damit während ihrer Amtszeit massive Baustellen und Einschränkungen im Bereich der Infrastruktur. Die Kosten fallen quasi sofort an, es müssen vielleicht neue Schulden aufgenommen werden - und durch die Baustellen versinkt alles im Chaos. Davon profitieren werden dann die Regierungen in 5 bis 10 Jahren, die vermutlich vom politischen Gegner gestellt werden. Es ist glaube ich nachvollziehbar, dass in dieser Situation zwar jeder sagt, wie wichtig Investitionen in die Infrastruktur sind, aber keine Regierung den Punkt auf ihrer Agenda besonders hoch ansetzen wird.

Es ist schon witzig, dass das große Infrastrukturpaket in den USA trotz der aktuellen Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern alle Kammern durchlaufen konnte. Warum wohl? Weil auch die Republikaner wollen, dass während der Amtszeit der Demokraten die Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt werden - besser als in der eigenen Amtszeit…

—> Infrastrukturkosten sind einfach politisch sehr unbeliebte Kosten. Man gewinnt einfach keine Wahlen mit Infrastrukturmaßnahmen, weil die Früchte der Maßnahmen zu spät und i.d.R. vom politischen Gegner geerntet werden, die Kosten und Einschränkungen durch die Bauarbeiten aber die Regierung selbst tragen muss.

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Ein weiterer Grund für die Vermeidung von Instandhaltungsinvestitionen ist die Art und Weise, wie der Staat seine Einnahmen und Ausgaben und v.a. sein Vermögen darstellt. Vermögen wird überhaupt nicht dargestellt, erfasst, …. zählt also nichts.

In der Buchhaltung der Wirtschaft werden Investitionen nicht als laufende Aufwände dargestellt. Schließlich handelt es sich ja nur um ein Tausch von Geld in Vermögen. Nach Investitionen ist der Unternehmer genau so arm oder reicht wie vorher: Nur hat er jetzt weniger Geld auf dem Konto und dafür aber mehr Sachvermögen. Das Sachvermögen in der Bilanz entsteht, in dem die Summe der Investitionekosten ihm als Vermögen gutgeschrieben (aktiviert) wird.

Die Aufwände entstehen erst durch (Ab)nutzung: Wenn der Unternehmer sein Sachvermögen nicht instandhält, nimmt es jedes Jahr ab. Genau dafür gibt es Abschreibungen (AfA) in all seinen Ausprägungen: Jedes Jahr wird vom Vermögen ein Teil abgezogen. Und wenn der Unternehmer Instandhaltungsinvestitionen tätigt, um sein Sachvermögen zu erhalten, darf er die wieder hinzuzählen (aktivieren). Genauso Sanierungs- oder Modernisierungsinvestitionen.

Der Staat (bzw. die Buchhaltung des Staates = Kameralistik) kennt kein Vermögen, keine Investitionen und keine Abnutzung/keinen Verfall (Abschreibung). Alle staatlichen Investitionen erscheinen als Ausgaben, die sofort anfallen. Dann erscheinen Investitionen und eben auch Instandhaltungsinvestitionen scheinbar als etwas, was den Staat („die Steuerzahler“) ärmer machte. Das ist einfach eine falsche Betrachtungsweise und führt zu einer falschen Bewertung und zu falschen Entscheidungen. Dann führen ausgelassene Instandhaltungsinvestitionen nicht zu Staatsschulden sondern zu „Infrastrukturschulden“, auf die Philipp und Ulf immer wieder hinweisen.

Kein Wunder, dass sich die Politik nicht auf eine Definition staatlicher Investitionen einigen kann - einer der Gründe, warum der Begriff Investitionen nicht Einzug als Ausnahme in die Schuldenbremse nimmt - obwohl das ökonomisch unzweifelhaft korrekt ist.

Wenigstens im Fall von staatlichen Sachinvestitionen in öffentliche Infrastruktur (Bahn, Straßen, Wasserstraßen, Sachvermögen von Bundes-, Landes- und kommunalen Behörden wie Gebäude, etc.) sollte es überhaupt kein Problem sein, diese als echte staatliche Investition zu betrachten, abzugrenzen und sowohl die Errichtungs- als auch die Instandhaltungsinvestitionen aus der Schuldenbremse auszunehmen.

