Erstmal muss man dazu anmerken, dass Deutschland, gemessen an Fläche und Bevölkerungsdichte, immer noch weltweit zu den Spitzenländern gehört, wenn es um Infrastruktur geht. Ja, es gibt einen Instandhaltungsstau, ja, die Bahn ist nicht gerade ein Positivbeispiel, aber alles in allem ist unsere Infrastruktur immer noch signifikant besser als z.B. die Infrastruktur der USA und deutlich über dem OECD-Durchschnitt. Das Framing der schlechten Infrastruktur halte ich daher schon für problematisch, wenngleich es vielleicht notwendig ist, um Druck zu machen, damit auch genug Investitionen geleistet werden, um diese Infrastruktur zu erhalten.
Deutschland ist zudem im Vergleich zu anderen Ländern in einer außergewöhnlichen Situation, da das Land 1945 einfach in Schutt und Asche lag und durch das Wirtschaftswunder der 50er extrem viel Infrastruktur in sehr kurzer Zeit geschaffen wurde. Möglicherweise wurde hier auch mehr Infrastruktur geschaffen, als langfristig sinnvoll zu erhalten ist. Das Problem, wenn sehr viel Infrastruktur in sehr kurzer Zeit entsteht, ist jedenfalls, dass diese Infrastruktur auch zur gleichen Zeit alt wird und hohe Instandhaltungskosten verursacht. Diese zu tragen wäre natürlich möglich gewesen, aber die politischen Prioritäten gaben es nicht her. Und das ist mMn das zentrale Problem:
Eine Regierung, die heute viele Milliarden in die Infrastruktur pumpt, erzeugt damit während ihrer Amtszeit massive Baustellen und Einschränkungen im Bereich der Infrastruktur. Die Kosten fallen quasi sofort an, es müssen vielleicht neue Schulden aufgenommen werden - und durch die Baustellen versinkt alles im Chaos. Davon profitieren werden dann die Regierungen in 5 bis 10 Jahren, die vermutlich vom politischen Gegner gestellt werden. Es ist glaube ich nachvollziehbar, dass in dieser Situation zwar jeder sagt, wie wichtig Investitionen in die Infrastruktur sind, aber keine Regierung den Punkt auf ihrer Agenda besonders hoch ansetzen wird.
Es ist schon witzig, dass das große Infrastrukturpaket in den USA trotz der aktuellen Spaltung zwischen Demokraten und Republikanern alle Kammern durchlaufen konnte. Warum wohl? Weil auch die Republikaner wollen, dass während der Amtszeit der Demokraten die Infrastrukturmaßnahmen durchgeführt werden - besser als in der eigenen Amtszeit…
—> Infrastrukturkosten sind einfach politisch sehr unbeliebte Kosten. Man gewinnt einfach keine Wahlen mit Infrastrukturmaßnahmen, weil die Früchte der Maßnahmen zu spät und i.d.R. vom politischen Gegner geerntet werden, die Kosten und Einschränkungen durch die Bauarbeiten aber die Regierung selbst tragen muss.