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… Fortsetzung:

Anders sieht es bei staatlichen Investitionen in z.B. Bildung aus. Hier entsteht kein Sachvermögen. Trotzdem sind Investitionen in Bildung doch Staatsausgaben, die sich für die Gesellschaft in der Zukunft „rechnen“ (amortisieren). Achtung: Ebenso wie bei staatlichem Sachvermögen fallen die Erträge aus diesem Vermögen aber nicht beim Staat selbst an, sondern in der Gesellschaft (oder nur indirekt über höhere Steuereinnahmen) .

Dagegen sind staatliche konsumtive Ausgaben eben Ausgaben, denen ein sofortiger, und eben kein zukünftiger gesellschaftlicher Nutzen gegenüber stehen. Beispiele: Zuschüsse in die Rentenkasse oder Wohngeld.

Bei anderen Sozialausgaben wird‘s schon wieder knifflig: Wenn z.B. eine staatlich finanzierte Kindergrundsicherung dafür sorgt, Kinder z.B. über eine bessere Bildung aus der Armut rauszuholen, entsteht ein gesellschaftlicher Nutzen in der Zukunft

(Achtung: Sozialausgaben, die aus Sozialbeiträgen finanziert werden, sind in diesem Sinne gar keine Staatsausgaben, weil sie aus keinem staatlichen Haushalt finanziert werden, sondern eben aus Sozialbeiträgen).

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Bei öffentlichen Ausgaben kommt hinzu, dass die Anforderungen in investive Ausgaben hoch sind. Es muss entweder eine ganze Anlage erneuert werden oder so umgebaut werden, dass sie eine wesentliche Funktionserweiterung bzw. Innovation zur Folge hat. Der Austausch aller alten Leuchten in einer Schule durch sparsamere LED-Leuchten oder die Erneuerung und Dämmung des Daches sind z. B. konsumtive Ausgaben. Kommunen dürfen für konsumtive Ausgaben keine Schulden aufnehmen, weshalb diese Ausgaben dann oft unterbleiben. Sie stehen in Konkurrenz zu anderen konsumtiven Ausgaben (Schwimmbad, Zuschüsse für Vereine,…) oder würden eine Erhöhung von Gebühren und/oder Steuern nötig machen (Grund- und Gewerbesteuer, Kindergartengebühren, Eintrittspreise, Abfallgebühren,…) für die kein Kommunalpolitiker einen Beliebtheitswettbewerb gewinnt. Wenn dann irgendwann die Schule komplett saniert werden muss, kann auch die Beleuchtung und das Dach als Investition abgerechnet und ggf. mit einer Kreditaufnahme finanziert werden.

Dieses Argument wird immer aufgeführt, aber stimmt es? Gibt es hierzu Belege oder nur gefühlte Evidenz?

Da könntest du in diesem Thema fündig werden:

Das Chaos kann man vermeiden und die Bahn testet es nun auch.

Ab nächstem Jahr wird die Riedbahn von Frankfurt nach Mannheim generalsaniert. Üblicherweise dauert eine solche Mammut-Maßnahme bei der Bahn Jahre weil immer kleine Abschnitte gesperrt, SEV umorganisiert und Baustellen neu eingerichtet werden müssen. Parallel dürfen dann oft trotzdem noch Züge langsam durch die Baustelle fahren, was zu ungewollten Pausenzeiten bei den Bauarbeitern führt.

Die Bahn setzt nun erstmalig auf eine Komplettsperrung der gesamten Strecke, so dass konzentriert auf der gesamten Strecke gearbeitet werden soll. Man will dadurch binnen 5 Monaten mit der Generalsanierung (fast alles wird ausgetauscht. Selbst Bahnsteige sollen modernisiert werden) durch sein.

Würde man so das ganze Land sanieren käme es sicher regional immer wieder zu Chaos. Aber das hielte nur kurz an und entspannt sich bald wieder. Man könnte theoretisch sogar noch viel schneller sein wenn man im 24/5 oder sogar 24/7 Modus arbeitet, aber lasst uns nicht vermessen sein.

Stattdessen wird in Deutschland aber gern auf Sicht geplant und saniert, so dass selbst kleine Bauprojekte ewig dauern. Beispielsweise dauert der Umbau des relativ kleinen S-Bahnhofs Köpenick in Berlin mindestens 4 Jahre und verursacht täglich einen Verkehrsinfarkt, da die Durchfahrt um die Unterführung und für die Züge verengt werden musste. Das verursucht an Wochentagen enorme Staus. Autofahrer benötigen so aktuell für einen 2km Abschnitt etwa 1h.

Das nur als Beispiel was schief läuft. Bitte nutzt es nicht um eine Diskussion darüber zu führen, dass man in Berlin nicht mit dem Auto fahren muss. Ich verstehe diese Leute selbst nicht.

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Hi,
Mal eine Folgefrage. Wenn Deutschland beispielsweise 1 Mio. € in zb. Brückensanierung investiert, wie viel von dem Geld kommt dann wieder zurück an den Staat? Ich meine, die Firma muss Steuern zahlen, muss ihre Mitarbeiter bezahlen, die wiederum Lohnsteuer bezahlen müssen. Und das meiste von dem Geld wird ja auch direkt wieder in Deutschland ausgegeben, was auch wieder Einnahmen produziert. Schiebt man als Staat nicht also am Ende Geld von der Linken Tasche in die Recht?
Freue mich auf die Rückmeldung

Was du beschreibst ist letztlich der Grund für eine antizyklische Wirtschaftspolitik, daher:
Zu Zeiten, in denen die Wirtschaft gut läuft und deshalb begrenzte Dinge wie Arbeitskraft im Bausektor stark nachgefragt und die Preise entsprechend hoch sind, wird wenig investiert, in Zeiten hingegen, in denen die Wirtschaft in’s Stocken gerät, investiert der Staat massive Summen in Dinge wie die Infrastruktur, um die Wirtschaft anzukurbeln. Auch, weil ein großer Teil der Ausnahmen in der Tat zurück an den Staat fließt.

Dazu muss man sich vor Augen führen, was Wirtschaft wirklich bedeutet. So lange wir beim Infrastruktur-Ausbau weitestgehend in Deutschland produzierte Rohstoffe (Beton usw.) verwenden und deutsche Firmen beschäftigen, sind die tatsächlichen Kosten für den Staat eher zu vernachlässigen. In dem Moment, in dem wir Rohstoffe brauchen, die wir importieren müssen, Unternehmen verwenden, die nicht in Deutschland steuern zahlen oder Arbeitskräfte verwenden, die im Ausland versteuert werden, fließen natürlich größere Menge an Devisen ab. Innerhalb der EU ist das allgemein unproblematisch (ein Ziel der EU ist letztlich die Anpassung der Lebensverhältnisse…), außerhalb der EU (z.B. wenn wir viele Rohstoffe aus China importieren müssen) sieht das kritischer aus. Aber da Deutschland ein massives Export-Übergewicht hat ist selbst das eigentlich unproblematisch und „nur fair“ (aber da unser Wohlstand auf diesem Export-Übergewicht, über das sich andere Staaten beklagen, beruht, sehen viele Menschen natürlich anders…).

Im Kern hast du jedenfalls völlig Recht:
Der Staat verliert durch Schuldenaufnahme, um massive Investitionen in die Infrastruktur zu tätigen, erschreckend wenig Geld. So wenig, dass die vollständige Weigerung durch das Festhalten an der Schuldenbremse noch absurder wirkt. Würde man alle Einnahmen, die der Staat indirekt durch die Infrastrukturmaßnahmen erzielt (Lohnsteuern, Umsatzsteuern, die durch zusätzlichen Konsum der ausgezahlten Löhne generiert werden usw.) direkt in die Schuldentilgung investieren, wären die Kosten der Infrastrukturmaßnahmen meiner Einschätzung nach zu vernachlässigen.

Mehr Schulden für Investitionen ist daher meines Erachtens ein No-Brainer, allerdings mit einem gewissen Fingerspitzengefühl. Zu viele Investitionen auf einen Schlag können - wie oben bei der antizyklischen Wirtschaftspolitik beschrieben - zu einer Zeit, zu der Arbeitskraft begrenzt ist, zu Preissteigerungen führen, die einen guten Teil der Investitionen auffressen oder sie sogar in’s Negative verkehren könnten. Das richtige Ausmaß an Investitionen ist daher am ehesten an den zur Verfügung stehenden Arbeitskräften und Materialien und weniger anhand des zur Verfügung stehenden „Geldes“ zu bemessen. Dieser Fetisch der schwarzen Null ist einfach nur ein völlig falscher Fokus in dieser Angelegenheit.

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